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Politische Bildung in der globalen Wissensgesellschaft

Uli Wessely

/ 17 Minuten zu lesen

Die politische Bildung muss sich zunehmend auf die Auswirkungen und Herausforderungen der globalen Wissensgesellschaft einstellen. Dabei wird sie zu einer Neuausrichtung ihres Selbstverständnisses und ihrer Aufgaben gezwungen.

Einleitung

Es vergeht kein Tag, an dem nicht von Wissen und Lernen, von der Notwendigkeit lebenslangen Lernens oder von Wissen als wichtigstem Rohstoff und Produktionsfaktor die Rede ist. Mit dem Begriff "Wissensgesellschaft" wird immer häufiger versucht, den derzeitigen Wandel in unserer spätindustriellen Gesellschaft neu und vielleicht zutreffender zu umschreiben. Die "Wissensgesellschaft" verdrängt dabei immer mehr die ebenfalls angewandte Bezeichnung der "Informationsgesellschaft". Es wird immer deutlicher, dass Informationen die Voraussetzung für die Entwicklung von Wissen sind.

Der Wandel, der mit dem Begriff der Wissensgesellschaft beschrieben wird, ist als unumkehrbare Entwicklung anzusehen und bezieht sich auf unterschiedlichste strukturelle Merkmale der Gesellschaft. So beschreibt die Wissensgesellschaft im Bereich der Ökonomie den relativen "Bedeutungsverlust des produktiven und die Aufwertung des tertiären bzw. Dienstleistungssektors". Darüber hinaus ist für die Ökonomie in der Wissensgesellschaft der rasante Bedeutungszuwachs der von der Warenproduktion weitgehend entkoppelten Devisen-, Finanz- und Kapitalmärkte von Bedeutung. Im politischen Raum der Wissensgesellschaft greifen die Akteure immer stärker auf das Expertenwissen von professionellen Beratern zurück. Die so genannte Hartz-Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes oder die Rürup-Kommissionen zur Renten- und Gesundheitsreform sind aktuelle Beispiele.

Bildung im Kontext der Wissensgesellschaft

Kaum ein gesellschaftlicher Bereich wird so engmit der Wissensgesellschaft in Verbindung gebracht wie die Bildung. Kein menschlicher Rohstoff erscheint unter den Bedingungen der Wissensgesellschaft so entscheidend wie der ausreichende Zugang zur Bildung. Damit erhält das Bildungssystem eine herausragende Stellung innerhalb der Gesellschaft. Der Wandel ist in vollem Gange - schon heute rückt Wissen weltweit immer mehr ins Zentrum des gesellschaftlichen Interesses. So gehören die Sicherung des öffentlichen Zugangs zu Wissen, die Planung von Wissenstransfer und die Schaffung von Kapazitäten für Wissen in Bildungseinrichtungen zu den Herausforderungen des global change - des globalen Wandels. In den technologisch führenden Staaten der OECD findet dieser globale Wandel seinen Ausdruck in einer Fülle von Bezeichnungen, zum Beispiel Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft, die alle unter dem Begriff der Wissensgesellschaft zusammengefasst werden können und meist in Kombination mit dem Konzept der Globalisierung gebraucht werden.

In der globalen Wissensgesellschaft können durch die modernen Informations- und Kommunikationstechniken Informationen in Bruchteilen von Sekunden in die gesamte Welt übertragen werden. Diese Informationen zu verarbeiten, zu reflektieren und zu bewerten ist die Aufgabe jedes Menschen bei der Schaffung von Wissen, denn Information allein ist noch kein Wissen, sieistmögliches Wissen, ja dessen Voraussetzung. Neben der großen Menge an global verfügbaren Informationen ist die veränderte Funktion von Wissen in der Gesellschaft ein herausragendes Charakteristikum des Wandels zur Wissensgesellschaft. "Das Denken, Forschen, Entwickeln, Lernen wird zur zentralen gesellschaftlichen Triebkraft."

Allerdings ist die Schaffung wie die Aneignung von Wissen gegenwärtig (noch) nicht global verteilt, sondern konzentriert sich auf einzelne Regionen. Indikatoren hierfür sind:

- Bei den wissenschaftlichen Publikationen entfallen 40 Prozent der weltweiten Literatur allein auf die USA.

- Bei den Patenten, einem Indikator für Wissensgenerierung, ist ebenfalls eine Konzentration auf die USA, Japan und Deutschland zu registrieren.

- Der Zugang zum Internet als der wichtigsten Informationsquelle und damit als wichtigste Voraussetzung für die Zukunftsgestaltung ist weltweitsehr unterschiedlich. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem digital divide - einer digitalen Teilung der Welt. So nutzten beispielsweise im Jahr 2000 54,3 Prozent der US-Bevölkerung das Internet. Dagegen waren es in Lateinamerika nur 2,3 und in Afrika südlich der Sahara nur 0,4 Prozent der Bevölkerung.

Diese Indikatoren zeigen, dass von einer globalen Wissensgesellschaft noch lange nicht gesprochen werden kann. Es ist eine eindeutige Konzentration auf die gegenwärtig ökonomisch dominierenden Länder festzustellen.

Lebenslanges Lernen

Der Begriff Wissensgesellschaft bezeichnet die Vorstellung von der individuellen Aneignung, Verarbeitung und Bewertung von Informationen zu Wissen. Damit wird der Bezug zum Bildungssystem implizit hergestellt, in dem die Aneignung und Erschließung von Wissen vermittelt wird. Sofern die These zutrifft, dass sich eine Entwicklung zur Wissensgesellschaft vollzieht, wird damit das Bildungssystem vor neue Herausforderungen gestellt. Die Antwort darauf ist in der Entwicklung zu einer "Lernenden Gesellschaft" zu finden. Dabei löst das Konzept des "Lebenslangen Lernens" das althergebrachte "Lernen fürs Leben" ab.

Lebenslanges Lernen ist in einer zunehmend komplexen Welt unerlässlich, in der handlungsrelevantes Wissen immer schneller veraltet. Die Gesellschaft ändert sich inzwischen viel zu schnell, als dass man ihre Inhalte ein für allemal erlernen könnte. Also gibt es keine abgeschlossene Bildung. Das Konzept des Lebenslangen Lernens bringt eine neue Aufteilung der Lernzeiten auf die Lebenszeit mit sich. Die bisherige komprimierte Bildungszeit in der Kindheit, der Jugend und im jungen Erwachsenenalter soll durchbrochen werden. Das Lebenslange Lernen bildet dabei keine Folgestufe zur Erstausbildung in Schule und Beruf wie bei den Begriffen der Erwachsenenbildung oder der Weiterbildung. Vielmehr geht es beim Lebenslangen Lernen um einen programmatischen Begriff, der auf eine grundlegende Veränderung des Lernverhaltens und der Bildungseinrichtungen zielt. In der Lernenden Gesellschaft sollen sich deren Mitglieder als Lernende begreifen, um den massiven Veränderungen und der Masse an zu verarbeitenden Informationen gerecht werden zu können.

Dabei ist zu beachten, dass Bildung nicht auf technisches und berufliches Fachwissen reduziert werden darf. Ein ökonomisch eingeschränkter Begriff des Lebenslangen Lernens als Anpassung an bestimmte betriebliche Anforderungen greift deutlich zu kurz, so notwendig ohne Frage die zusätzliche Aneignung von fachlichem Spezialwissen in Zukunft auch sein wird. Die notwendigen Qualifizierungen in den Erwerbstätigkeiten verlangen immer stärker allgemeinere - organisatorische, planende und kommunikative - Kenntnisse. Die Unterschiede zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung verschwimmen in diesem Prozess zunehmend. In der Wissensgesellschaft erhöht sich die Lebenszeit, die anteilig für Bildung genutzt wird, gegenüber derjenigen, in der einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wird. Dabei besteht die Notwendigkeit, Kompetenzen zu erwerben, zu erhalten und anzupassen.

Lebenslanges Lernen in der Wissensgesellschaft kann somit folgendermaßen charakterisiert werden:

- Bildung wird zunehmend außerhalb formaler Lernprozesse und herkömmlicher Bildungsinstitutionen erworben; Lernen wird in den Arbeitsprozess und in die Freizeit verlagert.

- Lernen durchdringt viele Lebensbereiche und erfolgt im öffentlichen Raum.

- Selbst gesteuertes, multimediales und interaktives Lernen findet beispielsweise im Internet statt.

- Die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden ist einem fundamentalen Wandel unterworfen. Die Rolle des Lernenden wandelt sich immer mehr zu der eines eigeninitiativen Forschers, dersich gemeinsam mit anderen neues Wissen erschließt. Die Lehrenden werden zu Moderatoren im Lernprozess.

Es geht also beim Übergang in die Lernende Gesellschaft um eine grundlegende Veränderung bestehender Muster - weg von den stark institutionalisierten Formen des Lernens hin zum einzelnen Menschen, der in formalen und informellen Lernprozessen Bildung erfährt. Darüber hinaus müssen existierende Bildungsmuster neu definiert werden. So sollte sich Bildung von einer regionalen zur globalen Ausrichtung wandeln und lineares durch vernetztes Denken ersetzt werden.

Herausforderungen an die politische Bildung

Auch die politische Bildung wird am Anfang des 21. Jahrhunderts von dem Übergang zur globalen Wissensgesellschaft herausgefordert. Sie wird zu einer Neuausrichtung bei der Definition ihres Selbstverständnisses und ihrer Aufgaben gezwungen. Dabei wird sie mit verschiedenen Ebenen dieses gesellschaftlichen Wandels konfrontiert: Beispielsweise hat die politische Bildung erst sehr spät begonnen, die so genannte digitale Revolution in der Medienlandschaft und der öffentlichen Kommunikation wahrzunehmen und eigene Aufgaben innerhalb dieses Kontextes zu definieren. Die Chancen für die politische Bildung, "die das Lernen mit digitalen Medien im Fach mit sich bringen kann", werden erst allmählich erkannt. Auch der Bereich der Globalisierung von Ökonomie, Kultur und Politik sowie Denationalisierungsprozesse wie die europäische Integration bilden ein zentrales Postulat an die politische Bildung. Diese ist noch weit davon entfernt, sich aus dem Bezugssystem des Nationalstaates zu lösen.

Es erscheint daher notwendig, die Aufgaben politischer Bildung im Kontext der globalen Wissensgesellschaft näher zu betrachten. Jedoch betrifft der mit der globalen Wissensgesellschaft einhergehende Umbruch nicht allein die Inhalte, sondern auch das Selbstverständnis politischer Bildung. So hat politische Bildung die Aufgabe, jene Prozesse zu bearbeiten, welche die Wirklichkeit der Gesellschaft beeinflussen. Darüber hinaus soll sie den Menschen auf die Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft vorbereiten und ihn dabei unterstützen. Gerade hier wird politische Bildung mit den Auswirkungen der globalen Wissensgesellschaft und den allgemeinen Prozessen der Globalisierung konfrontiert. Die nationalstaatlichen Gesellschaften lösen sich durch grenzüberschreitende Interaktionen immer mehr auf. Gleichzeitig können auch Entwicklungen im jeweiligen sozialen Umfeld nicht mehr ausreichend erklärt werden, ohne auf globale Einflüsse zurückzugreifen.

Globales Lernen

Wie sollte eine zukunftsfähige politische Bildung im Kontext von Globalisierung und globaler Wissensgesellschaft aussehen? Dazu muss festgehalten werden, dass "die enge Bindung des öffentlichen Bildungsauftrages an das nationalstaatliche Paradigma (...) die breite Entfaltung von Ansätzen einer international und weltbürgerlich orientierten Erziehung erheblich behindert" hat. Dennoch hat sich in den vergangenen dreißig Jahren eine so genannte Entwicklungspädagogik herausgebildet, in der politische Bildung eine besondere Rolle spielt. Hier wird der Blick über nationalstaatliche Grenzen hinaus auf weltpolitische Themen und Probleme ausdrücklich als herausragende Aufgabe beschrieben.

Diese entwicklungspolitische Bildung hat mittlerweile eine Entwicklung zum Konzept des "Globalen Lernens" durchlaufen, wobei der zweideutige Begriff in Deutschland im Gegensatz zum englischsprachigen Raum erst zu Beginn der neunziger Jahre Eingang fand. Gemäß der zweifachen Bedeutung von "global" bedeutet Globales Lernen zum einen die Vermittlung weltweit vernetzter Themenkomplexe, die zum anderen methodisch multiperspektivisch, interdisziplinär und ganzheitlich vermittelt und wahrgenommen werden. Dabei verbindet das Konzept des Globalen Lernens Inhalte der entwicklungspolitischen Bildung mit denen "der Friedenserziehung, der Umweltbildung, dem interkulturellen Lernen, dem ökonomischen Lernen und der Menschenrechtserziehung". Globales Lernen möchte den Menschen dazu qualifizieren, die entstehende globale Welt- und Wissensgesellschaft mitzugestalten und verantwortungsbewusst zu begleiten. Damit zielt Globales Lernen auf die Entwicklung derjenigen individuellen Kompetenzen, die nötig sind, um in der globalisierten, zunehmend zusammenwachsenden Welt existieren zu können. "Es zielt auf eine Form des Lernens und eine Weise des Denkens, die es erlauben, lokale Gegebenheiten in ihrer Einbindung in den globalen Kontext wahrzunehmen, und dazu befähigen, lokales Handeln in Einklang mit globalen Erfordernissen zu bringen."

Aus entwicklungspolitischer Perspektive möchte Globales Lernen auf die Forderungen nach weltweiter Gerechtigkeit sowie neuen wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten des Zusammenlebens pädagogisch reagieren. Dabei geht es um das Leben heutiger und künftiger Generationen auf diesem Globus. Gleichzeitig hat Globales Lernen die Aufgabe, einen angemessenen Umgang mit kultureller Vielfalt zu fördern sowie einen interkulturellen Perspektivwechsel zu unterstützen. Dabei ist es wichtig, die kulturell abhängige und begrenzte Eigensicht der Welt wahrzunehmen, andere Betrachtungsweisen zu akzeptieren sowie zu lernen, sich mit diesen Betrachtungsweisen selbst anzusehen. Deshalb verzichtet eine globale Betrachtungsweise des Globalen Lernens darauf, einen Blickwinkel festzuschreiben, der ungebunden an den Standort des Einzelnen wäre.

Globales Lernen bedarf also eines umfassenden Bildungsverständnisses, das über die Vermittlung neuen Fachwissens deutlich hinausgeht. Auf der Sachebene wird dabei das Wissen über die Herausforderungen zur Entwicklung der Weltgesellschaft benötigt, aber es muss auch die Tatsache akzeptiert werden, dass zur Beurteilung komplexer Sachverhalte immer zu wenig Wissen zur Verfügung steht. Deshalb muss gelernt werden, sachliche Widersprüche einzuordnen, Wissen zu erlangen und unter den Bedingungen nur unzureichender Kenntnis aller Faktoren abgewogene Entscheidungen zu treffen. Außerdem ist die Fähigkeit zu abstraktem Denken erforderlich, denn die Probleme einer künftigen globalen Wissensgesellschaft zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nur noch schwer wahrzunehmen sind und sich außerhalb des individuellen Erfahrungshorizonts bewegen. Auf der sozialen Ebene ist zu lernen, dass Fremdes und Vertrautes immer weniger regional begrenzt werden kann. Dabei ist auf das Kennenlernen von unterschiedlichen Menschen, Lebensstilen und Sozialerfahrungen nicht zu verzichten. Hier sind sprachliche Kompetenzen, wie Fremdsprachenkompetenz, aber auch Ausdrucksfähigkeit, von enormer Bedeutung.

Globale Medien in der politischen Bildung

Als herausragendes Medium in der globalen Wissensgesellschaft ist das Internet anzusehen. "Bei der rasanten Veränderung der modernen Industriegesellschaften nimmt das Internet als technische Repräsentanz und Infrastruktur der unter dem Begriff der 'Globalisierung` gefassten Entwicklungstendenzen eine zentrale Rolle ein." Um die Rolle des Internets für die politische Bildung zu verdeutlichen, ist es notwendig, zunächst seine Rolle für die Politik zu reflektieren: "Internet in der Politik? Lange Zeit hielt man das digitale Netz vor allem für den Ort, an dem sich Wissenschaftler untereinander verständigen, darauf entdeckte die Unterhaltungsindustrie seine Möglichkeiten, schließlich entstand ein wahrer Hype rund um den E-Commerce. Der wurde Ende 2000 mit einer Welle von Enttäuschungen und Zusammenbrüchen beendet. Bei all der Hektik wird uns erst allmählich klar, dass wir in ein neues informationsbasiertes Zeitalter eintreten, in dem alle Lebensbereiche des Menschen tief greifend verändert werden. Und dazu zählen ganz sicher die Politik und die Grundlagen unseres demokratischen Systems."

Wie in vielen anderen Bereichen des Internets kamen auch die ersten Impulse zu dessen politischem Einsatz aus den USA. Inzwischen haben auch die Europäer, die einzelnen Staaten wie die Europäische Union, die Möglichkeiten des Netzes entdeckt. Dem liegt die Feststellung von Ökonomie und Wissenschaft zugrunde, dass nur gemeinsam mit der Politik der Einstieg in das digitale Zeitalter zu bewältigen ist. Dabei kommt der Politik die Rolle zu, die Bürgerinnen und Bürger besser zu informieren, die Transparenz der Entscheidungswege zu erhöhen sowie neue Mittel zur Diskussion und Beteiligung anzubieten. Formen der digitalen Stimmabgabe bei Wahlen etwa werden bereits praktiziert und sind in naher Zukunft flächendeckend denkbar.

Gleichzeitig ist zu beachten, dass den politischen Inhalten im Netz eine starke Konkurrenz mit einer dominierenden Anzahl kommerzieller Angebote gegenübersteht. Die Fülle an Informationsmöglichkeiten, die das Internet bietet, wirkt "unübersichtlich und mehr verwirrend als transparenzfördernd". Es ist daher zu vermuten, dass die Hoffnung, durch das Netz könnte die bestehende Politikmüdigkeit überwunden werden, nicht in Erfüllung gehen wird. Dennoch ist schon heute absehbar, dass das Internet die politischen Kommunikationsformen ergänzen und vielleicht grundlegend verändern wird.

Mit der zunehmenden Bedeutung des Internets für die Politik werden auch die Auswirkungen auf die politische Bildung evident, denn "es verändert imGegenstandsbereich der politischen Bildung Wesentliches und damit auch die Möglichkeit der Information und der Teilhabe". Neben dieser Dimension macht Thomas Meyer noch zwei weitere Bereiche aus, in denen das Internet für die politische Bildung Bedeutung erlangt. Demnach verändert es die Möglichkeiten der Lernprozesse und damit auch deren Angebotsformen und Reichweite. Darüber hinaus ist es für wichtige Zielgruppen politischer Bildung ein wesentlicher Bestandteil des Alltags geworden und somit Grundvoraussetzung für die Kommunikation mit diesen. Dadurch kann das Internet politischen Bildnern ermöglichen, Adressaten anzusprechen, die sonst kaum in Berührung mit politischer Bildung kommen dürften. Insbesondere bei jüngeren Generationen könnte die Einbeziehung des Internets einen möglichen Zugang zur politischen Bildung erschließen.

Gleichzeitig wird die Nutzung des Internets als Informationsquelle für die politische Bildung immer mehr in den Vordergrund rücken. Dabei spielen die Eigenschaften des Mediums selbst eine Rolle, die es gegenüber anderen Medien auszeichnen, nämlich "seine Aktualität, die Authentizität des Materials, seine Möglichkeiten zur Kooperation". Es wird zu beachten sein, dass die Informationsbeschaffung nicht immer leicht ist. "Das WWW ist ein riesiger, kaum zu durchschauender Informationsdschungel (...). Vor allem ausführliche Informationen zu Politik und politischer Bildung führen in dem Datenmeer eher ein Nischendasein, denn das Netz ist größtenteils ein Markt- und Spielplatz der Werbung und des Kommerzes, weniger ein breites politisches Forum, an dem sich viele beteiligen." Dennoch ist es möglich, das Internet als Informationsquelle zu nutzen. Allerdings ist es wie beim traditionellen Gang in die Bibliothek auch hier von Bedeutung, auf eine sinnvolle Suchstrategie zurückzugreifen bzw. diese überhaupt erst zu erlernen.

Damit wird die Vermittlung von Medienkompetenz als "Basisqualifikation eines demokratischen Bürgers" auch für die politische Bildung unverzichtbar. Medienkompetenz ist dabei Teil der Methodenkompetenz, "um sich selbst politische Sachverhalte, politische Probleme sowie politische Entscheidungen und ihre Folgen erschließen zu können. Dazu gehört auch, sich selbständig und gezielt über Massenmedien und neue Medien Informationen zu beschaffen, auszuwählen und kritisch zu bearbeiten".

Was bedeutet Medienkompetenz für die politische Bildung? Obwohl er in der Literatur breit diskutiert wurde, erweist er sich als dehnbarer Begriff, über dessen Bedeutung für die politische Bildung kaum Klarheit herrscht. Ulrich Sarcinelli hat dargelegt, dass Medienkompetenz auch eine politische Kategorie ist. Er vertritt den Standpunkt, dass politische Bildung nicht den Fehler machen sollte, "alles, was irgendwie mit Medien zu tun hat, zu ihrem Aufgabenbereich zu erklären. Politische Bildung ist keine Medienpädagogik, so wichtig medienpädagogische Elemente für die politische Bildungsarbeit sein können. Gegenstand der politischen Bildung ist die Politik". Medien sind für die politische Bildung nicht nur deshalb von Interesse, weil sie die Schlüsselinstanz der Politikvermittlung sind. Vielmehr haben sie sich insofern selbst zu einem Teil des Politikprozesses entwickelt, als die Medien nicht mehr nur "Medium", sondern auch "Faktor" gesellschaftlicher und politischer Entwicklung geworden sind. In diesem Sinne lässt sich Medienkompetenz in der politischen Bildung folgendermaßen beschreiben: Sieht man die Medien als politischen Faktor der Gesellschaft an, so gilt für die Vermittlung politikrelevanter Medienkompetenz zum einen der Systembezug im Sinne von Stellen der Politikvermittlung, zum anderen der Bürgerbezug, wonach Medienkompetenz als Basisqualifikation demokratischer Bürgerkompetenz zu begreifen ist.

Über diesen von Sarcinelli dargelegten Aspekt von Medienkompetenz in der politischen Bildung hinaus muss aber auch festgehalten werden, dass Medienkompetenz als Grundqualifikation, als Kulturtechnik in der entstehenden Wissensgesellschaft durchaus Aufgabe der politischen Bildung sein muss. Diese kann sich nicht dem allgemeinen Bildungsziel der Medienkompetenz entziehen, welche die Wissensgesellschaft mit sich bringt. Die politischen Informationen, auf die weltweit in Sekundenbruchteilen zugegriffen werden kann, bedürfen einer Einordnung, Verarbeitung und kritischen Reflexion. Aufgabe der politischen Bildung muss es sein, hier Unterstützung zu leisten.

Die Zukunft politischer Bildung im Kontext von Globalisierung und Wissensgesellschaft

Ausgehend von der These, dass sich die Weltgesellschaft in einem Transformationsprozess befindet, der mit dem Begriff der globalen Wissensgesellschaft beschrieben werden kann, und dass diese Transformation im Kontext der Globalisierung zu sehen ist, sind auch für die politische Bildung neue Weichenstellungen erforderlich. Dabei wird es zum einen darum gehen, sich mit Globalisierung und Wissensgesellschaft inhaltlich auseinander zu setzen; zum anderen wird die politische Bildung selbst von diesem Prozess berührt und muss ihre Strukturen anpassen und modernisieren. Die Demokratie verliert ihre Basis, wenn nicht möglichst viele Bürger Interesse für gesellschaftliche Themen aufbringen, eine Qualifikation für die Wahrnehmung von Aufgaben anstreben und sich auch aktiv in die Gesellschaft einbringen.

Hier kommt der politischen Bildung auch in Zukunft eine bedeutende Rolle zu. Sie darf ihr Ziel, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zur aktiven Teilhabe an der (Welt-) Gesellschaft zu qualifizieren, nicht aus den Augen verlieren. Es geht auch weiterhin um die mündige Bürgerin, den mündigen Bürger. Gerade die Herausforderungen der Globalisierung und Wissensgesellschaft benötigen engagierte und qualifizierte Weltbürgerinnen und Weltbürger.

Insofern muss die politische Bildung den gesellschaftlichen Wandel dokumentieren und dabei entstehende bzw. bereits entstandene politische Defizite aufzeigen. Darüber hinaus soll sie aber auch Alternativen und Regelungsimpulse aufzeigen. Künftige politische Bildungsarbeit wird auf diese Weise den Prozess zur Wissensgesellschaft und der Globalisierung sinnvoll begleiten sowie sich zum "Orientierungsdienstleister wie Datennavigator in einer politisch unüberschaubar gewordenen Welt" entwickeln müssen.

Die künftigen Aufgaben der politischen Bildung werden sich dadurch auszeichnen, dass sie den Menschen mit Kompetenzen ausstattet, in der künftigen globalen Wissensgesellschaft partizipieren zu können. Dabei steht neben der viel beschworenen Medienkompetenz die Intensivierung einer interkulturellen Kommunikationskompetenz und Lebenskompetenz im Mittelpunkt. Die globale Wissensgesellschaft, die sich durch eine ständig wachsende Menge an Informationen und einen permanenten Wandel des verfügbaren Wissens auszeichnet, erfordert die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Der politischen Bildung kommt dabei die Aufgabe zu, Möglichkeiten zu eröffnen und Angebote zu liefern, die im Prozess des lebenslangen politischen Lernens genutzt werden können.

Dabei wird die politische Bildung "ohne Kreativität und innovative Kraft" ihre künftigen Aufgaben nicht bewältigen können. In einer Zeit des permanenten Wandels muss sich die politische Bildung diesem anpassen und darf nicht stehen bleiben. Sicher kann sie die großen globalen Herausforderungen nicht alleine bewältigen, aber ohne die politische Bildung eines Teils der Gesellschaft sind diese nicht zu lösen.

Die globale Wissensgesellschaft bringt neue Ansprüche an die politische Bildungsarbeit mit sich. So müssen die Angebote der Zukunft vermehrt international und interdisziplinär ausgerichtet werden, die Methoden müssen den neuen Informations- und Kommunikationstechniken angepasst werden, der Einmischungs- und Handlungsbedarf wird sich verstärken, und die Anforderungen an die Lehrenden werden steigen. Gerade im Bereich der neuen Medien und insbesondere des Internets werden diese gestiegenen Ansprüche an die politische Bildung deutlich. Die politische Bildung muss ihre Präsenz im Internet ausbauen und neue Wege gegenüber diesem Medium beschreiten. Dabei gilt es mindestens zwei unterschiedliche Richtungen einzuschlagen: Zum einen gilt es, die neuen Möglichkeiten auszuschöpfen, die daraus resultieren, dass die junge Generation das Internet sehr stark nutzt, und diese gesellschaftliche Gruppe so direkt anzusprechen und für einen politischen Bildungsprozess zu gewinnen. Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, dass sich Jugendliche nur in Ausnahmefällen zu den Angeboten der politischen Bildung im Internet verirren. Vielmehr werden die meisten von ihnen im Müll von Werbung und Kommerz stecken bleiben, den das Internet hauptsächlich bietet.

Zum anderen sollte politische Bildung den Prozess des politischen Einsatzes des Internets begleiten und die bewusste Nutzung in politischen Handlungsfeldern fördern. Dabei muss beachtet werden, dass durch die Nutzung der Internetangebote allein die Bürgerinnen und Bürger nicht stärker am politischen Entscheidungsprozess partizipieren. Sicher bietet das Internet viele (neuartige) Partizipationsmöglichkeiten an, doch sind diese eben nicht grundsätzlich neu, "sondern beschränken sich darauf, längst bekannte demokratische Partizipationsmechanismen auf das Netz zu übertragen. Insgesamt ist das Netz nicht mehr und nicht weniger politisch als die Offline-Gesellschaft".

Daher wäre es ein großer Fehler, politische Bildung komplett ins Netz verlagern zu wollen: "Netzkommunikation hat gemessen an den Zielen der politischen Bildung eben auch strukturelle Defizite, die beim Entwurf netzbezogener neuer Konzeptionen politischer Bildung von Anfang an in Rechnung gestellt werden müssen." Dabei sind vor allem drei Defizite auszumachen:

- Das Internet kann nicht jede Art von Kommunikation gleich gut übernehmen. So sind z.B. verständigungsorientierte Diskussionen unter Anwesenden als eine zentrale Methode politischer Willensbildung aufgrund von unvermeidbarer Schriftlichkeit und Indirektheit nicht vollständig zu ersetzen.

- Ebenso kann das Internet nicht die ganze Bandbreite der populären Jugendkulturen und deren Kommunikationsformen abdecken.

- Zudem wirkt das Netz auf absehbare Zeit selektiv, denn noch immer ist der Internet-Nutzer in der Mehrheit männlich, verdient überdurchschnittlich gut und verfügt über eine höhere formale Bildung.

Wie sieht sie also aus, die politische Bildung in der globalen Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts? Dies zu prognostizieren wäre angesichts der rasanten Entwicklung der wissenschaftlich-technologischen und gesellschaftlichen Wandlungsprozesse vermessen. Ich habe mögliche Wege aufzuzeigen versucht, die im Kontext der globalen Wissensgesellschaft sinnvoll erscheinen. Die Umsetzung ist Sache der politischen Bildungsträger, die eine Auseinandersetzung mit diesem Thema mittelfristig leisten müssen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Detlef Josczok, Bildung - kein Megathema. Ein Zwischenruf, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), B 36/2001, S. 33.

  2. Uwe Bittlingmayer, "Spätkapitalismus" oder "Wissensgesellschaft"?, in: ebd., S. 15.

  3. Krista Sager, Lernen - ein Leben lang. Diskussionspapier zur Einstiegsdiskussion im Forum Bildung am 19.10. 2000; www.bildung2010.de/literatur/sager03 - 01.pdf.

  4. Vgl. Barbara Thomaß/Werner Gries/Hans J. Kleinsteuber, Medien und Wissensgesellschaften, in: Ingomar Hauchler/Dirk Messner/Franz Nuscheler (Hrsg.), Globale Trends 2002. Fakten - Analysen - Prognosen, Frankfurt/M. 2001, S. 193.

  5. Vgl. UNDP, Human Development Report 2001. Making new technologies work for human development, New York 2001, S. 40, S. 60.

  6. Wolfgang Sander, Politische Bildung nach der Jahrtausendwende. Perspektiven und Modernisierungsaufgaben, in: APuZ, B 45/2002, S.36-44, hier: S. 37.

  7. Klaus Seitz, Lernen für ein globales Zeitalter. Zur Neuorientierung der politischen Bildung in der postnationalen Konstellation, in: Christoph Butterwege/Gudrun Hentes (Hrsg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 49.

  8. Die Begriffe "Global Education" oder "Global Learning" werden im englischsprachigen Raum schon seit den siebziger Jahren zur Bezeichnung eines Bildungskonzepts mit globaler Perspektive verwendet. Vgl. ebd., S. 50.

  9. Ders., Politische Bildung und Nord-Süd-Konflikt. Von der entwicklungspolitischen Bildung zum Globalen Lernen, in: Praxis Politische Bildung, 5 (2001) 1, S. 25.

  10. K. Seitz (Anm. 7), S. 50.

  11. Vgl. ausführlich zur entwicklungspolitischen Perspektive des Globalen Lernens: Annette Scheunpflug/Nikolaus Schröck, Globales Lernen, Stuttgart 1999.

  12. Michael Kerber, Internet und Intranet - Chancen für den Politikunterricht, in: Politikunterricht im Informationszeitalter, hrsg. v. der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2001, S. 295.

  13. Hans J. Kleinsteuber/Tanja Loitz, Politik im Zeichen des Internet, in: ebd., S. 51.

  14. Gisela Ruprecht, Politische Bildung im Internet, Schwalbach/Ts. 2001, S. 24.

  15. Thomas Meyer, Internet und politische Bildung - Zehn Thesen, www.fes-online-akademie.de/download/pdf/zehnthesen_pdf.pdf, S. 5.

  16. M. Kerber (Anm. 12), S. 297.

  17. G. Ruprecht (Anm. 14), S. 8.

  18. Zur Auseinandersetzung mit Medienkompetenz als Basisqualifikation vgl. Peter Massing, Bürgerleitbilder und Medienkompetenz, in: Politikunterricht im Informationszeitalter (Anm. 12), S. 39 - 50.

  19. Ders., Kategoriale Bildung und Handlungsorientierung im Politikunterricht, in: Kursiv, (2000) 2, S. 37.

  20. Vgl. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft", Medienkompetenz im Informationszeitalter, Bonn 1997.

  21. Ulrich Sarcinelli, Medienkompetenz in der politischen Bildung, in: APuZ, B 13/2000, S. 30.

  22. Stefan Rappenglück/Jürgen Turek, Zukunftstrends - Ein Ruck muss durch die politische Bildung gehen, zu finden unter: www.dvpb.de/polis/jahrgang/1_00/rappe.htm, S. 3.

  23. Siegfried Schiele, Möglichkeiten der politischen Bildung im 21.Jahrhundert, in: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentes (Hrsg.), Politische Bildung und Globalisierung, Opladen 2002, S. 304.

  24. Fiete Stegers, Offline ist auch Online, in: die tageszeitung vom 13.11. 2000.

  25. T. Meyer (Anm. 15), S. 6.

  26. Vgl. ebd.

Politologe, M.A., geb. 1965; freiberufliche Tätigkeit in der politischen Erwachsenenbildung.
Anschrift: Theodor-Heuss-Straße 2, 65719 Hofheim.
E-Mail: E-Mail Link: uli.wessely@gmx.de