Menschen mit Behinderungen sind vielfältigen Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Darüber, ob das Angebot an pränatalen Untersuchungen dazugezählt werden kann, gehen die Meinungen auseinander. Einfache Antworten sind hier fehl am Platze. Vielmehr gilt es zunächst, das komplexe Feld auszuleuchten. Wie funktioniert pränatale Diagnostik überhaupt? Was für ein Bild von Behinderung wird transportiert? Was sind die Fallstricke der Debatte?
Welche Worte?
In den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wird es immer wichtiger, welche Worte für welche Sachverhalte benutzt werden.
Ich bevorzuge daher die Begriffe "werdende Mütter" und "werdende Kinder" – vor der Geburt ist eine schwangere Person keine Mutter und ein Fötus kein Kind. Diese Begriffsverwendung lässt die Prozesse so offen, wie sie tatsächlich sind, wobei sich das selbstverständlich individuell anders anfühlen kann. Auch kann der Sprachgebrauch je nach Kontext unterschiedlich sein: Ein*e Berater*in wird im persönlichen Kontakt mit einer schwangeren Person anders reden als ein*e Politiker*in während einer Bundestagsdebatte.
Hier geht es nicht darum, Sprachpolizei zu spielen, sondern um eine Verständigung darüber, warum manche Begriffe passend erscheinen, andere hingegen unzutreffend oder auch verletzend sein können. Ungewollt Schwangere damit zu konfrontieren, sie seien mit einem lediglich noch ungeborenen "Kind" oder "Leben" schwanger, suggeriert eine Subjekthaftigkeit von erst werdenden Menschen und kann bei einer Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägt, Schuldgefühle auslösen oder verstärken. Die vermeintlich neutrale medizinische Sprache der Pränataldiagnostiker*innen reduziert die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen zu defizitären Symptomen, die alle anderen möglichen Eigenschaften des späteren Kindes zu überschatten drohen.
Problem Pränataldiagnostik
Es gibt verschiedene pränatale Untersuchungsmethoden, von denen Ultraschall, Bluttests und Fruchtwasseruntersuchungen die bekanntesten sind. Durch einige Untersuchungen können die Überlebenschancen von werdenden Kindern mit Beeinträchtigungen verbessert werden, andere ermöglichen eine gezielte Geburtsvorbereitung.
Diese vorgeschlagene Unterscheidung zwischen sinnvollen und rein selektiven Untersuchungen ist komplex. Leider wird sie in der Fachwelt, also unter Gynäkolog*innen, Pränataldiagnostiker*innen oder Humangenetiker*innen selten angewandt, und es gibt auch kaum Debatten darüber.
Für Schwangere geht es bei den Tests um Risikoreduzierung und Gesundheitsvorsorge für sich und das werdende Kind. Ihre Leitfrage lautet, ob alles "in Ordnung" ist. (Temporäre) Normabweichungen des Fötus oder Messungenauigkeiten der Tests sind jedoch relativ häufig und führen zu weiteren Test, die den Grund der Auffälligkeit klären und Aufschluss darüber geben sollen, "wie schlimm" diese ist. Auf die Beunruhigung, die durch solche Auffälligkeiten ausgelöst werden, sind Schwangere selten vorbereitet und können sich so der komplexen und teilweise widersprüchlichen Dynamik kaum entziehen. Jede einzelne Entscheidung treffen schwangere Personen zwar jeweils frei und nach dem Paradigma der informierten Einwilligung, bei Auffälligkeiten entwickelt sich jedoch schnell eine Angst-Kontroll-Spirale.
Blickwechsel
Die in der pränatalen Diagnostik stattfindende Gleichsetzung von Behinderung mit Risiko und Gefahr ist Kern des Problems. Von der Behindertenbewegung und in den Disability Studies wird seit Langem kritisiert, dass mit der pränatalen Suche nach Behinderungen und Normabweichungen ein negatives, defizitorientiertes Bild von Behinderung verbunden ist.
Diese scheinbar unauflösliche Verbindung von Behinderung mit gravierenden Einschränkungen wird als medizinisches Modell bezeichnet: Die körperliche, seelische oder psychische Behinderung an sich wird als Problem definiert, das zwar mittels medizinischer oder therapeutischer Eingriffe abgemildert werden kann. Bei dieser Auffassung von Behinderung ist es aber kaum denkbar, dass die betroffene Person ein ebenso gutes Leben haben kann wie ein Mensch ohne Behinderung.
Das soziale Modell von Behinderung geht hingegen davon aus, dass die Behinderung durch die gesellschaftlichen Umstände entsteht, die eine gleichberechtigte Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben erschweren: Behindert ist man nicht, behindert wird man. Die körperlich einschränkenden Aspekte werden als Beeinträchtigungen bezeichnet, die von den Betroffenen negativ empfunden werden können, aber nicht müssen. Da die Gesellschaft die Betroffenen behindert, liegt die Verantwortung auch bei ihr, die Dimension der Behinderung zu reduzieren. Dazu hat sich die Staatengemeinschaft, darunter auch Deutschland, mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet.
Das mit einer einseitigen "Fokussierung auf körperliche und geistige Fähigkeiten einer Person und ihre essenzialisierende Be- und Verurteilung, je nach Ausprägung ihrer Fähigkeiten"
Ein Umdenken vom tendenziell diskriminierenden medizinischen Modell zum sozialen Modell von Behinderung hat nicht nur Auswirkungen auf schulische Inklusion, die Finanzierung von Gebärdensprachdolmetscher*innen auch in der Freizeit oder das Wahlrecht für Menschen in Betreuung, sondern auch auf das Angebot und die Inanspruchnahme pränataler Diagnostik. Zum Denken im medizinischen Modell gehört das Phänomen, das werdende Kind auf seine diagnostizierte Beeinträchtigung zu reduzieren: Alle anderen Eigenschaften, über die werdende Eltern mutmaßen und auf deren Entwicklung sie sich freuen, werden unwichtig, übrig bleibt nur die Frage, wie schlimm das erwartete Defizit werden wird. Die Angst vor dem behinderten Kind betrifft nicht nur dessen mögliche Zukunft, sondern ist auch eine eigene "Denormalisierungsangst" der Schwangeren beziehungsweise der werdenden Eltern, eine "Sorge, [selbst] aus den Normalitätszonen herauszufallen".
Nach der Logik des sozialen Modells sagt uns eine Beeinträchtigungsdiagnose des werdenden Kindes dagegen eben nichts über sein erwartbares Lebensglück – nicht vorhandene oder kaputte Aufzüge oder ein Abbau sozialer Leistungen hingegen schon. Durch einen Blickwechsel vom einzelnen Körper auf gesellschaftliche Fragen fällt auch auf, dass "‚Anderssein‘ auf körperlicher, kognitiver, psychischer oder psycho-sozialer Ebene eine weitverbreitete Lebenserfahrung darstellt",
Wessen Rechte?
Das Recht von Menschen mit Beeinträchtigungen, nicht diskriminiert zu werden, wird von der UN-BRK als Menschenrecht festgeschrieben. Dieses wichtige Instrument zur gesetzlichen und sozialen Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen basiert auf einer weiten Diskriminierungsdefinition: Nach Artikel 2 umfasst der Begriff "jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird".
Anhand dieser weiten Definition scheint pränatale Diagnostik kaum kritisierbar zu sein. Das liegt vor allem daran, dass die UN-BRK die Rechte bereits geborener Menschen mit Beeinträchtigungen sichern soll. Auch die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 schützt die Rechte geborener Kinder. Zwar gab es während der Beratungen zu beiden Konventionen intensive Diskussionen über die Frage, ob – und wenn inwieweit – auch das "ungeborene" Leben geschützt werden solle. Letztlich überwogen jedoch Befürchtungen, über eine explizite Formulierung ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zu etablieren. In den Verhandlungen zur UN-BRK konnte sich die von den Interessenvertretungen "Inclusion International" und dem "International Disability Caucus" vorgeschlagene Idee, ein "Right to be born" (Recht geboren zu werden) zu schaffen, nicht durchsetzen.
Versuche, die Schutzgarantien der Konventionen auf Föten auszudehnen, kommen häufig von der international gut vernetzten, religiös-reaktionär verorteten "Lebensschutz"-Bewegung oder spielen dieser in die Hände.
Einen anderen Ansatz verfolgt der Versuch, die UN-BRK als Antidiskriminierungsinstrument heranzuziehen, wenn sich Regelungen und Praktiken der Pränataldiagnostik negativ auf die Lebenssituation bereits geborener Menschen mit Behinderungen auswirken. In diesem Zusammenhang wird häufig Artikel 8 der UN-BRK ins Spiel gebracht. Dieser fordert von den Vertragsstaaten und ihren untergeordneten Instanzen bewusstseinsbildende Maßnahmen, die "Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen (…) in allen Lebensbereichen (…) bekämpfen". Die Achtung vor und die Würde von Menschen mit Beeinträchtigungen sollen auf diese Weise gefördert werden. Es geht hier also um Maßnahmen, die die Akzeptanz von Beeinträchtigungen fördern können. Kaum jemand würde bestreiten, dass die pränatale Suche nach Beeinträchtigungen kaum dazu beiträgt, dass diese besser akzeptiert werden. Relativ wahrscheinlich ist es hingegen, dass sie mit ihrem defizitverhafteten Fokus eher schädliche Auswirkungen hat. Eine nähere Bestimmung oder gar Quantifizierung dieser negativen Effekte steht allerdings noch aus.
Die Staatliche Koordinierungsstelle des Beauftragten für die Belange behinderter Menschen stufte 2013 in einem Positionspapier selektive pränatale Untersuchungen als "schädliche Praktiken im Sinne der UN-BRK" und als diskriminierend für Menschen mit Behinderungen ein: "Die Selbstverständlichkeit, mit der vorgeburtliche diagnostische Verfahren angeboten und in Anspruch genommen werden, mit denen die Existenz von Kindern mit Behinderungen vermieden werden soll, ist Ausdruck von gesellschaftlichen Lebenswerturteilen. Darin zeigt sich ihr diskriminierender Charakter. (…) Auf einer gesellschaftlich sehr tief greifenden Ebene werden Menschen, die mit einer Behinderung leben, nach der auf diese Weise systematisch gesucht wird, diskriminiert: Indem die Existenz der Ungeborenen grundsätzlich zur Disposition gestellt wird, wird auch ihre Existenz infrage gestellt."
Hier wird, wie es in der Debatte um pränatale Diagnostik häufig geschieht, die vorgeburtliche Suche nach Abweichungen und die spätere mögliche Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch unzulässig gleichgesetzt. Dazu heißt es: "Die Möglichkeit des Abbruchs der Schwangerschaft, sollte eine Behinderung des Kindes entdeckt werden, wird im Alltag der Praxis immer mitgedacht und oftmals unausgesprochen von allen Beteiligten erwartet." Aber wer denkt den möglichen Abbruch "immer" mit und erwartet das von wem?
Schwangerschaftsabbrüche
Die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen in Deutschland sind auf dem Papier relativ eindeutig: Schwangerschaftsabbrüche wegen einer Behinderung des Fötus sind seit 1995 nicht mehr erlaubt. Bei der letzten Reform des Paragrafen 218 Strafgesetzbuch wurde nicht nur eine Fristenregelung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche inklusive Beratungspflicht und Wartezeit eingeführt, sondern auch die sogenannte embryopathische Indikation gestrichen. Kirchen und Behindertenverbände hatten bei der Neuformulierung des Gesetzes dafür geworben, eine Sondergenehmigung für die Abtreibung beeinträchtigter Föten als unvereinbar mit dem Nichtdiskriminierungsgebot in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz zu interpretieren.
Abtreibungen sind weiterhin nach der medizinischen Indikation legal, wenn eine schwere Gefährdung der psychischen Gesundheit der Schwangeren durch die erwartete Behinderung des werdenden Kindes befürchtet wird. Damit wurde die medizinische Indikation, die Abbrüche bei einer Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Schwangeren erlaubt, dezidiert zur "‚Auffangindikation‘ für die früher embryopathisch indizierten Schwangerschaftsabbrüche".
Aus einer bestimmten feministischen Perspektive macht das auch sehr großen Sinn: Wer anders als die Frau sollte wissen, was für ihr weiteres Leben (zu) belastend wäre? Aus einer intersektionalen und behindertenpolitischen Perspektive lässt sich allerdings fragen, wie die Frau überhaupt einschätzen soll, wie sich der Belastungsgrad mit einem Kind mit Beeinträchtigungen von einem ohne unterscheiden würde – zumal die konkrete Ausprägung der meisten Beeinträchtigungen pränatal nicht prognostizierbar ist. Außer ihrer eigenen Lebenserfahrung ist ihre Hauptinformationsquelle die defizitorientierte pränatale Diagnostik und Beratung sowie ein meist vages Wissen um mangelnde sozialstaatliche Hilfsangebote und die gesellschaftlich verbreitete Ablehnung von Menschen mit Behinderungen. Es ist unter diesen Umständen wohl wenig verwunderlich, wenn in vielen Fällen die Befürchtungen die Oberhand gewinnen und ein Abbruch der Schwangerschaft als die beste Lösung erscheint. Die generalisierte Annahme einer hohen Belastung durch ein Leben mit einem behinderten Kind teilen auch die meisten Ärzt*innen. Das rechtfertigt die Indikation einer unzumutbaren Gesundheitsgefährdung. Diese verbreitete Vermutung ist jedoch eher als vorurteilsbeladen und ableistisch anzusehen, ihre Regelhaftigkeit ist ein Zeichen der gesellschaftlichen Behindertenfeindlichkeit.
Bezogen auf die erwähnten Annahmen von Diskriminierung zeigt sich, dass es zwischen Beeinträchtigungsdiagnose und Abtreibungsentscheidung keinen Automatismus mehr geben soll – die strafrechtliche Ausnahme wurde abgeschafft, und Gendiagnostikgesetz und Schwangerschaftskonfliktgesetz sollen der Schwangeren eine informierte, individuell vertretbare Entscheidung ermöglichen. Die gesellschaftlich verbreitete Behindertenfeindlichkeit legt eine Entscheidung zum Abbruch jedoch näher als die, das vor der Diagnose noch gewollte Kind zu bekommen. In der pränatalen Diagnosespirale werden Untersuchungen durchgeführt, um der Schwangeren die Angst vor einer Behinderung ihres werdenden Kindes zu nehmen. Als gutes Ergebnis gilt selbstverständlich nur eins, das keine Beeinträchtigung findet. Den anderen Frauen wird ihre Angst bestätigt, und die ableistische Gleichsetzung von Behinderung mit Differenz, Leid und Abhängigkeit verunmöglicht es, sich dieses "andere" Kind als Teil der eigenen Familie vorzustellen.
Ausblick
Schock, Abwehr und Ambivalenzen sind normale Reaktionen auf eine pränatale Behinderungsdiagnose. "Normal" heißt allerdings nicht, dass das auch so bleiben muss. Schließlich sind negative Reaktionen auf Menschen mit Behinderungen oder negative Annahmen über ein Leben mit einer Behinderung zwar "normal" im Sinne von weit verbreitet, aber nicht im Sinne von gesellschaftlich erwünscht. Genauso wie gegen Rassismus oder Homophobie sollten auch in diesem Bereich Anstrengungen unternommen werden, um diese feindlichen oder abwehrenden Einstellungen zu bekämpfen und abzubauen.
Ob selektive pränatale Diagnostik tatsächlich der Inklusion entgegenwirkt, muss hier eine offene Frage bleiben – zu schlecht ist die Datenlage in Bezug auf die unterschiedlichen Motivationen für pränatale Tests und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. Umgekehrt könnte aber Inklusion dazu beitragen, Unkenntnis über und Angst vor Behinderung abzubauen und so einiges an pränatalen Tests überflüssig erscheinen lassen.
In einer wirklich inklusiven Gesellschaft würden nicht nur, wie es derzeit meist geschieht, lediglich jene Menschen mit Behinderungen "inkludiert", die "trotz" ihrer Behinderung als nützlich angesehen werden, sondern alle Barrieren für Menschen mit Beeinträchtigungen abgebaut. Unterschiedliche Fähigkeiten und körperliche Merkmale wären normal – da alle Menschen verschieden sind, könnten diese Verschiedenheiten als Bereicherung statt als Bedrohung wahrgenommen werden. Krankenkassen würden ihre Ressourcen in die benötigten Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen investieren, statt Anträge wiederholt abzulehnen. Ämter würden nicht mit Tricks versuchen, Menschen mit Behinderungen möglichst billig unterzubringen, sondern ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
Erstrebenswert wäre eine Behinderung deswegen vermutlich noch nicht, sie wäre aber eine Eigenschaft unter anderen, über die einige werdende Eltern gerne im Vorhinein Bescheid wüssten und andere nicht. Wäre es unter diesen Voraussetzungen weiterhin so wichtig, dass ein werdendes Kind "Hauptsache gesund"