Vorbemerkungen
Vor gut zwei Jahren ist von Bund, Ländern und diversen Organisationen wie kommunalen Spitzenverbänden und Nichtregierungsorganisationen die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt
Bürger- und Beteiligungshaushalt;
Kommunale Partnerschaften;
Interkulturelle Kompetenzbildung;
Fairer Handel und kommunales Beschaffungswesen;
Kulturen der Welt vor Ort.
Diese fünf Themen werden im Folgenden als Chancen und Herausforderungen zur Stärkung der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit, d.h. als Potenzial zur Entwicklung kommunaler Nachhaltigkeitsstrategien, dargestellt.
Darüber hinaus fließen in den Beitrag erste Ergebnisse der Studie "Handlungsspielräume der deutschen Kommunen für Eine-Welt-Aktivitäten" ein, welche die Servicestelle im Jahr 2003 vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) erstellen ließ. Diese Studie wird derzeit ausgewertet. Untersuchungsgegenstand war die Ermittlung globaler Zusammenhänge in kommunalen (Pflicht-)Aufgaben. Dieses Vorgehen hat sich in einer Zeit tiefer Einschnitte in die kommunalen Haushalte geradezu aufgezwungen. Nur die radikale Neuorientierung in den kommunalen Aufgaben und Dienstleistungen ermöglicht eine konsequente Entwicklung kommunaler Nachhaltigkeitsstrategien.
Das Team der Servicestelle erarbeitet auf der Basis der Zukunftsthemen und der Studie hierzu - gemeinsam mit seiner Beteiligungsstruktur
- konstruktive Empfehlungen für die Arbeit in und mit Kommunalverwaltungen und -politik. Die oben genannten fünf Zukunftsthemen und die dazugehörigen Beratungstools für lokale Akteure sollen im Beitrag vorgestellt werden. Das Ziel besteht dabei darin, die kommunale Selbstverwaltung - ein Fundament deutschen Föderalismusverständnisses - wieder zu beleben. Kommunale Entwicklungszusammenarbeit - d.h. die Multikulturalität und Internationalität der deutschen Kommunen - ist dabei eine erstaunlich ergiebige Ressource, die bisher kaum genutzt wird. Mit den fünf oben genannten Zukunftsthemen soll der Handlungsspielraum der Kommunen erweitert werden. Der Bürger- und Beteiligungshaushalt
Lernen im Nord-Süd-Dialog
Transparenz und Bürgerbeteiligung erweitern den kommunalen Handlungsspielraum und die politische Gestaltung - trotz leerer Kassen
Ein aus Brasilien stammendes Modell,
das die Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen über den kommunalen Haushalt beteiligt, stößt injüngster Zeit auch in Deutschland auf großes Interesse. Haushaltssanierung; Steuern, die von den Bürgerinnen und Bürger für sinnvoll und notwendig erachtet werden; zufriedenere Menschen, die sich für ihre Stadt engagieren: Sind das Tagträume eines idealistischen Politikers? Erfahrungen der brasilianischen Hafenstadt Porto Alegre (1,4 Millionen Einwohner/innen), die sich bereits 1989 entschloss, ihre Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung des kommunalen Haushalts zu beteiligen, zeigen: Es geht! Nicht indirekt, mit einem Wahlzettel alle paar Jahre, sondern mit einem Verfahren, bei dem alljährlich jede/r mitreden und abwägen kann, lässt sich gute Kommunalpolitik machen. Zwar wird nicht über den Gesamthaushalt demokratisch verhandelt, aber über die wichtigen investiven Mittel, mit denen sich die Stadtentwicklung gestalten lässt.
Der Erfolg gibt den Initiatoren Recht. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die sich am Entscheidungsprozess in Porto Alegre beteiligen, steigt - 2003 waren es rund 100 000 Einwohner/innen. Porto Alegre wurde so zur "Hauptstadt der Demokratie" - ein Ehrentitel, den die Weltbank der Stadt 1996 verliehen hat. Die Infrastruktur hat sich erheblich verbessert, die Alphabetisierungsrate ist gestiegen und die Kindersterblichkeitsrate gesunken. Porto Alegre bietet die höchste Lebensqualität brasilianischer Städte. Kein Wunder also, dass dieses Modell zunächst in zahlreichen brasilianischen Städten Nachahmer fand und inzwischen auch die ersten deutschen Kommunen mehr Bürgerbeteiligung im Rahmen der Haushaltsaufstellung wagen.
Der Beteiligungshaushalt hilft dabei, die Glaubwürdigkeit von Politik zu erhöhen. Auf diese Weise wird das Wissen der Bürgerinnen und Bürger genutzt; außerdem bietet diese Methode gerade in Zeiten knapper Kassen eine Reihe von Vorteilen und Potenzialen. Diese liegen in
der gemeinsamen Gestaltung der schwierigen finanziellen Situation;
den konkreten Anregungen für Sparmöglichkeiten und alternative Einnahmequellen;
der Erhebung eines differenzierten Meinungsbildes zu geplanten Maßnahmen und investiven Vorhaben;
einer erhöhten Transparenz und Akzeptanz haushaltspolitischer Entscheidungen;
einem neuen Dialog zwischen Verwaltung, Politik und Bürgerschaft.
Wie funktioniert ein Beteiligungshaushalt?
Die demokratische Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger über den Beteiligungshaushalt erfolgt in mehreren Phasen. Die erste Phase dient der Analyse und Informationsaufbereitung. Es wird ermittelt, bei welchen Haushaltsmitteln es Spielräume gibt und wo eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen möglich ist.
Außerdem müssen die oft sehr komplexen Informationen über den Haushalt für die Öffentlichkeit verständlich aufbereitet werden. Dies stellt auch einen Zugewinn für lokale Politikerinnen und Politiker dar. Der nächste Schritt besteht in der Verbreitung dieser Informationen, zum Beispiel durch Flyer, Artikel in Tageszeitungen oder durch das Internet.
Anschließend geht es darum, die Meinungen und Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger zu den Haushaltsentscheidungen zu sammeln und über diese zu diskutieren. Hier sind sehr unterschiedliche Verfahren möglich. In Porto Alegre werden in dezentralen Verfahren in allen Stadtteilen Veranstaltungen und Diskussionsforen durchgeführt, deren Ergebnisse dann zusammengetragen werden. Erprobt wurden aber auch schon andere Methoden. So kann mit Fragebögen oder - etwa im schwäbischen Esslingen - mit dem Internet gearbeitet werden. Beim "Esslinger Haushalt im Dialog" gab es zwei internetgestützte und moderierte Diskussionsphasen, die sich über sechs Wochen erstreckten und an denen sich 150 Personen mit konkreten Vorschlägen beteiligten.
In der abschließenden Phase des Beteiligungshaushalts überprüfen Verwaltung und Politik die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger und nehmen davon auf, was ihnen möglich und sinnvoll erscheint. Anschließend wird dieser Haushaltsplan der Öffentlichkeit vorgestellt. Es wird über den Umgang mit den Vorschlägen der Bürgerinnen und Bürger berichtet und die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung der kreativen Ideen der Menschen begründet (s. die Abbildung 2 in der Printversion bzw. im PDF-Dokument zu dieser Ausgabe, Seite 35).
Wesentliche Erfolgsfaktoren für einen Beteiligungshaushalt sind die
Transparenz über die Finanzsituation;
verständliche Aufbereitung der Informationen;
Klarheit über das Ziel des Verfahrens ("kein Wunschkonzert");
aktive Einbindung von (Ober-)Bürgermeister/in,Stadtkämmerei und Gemeinderat ("Haushaltsrecht bleibt Königsrecht");
kreative und kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit;
Einbindung in den politischen Beratungsprozess und
Einbettung in bereits existente, freiwillige bürgerschaftliche Beteiligungsstrukturen.
In Deutschland haben bereits einige Kommunen den Beteiligungshaushalt erprobt, oder sie sind gerade dabei. Dazu gehören Groß-Umstadt, Langen (beide Hessen), Neustadt an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz), Erfurt, Esslingen, Nürtingen, Rheinstetten (alle Baden-Württemberg), Castrop-Rauxel, Emsdetten, Hamm, Hilden, Monheim am Rhein und Vlotho (alle Nordrhein-Westfalen). Und die allgemeine Aufmerksamkeit steigt, allein in Bayern zeigen 140 Kommunen Interesse am Beteiligungshaushalt.
Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt hat gemeinsam mit Städten, kommunalen Verbänden, mit aktiven Nichtregierungsorganisationen sowie wissenschaftlichen Experten ein bundesweites Netzwerk
zum regelmäßigen Erfahrungsaustausch ins Leben gerufen. Stärkung und Ausbau kommunaler Partnerschaften - Eine Welt beginnt vor Ort
Kommunale Partnerschaften erweitern die Lösungskompetenz von Politik, Verwaltung sowie Nichtregierungsorganisationen.
Im Unterschied zu den traditionellen Städtepartnerschaften betonen die lokalen Projektpartnerschaften und nachhaltigen Städtekooperationen die konkrete Zusammenarbeit in den verschiedensten kommunalen Handlungsfeldern. Die beteiligten Akteure, so zeigen die bisher ausgewerteten Beispiele, setzen auf Kooperation: auf das Von-einander-Lernen.
Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt fördert den Aufbau von Partnerschaften zwischen deutschen Kommunen und Gemeinden, Städten und Regionen in den Ländern des Südens. Dies geschieht zum Beispiel durch Fachgespräche, Konferenzen und konkrete Beratung bei der Vermittlung von Partnerkommunen. 2004 soll gemeinsam mit Spitzenverbänden und Nichtregierungsorganisationen ein Praxisleitfaden erstellt werden, der Kommunen konkrete Informationen zum Aufbau bzw. zur Wiederbelebung einer Partnerschaft vermittelt.
Bei der Erarbeitung des Praxisleitfadens lässt sich die Servicestelle von den Erfahrungen aus ihrer Beratungsarbeit leiten. Das Ziel besteht demnach darin, gelungene Vorgehensweisen auszuwerten und Erfolgsfaktoren für das Handeln vor Ort zu identifizieren.
Der europäische Vergleich zum Thema lokale internationale Beziehungen zeigt, dass Kommunen als bedeutenden Partnern bei der Umsetzung staatlicher entwicklungspolitischer Ziele bisher in Deutschland noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im Gegensatz zu den europäischen Nachbarn - etwa den Niederlanden, Großbritannien, den skandinavischen Ländern - gibt es in der Bundesrepublik, in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, noch keine Förderung kommunaler Partnerschaften.
Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt hatte deshalb Ende 2003 gemeinsam mit europäischen und internationalen Partnern zu einem ersten Bonner Policy Forum eingeladen: "New Directions in Local Development: Challenges and Perspectives in City-to-City-Cooperation".
Hier wurde über konkrete Förderansätze für Nord-Süd-Partnerschaften, die zum internationalen Erfahrungsaustausch bereits gefundener Lösungsansätze zu kommunalen Problemen sehr hilfreich sein können, diskutiert. Faires Miteinander - Die interkulturell kompetente Kommune im Jahr 2012
Die Nachfrage aus kommunalen Verwaltungen zu interkulturellen Themen wächst.
Die Servicestelle macht ebenso wie die kommunalen Spitzenverbände und andere Organisationen die Erfahrung, dass die Nachfrage nach interkulturellen Themen wächst. Für das steigende Interesse gibt es viele und vielfältige Gründe:
Probleme und Konflikte, die gelöst werden müssen;
die Erkenntnis, dass multikulturelles Zusammenleben eine Bereicherung des Lebens sein kann;
oder auch schlicht das Wissen, dass der Anteil der Migrant/innen an der Gesamtbevölkerung wächst, eine Beschäftigung mit ihrer Situation also immer wichtiger wird.
Zum Thema "Faires Miteinander" hat die Servicestelle bisher verschiedene Veranstaltungen organisiert und einen umfangreichen Praxisleitfaden herausgegeben.
Eine-Welt-Arbeit anzustoßen bedeutet auch, die Anwesenheit ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger als Chance für mehr Toleranz, größere Vielfalt und persönliche Bereicherung zu begreifen. Es ist möglich und notwendig, die schlummernden Potenziale, die in einer kulturelle Vielfalt liegen, zu wecken und zu nutzen, sowohl von Seiten der Mehrheitsgesellschaft als auch von Seiten der Minderheiten.
Die Kommunen haben dies begriffen und sind dabei, sich interkulturell zu öffnen. Es fehlt ihnen dabei allerdings noch an Erfahrung. "Zunehmend bekomme ich daher auch Anfragen, wie sich eine Kommune interkulturell öffnen könne", so Marieluise Beck, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Dies sei "ein deutliches Zeichen für einen Fortschritt und die breitere Einsicht, dass Migrantinnen und Migranten als Klientel wahrgenommen und in Planungsprozesse einbezogen werden sollen. Meine Zukunftsvision dazu ist", so Beck weiter, "dass gerade auf kommunaler Ebene - dort, wo Integration konkret gefördert oder behindert, in jedem Fall gelebt wird - sich Planungs-, Beratungs- und Regierungsstellen unter Einbeziehung der lokalen Migrantenorganisationen zusammentun und gemeinsam die Zukunft der Kommunen gestalten."
Faires Beschaffungswesen - Der kommunale Beitrag zur Ausweitung des Fairen Handels
Fair gehandelter Kaffee wird bisher nur in den wenigsten Rathauskantinen getrunken.
Wie lässt sich der Anteil fair gehandelten Kaffees erhöhen, und wie kann erreicht werden, dass Kommunen auch andere Produkte "fair" einkaufen? Damit beschäftigt sich die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt in Kooperation mit verschiedenen Partnern. Durch Veranstaltungen und Publikationen sollen Kommunen motiviert werden, bei der Beschaffung auch das Kriterium des Fairen Handels zu berücksichtigen.
Die Ausweitung des Fairen Handels gewinnt übrigens auch in der Politik der Bundesregierung an Bedeutung. In der laufenden Legislaturperiode hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit 6,5 Millionen Euro das bisher größte Budget zur systematischen Verbreitung des Fairen Handels bereitgestellt. Die Gelder fließen unter anderem in die Kampagne "Fair feels good". Damit soll der Käuferkreis für faire Produkte vergrößert werden.
Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt ist als Gründungsmitglied des Forums Fairer Handel (gegründet 2002) mit der Intention angetreten, die Bedeutung der kommunalen Ebene beim Prozess der Stärkung des Fairen Handels zu erhöhen. Dort, wo eine Kooperation zwischen den wesentlichen Akteuren - Politik, Verwaltung, Eine-Welt-Initiativen - vor Ort gelingt, erreicht der Faire Handel gute Marktwerte (z.B. beim Kaffee oder bei fairer Karnevalskamelle). Im Rahmen der so genannten Fairen Wochen
werden jährlich mehrere gemeinsame Veranstaltungen der Akteure realisiert. Die gefundenen Gemeinsamkeiten stärken das Selbstverständnis aller und binden die Eine-Welt-Gruppen sinnvollerweise in das Leben einer Stadt kreativ ein.
Über die Durchführung von Wettbewerben erfährt auch dies eine Stärkung. So konnten die genannten Aspekte durch den 2003 erstmals durchgeführten Wettbewerb "Hauptstadt des Fairen Handels" bundesweit verdeutlicht werden.
Kulturen der Welt vor Ort - ein reizvolles Thema für Stadt und Land
Kultur spielte lange Zeit in Agenda-Prozessen und Eine-Welt-Arbeit kaum eine Rolle.
Hier lässt sich eine Trendwende beobachten, denn Kultur mobilisiert Kreativität, bietet (Werte-)- Orientierung, kann Ideen und Ziele für ein gutes Zusammenleben sinnlich vermitteln. Nicht zuletzt ist der Dialog der Kulturen eine wichtige Voraussetzung für eine humane und zukunftsfähige Gestaltung der Globalisierung. Gründe genug für die Servicestelle, sich dem Thema Weltkulturarbeit verstärkt zu widmen.
Die Diskussion um Deutschland als Einwanderungsland beherrscht seit Jahren die öffentliche Diskussion: Fragen der Zuwanderung und Probleme des "Multikulturalismus" sind - nicht zuletzt durch die Kopftuchdebatte - zu zentralen Fragen der Politik geworden. Die Präsenz der Kultur der Migrantinnen und Migranten und die Bereitschaft seitens der Politik oder seitens der deutschen Bevölkerung, diese wahrzunehmen, war jedoch bisher eher schwach. Dies beginnt sich zu ändern und schlägt sich in einer Vielzahl von Konzepten und Zielaussagen im Kontext der Globalisierungsdebatte, der Überlegungen zu einer Strategie der Nachhaltigkeit oder der Agenda-Diskussion nieder. Auch Kommunen sind in diesem Feld aktiver tätig, als landläufig bekannt ist. Wie ernsthaft und nachhaltig an die Umsetzung der neuen Strategien herangegangen wird, wird sich zuallererst auf kommunaler und lokaler Ebene zeigen.
Mit dem neuen Leitfaden "Kulturen der Welt vor Ort" will die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt gemeinsam mit dem Verein Kultur Transnational eine Brücke zur Praxis schlagen und konkrete Hinweise für Eine-Welt-Kulturarbeit auf kommunaler und lokaler Ebene geben. Die lokalen und übertragbaren Praxisbeispiele sollen Mut machen für eigene Initiativen, und da wir in Deutschland vielfach dazu neigen, Reformprozesse mit puritanischer Ernsthaftigkeit anzugehen, sei auch gesagt, dass die Begegnung mit Kunst und Weltbildern anderer Kulturen auch Freude machen kann!