Einführung
Der regelmäßige Konsum psychoaktiver Substanzen (wie Tabak, Alkohol, Marihuana und Ecstasy) zählt zu den wichtigsten vermeidbaren Krankheitsursachen, da die derzeit dominierenden Zivilisationskrankheiten in starkem Maße von diesem Gesundheitsverhalten ebenso wie den davon ausgehenden biomedizinischen Risikofaktoren (z.B. Bluthochdruck) bestimmt werden. Die gesundheitsrelevanten Alltagsroutinen stehen in der Regel in einem direkten Zusammenhang zu aktuellen wie späteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs.
Das Jugendalter stellt für den Konsum legaler und illegaler Drogen in der Regel die Schlüsselphase dar. In dieser Lebensphase kommen die Heranwachsenden zum ersten Mal mit diesen Substanzen in Berührung.
Während über die psychosozialen Funktionen desSubstanzkonsums im Jugendalter zahlreiche Erkenntnisse vorliegen, ist nach wie vor wenig über den Einfluss sozialer Ungleichheit auf den Konsum psychoaktiver Substanzen in dieser Altersgruppe bekannt. Das Fehlen von Erkenntnissen über soziale Unterschiede im Gesundheitsverhalten und hier insbesondere im Substanzkonsum ist verwunderlich, da ihr Nachweis eine besondere Herausforderung für die Gesundheitspolitik darstellt. Kinder und Jugendliche sind den sozialen Verhältnissen, d.h. den Lebensbedingungen und Lebensumwelten, in denen sie aufwachsen, mehr oder weniger ausgeliefert. Hinzu kommt, dass inzwischen keine andere Altersgruppe stärker von Armut (als extreme Ausprägung sozialer Ungleichheit) betroffen ist als Kinder und Jugendliche.
Im folgenden Kapitel wird ein kurzer Einblick in die Funktionen des Substanzkonsums im Jugendalter gegeben. Im Anschluss daran soll auf die Problematik einer sozial ungleichen Verteilung psychoaktiver Substanzen eingegangen werden. Danach wird die Verbreitung legaler und illegaler Drogen im frühen Jugendalter auf der Grundlage nationaler Auswertungen der internationalen Vergleichsstudie "Health Behaviour in School-aged Children" (HBSC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dargestellt. Dabei wird die Differenzierung des Substanzkonsums nach sozioökonomischen Merkmalen im Mittelpunkt stehen. Abschließend wird ein Ausblick auf die Anforderungen zeitgemäßer Präventionsbemühungen im Suchtbereich gegeben.
Funktionen des Substanzkonsums im Jugendalter
Heranwachsende werden im Verlauf ihrer Persönlichkeitsentwicklung vor die Anforderung gestellt, gesellschaftlich und kulturell definierte Verhaltenserwartungen zu erfüllen, die zum Erwerb einer stabilen personalen und erfolgreich angepassten sozialen Identität führen. Hierzu gehört primär die Lösung einer Vielzahl von gesellschaftlich und kulturell definierten Entwicklungsaufgaben. Der Begriff Entwicklungsaufgaben beschreibt hierbei einzelne Schritte auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Entwicklungsaufgaben bestehen beispielsweise in der Ablösung von den Eltern, der Ausbildung der eigenen Geschlechtsrolle (einschließlich des Aufbaus sexueller Beziehungen), der Entwicklung eines Werte- und Normensystems (ethisches und politisches Bewusstsein) und in der Entfaltung eines persönlichen Lebensstilmusters.
Im Rahmen der oben genannten Entwicklungsphase experimentieren die Jugendlichen mit neuen Rollen, probieren neue Verhaltensweisen und Einstellungen aus und testen diese auf ihre Funktionalität. Hierzu gehört auch und gerade das Experimentieren mit psychoaktiven Substanzen wie Tabak, Alkohol und illegalen Drogen. Der Substanzkonsum kann dabei unterschiedliche Funktionen in den genannten Entwicklungsaufgaben übernehmen. So soll dadurch u.a. der eigene persönliche Stil ausgedrückt, der Zugang zu Gleichaltrigen- bzw. Peergruppen erleichtert und die Unabhängigkeit von den Eltern demonstriert werden.
Probleme oder ein Scheitern bei der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben (z.B. durch eine enge zeitliche Abfolge der Entwicklungsaufgaben oder eine Überforderung der Adaptionsfähigkeit von Jugendlichen) können zu einer Zunahme bzw. Verfestigung des Substanzkonsums führen. Dies beinhaltet jedoch nicht nur die Gefahr des Erwerbs und der Gewöhnung an gesundheitsschädliche Verhaltensweisen, sondern steigert das Risiko des psychologisch begründeten Missbrauchs oder Suchtverhaltens.
Insbesondere wenn der Substanzkonsum als Mittel gesehen wird, der aktiven Problemlösung aus dem Weg zu gehen, erhöht sich das gesundheitliche Risiko. Regelmäßiger oder exzessiver Konsum von Tabak und Alkohol führt gerade im Jugendalter zu schweren Entwicklungsstörungen; physiologische Effekte ebenso wie organische Schäden treten schneller als bei Erwachsenen ein, und auch die Zeitspanne vom Missbrauch bis hin zur Abhängigkeit ist gegenüber dem erwachsenen Organismus verkürzt.
Zusammenfassend muss angemerkt werden, dass der Substanzkonsum für die Mehrheit der Heranwachsenden eine Begleiterscheinung der Jugendphase ist, in der Entwicklungsaufgaben bearbeitet und Entwicklungsprobleme gelöst werden müssen. Mit der Übernahme von Erwachsenenrollen (Ehepartner, Eltern) tritt in den meisten Fällen auch eine Reduktion des Konsums ein. Dennoch gibt es nach wie vor Fälle, in denen der Konsum auf einem konstant hohen Niveau verbleibt.
Soziale Differenzen im Substanzkonsum
Unterschiedlichste Risiko- und Schutzfaktoren bestimmen die Wahrscheinlichkeit für Substanzkonsum in der Adoleszenz.
Risiko- und Schutzfaktoren sind innerhalb einer Gesellschaft jedoch nicht gleich verteilt. Trotz erheblicher Investitionen in Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsleistungen ist der Einfluss sozialer Ungleichheit immer noch ein bedeutendes gesellschaftliches Problem. Aufgrund ihrer zentralen Stellung im gesellschaftlichen Leben beeinflussen soziale Ungleichheiten wesentlich die Chancen und Risiken der Lebensgestaltung des Einzelnen. Sozial ungleiche Lebenslagen bieten Kindern und Jugendlichen unterschiedliche Lern- und Erfahrungsräume an und nehmen somit auf die Ausbildung individueller Bewältigungskompetenzen, d.h. auf die Möglichkeiten jugendlicher Problembewältigung, direkt Einfluss.
Für Erwachsene konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden, dass Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status (SES) in der Regel häufiger gesundheitsbeeinträchtigende Verhaltensweisen, wie Zigarettenrauchen, Fehlernährung, Alkoholmissbrauch und Bewegungsmangel aufweisen und zwar unabhängig davon, ob der sozioökonomische Status mit Hilfe der Bildung, des Berufsstatus oder des Einkommens gemessen wurde.
Allgemein ist zu vermuten, dass Kinder und Jugendliche aus unteren sozialen Schichten zweifach prädisponierenden Faktoren für den missbräuchlichen Drogenkonsum ausgesetzt sind: Das sind zum einen familiale Determinanten, d.h., ein hoher Drogenkonsum der Eltern (in sozial benachteiligten Gruppen überproportional hoch) korreliert positiv mit dem Konsumstatus der Kinder.
Nach wie vor ist aber nur wenig über die Beziehung zwischen sozialer Ungleichheit und dem Substanzkonsum von Jugendlichen bekannt. Bei einer kritischen Bewertung des internationalen Forschungsstandes wird zudem deutlich, dass die vorliegenden Ergebnisse inkonsistent und widersprüchlich sind. Während einige Studien auf eine sozial ungleiche Verteilung von Tabak, Alkohol- und illegalem Drogenkonsum hinweisen,
Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass der Zusammenhang zwischen Substanzkonsum und sozialer Ungleichheit mit zunehmendem Alter der Jugendlichen deutlicher wird. So kommen Berechnungen Uwe Helmerts
Ausgewählte Ergebnisse
Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse einer Analyse vorgestellt, die der Frage nachgegangen ist, ob sich für deutsche Jugendliche im Alter von 11 bis 15 Jahren ein Zusammenhang zwischen dem Konsum psychoaktiver Substanzen (Tabak, Alkohol und Cannabis) sowie alkoholbedingten Rauscherfahrungen einerseits und dem sozioökonomischen Status der Eltern sowie dem Schultyp der Jugendlichen andererseits nachweisen lässt. Datenbasis ist die deutsche Stichprobe der internationalen Studie "Health Behaviour in School-aged Children (HBSC): A WHO Collaborative Cross-national Study" aus dem Jahr 2002. Ziel der alle vier Jahre durchgeführten Studie ist es, Daten über die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten von Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 15 Jahren zu sammeln und umfassende Veränderungen dieses Verhaltens im Laufe der Zeit zu bestimmen.
Verbreitung legaler Drogen: Tabak- und Alkoholkonsum
In der Abbildung sind die alters- und geschlechtsspezifischen Konsumraten für Tabak und Alkoholsowie die Häufigkeit von alkoholbedingten Rauscherfahrungen aufgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass der regelmäßige Substanzkonsum bei den 11- bis 15-Jährigen noch die Ausnahme darstellt. Ungefähr 16 Prozent der Jugendlichen rauchen, und 13 Prozent trinken Alkohol mindestens einmal in der Woche. Etwa 17 Prozent berichten über mindestens zwei bis drei Rauscherfahrungen in ihrem Leben. 75 Prozent der Jugendlichen berichten über keine der drei hier untersuchten Verhaltensweisen. Mit dem Alter der Jugendlichen steigt der regelmäßige Substanzkonsum jedoch deutlich an. So sind die Anteile der regelmäßigen Raucher unter den 11-jährigen Schülerinnen und Schülern noch sehr gering. Unter den 15-Jährigen raucht dann etwas mehr als ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler mindestens einmal wöchentlich. Eine vergleichbare Zunahme zeigt sich auch für den Alkoholkonsum und die Rauscherfahrungen. In Bezug auf geschlechtsspezifische Unterschiede finden sich nur für den regelmäßigen Konsum von Alkohol und alkoholbedingte Rauscherfahrungen signifikant höhere Raten bei Jungen. Regelmäßig geraucht wird von etwa gleich vielen Mädchen und Jungen.
Verbreitung illegaler Drogen
Tabelle 1 (s. PDF-Version) gibt einen Überblick über den Konsum illegaler Drogen bei 15-jährigen Jugendlichen. Allgemein wird deutlich, dass der Konsum illegaler Drogen - mit Ausnahme von Cannabis - unter den 15-Jährigen eher selten ist. Etwa 18 Prozent der 15-jährigen Jungen und Mädchen haben im Jahr vor der Befragung mindestens einmal Cannabis konsumiert, wobei Jungen (22,1 Prozent) signifikant häufiger Cannabis konsumiert hatten als Mädchen (14,9 Prozent). Der Missbrauch von Medikamenten (mit dem Ziel der Rauscherzeugung) folgt mit großem Abstand an zweiter Stelle. Aufputschmittel, zu denen die Amphetamine und "Speed" genannten Drogen zählen, wurden von 2,5 Prozent der Jugendlichen mindestens einmal im letzten Jahr konsumiert. Ein ähnlicher Wert findet sich auch für den Konsum von Ecstasy. Geschlechtsunterschiede konnten beim Konsum der "harten Drogen" nicht nachgewiesen werden.
Der Einfluss des familiären Wohlstands
Wie aus Tabelle 2 (s. PDF-Version) deutlich wird, übt der familiäre Wohlstand
In Bezug auf den regelmäßigen Tabakkonsum lässt sich unter Kontrolle der Altersverteilung bei Mädchen mit einem niedrigen familiären Wohlstand zwar ein signifikant erhöhtes Risiko des regelmäßigen Konsums nachweisen, jedoch ist dieser Effekt nicht stark genug, um das Gesamtmodell signifikant zu beeinflussen. Für den (regelmäßigen) Alkoholkonsum zeigt sich nur bei Jungen ein schwacher, aber signifikanter Einfluss. Jungen mit niedrigem familiären Wohlstand haben demnach ein etwa 40 Prozent niedrigeres Risiko, regelmäßig Alkohol zu trinken, als Jungen mit einem hohen Wohlstand.
Ein vergleichbares Bild zeigt sich für wiederholte Rauscherfahrungen. Auch hier konnte nur bei Jungen ein Zusammenhang mit dem familiären Wohlstand nachgewiesen werden. Im Vergleich zum regelmäßigen Alkoholkonsum findet sich aber kein linearer Effekt. So hat die Gruppe mit einem mittleren Wohlstand ein signifikant niedrigeres Risiko von zwei oder mehr Rauscherfahrungen als die Referenzgruppe. Ein Effekt des familiären Wohlstands auf den Cannabiskonsum konnte unabhängig vom Geschlecht nicht festgestellt werden.
Der Einfluss des Schultyps
Während der familiäre Wohlstand nur in einer marginalen Beziehung zum Substanzkonsum steht, lassen sich für den Schultyp
Während der regelmäßige Alkoholkonsum bei Jungen in einer signifikanten, wenn auch schwachen Beziehung zum familiären Wohlstand steht, hat der Schultyp keinen Einfluss auf den Alkoholkonsum. Bei alkoholbedingten Rauscherfahrungen zeigt sich unabhängig vom Geschlecht, dass Jugendliche, die nicht auf ein Gymnasium gehen, ein erhöhtes Risiko von wiederholten Rauscherfahrungen aufweisen. Wie bereits beim familiären Wohlstand kann auch beim Schulformvergleich kein Effekt auf den Konsum von Cannabis nachgewiesen werden.
Fazit
Es wird deutlich, dass sich der überwiegende Teil der 11- bis 15-Jährigen heute gesundheitsbewusst verhält und einen weniger gesundheitsriskanten Umgang mit dem Körper pflegt als noch vor 30 Jahren.
Die hier berichteten Ergebnisse zeigen weiter, dass der familiäre Wohlstand - als ein Indikator sozial ungleicher Lebensbedingungen - nur einen sehr schwachen Einfluss auf den Substanzkonsum im Jugendalter ausübt. Für keine der hier untersuchten Verhaltensweisen zeigt sich ein signifikanter sozialer Gradient in Form eines steigenden Konsums bei sinkendem familiärem Wohlstand - wie er beispielsweise im Erwachsenenalter vorliegt. Im Vergleich dazu steht der Schultyp der Jugendlichen in einem engen Zusammenhang zum regelmäßigen Tabakkonsum und zu wiederholten Rauscherfahrungen. Dieses Ergebnis bestätigt bereits existierende Annahmen, nach denen dem eigenen sozialen Status der Jugendlichen ein wesentlich größeres Gewicht bei der Bestimmung des Risikoverhaltens zukommt als Indikatoren, die jugendliche Lebensbedingungen lediglich von den elterlichen Angaben zum sozioökonomischen Status ableiten.
Offenbar hat die Lebenswelt "Schule" einen eigenständigen Einfluss auf das Konsumverhalten der Jugendlichen. So haben verschiedene Studien zeigen können, dass bestimmte schul- und klassenklimatische Bedingungen (z.B. die Unterstützung durch Mitschüler, die Schulfreude oder schulische Leistungsanforderungen) in einem Zusammenhang mit der Gesundheit und dem Gesundheitsverhalten der Heranwachsenden stehen.
Diese Funktion der Schule muss auch in der Prävention Berücksichtigung finden. Jüngere Ansätze in der Primärprävention basieren bereits auf Konzeptionen, die eine Steigerung der sozialen und der allgemeinen Lebenskompetenzen anvisieren. Auf dieser Grundlage sollen die Fähigkeiten zur Belastungsbewältigung erhöht und damit die Risiken für jugendliches Ausweich- oder Problemverhalten (wie den Drogenkonsum) verringert werden. Kompetenzbasierte Programme dieser Form haben sich sukzessive auch im deutschen Sprachraum durchgesetzt.
Das aktuelle Präventionsverständnis stellt daher die Steigerung der individuellen Handlungs- und Bewältigungskompetenzen in den Mittelpunkt. Prävention zielt auf das einzelne Individuum, um das Handlungssubjekt zu stärken. Damit werden auch im schulischen Bezugsrahmen die engen Grenzen einer bloßen Gesundheitserziehung - dem schulischen Lernverhältnis zwischen Sender und Empfänger immer ähnlich - überschritten. Dennoch muss auch an heutige Konzeptionen in der Suchtprävention die Frage gestellt werden, wie und in welchem Maße, d.h. mit welcher Erfolgswahrscheinlichkeit und unter welchen "idealen" Bedingungen, die Förderung suchtprotektiver Faktoren erfolgen kann. Die Frage danach, ob der individuelle Präventionserfolg in Abhängigkeit von den Einflussfaktoren sozialer Ungleichheit variiert, bleibt bisher weitgehend unbeantwortet. Wenn jedoch der Substanzkonsum im Jugendalter einem sozial hoch differenzierten Muster von Einflussfaktoren folgt, muss davon ausgegangen werden, dass der Erfolg der Suchtprävention in einem sehr ähnlichen Maße von gesellschaftlichen Faktoren der Programmeinbettung und flankierenden Unterstützungsangeboten abhängt. Der Bedarf an zusätzlicher analytischer Trennschärfe im Suchtbereich scheint damit noch längst nicht gedeckt.
Internethinweise
Externer Link: Internationale HBSC-Studie
Externer Link: HBSC-Studie (deutsch)
Externer Link: Deutsche Informationen der Universität Bielefeld zur HBSC-Studie