Einleitung
Noch bewegt sich die Diskussion um die politischen Folgen der fünften EU-Erweiterung zwischen naivem Optimismus von Sonntagsreden, die schon ex ante Erfolgsgeschichten postulieren, und schwärzestem Pessimismus, der angesichts der Vorbereitungsmängel auf beiden Seiten das Ende der Integrationsgeschichte kommen sieht. Offenkundig ist bei dieser Einschätzung die Beurteilung der künftigen Rolle Polens entscheidend, der einzigen Mittelmacht unter den zehn Beitrittsländern, mit 50 Prozent der EU-Neubürger. Auch hier gibt es eine bemerkenswerte Spannweite an Prognosen. Sie reicht von Friedbert Pflüger, der für Polen eine Integrationsrolle ähnlich der Frankreichs vorhersieht, bis zu kritischen Analysen, die angesichts des schlechten Vorbereitungsstandes des Landes, seines bisherigen Verhandlungsverhaltens und der nationalistischen Geisteshaltung eines Gutteils seiner politischen Klasse eine Stärkung des europaskeptischen Lagers in der EU, verbunden mit harten Verteilungskämpfen, befürchten.
Doch lassen sich auch jenseits wohlfeilen Agitprops ("win, win") und summarischer Befürchtungen durch eine Analyse der historischen Erfahrungen der mittelosteuropäischen Transformationsländer, ihrer politischen Ökonomie und ihrer unterschiedlichen Vorbereitungsgrade, Transformationserfolge und -probleme sowie ihrer konkreten Verhandlungspositionen die künftigen Europapolitiken länderspezifisch differenziert sowie die neue Gesamtorientierung der Unionspolitik insgesamt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Schon die Parteinahme der mittelosteuropäischen Transformationsländer zugunsten des US-Kriegs gegen den Irak hätte diedeutsch-französische Diplomatie nicht überraschen dürfen.
Die Souveränitätsfrage
Jahrhundertelang, nicht erst während der 40 Jahre dauernden Fremdbestimmung unter dem Diktat von Moskau (für Slowenien: Belgrad), mussten die Völker Mittelost- und Osteuropas im Gegensatz zu den meisten Nationen Westeuropas die Erfahrung eines vorenthaltenen Selbstbestimmungsrechts machen. Bis zum Berliner Kongress 1878 etwa waren die Flächenfarben in Ost- und Mittelosteuropa, in dem sich heute 22 unabhängige Staaten tummeln, sehr übersichtlich: Sie bestanden ausschließlich aus denen des Russischen Reiches, des Deutschen Reiches, Österreich-Ungarns und des Ottomanischen Reiches. Trotz dieser historischen Brüche ihrer Staatlichkeit blicken Polen, Litauer, Ungarn und Bulgaren stolz auf ihre tausendjährige Geschichte. Andere haben ihre nationale Identität erst im 19. Jahrhundert entwickelt.
Slowenien ist seit 1991 erstmals ein unabhängiger Staat, die Slowakei, abgesehen von der Kriegszeit (1939 - 1944), ebenfalls. Die Balten konnten 1991 an ihre nur zwei Jahrzehnte währende Unabhängigkeit bis zur sowjetischen Annexion 1940 anknüpfen. Umso stolzer sind alle Osteuropäer auf die alt-neuen nationalen Symbole, von Münzen bis zur Landesflagge, und auf die Mythen und Großtaten der Nationalgeschichte. Dagegen ist nichts einzuwenden, doch reagierten in der Folge die politischen Klassen und Medien ausgesprochen allergisch gegen Einschränkungen ihrer neuen nationalen Souveränität, so, als seien sie nicht gewahr, dass es sich bei der europäischen Integration, an der sie sich durch ihr Beitrittsansuchen unumkehrbar beteiligen wollen, zuvörderst um eine gemeinsam ausgeübte Souveränität handelt, die den nationalen Entscheidungsrahmen notgedrungen durch freiwillige vertragliche Bindungen einschränkt. Diese Gretchenfrage der Integration ging in den Debatten vor den Referenden in den Kandidatenländern (abgesehen von Malta), bei denen es hauptsächlich um den politischen und wirtschaftlichen Aufschluss zum Westen ging, weitgehend unter. Vaclav Klaus, der die EU gerne mit der UdSSR vergleicht und einen europäischen Föderalismus strikt ablehnt, blieb in der tschechischen Diskussion zumeist unwidersprochen. Falls positive europäische Erfahrungen und eine systematische integrative Bildungsarbeit unter der Bevölkerung der Neumitglieder ausbleiben sollten, ist bei weiteren Integrationsschritten mit Widerstand zu rechnen, vor allem in solchen Ländern, in denen der Überschwang patriotischer Leidenschaften am leichtesten zu wecken ist.
Die Umverteilungsdimension
Die Beitrittsreferenden von 2003 erbrachten überwältigende Zustimmungsraten bei allerdings oft bescheidenen Wahlbeteiligungen. Fast alle Regierungen stellten die Aussicht auf materielle Vorteile in den Vordergrund. In Litauen wurde in der Beitrittswerbung gar das grimmsche Märchen vom Sterntaler bemüht, um die Brüsseler Golddukaten für die bedürftige und gottesfürchtige Nation zu veranschaulichen. Robert Fico, Vorsitzender der slowakischen SMER-Partei, meinte, seine Landsleute hegten nun die unerfüllbare Erwartung, am Beitrittstag sofortigen Reichtum und Wohlstand genießen zu können. Damit stehen sämtliche Regierungen der Neumitglieder unter enormem Erwartungsdruck, dem sie angesichts der in den Beitrittsverträgen beschränkten Transfers, ihrer schon in den Programmen der Beitrittsvorbereitung (PHARE, ISPA und SAPARD) reichlich demonstrierten begrenzten "absorptiven" Fähigkeiten zur Mittelverwendung und letztlich auch angesichts allzu knapper Eigenmittel zur Kofinanzierung allerdings kaum werden entsprechen können. So plant der neue polnische Wirtschaftsminister Jerzy Hausner für die mittelfristige Finanzplanung eine um acht Milliarden US-Dollar aufgestockte Neuverschuldung, um zur Nutzung der EU-Mittel eine kreditfinanzierte nationale Kofinanzierung zu leisten. Dies ist nicht ge-rade der Königsweg zum Euro. Angesichts der Schwäche der polnischen Finanzverwaltung, ihrer häufigen Selbstblockaden und der Korruptionsproblematik bestünde sogar das Risiko, in den Anfangsjahren der Mitgliedschaft zum Nettozahler zu werden, wären nicht für diesen "Notfall" Rückerstattungsklauseln in die Beitrittsverträge eingebaut worden.
Umso attraktiver sind die Agrarfonds der EU, bei denen Kofinanzierungen nicht geleistet werden müssen. Die Beitrittsverträge sehen einen graduellen Teileinstieg in die direkten Einkommenszahlungen an die Bauern vor. 2004 sollen sie 25 Prozent der Subventionsrenten ihrer EU-Kollegen erhalten, ein Anteil, der bis 2013 auf 100 Prozent steigen soll. Da das ursprünglich von der Kommission geplante Vorenthalten dieser Zahlungen - sie sollten die Landwirte eigentlich für längst vergangene Preiskürzungen "entschädigen", sind aber inzwischen zu Dauersubventionen für mehr oder minder seriöse Öko- und Qualitätsauflagen mutiert - an die Bauern der Beitrittsländer nur schwer zu rechtfertigen war und auch die jetzigen Teilbeträge als politischer Kompromiss diskriminierend wirken, dürften mit dem Auslaufen des EU-Gesamtfinanzpakets ("Agenda 2000") im Jahre 2006 mit einiger Wahrscheinlichkeit die Agrarfinanzen zur stürmischen Neuverhandlung anstehen. Nach spanischem Vorbild dürfte dann die nächste polnische Regierung mit der Unterstützung der meisten anderen Beitrittsländer auf voller Teilhabe an allen EU-Förderprogrammen bestehen. Ob diese Forderung und ihre Einlösung den Strukturproblemen der polnischen und anderer kleinbäuerlich strukturierter Agrarwirtschaften wie des Baltikums und Sloweniens hilft, ist zweifelhaft, da sie für jene dort unterbeschäftigten 25 Prozent der Bevölkerung künstliche Anreize schafft, in einer mit sechs Hektar Ackerfläche und drei Kühen Durchschnittsbesatz perspektivlosen Jobfalle zu verharren.
Weil auch mit der viel versprechenden "Reform" von 2003 für die Gemeinsame Agrarpolitik unter dem Druck von Frankreich und den Mittelmeerstaaten (und wie üblich deutschem Nachgeben) ohne Lösung der wieder steigenden Überschussprobleme wesentlich nur Kostensteigerungen von 40 auf 49 Mrd. Euro (ohne Einschluss zusätzlicher Förderungen der Beitrittsländer) beschlossen wurden, ist ihre Zahlungsunfähigkeit ab Vollteilhabe der jetzigen Neumitglieder (also schon vor der bulgarischen und rumänischen Mitgliedschaft, deren Bauernzahlen im Zuge der dortigen Industriekrise rapide steigen) eine Gewissheit.
Die EU-Transferpolitik kennt eine leuchtende Erfolgsgeschichte (Irland) und einige Misserfolgsgeschichten: Griechenland in den ersten zwei Jahrzehnten seiner Mitgliedschaft bis zum Greifen der Reformen von Simitis; das italienische Mezzogiorno; die neuen Bundesländer, die mittlerweile in der gleichen Liga als wettbewerbsschwache Dauersubventionsvertilger spielen; Portugal und Spanien als teure Fallbeispiele für Teilerfolge. Während die Griechen unter Papandreou mit EU-Mitteln den öffentlichen Dienst aufblähten und die Mitteldeutschen ökologisch wertvolle Industrieparks schufen, steckte Irland sein Geld in den Ausbau eines mustergültigen modernen Bildungssystems für seine rasch wachsende Bevölkerung und eine moderne Infrastruktur, die zusammen mit attraktiven Steuerkonzessionen von internationalen Investoren auch an der europäischen Peripherie gerne angenommen wurde. Unter den Beitrittsländern gibt es nach den Transformationserfahrungen der letzten Jahre durchaus Kandidaten für eine Wiederholung der irischen Erfolgsgeschichte: Estland zum Beispiel, möglicherweise auch Slowenien, Lettland, Ungarn oder selbst Litauen, Staaten, die ihre Strukturreformen und Beitrittsvorbereitungen unerschrockener und trotz aller Opfer konsistenter angepackt haben als ihre größeren, politisch begünstigteren Nachbarn und damit viel eher in der Lage sein werden, auf dem Binnenmarkt wirtschaftlich zu bestehen und die EU-Fördermittel dank professionalisierter nationaler und regionaler Verwaltungen sachgerecht einzusetzen.
Für Heather Grabbe vom Centre for European Policy Reform läuft Polen, das bis zur letzten Verhandlungsrunde in Kopenhagen im Dezember 2002 am härtesten um höhere Zuschüsse gepokert hatte, am ehesten Gefahr, ähnlich wie Spanien der Obsession, kurzfristig ein Maximum an EU-Mitteln akquirieren zu müssen, anheimzufallen und dabei das reale Entwicklungsziel, die Förderung des Humankapitals und die Attraktion produktiven Auslandskapitals, aus den Augen zu verlieren. Das Ergebnis wären jene Vielzahl "weißer Elefanten", die in jedem EU-Rechnungshofbericht zur Genüge als traurige Symbole gut gemeinter, aber gescheiterter Entwicklungsprojekte aufgeführt werden, und eine kofinanzierungsbedingte Verschuldungsfalle, die unter anderen Vorzeichen schon dem mit deutschen Krediten wohl versorgten Regime von Edward Gierek zum Verhängnis wurde. Die Lehren der Geschichte scheinen einmal mehr ungehört zu verhallen. Der "Economist" warnte zu Recht: "The getting and spending of quick money risks being the main activity by which Polish governments and Polish public opinion will measure the country's ,success` in Europe." Wie das Beispiel Griechenlands, dessen Volkswirtschaft jährlich in Höhe von sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus Brüssel alimentiert wird (im Gegensatz dazu bleiben die weitaus besser absorbierten Nettozahlungen nach Spanien, Portugal und Irland stets unter 2,5 Prozent des dortigen BIP), zur Genüge beweist, ist der Mitteltransfer kaum ein hinlänglicher Indikator für den Beitrittserfolg.
Deshalb hat die Europäische Kommission in ihren Jahresberichten auf die Umsetzung marktwirtschaftlicher Reformen gedrängt und die Wettbewerbsstärke der Beitrittsländer relativ ausführlich zu begutachten versucht. Denn es ist nicht der höhere Sinn der Mitgliedschaft, dass die Wirtschaft der Beitrittsländer, die im Binnenmarkt ungeschützt von Zöllen und Staatshilfen im EU-weiten Wettbewerb bestehen muss, dort ebenso untergeht wie die mitteldeutsche Industrie 1991/92, der, mit östlicher Produktivität operierend, übergangslos der westliche Kostendruck aufgelastet wurde.
Die Übernahme des Gemeinschaftsrechtes
Die Übernahme fremdgesetzten Rechtes ist nirgendwo eine vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltung. Doch half die Annahme der Unionsnormen im öffentlichen und Wirtschaftsrecht, die rechtliche Modernisierung in EU-kompatible Bahnen zu lenken und von amerikanischen und Weltbank-Missionaren angebotene Irrlehren und -wege zu vermeiden. Dabei reichte die formale Übernahme (bei der sich viele Balkanländer mit 1:1-Annahmen übersetzter westlicher Gesetzesvorlagen hervortaten) allein offenkundig nicht aus. Zur effektiven Umsetzung war neben der Einführung einer marktwirtschaftlichen Praxis in den privatisierten Betrieben, ihren neuen Unternehmensführungen, umgeschulten Belegschaften und modernisierten Anlagen (bei Großbetrieben, Banken und Versicherungen war dies nur mit Hilfe ausländischer Beteiligungen oder Übernahmen möglich) die Errichtung kompetenter Aufsichtsbehörden vonnöten, die für eine funktionierende Marktwirtschaft unabdingbar sind: Banken- und Börsenaufsichten, Zoll- und Finanzämter, Arbeitsinspektorate, eine Lebensmittelpolizei, Handelsgerichte, Umweltschutz- und Kartellämter. Diese unspektakulären, aber wie die Umsetzung des EU-Rechts für den Transformationserfolg entscheidenden Verwaltungsreformen wurden mit EU-Mitteln und mit Hilfe von erfahrenen Entsendekräften aus allen EU-Ländern jahrelang intensiv gefördert.
Der Fortgang der Wirtschafts- und Verwaltungsreformen ist weder linear noch einheitlich. Er hängt ab vom Ausmaß der Erblasten der staatssozialistischen Misswirtschaft, der Größe der sanierungsbedürftigen Schwerindustrien (besonders ausgeprägt in Polen, Tschechien, der Slowakei und Rumänien) und der tradierten Zentralbürokratien, deren Abwesenheit in den jungen Hauptstädten Laibach (Ljubljana), Preßburg (Bratislava), Wilna, Riga und Tallinn Wunder wirkte. Am wichtigsten ist der nachhaltige, systematische Reformwille der meist schismatischen (anti-/post-kommunistischen) politischen Klasse über alle Regierungswechsel hinweg. Dieser Reformwille betrifft einmal den Strukturwandel der Wirtschaft bis hin zur Modernisierung der Unternehmensführungen nach ihrer Privatisierung, dann die vorbereitende Einführung des Unionsrechtes ("acquis communautaire"), das zur erfolgreichen Teilnahme am Binnenmarkt und dem Integrationsgeschehen insgesamt sowie später an der Währungsunion unabdingbar ist. Für die meisten Kandidatenländer wirkte die Aussicht auf die Unionsmitgliedschaft beim schwierigen und gelegentlich schmerzlichen Reformprozess beflügelnd. Aber die Ergebnisse waren unterschiedlich: In Rumänien und Bulgarien verlängerte und verschärfte die lange Herrschaft reformfeindlicher postkommunistischer Parteien die Transformationskrise. Entsprechend rudimentär und selektiv war dort bislang die Umsetzung des EU-Rechts, so dass mit einem EU-Beitritt frühestens 2007 zu rechnen ist.
Auch bei den erfolgreicheren Transformationsländern musste die Europäische Kommission in ihrer letzten Serie der "Fortschrittsberichte" weniger als sechs Monate vor der vereinbarten Vollmitgliedschaft teilweise noch erhebliche Umsetzungsmängel feststellen. Bei den meisten sind es die "üblichen Verdächtigen": fehlende EU-weite Ausschreibungsverfahren im öffentlichen Beschaffungswesen, verdeckte Staatshilfen für die noch staatliche Schwerindustrie, Steuerprivilegien in polnischen Sonderwirtschaftszonen, der mangelnde Schutz geistigen Eigentums, eine langsame und fehlerhafte Rechtsprechung in Wirtschaftssachen, Korruption im unterbezahlten öffentlichen Dienst sowie die mangelhafte Umsetzung der Hygienenormen in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie, v. a. bei tierischen Produkten. Diese Probleme sind in Polen besonders stark ausgeprägt: einmal aufgrund der tradier- ten Probleme der unterstrukturierten ländlichen Räume Ost- und Südostpolens, der ökologischen und wirtschaftlichen Problemregion Oberschlesien, der Massenarbeitslosigkeit und Landflucht in Hinterpommern, dem südlichen Ostpreußen und den Masuren. Sie wurden verstärkt durch die Reformunlust der regierenden Sozialisten (1993 - 1997 und seit 2001), die auf eine von ihnen kontrollierte Industriepolitik, etwa durch die Schaffung privilegierter, mittlerweile gescheiterter Industriekonglomerate wie die Elektrim-Gruppe, die Stettiner Werft und ein Stahlkartell, sowie eine fortgesetzte staatliche Kontrolle der Schwerindustrien (Kohle, Stahl, Werften, Rüstung, Ursus) setzten.
Gleichzeitig hörte man besonders laut aus Berlin seit den Tagen der Kohl-Regierung die Versicherung, eine erste Osterweiterungsrunde ohne Polen sei "undenkbar". Diese gut gemeinte Integrationsrhetorik hatte leider den vorhersehbar kontraproduktiven Effekt, seit der Schlussphase der zerfallenden AWS-Koalition (ab etwa Sommer 2000) die ohnehin nie sonderlich stark ausgeprägten polnischen Vorbereitungsarbeiten weiter abzuschwächen und die Kompromissfindung in den Beitrittsverhandlungen zu belasten.
Einem weniger gut vorbereiteten Land wie Polen droht hingegen ein Fehlstart. Ohne ein funktionierendes System der Agrarfinanzverwaltung können die Subventionen nicht fließen. Bei der fortgesetzten Nichteinhaltung der Hygienerichtlinien droht der Ausschluss polnischer Lebensmittel vom Binnenmarkt. Bei der Nichtumsetzung der Abfallentsorgungsvorschriften müssen Frachten nach Polen wegen des Risikos illegaler Giftmülltransporte weiter kontrolliert werden. In umgekehrter Richtung bleiben Personenkontrollen an Oder und Neisse bestehen, solange die polnische Ostgrenze mit ihrer ausgedehnten Schmuggel- und Basarwirtschaft nicht "schengenreif" ist. Ferner droht eine Vielzahl von Vertragsverletzungsverfahren am Europäischen Gerichtshof (EuGH), die finanzielle Sanktionen nach sich ziehen können - Schadensersatzzahlungen, das Vorenthalten von EU-Fördermitteln und Rückerstattungsforderungen an von illegalen Staatshilfen und Steuerkonzessionen begünstigte Unternehmen. Diese Aussichten stoßen im offiziellen Warschau auf ein bemerkenswertes Maß an Gleichmut. Am schlimmsten wäre es, wenn, wie von der OECD befürchtet, eine Vielzahl bisher geschützter polnischer Betriebe der Schwer- und Lebensmittelindustrie im freien Wettbewerb des Binnenmarktes Schaden nähme und sich die Regionalprobleme und die hohe Arbeitslosigkeit (trotz eines schwachen Zloty beträgt sie 20 Prozent) weiter verschärfen würden.
Die künftige Außen- und Sicherheitspolitik
Dank Donald Rumsfelds plakativer Rede vom "neuen Europa" der mittelosteuropäischen Beitrittsländer, die er fest im atlantischen Lager wähnt, sind jene angeblich einheitlichen strategischen Orientierungen der Neumitglieder zum Gemeinplatz des politischen Diskurses geworden. Im Falle Polens, das seine neue Generation von Kampfflugzeugen (F-16) für 3,5 Mrd. US-Dollar demonstrativ aus den USA bezieht, ist dies keine Überraschung. Dank einer hohen Migration in die USA sind die verwandtschaftlichen Bande eng. Gleichzeitig nimmt es Polen weniger den Amerikanern als den Briten übel, in Jalta und Potsdam an Stalins Nachkriegsherrschaft und durch die Westverschiebung verraten worden zu sein. Noch gravierender ist für die aktuelle Politikergeneration das Verhalten der Kontinentaleuropäer und des offiziellen Deutschland in Sonderheit, welche die Ausrufung des Kriegsrechts, das 1981/82 tausende polnischer Patrioten und Demokraten ihrer Freiheit beraubte, im Interesse der "Entspannung" begrüßten. In der Zeit der Repression war es einzig das Amerika Ronald Reagans (und der Vatikan), welche die polnische Freiheit in Gestalt der Solidarnosc effektiv unterstützten.
Auch im so genannten Weimarer Dreieck hat Polen das nicht unbegründete Gefühl, trotz allen Überschwangs wohlfeiler Rhetorik weder von Frankreich noch von Deutschland als gleichwertiger Partner akzeptiert zu werden: Beim Treffen Kwasniewskis mit Schröder und Chirac in Breslau im Mai 2003 wurden nur Allgemeinplätze abgehandelt und Austauschprogramme ohne politischen Gehalt vereinbart.
Tatsächlich sucht die öffentliche Meinung in den mittelosteuropäischen Beitrittsländern gute Beziehungen sowohl zu den USA als auch zur EU. Auch Warschau will nicht das Trojanische Pferd der USA sein, übersieht allerdings, dass die selbst ernannte Position des Mittlers zwischen den USA und Kontinentaleuropa bereits vom Vereinigten Königreich eingenommen wird.
Das Stimmverhalten der Beitrittsländer in der UNO ist seit dem Umbruch 1989/91 mit stetig wachsender Konvergenz inzwischen weitgehend identisch mit dem Stimmverhalten der EU-Staaten, zumal sie sich den Stellungnahmen des Rates zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) regelmäßig anschließen. Dies schließt "heikle" Themen wie Kritik an der Todesstrafe in den USA und am israelischen und palästinensischen Konfliktverhalten durchaus ein. Auch an der Reorientierung der NATO (die 2004 mit der Erweiterung von 19 auf 26 Mitglieder alle EU-Kandidatenländer - außer Zypern und Malta - einschließen wird) in Richtung weltweit mobilisierbarer Interventionstruppen als veredelter Fremdenlegion dürften die Neumitglieder ebenso wenig interessiert sein wie die meisten kontinentalen Altmitglieder. Ihr Interesse liegt im effektiven Grenzschutz und in der Territorialverteidigung gegen Osten und vorbeugend in der aktiven Stabilisierung der Ukraine, der Demokratisierung Weißrusslands und Moldawiens sowie positiven Beziehungen zu Russland und der wirtschaftlichen Entwicklung seiner westlichen Grenzregionen von Karelien bis Königsberg. Dies scheint in Summe ein realistisches, für die erweiterte EU strategisch sinnhafteres Engagement zu sein als die unseriösen Erweiterungsofferten des italienischen Premierministers und ein weltweiter, halbinformierter militärischer Aktionismus.
Die neuen geopolitischen Orientierungen der erweiterten Union dürften sich auch auf ihre Entwicklungspolitik auswirken. Wie jeder größere frühere Erweiterungsschritt (Großbritannien: Commonwealth und Asien; Spanien/Portugal: Lateinamerika; EFTA-Erweiterung: Ostsee) transzendiert die bevorstehende Erweiterung die traditionelle, entwicklungspolitisch weitgehend gescheiterte Afrikazentrierung der meisten EWG-Gründungsmitglieder und bereichert sie um ein neues geopolitisches Entwicklungsinteresse, das, in der Ukraine und in Moldawien beginnend, den Transkaukasus einschließend bis nach Zentralasien reicht, wo die erfolgreicheren Transformationserfahrungen und einschlägigen Kultur- und Sprachkenntnisse der Neumitglieder sinnvoll zum Einsatz gebracht werden könnten.
Sektorielle Unionspolitiken
Die künftigen politischen Orientierungen der Neumitglieder in dem weiten Bereich der bereits (im "ersten Pfeiler") vergemeinschafteten EU-Politiken werden neben ihren Umverteilungsinteressen in hohem Maße von ihrer Umsetzungsproblematik als kapitalarme Transformationsländer bestimmt. In solchen Politikfeldern, in denen ihnen bereits der existierende "acquis" oft jahrzehntelange Übergangszeiten zur vollen Umsetzung abverlangt, dürften sie weiteren Fortschritten in Gestalt verschärfter oder teurer Vorschriften abhold sein. Sie dürften auch in der Lage sein, vermittels der neuen Mehrheiten im Verein mit den Mittelmeerländern und Großbritannien solche Richtlinien zu verhindern. Dies betrifft einen Großteil der umweltpolitischen Auflagen, den Arbeitsschutz und die erst rudimentären EU-Sozialrechte, die Lebensmittelhygiene und jene Elemente des Wettbewerbsrechts und des öffentlichen Beschaffungswesens, die eine interventionistische Industriepolitik, die der postkommunistischen Elite am Herzen liegt, einschränken. Die EU-Wettbewerbspolitik, die ohnehin von einer unheiligen subventionsfreudigen Koalition bestehend hauptsächlich aus den Wachstumsschlusslichtern Deutschland, Frankreich und Italien unter Beschuss geraten ist, wird mit der aktuellen Neigung Polens, Tschechiens und (in geringem Maße) Ungarns, ihre stark gewerkschaftlich organisierte Schwerindustrie, Energiewirtschaft und den Bergbau ohne Aussicht auf Wettberbsfähigkeit mit Dauersubventionen über Wasser zu halten, kollidieren. Ähnliches gilt für die zahlreichen Sonderwirtschaftszonen in Polen, in denen das Finanzministerium nach nicht nachvollziehbaren Kriterien Steuergeschenke in Höhe von bis zu 50 Prozent der Investitionskosten gewähren kann. Ob die Wettbewerbspolitik, das Kernelement eines funktionsfähigen, fairen, rechtsgeleiteten Binnenmarkts, sich dieses vorhersehbaren Zuwachses an Attacken unbeschadet erwehren kann, ist noch offen.
Auch für die gemeinsame Außenhandelspolitik der EU, die sich seit einem Jahrzehnt einem eher liberalen Credo verschrieben hat, drohen vermutlich verstärkte protektionistische Versuchungen, sollten Polen und Tschechien, die in der Vergangenheit bei Handelsdisputen gerne protektionistische Reflexe zeigten, in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.
Es gibt auch Ratgeber, die den Neumitgliedern nahe legen, sie sollten EU-Normen, zu deren Übernahme sie sich vertraglich verpflichtet haben, nicht umsetzen, weil sie sonst ein Bauernsterben auslösen würden. Angesichts des vereinbarten Subventionsniveaus und seiner wahrscheinlichen Steigerung ist allerdings eher mit dem ebenso unerfreulichen Gegenteil zu rechnen. Auch dies indiziert dringenden Reformbedarf.
Die ersten Sündenfälle der erstaunlich lernresistenten Regional- und Verkehrspolitik der EU mit ihrer Präferenz für den hurtigen, bei allen Regionalpolitikern beliebten Straßenbau gibt es bereits. Am notorischsten ist sicher das Autobahnprojekt der Via Baltica von Warschau via Bialystok quer durch den mitten in den masurischen Seen und Wäldern gelegenen Biebrza-Nationalpark, der Europas größtes noch zusammenhängendes Seen-, Sumpf- und Urwaldgebiet darstellt, wo sich Elche, Wisente, Luchse, Bären, Wölfe, Dachse, Biber, Otter und 180 Vogelarten ungestört tummeln. Eine den Nationalpark umgehende, kürzere Trasse wurde auf Druck von Lokalpolitikern aus Bialystok verworfen, die ihr Maximum an EU-Strukturfondsmitteln 2004 - 2006 für den Schnellstraßenbau verwenden wollen - als hätten die Beitrittsländer nicht ein einzigartig dichtes Eisenbahnnetz, das dringend der Elektrifizierung und Modernisierung harrt.
Die Währungsunion
Ursprünglich hatten die Beitrittsländer schon zum frühestmöglichen Termin, nämlich 2006, zwei Jahre nach ihrer EU-Mitgliedschaft, im Lichte ihrer vertraglichen Verpflichtungen vor, den Euro einzuführen, der vor allem für kleine, offene, in die europäische Volkswirtschaft bereits voll integrierte Nationalökonomien gut geeignet ist. Allerdings bleiben die Inflationsraten (um zehn Prozent in Ungarn und der Slowakei und um sieben in Polen und Slowenien) zu hoch. Ebenso betrugen die Haushaltsdefizite in Ungarn 9,4 Prozent des BIP (2002), in Tschechien 7,3, in Polen 5,7 und in der Slowakei 5,5 Prozent, mit meist steigender bzw. auf unakzeptabel hohem Niveau stabiler Tendenz. Die desolate Haushaltslage ist in Polen und Ungarn hauptsächlich das Ergebnis der Wahlgewinne der Wendekommunisten und in Tschechien der Sozialdemokraten, die mit Versprechen sozialer Wohltaten und des Arbeitsplatzerhalts in Staats- und Rüstungsindustrien, in der Energiewirtschaft und bei den Staatsbahnen gewählt worden waren. Jetzt stagnieren die Wirtschaften außerhalb des Baltikums mit Jahresraten von ein bis drei Prozent. Mit verbliebenen Staatsquoten von 45 bis 60 Prozent (in Polen allein sind 3000 Unternehmen noch in Staatsbesitz) bleiben Privatisierungserlöse zunehmend aus. Die zur Wirtschafts- und Infrastrukturmodernisierung dringend nötigen Auslandsinvestitionen sind seit 2000 in der Region rückläufig. Erfolgsgeschichten sehen anders aus.
Mit der mangelnden Haushaltskonsolidierung, vor allem in Ungarn, Tschechien und Polen, rutscht die Einführung des Euro als Zwangsjacke der makroökonomischen Solidität durch die Nichteinhaltung der Einführungskriterien (maximal drei Prozent Haushaltsdefizit, 60 Prozent Staatsschuldenanteil am BIP; Binnen- und Außenwertstabilität der Währung) für die meisten Neumitglieder in weite Ferne, und das ist gut so für alle Beteiligten. Lediglich Slowenien und die Balten - Estland hält seit 1993 seine Krone zur DM und später zum Euro stabil und hat ausgeglichene Haushalte - können den Beitritt zur Währungsunion früher schaffen, zumal sie als kleine, offene Volkswirtschaften besser in die EU und ihren Wirtschaftszyklus integriert sind.
Europapolitische Folgen
Die Osterweiterung wird die künftige Europapolitik der Altmitglieder nachhaltig beeinflussen. Durchaus könnte sich, angesichts der wahrscheinlichen Härte der Verteilungsdebatten um den Haushaltsdisput von 2006, der schlechten Umsetzung des EU-Rechts und der geringen Integrationsneigung der Neuen, der Eindruck verbreiten, die Erweiterung sei mit unzureichend vorbereiteten Kandidaten überstürzt vorgenommen worden und einige Länder, darunter Polen und vermutlich auch Tschechien, hätten vielleicht doch erst in einer zweiten Phase um 2006 zugelassen werden sollen. Auch das Verhandlungsverhalten von Kommission und Rat wirkt befremdlich, denkt man etwa an die in diesem Ausmaß noch nie gewährte Vielzahl an Ausnahmen und Übergangskonzessionen. Das beginnt beim Singvogelfang auf Malta und Batteriehühnerkäfigen allenthalben und endet bei einer 12-jährigen Übergangsfrist für Landkäufe in Polen durch EU-Ausländer.
Es ist in der Folge sehr gut möglich, dass sich unter dem Eindruck der Probleme der aktuellen Erweiterungsrunde weitere Erweiterungsschritte um Bulgarien, Rumänien, Kroatien und erst recht die Türkei wesentlich verzögert oder gar endgültig auf Eis gelegt werden könnten, womöglich auch durch ein Veto aus dem Kreis der Neumitglieder selbst. Die Ablehnung der Osterweiterung durch eine Bevölkerungsmehrheit in Frankreich hat auch in der politischen Klasse in Paris, die ihren politischen Einfluss im erweiterten Europa (mit der deutsch-französischen Achse als zunehmend vernachlässigbare Minderheitenveranstaltung) unwiederbringlich schwinden sieht, zu einer deutlichen europapolitischen Desillusionierung geführt. Mit dem üblichen zeitlichen Verzug werden sich solche Einsichten spätestens nach dem ersten Post-Erweiterungsgipfel auch in Berlin verbreiten. Ian Davidson hält die Rückkehr des Intergouvernmentalismus nicht nur für einen Ansteckungseffekt des amerikanischen Unilateralismus, sondern auch für den erweiterungsbedingten Reflex europäischer Mittelmächte gegen ihren drohenden Einflussverlust.
Schlechte Vorbereitung ist kein Privileg der Neumitglieder. Obwohl die neuen Herausforderungen einer erweiterten Union spätestens 1994 bekannt waren, gelang trotz wiederholter, missratener Anläufe (Amsterdam, Nizza) weder eine föderalistische Verfassung noch die effektive Etablierung des Subsidiaritätsprinzips oder eine echte Reform der Finanzordnung und der großen Ausgabenprogramme der Agrar- und Regionalpolitik. In der Tat hat der aktuelle EU-Haushalt eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem einer übergroßen Sowjetkolchose, zumal er ähnlich verwaltet wird. Der Pfusch von Nizza, wo ohne Not die Stimmrechte Spaniens und Polens mit 27 den 29 für das doppelt so große Deutschland sowie Frankreich, Italien und Großbritannien angenähert wurden, trug dazu bei, dass aufgrund des Widerstandes beider gegen den Entzug jener Abstimmungsprivilegien das ehrenwerte Verfassungspaket des Konventes nicht verabschiedet werden konnte.
Die nunmehr zu 25 einstimmig zu bewältigende Lösung dieser konstitutionellen Fragen wird durch die chronische politische Instabilität der Beitrittsländer, die durch die anhaltende Transformationskrise und das Schisma zwischen Post- und Antikommunisten bedingt ist, nicht gerade erleichtert. Oft genug gewannen rechts- und linksnationalistische Populisten oder "Sofaparteien" mit Hilfe undurchsichtiger Sponsoren angesichts der allgemeinen Entfremdung von der jeweils aktuellen Regierung von Lettland bis zur Slowakei parlamentarische Mehrheiten. Withold Zygulski sieht nach dem EU-Beitritt eine Zunahme der politischen Instabilität voraus.
Derweil sind ein Gutteil der Energien zumal der derzeit in Polen, Litauen, Ungarn und Slowenien herrschenden Postkommunisten von der nahenden Herausforderung absorbiert, weniger belastete Kader in Lebenszeitstellungen in Brüssel unterzubringen. Der polnische Außenminister verlangt dort 2000 Dienststellen für seine Landsleute. Nach den Erfahrungen der früherer Erweiterungen - als Führungsfunktionen von andalusischen Jungsozialisten bis zu rot-schwarz akkordierten Österreichern gefüllt wurden - wird ihnen die politisch einschlägige Besetzung von EU-Führungspositionen wohl gelingen.
Für den europäischen Stimmbürger der Alt-EU verstärkt der Gesamteindruck der Osterweiterung die ohnehin latente Entfremdung von der europäischen Idee. Zwar wurde und wird die europäische Identität, die auf der abendländischen Zivilisations- und Kulturgemeinschaft beruht, oft beschworen und in der notwendigen Abgrenzung zu anderen Kulturkreisen trefflich definiert, doch wurde sie gleichzeitig zunehmend unter dem Einfluss des Multikulturalismus als beliebige Leerformel der Substanz beraubt. Dies wurde der Öffentlichkeit zumal im Zuge der Rechtfertigungen der (freilich nicht terminierten) Beitrittsversprechen des Europäischen Rats an die Türkei deutlich. Die Kombination von vermehrten Verteilungskonflikten, sachpolitischen Blockaden, von Europäischen Räten, die als entschlussschwache Selbstdarstellungsbühnen wahrgenommen werden, der Misswirtschaft mit EU-Mitteln, verbunden mit Entfremdungseffekten aus schwindendem nationalen Einfluss und schwächelnder persönlicher Identifikation bewirkt eine echte europäische Legitimationskrise, die wie alle Krisen der europäischen Integration nach einer Reform an Haupt und Gliedern im föderalistischen Sinne schreit.
Trotz dieser ursprünglich vermeidbaren Probleme und ihrer künftigen krisenhaften Zuspitzung darf nicht übersehen werden, dass die Mitgliedschaft der mittelosteuropäischen Länder die EU insgesamt kulturell, menschlich und historisch bereichern wird, dass die Qualität der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durch ihre neue Ostdimension strategisch und durch neues Expertenwissen gewinnen wird und dass viele Politikfelder wie der Umweltschutz, die Energiesicherheit, die Verkehrsinfrastruktur und die Innere Sicherheit erst durch eine gesamteuropäische Dimension ihre volle Wirkung entfalten können. Das bereichernde Element dieser Erweiterung zeigt sich in einer Vielzahl kooperativer Politikbereiche, etwa in der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung, der Kooperation einer neuen Generation von Euregios mit gemeinsamen Initiativen im Umweltschutz, in der polizeilichen Zusammenarbeit und in der Regionalentwicklung.
Unter der Voraussetzung des Gelingens der Erweiterung (d.h. der Kombination einer erfolgreichen Transformation mit der EU-Rechtsumsetzung) dürfte auch die europäische Wirtschaft in der Arbeitsteilung mit den Neumitgliedern (die sich in der Textil-, Möbel-, Baustoff-, Elektronik- und Automobilindustrie bereits abzeichnet) mit dem alten Kontinent als Produktionsstandort mit neuen qualifizierten Arbeitskräften und neuen Wachstumsmärkten deutlich an globaler Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Der sicherheitspolitische Gewinn einer erweiterten Zone von Frieden und Sicherheit in Europa steht außer Frage. Die gelungene Transformation und europäische Integration einstiger kommunistischer Diktaturen und Armenhäuser hat zudem eine Vorbildfunktion nicht nur für die Staaten des Balkan und der GUS, sondern auch für Länder wie China, Vietnam, Laos, Nordkorea und Kuba, deren diktatorische Führungen eine Demokratisierung wegen ihrer angeblichen Unvereinbarkeit mit ihren Entwicklungszielen ablehnen.
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