Kommissionen und Beiräte als Politikersatz?
Kommissionen, Räte und Beiräte stehen im Fokus medialer Kritik und parteipolitischer Auseinandersetzungen. Wurde in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik eine Vielzahl institutionalisierter Beratungsgremien geschaffen, die rein wissenschaftlich besetzt waren, so sind heute gemischt besetzte Kommissionen en vogue: Ob es sich um die Hartz-, Rürup-, Herzog- oder Süssmuth-Kommission handelt, um den Nationalen Ethikrat, den Rat für Nachhaltige Entwicklung oder den jüngst formierten Innovationsrat - die Politik hat sich ein dichtes, aber sehr heterogenes Netz an Beratungsgremien geschaffen. Die einzelnen Gremien und Räte dienen sehr unterschiedlichen Zwecken: der Inszenierung von Politik, der Konsensfindung und Legitimation, der Integration zivilgesellschaftlicher Gruppen, der Gewinnung wissenschaftlicher Expertise, der parteipolitischen Auseinandersetzung oder der Identifizierung und Bewertung alternativer Politikoptionen.
Viele der traditionellen Politikberatungsgremien, zum Beispiel der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen oder der wissenschaftliche Beirat im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, werden kaum wahrgenommen und spielen im politischen Entscheidungsfindungsprozess in der Regel allenfalls eine marginale Rolle. Offenbar beraten sie bisweilen an der Nachfrage der Politiker vorbei - vor allem, weil die wissenschaftlichen Einsichten nicht ohne weiteres in politische Entscheidungen umgesetzt werden können.
Diese Entwicklung wird heftig kritisiert. Der Politik werden mangelnder Mut und mangelnde Entscheidungsbereitschaft vorgeworfen. Kommissionen seien Flucht aus der Verantwortung, Eingeständnis eigener Konzeptionslosigkeit oder Wahlkampfinstrument von PR-Strategen, lauten die Vorwürfe. Andere konstatieren eine "neue Unübersichtlichkeit" durch das immer dichtere und intransparente Netz von Beratungsgremien, in dem sich Verantwortlichkeiten nicht mehr nachvollziehen lassen ("organisierte Unverantwortlichkeit"). Dazu kommt die Kritik an der Doppelrolle der großen Unternehmensberatungen, die in Reformkommissionen vertreten sind und später an der Umsetzung der eigenen Reformvorschläge durch Beratungsaufträge profitieren.
Die Politik, so der Eindruck, droht in dem von ihr selbst gesponnenen Netz an Beratungsgremien zu ersticken. So ganz neu ist das nicht: Fritz Scharpf formulierte bereits in den siebziger Jahren seine Diagnose einer wachsenden Politikverflechtung.
Wie lässt sich diese "Entparlamentarisierung" der politischen Entscheidungsfindungsprozesse und die zunehmende Bedeutung von Kommissionen und Beiräten in einer entstehenden "Bürgergesellschaft" erklären? Bei der Beantwortung dieser Frage helfen die Ansätze der Institutionenökonomik weiter.
Nimmt man diese Perspektive ein, entkommt man einer moralisierenden Beschuldigung einzelner Politiker, die Karl Homann als "moralische Aufrüstung" kritisiert.
Für unser Thema halten wir fest: Für Politiker ist es attraktiv, Politik zu "inszenieren" und durch kurzfristige Ad-hoc-Maßnahmen Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Eine auf langfristige Erfolge ausgelegte Politik "des langen Atems" bringt nicht unbedingt Spielvorteile beim Kampf um die Macht. Mit dem Delegieren von Verantwortung oder dem Aufbau eines Puffers in Form von Kommissionen oder Beiräten bei unangenehmen Entscheidungen lässt sich offenbar politisch punkten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sie reichen von der zunehmenden Komplexität und Dynamik der Themen über die Problematik des Eigeninteresses der Administration, der schwachen Position der Legislative, des starken Einflusses der Parteien bis hin zum Phänomen der Machtlosigkeit der Politik, ihre Beschlüsse ohne Unterstützung von Betroffenen umzusetzen.
Das Zwischenfazit lautet: Wer weniger Einfluss von Kommissionen und Beiräten, mehr Transparenz und Legitimität in den politischen Entscheidungsverfahren möchte, darf nicht auf Appelle setzen. Vielmehr bedarf es grundlegender Reformen, welche die Anreize der Entscheidungsträger verändern. Die in der Diskussion befindlichen Vorschläge zielen zumeist auf eine sukzessive Entflechtung der Politik, mit der das korporatistische Modell der konsensualen Demokratie in Richtung des (insbesondere im angelsächsischen Raum verbreiteten) Modells
Konkurrenzdemokratie als alternativer Königsweg?
Die horizontale und vertikale Teilung politischer Macht, die korporatistische Integration gesellschaftlicher Gruppen und die weitreichende Einbeziehung von Interessenvertretungen werden von den Vertretern der Konkurrenzdemokratie als Hauptursachen von Reformblockaden ausgemacht. Die partizipatorische Demokratietheorie, welche die Beteiligung des Bürgers nicht auf Wahlen beschränken will, sondern seine Freiheit nicht nur als Freiheit vom Staat, sondern auch als Freiheit zur Beteiligung an der res publica definiert, sei durch eine Input-Überlastung und ein Übermaß an Vetospielern an Grenzen gestoßen. Es wird der Verdacht geäußert, dass Wahlen (und die weitgehende Beschränkung auf sie) doch das fairste und transparenteste Verfahren politischer Willensbildung seien. Vorbilder für eine leistungsfähige Demokratie seien im angelsächsischen Raum zu suchen, wo das Modell der Konkurrenzdemokratie Erfolge feiere, weil hier weniger Machtverhinderung stattfinde.
Neben Überlegungen zu einem wettbewerblichen Föderalismus setzten die Reformvorschläge der Anhänger der Konkurrenzdemokratie vor allem auf eine Auflösung korporatistischer Gremien. Runde Tische, so warnt der Schweizer Ökonom Guy Kirsch, seien "gefährliche Möbel", die in einem wettbewerblichen politischen System nichts zu suchen hätten.
Damit ist eine klare Front abgesteckt: Ausgehend von der Kritik an der "Verfilzung" und "Überflutung" des politischen Systems mit korporatistischen Gremien wird das Modell der konsensualen oder partizipativen Demokratie en bloc in Frage gestellt. Aber benötigen wir tatsächlich einen Systembruch - oder gibt es Reformalternativen, mit denen die diagnostizierten Defizite des bestehenden Systems verringert werden können, ohne seine zweifelsfrei vorhandenen Vorteile zu beseitigen?
Das Modell der diskursiven Politikgestaltung
Viele der Vorschläge für eine neue Konkurrenzdemokratie schießen weit über das Ziel hinaus und beruhen eben nicht auf einer rationalen institutionenökonomischen Anreizanalyse der handelnden Akteure. Die angelsächsisch geprägte Konkurrenzdemokratie ist kein Königsweg zu einer besseren Politik. Die Modernisierung der Politik braucht vielmehr neue Verfahren des Diskurses und des Dialogs in der Entscheidungsfindung. Nur Diskurse mit geeigneten Regeln und erprobten Verfahren können das Potenzial der Bürgergesellschaft adäquat nutzen, Umsetzungshindernisse überwinden und vor allem eine systematische Suche nach wechselseitig vorteilhaften Arrangements ("Win-Win-Konstellationen") für alle Betroffenen sicherstellen. Es geht also um eine Modernisierung der Entscheidungsvorbereitung in der Politik.
Viele Kritiker begehen den Fehler, Dialog und Kooperation pauschal mit Intransparenz und Ineffizienz gleichzusetzen. Aus der Beobachtung kartellartiger Absprachen "am runden Tisch" (etwa in Form von Kanzlerrunden oder informellen Gesprächen in der Parlamentslobby) folgt jedoch nicht, dass dies zwangsläufig und immer so sein muss. Hier wird vielmehr häufig unseriös mit Karikaturen von Diskurs und Dialog argumentiert. Ebenso wenig, wie aus der Beobachtung von Kartellen und externen Effekten auf (unreglementierten) Märkten geschlossen werden kann, dass Marktwirtschaft nicht zum Wohle der Konsumenten funktionieren kann, lässt sich aus negativen Beispielen schließen, dass das Modell der partizipativen Demokratie zum Scheitern verurteilt ist.
Entscheidend ist vielmehr die Entwicklung geeigneter Verfahrensregeln. Die Etablierung einer leistungsfähigen Wettbewerbsordnung für die Wirtschaft war ein Prozess, der sich über viele Jahrhunderte erstreckt hat und bei weitem nicht als abgeschlossen gelten kann. Gleiches gilt für die politische Wettbewerbsordnung. Auch hier gilt es, die Rahmenbedingungen so weiterzuentwickeln, dass Arrangements zu Lasten Dritter verhindert werden, und Dialog und Diskurs in den Dienst der Suche nach Kooperationsgewinnen für alle Betroffenen zu stellen. Die bestehende Politikberatungslandschaft mit ihren korporatistischen Strukturen wird sich dabei erheblich verändern (müssen).
In der Bundesrepublik haben wir in den vergangenen Jahren sehr viele - geglückte und misslungene - Experimente mit Dialog und Diskursen gemacht. "Regierung durch Diskussion?" - diese Frage stellt sich nicht nur in der Wissenschaft,
Was steckt dahinter? Eine erste Annäherung definiert "Diskurs- und Verhandlungsverfahren als temporäre Institutionen, in denen Entscheidungen durch Argumentieren bzw. Verhandeln zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, die in ihrer Gesamtheit nach Möglichkeit alle Interessen repräsentieren, vorbereitet und/oder getroffen werden"
Unumkehrbarkeit des Status quo: Es führt kein Weg zurück in eine Zeit vor der partizipatorischen Demokratie. Die Möglichkeiten der Beteiligung an der Politik sind in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Unternehmen, Verbraucherschutzorganisationen, Umweltverbände, Bürgerinitiativen und andere gesellschaftliche Akteursgruppen sind maßgeblich am politischen Ent-scheidungsfindungsprozess beteiligt. Längst haben Netzwerkstrukturen das Modell einer hierarchischen Politikgestaltung abgelöst. Zugleich sind die Weichen für die Zukunft gestellt: Der Entwurf einer künftigen europäischen Verfassung sieht einen eigenständigen Artikel zu "partizipativerDemokratie" vor, in Politikfeldern wie der Umweltpolitik sind über diverse Regelwerke (Aarhus-Konvention, EU-Wasserrahmenrichtlinie) weitreichende Beteiligungsrechte der Bürger festgeschrieben. Eine radikale Einschränkung der Partizipationsmöglichkeiten ist weder normativ zu rechtfertigen noch empirisch durchsetzbar.
Effizienz: Die Zustimmung der gesellschaftlichen Gruppen erleichtert die Umsetzung der (im Konsens) beschlossenen Politik. Durch die Einbindung gesellschaftlicher Gruppen steigt zwar die Komplexität politischer Entscheidungsfindungsprozesse auf der Input-Seite; zugleich lassen sich die Ergebnisse auf der Output-Seite leichter umsetzen. Da das Potenzial gesellschaftlicher Gruppen zur Mobilisierung gegen bestimmte Politikvorhaben zugenommen hat, wird die Einigung im Vorfeld politischer Entscheidungen immer wichtiger. Insgesamt betrachtet steigt somit die Effizienz der Politik.
Komplexität: Die Komplexität der Probleme nimmt zu. Schon 1964 urteilte der Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt, dass man ein Parlament im Atomzeitalter nicht so informieren und arbeiten lassen könne wie im Zeitalter der Postkutsche; dies gefährde Volk und Staat.
Motivation: Die Annahme, dass die im politischen Wettbewerb vermittelten Konzepte die Wähler in den Stand versetzten, kompetent über alternative Politikoptionen zu urteilen, ist unrealistisch. Wie die ökonomische Theorie der Demokratie nahe legt, haben Bürger geringe Anreize, Zeit und Geld in die Analyse alternativer Politikprogramme zu investieren; zu gering ist der Einfluss des Einzelnen auf das Wahlergebnis. Moderierte Dialogverfahren hingegen bieten starke Anreize zur Teilnahme, da aufgrund der geringen Gruppengröße die Einflussmöglichkeiten ungleich größer sind. Da zudem "schlechte" Argumente in der Regel in der Diskussion als solche entlarvt werden, ist es für die Teilnehmer klug, sich im Vorfeld über Diskussionsstränge und Handlungsoptionen zu informieren. Dialogverfahren stellen somit einen Rahmen zum wettbewerblichen Austausch von Argumenten dar, der das Problem der rational ignorance überwinden hilft und rückkoppelnde Lerneffekte möglich macht.
Souveränität: Es gibt kein plausibles demokratietheoretisches Argument, mit dem sich begründen lässt, warum sich die Exekutive nicht beraten lassen soll, von wem sie will. Wenn die Regierung dem Wähler gegenüber verantwortlich ist und der Wähler die Regierung in regelmäßigen Zeitabständen abstrafen kann, ist es in letzter Konsequenz irrelevant, bei wem die Regierung ihre Ratschläge einholt. Es macht keinen Unterschied, ob die Empfehlungen von einem Sachverständigenrat, einem "Multi-Stakeholder"-Forum oder einem kommerziellen Berater stammen, solange die Politik gegenüber dem Wähler verantwortlich ist.
Transparenz: Es besteht kein systematischer Zusammenhang zwischen diskursiver Politikgestaltung und intransparenter Politik. Während die Berichte der Enquete-Kommissionen jederzeit im Internet abrufbar sind, tagen die allermeisten Bundestagsausschüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es ist gerade das Merkmal partizipativer Verfahren, dass diese hohe Transparenzstandards anlegen, um so die Glaubwürdigkeit des Prozesses zu steigern. Nur über einen für alle Beteiligten transparenten Prozess ist es möglich, emotionale Diskussionen auf eine sachliche Ebene zu führen und zu einem gemeinsamen Fakten- und Problemverständnis zu gelangen (joint fact finding). Eine wichtige Rolle kommt dabei der Übersetzung komplexer wissenschaftlicher Analysen in verständliche Zusammenhänge zu.
"Verantwortlichkeit": Gremien dürfen sich nicht als Feigenblatt benutzen lassen. Entscheidungen bleiben trotz aller Expertise politische; ein hoher Handlungsdruck zur Übernahme der Ergebnisse durch die Politik entsteht nur dann, wenn der Dialogprozess als fair und informativ wahrgenommen wird.
Die angeführten Argumente zeigen, dass partizipative Politikprozesse die oft zitierte Kluft zwischen "ökonomischer Rationalität" und "politischer Opportunität" verringern helfen, indem sie einen wettbewerblichen Rahmen für die Diskussion alternativer Konzepte bieten. Partizipative Prozesse tragen demnach zu einer informierten Entscheidungsfindung bei; zugleich erzeugen sie Handlungsdruck auf die politischen Akteure, ökonomisch rationale Politikvorschläge umzusetzen, sofern der Prozess der Entscheidungsfindung als ausgewogen, fair und informiert wahrgenommen wird.
Deutlich wird dabei, dass allein schon die Argumentation gegen Beratungsgremien im Allgemeinen den Anforderungen an moderne politische Steuerung zuwiderläuft. Gerade weil der Beratungsbedarf ebenso hoch ist wie der Wunsch nach Mitsprache, kommt es darauf an, entsprechende Dialogprozesse professionell, transparent und ergebnisorientiert zu organisieren. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die offensive mediale Kritik an den Beiräten und Gremien als Chance verstanden werden muss, einen Lernprozess in Gang zu setzen.
Beispiele diskursiver Politikgestaltung
Wie können Politiker in der modernen Gesellschaft adäquat beraten werden und Diskurse zur Erweiterung der eigenen Handlungsspielräume nutzen? Im Wissen um weitere erfolgreiche Beispiele,
Mediationsverfahren Flughafen Frankfurt/Main
Als 1997 die Lufthansa den Ausbau des Frankfurter Flughafens forderte, begann eine aufgeladene Debatte im Land Hessen. Da der Bau der Startbahn West mit dem politischen Versprechen verknüpft worden war, dies sei die letzte Flughafenerweiterung, drohte eine Eskalation des Konflikts. Das Land richtete daraufhin ein Mediationsverfahren
FUTUR - der Deutsche Forschungsdialog
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) führt mit 1 500 Multiplikatoren den partizipativen Foresight-Prozess FUTUR
Initiative für Beschäftigung
Hier handelt es sich um eine gemeinsame Initiative bedeutender deutscher Unternehmen zur Verbesserung der Beschäftigungssituation. Das Ziel dieser Vernetzung von Unternehmen mit Politik, Verbänden, Gewerkschaften, Kammern und wissenschaftlichen Einrichtungen ist es, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. In regionalen Netzwerken und über 200 Einzelprojekten, an denen 400 Unternehmen beteiligt sind, werden Ideen und Erfahrungen ausgetauscht, innovative Lösungsansätze erprobt und gemeinsam neue Wegen gesucht, Jugendliche in die Arbeitswelt zu integrieren. Die regionalen Erfahrungen werden in sechs Themenkreisen gebündelt und von dort an die politischen Entscheidungsträger weitervermittelt.
Bausteine für ein zukunftsfähiges Deutschland
In einem 15-monatigen Diskurs mit 250 Experten aus allen gesellschaftlichen Bereichen haben der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) "Bausteine für ein zukunftsfähiges Deutschland" erarbeitet.
Erfolgsrezepte für eine diskursive Politikgestaltung
Welche Erfolgsrezepte lassen sich für eine diskursive Politikgestaltung formulieren?
Es gilt daher, vor Einsetzung einer Kommission oder eines Rates genau zu klären, welcher Zweck verfolgt wird. Geht es um die Klärung von strittigen Sachfragen, um die Suche nach einem Ausgleich zwischen konkurrierenden Interessen oder um die Klärung normativer Fragen? In aller Regel sind diese Faktoren eng miteinander verwoben. In dem Fall gilt es, den Prozess in mehrere Teilabschnitte zu untergliedern, so dass beispielsweise zunächst über einen Prozess des "Joint Fact Finding" ein gemeinsames Verständnis des Problems (und insbesondere der Faktenlage) erzielt wird, um dann in einem zweiten Schritt unter Einbindung verschiedener (auch nichtorganisierter) Stakeholder-Gruppen Interessen- und Wertekonflikte herauszuarbeiten. Erst danach wird es möglich, gemeinsame Handlungsvorschläge zu formulieren und den vorhandenen Konsens vom verbleibenden Dissens zu unterscheiden.
Bei derartigen maßgeschneiderten diskursiven Politikberatungsprozessen gibt es Erfolgsrezepte, die es zu beachten gilt.
Unabhängige Leitung: Eine neutrale Moderation sichert "Verfahrensgerechtigkeit" und damit eine hohe Akzeptanz der Ergebnisse. Dadurch kann am besten sichergestellt werden, dass die betroffenen Personen unabhängig von ihrer Stellung in der Gesellschaft gleichermaßen Gehör finden, so dass die Qualität der Argumente, nicht das Drohpotenzial gesellschaftlicher Gruppen die Richtung der Diskussion bestimmt.
Prozessmanagement: Eine unabhängige Geschäftsstelle mit eigener Expertise verbessert in vielen Fällen die Qualität der Prozesse. So können Teilnehmer für Dialogprozesse über ein Konominationsverfahren nach transparenten Kriterien ausgewählt werden, bei dem durch ein Schneeballsystem Experten benannt werden, die über eine hohe Expertise verfügen, aber nicht zu den "üblichen Verdächtigen" zählen. Damit wird dem Trend entgegengewirkt, dass in vielen Räten und Kommissionen immer wieder die gleichen Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitnehmerverbänden oder den bekannten NRO aufeinander treffen. Eine moderne Geschäftsstelle ist zudem in der Lage, komplexe Beteiligungsprozesse zu managen und eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.
Methodenkompetenz: Gute Prozesse zeichnen sich dadurch aus, dass geeignete Methoden für die jeweilige Zielsetzung (kognitiver, reflektiver oder partizipativer Diskurs) angewandt werden. Das Wissen über alternative Verfahren (vom Szenario-Workshop bis zur Zukunftskonferenz) bildet den Methodenbaukasten, mit dem gearbeitet wird.
Klare Aufträge und ein politischer Motor: Für den Erfolg entscheidend ist zunächst, dass der Auftrag eines Gremiums klar benannt und eingegrenzt wird. Zum anderen zeigt sich, dass ein starker politischer Motor vorhanden sein muss. Der entsprechende Druck durch den Auftraggeber hilft dem Moderator, den Prozess zielorientiert zu strukturieren, ihn mit einem konkreten Ergebnis zu Ende zu führen und mit Ausstiegsdrohungen einzelner Teilnehmer umgehen zu können.
Transparente Spielregeln: Die Rahmenbedingungen des Diskurses sind für alle Beteiligten einsehbar, nachvollziehbar und plausibel zu begründen. Nur dies verhindert, dass Verfahrensfragen während des Prozesses diesen blockieren und durchkreuzen. Entscheidend hierbei ist, dass die Verfahrensregeln verbindlich festgelegt werden und keine beteiligte Gruppe eine Nachverhandlung erzwingen kann, wenn sie feststellt, dass der Prozess ihren Interessen zuwiderläuft. Auch Transparenz nach innen und außen für alle (Zwischen-) Ergebnisse ist eine Anforderung an diskursive Prozesse. Dabei ist zwischen diskursiver Politikgestaltung der Exekutive und der Legislative zu differenzieren. Die Anforderungen an Transparenz und Verfahrensgerechtigkeit sind bei Räten und Kommissionen, die vom Parlament eingesetzt werden, ungleich höher als bei Beratungsgremien der Exekutive. In diesem Punkt besteht in Deutschland Nachholbedarf. Orientierungen gibt zum Beispiel der US-amerikanische Administrative Procedural Act, der Standards für die Offenlegung des jeweiligen Mandats, für das Auswahlverfahren der Teilnehmer sowie für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit setzt.
Verfallsdatum: Alle Gremien neigen dazu, im Laufe der Zeit an Effektivität zu verlieren und die Komplexität des politischen Systems zu erhöhen. Es ist daher sinnvoll, Gremien bewusst für genau definierte Aufgaben zu schaffen und sie zeitlich zu befristen. Es wird vorgeschlagen, neu geschaffene Räte und Gremien von Beginn an mit einem "Verfallsdatum" zu versehen. Viele der heute bestehenden institutionalisierten Beiräte und Kommissionen könnten dann aufgelöst werden.
Politik in der modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft ist immer weniger allein Sache der Politiker. Diese werden zunehmend zu Entscheidungsmanagern. Problematisch ist, dass Politiker dafür in aller Regel schlecht vorbereitet sind. Die Herausforderung besteht darin, die Weichen so zu stellen, dass das Potenzial diskursiver Politikgestaltung besser genutzt werden kann. Der Weg dorthin führt nur über Lerneffekte und "Capacity Building". Es wäre daher wünschenswert, in der Zukunft Räte und Kommissionen nach neuen Spielregeln zu gestalten. Damit könnten erhebliche Effizienz- und Qualitätsgewinne in der Vorbereitung sowie bei der Umsetzung politischer Entscheidungen realisiert werden.