Einleitung
Für eine kritische Öffentlichkeit und damit auch die Menschenrechtsbewegung ist der Terrorismus ein schwieriges Thema. Zu Problemen der internationalen Menschenrechtsbewegung mit dem neuen Thema vgl. International Council on Human Rights Policy, Menschenrechte nach dem 11. September, Berlin 2003 (hrsg. in deutscher Übersetzung vom Deutsches Institut für Menschenrechte). Bei diesem Typ von Makrokriminalität sind Informationen vielfach unsicher, agieren doch terroristische Gruppen im Geheimen, und die Gegenmaßnahmen der Staaten, auch der Demokratien, werden ebenfalls streng vertraulich behandelt. Die Medien veröffentlichen zwar eine Vielzahl von Daten und Meinungen zum Thema, aber es wird eben auch viel "geraunt", nicht selten ohne Quellen anzugeben oder unter allgemeinem Verweis auf ungenannt bleibende Geheim- und Nachrichtendienste. Deren Grenzen, eigene institutionelle Interessen und Politisierung werden aber seit langem in der wissenschaftlichen Forschung - nicht zuletzt durch Beiträge von Geheimdienstmitarbeitern, Wissenschaftlern und kritischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) etwa in den USA - beschrieben und sind nach dem Irakkrieg noch einmal deutlich geworden.
In der öffentlichen Diskussion fehlt es vielfach an klaren, umfassenden und belegten Informationen, sicher eine Folge des Phänomens selbst, aber auch Begleiterscheinung eines Themas, bei dem viel vermutet und spekuliert werden kann. Da werden mögliche Bedrohungsszenarien schnell zu wahrscheinlichen Szenarien, ohne dass methodisch klar wird, wie dieser Argumentationsschritt vollzogen wurde. Diffuse Angst, manchmal Hysterie, tritt an die Stelle einer ernsthaften Analyse von Gefahren und Gegenmaßnahmen. Der "Angst-Korridor" angesichts der Möglichkeit von Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen ist "nach vorne" völlig offen.
In einem solchen Klima liegt es nahe, immer weiter reichende Forderungen nach der Einschränkung von Menschen- und Grundrechten zu erheben, ohne dass wirklich klar wäre, ob nicht bereits bestehende Regelungen ausreichen, wie effektiv Maßnahmen - gemessen an den definierten Zielen der Terrorismusbekämpfung - wirklich sind/wahrscheinlich sein würden (alte und neu geforderte Maßnahmen) und welcher Schaden/welche Kosten durch immer neue Einschränkungen für Rechtsstaat und Demokratie entstehen.
Dieser Beitrag entstand am Deutschen Institut für Menschenrechte. Er beruht zu einem großen Teil auf der Studie Wolfgang S. Heinz/Stephanie Schlitt/Anna Würth, Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, Berlin 2003.
Menschenrechtsschutz versus Terrorismusbekämpfung
Der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz hat Einschränkungen für den Notstandsfall zugelassen. So ist gemäß VN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) nach Art. 4 die zeitweilige Außerkraftsetzung (Derogation) von Rechten möglich, wenn "das Leben der Nation (des Staates) bedroht" und der Notstand amtlich verkündet ist. Die Staaten können dann Maßnahmen ergreifen, welche die Lage unbedingt erfordert, vorausgesetzt, dass diese ihren sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht zuwiderlaufen und keine Diskriminierung allein wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion oder der sozialen Herkunft nach sich ziehen. Die Maßnahmen sollen die Gefahr möglichst zeitnah verringern und bedürfen einer offiziellen Notstandserklärung des betreffenden Staates gegenüber den Vereinten Nationen. Von den westlichen Staaten hat bisher nur Großbritannien eine entsprechende Erklärung gegenüber den VN und dem Europarat (in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) regelt Art. 15 den Notstandsfall) abgegeben. Es waren und sind Zweifel angebracht, ob eine solche Bedrohung für das Land tatsächlich vorlag; belegt wurde sie von der Regierung Blair jedenfalls nicht. Dagegen werden in dem genannten VN-Pakt als notstandsfeste Menschenrechte das Verbot von Diskriminierung und Sklaverei, der Folter und bestimmte Rechte beim Gerichtsverfahren sowie das Recht auf Gedanken-, Gewissen- und Religionsfreiheit genannt.
Nach der EMRK Art. 15 gelten als notstandsfeste Rechte das Recht auf Leben, das Folterverbot, dasVerbot der Sklaverei und Leibeigenschaft, dasRückwirkungsverbot, die Anerkennung der Rechtsfähigkeit, der Strafklageverbrauch und das Verbot der Doppelbestrafung. Im Völkergewohnheitsrecht sind darüber hinaus als notstandsfeste Menschenrechte die Mindestgarantien für ein faires Gerichtsverfahren verankert.
Der erste Befund lautet: Der Menschenrechtsschutz erlaubt Staaten, eine Reihe von Rechten in einem zuvor erklärten Notstandsfall einzuschränken. Es gibt aber auch notstandsfeste Menschenrechtsstandards, die der Abwägung mit anderen Rechten und Interessen im Einzelfall entzogen sind. Fast alle westlichen Staaten haben keinen Notstand nach dem 11. September 2001 erklärt, wohl aber neue Gesetze gegen den Terrorismus verabschiedet und eigene staatliche Einrichtungen ins Leben gerufen.
Eine neue Entwicklung trat nach dem 11. September insofern ein, als das Recht von Staaten zur Selbstverteidigung gegen eine externe Aggression (Art 51. der VN-Charta) nun auf einen nichtstaatlichen Akteur, Al-Qaida, bezogen wurde. Die USA erklärten einen "Krieg gegen den Terrorismus" wie zuvor gegen Kriminalität und Drogen. Dabei ist Krieg ein irreführender Begriff, da gerade nicht die Einhaltung der für den Kriegszustand im Völkerrecht festgelegten Schutzmaßnahmen (vor allem: die vier Genfer Konventionen von 1949 und die beiden Zusatzprotokolle von 1977) beabsichtigt war.
Der VN-Sicherheitsrat hat unmittelbar nach dem 11. September in Resolution 1373 vom 28. September 2001 die Verpflichtung der Staaten zur Verhütung terroristischer Handlungen betont.
Beim Thema Menschenrechte/Terrorismusbekämpfung sind die Monitoring-Mechanismen der Vereinten Nationen sehr schwach. Es gibt keinen eigenen thematischen Berichterstatter oder eine Arbeitsgruppe für dieses Gebiet der VN-Menschenrechtskommission; ein Vorschlag von NGOs wurde 2003 nicht aufgenommen. Die VN-Unterkommission hat eine Sonderberichterstatterin, Frau Koufa, ernannt, die alle zwei Jahre einen Bericht zu allgemeinen Trends vorlegt. Das VN-Hochkommissariat für Menschenrechte ist dabei, sich Kompetenz zum Thema aufzubauen. Das Angebot der VN-Hochkommissarin Robinson zur Kooperation mit dem bereits erwähnten Antiterrorkomitee des VN-Sicherheitsrates wurde lange Zeit nicht angenommen; Vorschläge für Punkte, die bei der Beurteilung der Staatenberichte berücksichtigt werden sollten, trafen auf taube Ohren.
Immerhin haben die VN-Generalversammlung 2002, der VN-Sicherheitsrat 2003 und die VN-Menschenrechtskommission 2003 allgemein zur Einhaltung der Menschenrechte aufgefordert. Bei den Länderberichterstatter/innen der Menschenrechtskommission (MRK) fällt die Berücksichtigung des Themas ungleichmäßig aus, zu vielen relevanten Ländern gibt es gar keine Berichterstatter. Der Bericht zu Afghanistan im Herbst 2002 z.B. war erstaunlich vorsichtig geschrieben und sicher nicht annähernd umfassend. Insgesamt fehlt es an einer systematischen, auch länderübergreifenden Beobachtung und Bewertung der neueren Entwicklungen.
Nach dem 11. September kam es in vielen Ländern, darunter Ägypten, Australien, China, Indien, Malaysia, Mazedonien, Nepal, Russische Föderation, Sambia, Simbabwe, Südkorea, Türkei, Usbekistan, u.a. zu Verschärfungen in der Gesetzgebung und Verwaltungspraxis.
Im Folgenden wird der Schwerpunkt exemplarisch auf die Situation in einigen Ländern gelegt: USA, Israel, Deutschland (nur mit Bezug auf Fälle des 11. Septembers), mit Bezug auf den Krieg Afghanistan und Irak; die europäische und innerdeutsche Ebene kann hier nicht behandelt werden.
Vereinigte Staaten von Amerika
Zum Umgang mit terrorismusverdächtigen Ausländern
Der Patriot Act vom Oktober 2001 erlaubt es dem US-Generalstaatsanwalt, terrorismusverdächtige Ausländer/innen oder Unterstützer/innen von terroristischen Gruppen oder Personen, die "an anderen Aktivitäten beteiligt sind, welche die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährden", zu inhaftieren (Title IV, Subtitle B, section 412). Die Inhaftierung ist zeitlich unbegrenzt zulässig, wenn eine solche Person nicht ausgewiesen werden kann und ihre Freilassung "die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten oder die Sicherheit der Gemeinschaft oder einer Person bedroht". Bislang ist kein Fall von Inhaftierung nach diesem Gesetz bekannt geworden, wohl aber mehr als 1 000 Fälle, in denen Ausländer/innen zur Überprüfung ihres Aufenthaltsstatus festgenommen wurden.
Die Regierung Bush argumentierte, die Veröffentlichung von Informationen über die Häftlinge, über ihre Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen und über den Informationsstand der US-Regierung in außerordentlichen Situationen wie der des Kampfes gegen den Terrorismus unterbinden zu müssen. Bürgerrechtsorganisationen versuchenn, Namen und andere Informationen über die vom Immigration and Naturalization Service Inhaftierten zu erlangen. Die American Civil Liberties Union und das Center for Constitutional Rights stellten die nichtöffentlichen Verhandlungen in Frage.
US-Bürger unter Terrorismusverdacht
Obwohl US-Bürgern auf der Grundlage der amerikanischen Verfassung die uneingeschränkte Gewährung ihrer Grundrechte zusteht, hat die US-Regierung einige US-Bürger als "feindliche Kämpfer" eingestuft und sie ohne einen Anwalt konsultieren zu können sowie ohne Gerichtsverfahren interniert. Jose Padilla (a.k.a. Abdullah al-Muhajir) wurde im Mai 2002 in Chicago als "material witness" festgenommen, am 9. Juni 2002 als "feindlicher Kämpfer" eingestuft und ist seitdem in einer militärischen Anlage im Bundesstaat South Carolina inhaftiert. Yaser Esam Hamdi wurde in Afghanistan festgenommen und Anfang Januar 2002 zunächst als "feindlicher Kämpfer" in Guantánamo inhaftiert, dann aber auf die US-Marinebasis in Norfolk im Bundesstaat Virginia überstellt. Distriktrichter Robert Doumar ordnete wiederholt an, Hamdis Anträgen auf Besuch sei zu entsprechen, was regelmäßig und erfolgreich von der Regierung angefochten wurde (im Dezember 2003 hat die Regierung die Gesprächsmöglichkeit mit einem Verteidiger zugesagt).
Anders verfuhren die US-Behörden mit dem US-Bürger John Walker Lindh, der sich in Afghanistan den Taliban angeschlossen hatte und dort Ende 2001 festgenommen wurde. Walker wurde nicht als "feindlicher Kämpfer" eingestuft, sondern im Februar 2002 vor einem zivilen Bezirksgericht in Virginia unter anderem wegen der Verschwörung gegen die USA und der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Im Oktober 2002 wurde Lindh, auf der Grundlage einer strafmindernden Vereinbarung (plea agreement), zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.
Guantánamo/Kuba
Im Dezember 2003 waren rund 660 Männer aus 42 Staaten in Guantánamo inhaftiert. Die Gefangenen sind völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist die einzige Organisation mit regelmäßigem Zugang zu den Gefangenen. Entsprechend ihren Statuten erstattet es vertraulich Bericht über die Haftbedingungen an die US-Regierung. Nach Recherchen von amnesty international werden Gefangene in Guantánamo unter Bedingungen festgehalten, die grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung entsprechen.
Das IKRK betrachtet alle in Afghanistan gefangen genommenen Kämpfer als Kriegsgefangene gemäß der III. Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen.
Die USA lehnen es bis heute ab, Mitgliedern von Taliban und Al-Qaida den Status von Kriegsgefangenen einzuräumen, obwohl dieser aufgrund der Kriegssituation in Afghanistan angemessen wäre. Anstatt den in Afghanistan festgenommenen Personen den Status als Kriegsgefangene zuzugestehen, bezogen sich die USA auf die Rechtsfigur des "feindlichen Kämpfers", die es im Völkerrecht nicht, wohl aber in der US-amerikanischen Rechtsprechung
Nach langem Ringen hat die US-Regierung im Februar 2002 die Anwendbarkeit der III. Genfer Konvention auf die Situation in Afghanistan bestätigt. Ob es sich bei den dort Festgenommenen um Kriegsgefangene handelt, ist jedoch weiterhin Gegenstand eines Dialoges zwischen dem IKRK und der US-Regierung.
Anfang Oktober 2003 kritisierte das IKRK nach einem zweimonatigen Besuch öffentlich die USA. Die psychologische Lage der Guantánamo-Gefangenen würde sich zunehmend verschlechtern, sie hätten keine Perspektive für ihr Leben, und es gäbe auch kein rechtliches Überprüfungsverfahren. Es habe 32 Selbstmordversuche von 21 Gefangenen gegeben. Die US-Regierung wies die Kritik zurück mit den Worten, es seien schließlich "feindliche Kämpfer"
Recht durch Militärkommissionen?
Anfang Mai 2003 legte das US-Verteidigungsministerium acht so genannte Anweisungen vor. Danach können US-Militärgerichte auch Terrorverdächtige im Ausland verurteilen. Im Unterschied zu einem Kriegsgericht werden die Angeklagten das Recht auf einen Zivilverteidiger, der je nach Einstufung auch Geheimdienstinformationen einsehen kann, und einen Militärverteidiger haben. Die Anklage muss im Unterschied zu Zivilprozessen nicht nachweisen, wie die Beweismittel beschafft und ob diese auf dem für Rechtsstaaten üblichen Wege erlangt wurden. Auf Anordnung kann die Öffentlichkeit teilweise ausgeschlossen werden. Die Verhängung der Todesstrafe ist möglich; ein Todestrakt für Hinrichtungen ist im Bau. Menschenrechtsorganisationen kritisierten u.a., dass bei einer Berufung die gleiche Militärkommission den Fall noch einmal verhandeln würde. Gegen sechs Gefangene soll jetzt Anklage erhoben werden; England und Australien haben für ihre betroffenen Staatsangehörigen bessere Verfahrensbedingungen ausgehandelt.
Im August 2003 erklärte US-Verteidigungsminister Rumsfeld, es könne zwar sein, dass gegen Einzelne ein Prozess eröffnet werde. Er sähe es aber lieber, wenn die meisten unbefristet inhaftiert blieben. "Wir haben kein Interesse daran, sie vor Gericht zu stellen oder sie freizulassen."
Festnahmen und Überstellungen
Nach Angaben von amnesty international wurden 2002 mehr als 400 Pakistani, Afghanen und Menschen nahöstlicher Herkunft "unter Verstoß gegen innerstaatliche Auslieferungsvorschriften und unter Verletzungen des international gültigen Grundsatzes des non-refoulement ohne angemessene Vorkehrungen zum Schutz ihrer Menschenrechte" willkürlich festgenommen und an US-Stellen ausgeliefert.
Im Frühjahr 2003 waren weltweit rd. 3 000 Terrorverdächtige in Haft, vielfach an Orten, die keinerlei rechtsstaatlicher Kontrolle unterliegen, wie in Guantánamo, Diego Garcia, der von den USA gemieteten und gemeinsam mit England genutzten Insel im Indischen Ozean, dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram in der Nähe von Kabul, auf Flugzeugträgern der US-Marine und an anderen Orten.
Folteranschuldigungen
Am 26. Dezember 2002 berichtete die Washington Post, dass der US-Geheimdienst CIA Stress- und Nötigungstechniken (im Englischen als "stress" und "duress" bezeichnet) einsetzt, um Al-Qaida-Verdächtige zu verhören. Sie werden z.B. auf dem Militärstützpunkt Diego Garcia, dem US-Luftstützpunkt Bagram und an weiteren Orten, auch in Einrichtungen ausländischer Geheimdienste, festgehalten. Diese sind vielfach vom CIA kontrolliert, ohne den Einfluss von US-Militärjuristen, die bei offiziellen Haftorten die Einhaltung des Völkerrechts überwachen sollen.
Nach dem Bericht mussten Internierte in schmerzhaften Körperpositionen stundenlang ausharren, Kapuzen tragen, ihnen wurde 24 Stunden der Schlaf durch starkes Licht entzogen, und sie wurden bei Nicht-Kooperation an ausländische Dienste überstellt; genannt werden Marokko, Ägypten und Jordanien. Bis zu 100 Gefangene wurden ohne Beteiligung der Justiz ausländischen Geheimdiensten übergeben, die routinemäßig Folter anwenden und hierfür in den Menschenrechtsberichten des US-Außenministeriums kritisiert werden. Kurz nach der Festnahme werden sie häufig von Angehörigen der US-Militärpolizei und des CIA durch Schläge, Desorientierungstechniken und Drohungen unter Druck gesetzt.
Zu Diego Garcia, wo sich die Inhaftierten unter Kontrolle der CIA befinden, stellte ein Bericht in Spiegel Online Ende Juli 2003 fest, es sei nichts über die Verhältnisse dort bekannt und auch die beiden großen Menschenrechtsorganisationen amnesty international und Human Rights Watch hätten keinen Zugang und kaum Informationen. Ein offener Brief von Human Rights Watch an Präsident Bush blieb unbeantwortet.
Im März 2003 gab das US-Militär bekannt, der Tod zweier afghanischer Gefangener auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram (unter Kontrolle des US-Militärs) von Mitte Dezember 2002 würde jetzt als Mord angesehen. Die ursprünglichen Diagnosen "Herzschlag" und "Lungenembolie" hätten sich als falsch erwiesen, in beiden Fällen hätten Verletzungen stumpfer Gewalt zum Tod geführt. Eine Vertreterin des IKRK berichtete, dass die Organisation längst nicht alle Gefangenen in Bagram habe sehen können.
Zusammenfassend ergibt sich folgender Befund: Die US-Regierung hat planmäßig eine Grauzone - nämlich rechtsfreie Inseln - für Verhöre von Terrorismusverdächtigen geschaffen, in der Misshandlungen und Folter möglich sind. Diese sind der Kontrolle durch die Justiz entzogen; die US-Justiz hat keine Befugnisse in Guantánamo, Bagram oder Diego Garcia. Die Verantwortung liegt ausschließlich bei Militär und CIA. Daneben gibt es die Option, die Gefangenen in Länder mit Folterpraxis zu überstellen, all dies ohne Beteiligung der Justiz der USA oder der betreffenden Staaten. Irgendeine Kontrolle außerhalb der Regierung, etwa durch das Parlament, die Medien oder die Öffentlichkeit, ist nicht erkennbar, mit den seltenen Ausnahmen der Arbeit von NGOs und von investigativen Journalisten. Die Gefahren, aber natürlich auch "Vorteile" einer Zusammenarbeit zwischen Diktaturen und Demokratien werden hier besonders deutlich.
Staatlicher Mord
Präsident Reagans Executive Order 12333 von 1981 verbot die Mitwirkung des CIA an staatlichem Mord. Diese Richtlinie hat Präsident George W. Bush im August 2001 aufgehoben, womit Usama bin Laden und etwa fünfzehn seiner Mitarbeiter inner- und außerhalb von Afghanistan fürvogelfrei erklärt sind.
Alle Versuche der US-Streitkräfte, während der Kampfhandlungen in Afghanistan Usama bin Laden, Mullah Omar und engste Mitarbeiter ausfindig zu machen, scheiterten bislang. Im jemenitischen Nordosten, der Provinz Marib, verbergen sich nach Angaben jemenitischer Sicherheitsbehörden einige Personen, die der Mitgliedschaft von Al-Qaida und der Beteiligung oder Vorbereitung am Anschlag gegen das US-Kriegsschiff USS Cole im Oktober 2000 verdächtigt werden. Versuche jemenitischer Sondereinheiten, diese Personen im Dezember 2001 in Marib zu verhaften, endeten in einem Fiasko, bei dem unter anderem 18 Soldaten getötet wurden.
Am 3. November 2002 kam es auf einer Straße in Marib zu einer Explosion eines Geländewagens mit sechs Insassen, unter ihnen einer der gesuchten Al-Qaida-Anhänger, Qa'id Sinan al-Harithi. Jemenitische Sicherheitsbehörden sprachen von einer Explosion und bestritten zunächst irgendeine Beteiligung der USA, ebenso die US-Behörden selbst.
Nach dem Irakkrieg wird jetzt in den USA die Option der Ermordung ausländischer politischer Führer diskutiert. Wenn diese - politische Führer von "Schurkenstaaten" - nach Warnungen ihre Politik nicht änderten, sollte die Völkergemeinschaft eine Option haben, sie zu eliminieren, so die Professorin für Völkerrecht Anne-Marie Slaughter.
Israel
Die durch Kriege, Besetzung und Terrorismus schwierige Situation im Nahostkonflikt ist bekannt und muss hier nicht weiter erläutert werden. In Israel haben verschiedene Regierungen immer wieder auf die gezielte Tötung von Terrorismusverdächtigen durch die Armee zurückgegriffen. Nach Angaben des israelischen Informationszentrums für Menschenrechte B'Tselem richtete die israelische Armee seit Beginn der Zweiten Intifada Ende September 2001 bis Dezember 2003 mindestens 123 Palästinenser/innen außergerichtlich hin. 84 unbeteiligte Passanten/innen kamen dabei ums Leben.
Gegen die Politik selektiver Tötungen wurde kürzlich Protest aus der Luftwaffe laut. Bereits im Februar 2002 hatten 52 Armeeangehörige (Reservisten) öffentlich Kritik an der Regierungspolitik in den besetzten Gebieten geäußert und eine weitere Beteiligung abgelehnt. In einem offenen Brief vom September 2003 erklärten 27 Piloten der israelischen Luftwaffe an Luftwaffenchef General Halutz gerichtet, sie lehnten für die Zukunft den Einsatz in den besetzten Gebieten zur Tötung von Terrorismusverdächtigen ab: "Wir lehnen es ab, illegale und unmoralische Angriffsbefehle zu befolgen, wie sie Israel in den besetzten Gebieten ausführt. Wir weigern uns, an Luftangriffen auf zivile Bevölkerungszentren teilzunehmen", schrieb die Gruppe.
Die Armeeführung suspendierte die Piloten, bot aber bei Reue und Rückzug der Unterschriften Straffreiheit an. Vier Piloten folgten dem Angebot, vier weitere schlossen sich aber der Gruppe neu an. Eine Gruppe der Piloten hat zusammen mit fünf Zivilisten eine Untersuchung des Abwurfs einer Tausend-Kilo-Bombe in Schahada/Gaza-Stadt im Juni 2002 vor dem Obersten Gerichtshof beantragt, bei dem neben einem Führer der Hamas 16 Zivilisten getötet wurden. Es bleibt offen, wie diese Diskussion in Israel weitergeht und ob sie zu konkreten Ergebnissen im Sinne von Menschenrechten und Völkerrecht führen wird.
Deutschland
In Deutschland wirkte sich die Praxis der Terrorismusbekämpfung (nur mit Bezug auf die Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem 11. September 2001) negativ auf Chancen für ein faires Gerichtsverfahren für die Angeklagten aus. Im Hamburger Prozess gegen den Marokkaner Mounir al-Motassadeq, der der Unterstützung der Attentäter vom 11. September 2001 angeklagt ist, weigerten sich die USA im November 2002, die Zeugen Binalshibh und Moussaoui vom Oberlandesgericht Hamburg in den USA vernehmen zu lassen; Gründe für die Ablehnung wurden nicht mitgeteilt.
Im Herbst 2003 begann ein zweites 11. September-Verfahren gegen den Tunesier A. Mzoudi. Wiederum wurde von der Verteidigung eine Vorladung des Zeugen Binalshibh gefordert, und das Gericht sagte zu, sich darum zu bemühen. Wiederum hat das Bundeskanzleramt die Weitergabe einer dem BND vorliegenden Aussage von Binalshibh verboten, da sonst nicht abschätzbare negative Folgen für die Zusammenarbeit mit den USA drohten und auch die Beziehungen des BND zu anderen Nachrichtendiensten auf das Schwerste gefährdet würden, so der Vorsitzende Richter Rühle.
Nach der Übersendung der Zeugenaussage Binalshibhs durch das Bundeskriminalamt wurde Mzoudi im Dezember 2003 freigelassen; das Verfahren wird jedoch fortgesetzt.
Die Praxis der Kriegskoalitionen in Afghanistan und dem Irak
Afghanistan: Tötung von Zivilpersonen
In Afghanistan gelten gleichzeitig zwei Mandate für militärische Operationen, das VN-Mandat für die International Security Assistance Force/ISAF in Kabul und Kundus und das der Antiterror-Koalition "Enduring Freedom" unter Führung der USA, auf das weder die VN noch die NATO Einfluss haben (unter diesem waren bis vor kurzem 100 Mitglieder des Kommandos Spezialkräfte/KSK aktiv).
Seit Beginn des Krieges sind in Afghanistan zahlreiche Frauen, Kinder und Männer als Folge der Bombardierungen getötet worden. Obwohl die USA nach Medienberichten ca. 900 Mio. bis eine Milliarde US-Dollar pro Monat für den Krieg ausgaben, werden, soweit bekannt, keine Ressourcen dafür eingesetzt, offiziell Statistiken der USA oder der Antiterror-Koalition über tote und verletzte Zivilpersonen zu führen. Damit gibt es kaum Auskunft über mögliche Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts und über Untersuchungen oder Gerichtsverfahren im Hinblick auf solche Verletzungen. Für diese Mängel im Hinblick auf Informations- und Untersuchungspflichten sind freilich auch die Regierungen der Staaten verantwortlich, deren Militärkräfte in Afghanistan aktiv sind, d.h. die Antiterror-Koalition, zu deren aktiven Mitgliedern auch Deutschland gehört, und die afghanische Regierung.
Seit Beginn der Luftangriffe kursieren in den Medien verschiedene Zahlen über zivile Opfer. Eine Überprüfung gilt als unmöglich, weil es keine staatlichen oder privaten Stellen gibt, welche die Lage kontinuierlich beobachten.
Anschuldigungen über ein Massaker in Nord-Afghanistan
Im Sommer 2002 wurden Vorwürfe laut, dass zirka 1 000 Gefangene durch Truppen von General Dostum getötet worden seien.
General Dostum und drei weitere militärische Führer der Nordallianz - verbündet mit der Regierung von Präsident Karzai - räumten in einer Stellungnahme zwar den Tod von 200 Taliban-Gefangenen ein, betonten aber, dieser sei nicht intendiert gewesen. Nur wenige seien erstickt, die anderen an Krankheiten und ihren Wunden gestorben. Die vier Führer boten einer VN-Mission von Experten für Kriegsverbrechen, welche die Vorfälle in Afghanistan untersuchen soll, ihre Zusammenarbeit an.
Irak: Tötung von Zivilpersonen
Nach Beendigung des Krieges im Irak zeigt sich die gleiche Tendenz, nämlich das Fehlen einer öffentlichen, transparenten Rechenschaftslegung über die Folgen und Verantwortung der Kriegsführung (ganz abgesehen von der Frage der Stichhaltigkeit der Begründung für den Kriegseintritt, die ja in England und den USA zumindest ansatzweise von den Parlamenten untersucht wird): Es fehlen Daten über die Verluste in der Zivilbevölkerung. Fälle, bei denen irakische Zivilisten durch Angehörige der Besatzungsmächte "aus Versehen" getötet und verwundet wurden, sind bekannt geworden. Zuletzt im August 2003 wurden sogar acht irakische Polizisten versehentlich von der US-Armee erschossen.
Im August 2003 hob Amnesty International in einem Memorandum an die Koalitionskräfte hervor, fünf Monate nach Kriegsende sei es schockierend, dass es keinen Hinweis auf einen ernsthaften Willen gäbe, unabhängige, umfassende und unparteiische Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der Besatzungstruppen durchzuführen.
Im Oktober 2003 veröffentlichte die US-amerikanische NGO Human Rights Watch einen Bericht zu Übergriffen der USA in Irak und berichtete von 94 Toten allein in Bagdad im Zeitraum zwischen dem 1. Mai bis Ende September 2003; verwundete Iraker wurden nicht berücksichtigt. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass die Vorgänge weder gezählt noch ausreichend rechtlich untersucht würden. Nur in vier von 94 Fällen hätte es polizeiliche Untersuchungen gegeben. Nur in einem Fall wurde es für notwendig gehalten, ein Disziplinarverfahren zu eröffnen.
Schlussfolgerungen
Einige der Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung unterminieren in vielen Staaten der Welt grundlegende Menschenrechte, vor allem Rechte des VN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte, aber auch das humanitäre Völkerrecht, und zwar weit über die Einschränkungen hinaus, die Menschenrechtsabkommen für den Notstandsfall erlauben.
Grundsätzlich fehlt es an einer systematischen, unabhängigen Beobachtung der Menschenrechts- und Völkerrechtskonformität von Antiterror-Maßnahmen. So wurde in vielen Fällen das Schicksal von Zivilisten in Afghanistan, die im Kampf gegen den Terror verwundet oder getötet wurden, nicht aufgeklärt. Im Irak zeigt sich ein ähnliches Bild.
Es muss hier gerade auch bei demokratischen Staaten, die Soldaten nach Afghanistan, in den Irak und andere Länder entsenden, von einem gewissen "Kontrollverlust" gesprochen werden. Es fehlt ein umfassendes, wirksames Menschenrechts-Monitoring in Bezug auf die Lage in den genannten Ländern, etwa Beschwerdemöglichkeiten für die dortige Zivilbevölkerung nach Übergriffen und für Festgenommene, aber auch eine ernsthafte Rechenschaftspflicht gegenüber der Politik und Gesellschaft des eigenen Landes zu den Aktivitäten, zum Umgang mit Fehlern und zu Straftaten durch eigene Kräfte. Immerhin geht es um das Schicksal mehrerer Tausend Menschen.
Eine neue Praxis rechtloser Internierung und in Einzelfällen auch Folterung von Verdächtigen, die heute noch nur für den Bereich Terrorismus gilt, kann schnell zu einem Modell werden, das sich "einschleift". Darüber hinaus wird eine solche Praxis in nichtwestlichen Gesellschaften kaum das notwendige Vertrauen hervorrufen, das für eine wirkungsvolle Zusammenarbeit und Koalition gegen den Terror unabdingbar ist.