Einleitung
Kinder leben und lernen in Familie und Schule. Diese soziale Tatsache wird erst öffentlich kommentiert, wenn der funktionale Zusammenhang bzw. die gesellschaftliche Arbeitsteilung von Familie und Schule nicht mehr im erwarteten Maße gegeben ist - was derzeit der Fall ist. Durch den gesellschaftlichen Wandel der Familie ist das Verhältnis von Familie und Schule zwar historisch nicht zum ersten Mal, aber aktuell mit deutlicher Frontenbildung wieder zur Streitsache geworden. Ein Blick auf empirische Studien über Lehrerurteile zur Familie bestätigt dies.
Ich nehme den familialen Wandel in meinen weiteren Ausführungen in den Blick und frage nach der Auswirkung auf den Schulerfolg von Kindern.
Zur Analyse der Frage stelle ich empirische Ergebnisse aus der Bamberger Längsschnittstudie "Familienänderung und Schulerfolg" vor.
- 1996 in einer ersten Welle Daten zu 910 Schulkindern aus der zweiten und vierten Jahrgangsstufe, d.h., die Kinder waren im Alter von ca. acht bis zehn Jahren, und
- 1998 in einer zweiten Welle Daten zu denselben Schulkindern, die nun in der vierten und sechsten Jahrgangsstufe bzw. zehn bis zwölf Jahre alt waren (im Falle von Wiederholern wurden auch die Jahrgangsstufen drei und fünf einbezogen).
Es wurden sowohl in der ersten als auch in der zweiten Welle jeweils die Daten der gesamten Klasse erhoben. Die zweite Welle fand statt, nachdem die Schüler/innen der vierten Jahrgangsstufe (aus der ersten Welle) von der Grundschule in dieweiterführenden Schulen (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) übergetreten waren. Die neue Klasse, in die die übergetretenen Schüler/innen eingeschult wurden, wurde ebenfalls mit in die Studie aufgenommen (das Sample vergrößerte sich dadurch auf N = 3072). Mit dieser Erhebungsweise soll gewährleistet werden, dass der biografische Weg dieser Schulkinder in allen Schularten gesichert nachvollzogen werden kann und Schuleffekte angemessen kontrolliert werden können. Befragt wurden Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und die Schülerinnen und Schüler selbst.
Biografische Familienereignisse von Kindern
Familialer Wandel führt zu einer Destandardisierung von Familienbiografien und fordert von den Kindern besondere Bewältigungskompetenzen. Die Destandardisierung der Familienbiografien geht mit Familienereignissen einher, welche die traditionelle Zusammensetzung der Familie - Mutter, Vater, Kind - verändern und zur Transformation in eine neue Familienform führen. Heute leben durchschnittlich 20 Prozent aller Kinder im Alter von zwölf Jahren in Familien, die meistenteils nach einer Trennung der Eltern entstanden sind und nicht der traditionellen Form entsprechen, nämlich bei alleinerziehenden Eltern und in sozialen Familien, so genannten Stieffamilien oder Adoptiv- und Pflegefamilien. In den städtischen Regionen erhöht sich ihr Anteil auf ein Drittel, bezogen auf einzelne Schulen kann sich das Verhältnis zwischen traditionellen und nicht traditionellen Familien sogar umkehren. Wann und wie erleben Kinder so genannte "kritische" Familienereignisse wie Trennung, Scheidung, Zusammenzug des Elternteils mit einem neuen Partner bzw. einer neuen Partnerin, (Wieder-)Verheiratung, Geburt eines Halbgeschwisters? Gibt es zyklische Häufungen von Familienereignissen?
Trennung und Scheidung
Betroffen von solchen Ereignissen sind jährlich ca. 150 000 Kinder - mit steigender Tendenz (2002: 160 095 Kinder lt. Statistisches Bundesamt 2003). Zwölfjährige Kinder (Geburtskohorte 1986 - 1988) unterliegen einem Trennungsrisiko von ca. 15 Prozent. Sie erfahren die Scheidung ihrer Eltern zu etwas über 10 Prozent, d. h., nicht jede Trennung führt zu Scheidung; entweder weil die Eltern nichtehelich zusammengelebt haben oder weil die Scheidung nicht bis zu diesem Alter des Kindes ausgesprochen wurde oder auch nie eintritt. 2,9 Prozent Kinder dieser Altersgruppe erleben öfters die Trennung oder Scheidung ihres Elternteils.
Das Trennungsrisiko
- ist abhängig davon, ob das Kind ein Einzelkind ist oder Geschwister hat: Einzelkinder erleben doppelt so häufig die Trennung bzw. Scheidung ihrer Eltern (23,2 Prozent) wie Kinder mit Geschwistern (11,6 Prozent).
- nimmt bis zum Alter von neun bis zehn Jahren stetig zu und flacht danach allmählich ab. Von allen Kindern, die mindestens eine Trennung bzw. Scheidung ihrer Eltern im Alter bis zwölf Jahre erlebt haben, beträgt das Trennungsrisiko ca. 28 Prozent im Vorschulalter und kumuliert bis zum Übertrittsalter auf über 80 Prozent aller betroffenen Kinder. Das Risiko, eine elterliche Trennung zu erleben, ist folglich in der Grundschulzeit am höchsten.
Zusammenzug bzw. (Wieder-)Verheiratung
5,2 Prozent der Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren erleben die (Wieder-)Verheiratung des Elternteils, bei dem sie überwiegend leben; über 8 Prozent erleben entweder einen Zusammenzug oder eine Heirat und weitere 0,9 Prozent mehrere Zusammenzüge bzw. Heiraten. Etwa die Hälfte der Kinder lebt folglich nach Trennung bzw. Scheidung ihrer Eltern in einer neuen, sozialen Familie.
Deren Gründung findet zu 50 Prozent bis zum neunten Lebensjahr der Kinder statt und gehäuft im Zeitraum ihres Übertritts in eine weiterführende Schule im Alter von zehn bis zwölf Jahren.
Geburt eines Halbgeschwisters
Die Geburt eines Halbgeschwisters erleben fast zwei Prozent aller Kinder bis zwölf Jahre. Diese ereignet sich bis zu 75 Prozent im Laufe des Vor- und Grundschulalters.
Trennung bzw. Scheidung und Zusammenzug bzw. (Wieder-)Verheiratung sind in Kinderbiografien Familienereignisse, die zeitlich nacheinander passieren und sich in zwei bis drei Zyklen darstellen lassen:
- Trennung in der Vorschulzeit und Neugründung einer sozialen Familie bis zur Einschulung.
- Trennung im Grundschulalter und teilweise Neugründung einer Familie bis zum Übertrittsalter. Dieser Zyklus trifft für die meisten betroffenen Kinder zu.
- Zunahme der Neugründungen von sozialen Familien nach dem Übertritt in die weiterführenden Schulen.
Das Grundschulalter und das Übertrittsalter sind dementsprechend sowohl schulisch als auch familiär stark belastete Altersstufen bei Schulkindern der Moderne.
Auswirkung der Familienereignisse auf das sozialemotionale und Leistungsverhalten von Kindern
Im Familienereignis-Modell (vgl. Abbildung 1, s. PDF-Version) werden Bewältigungsmuster von Trennungskindern mit unterschiedlichen weiteren kritischen Familienereignissen verglichen.
Das Modell dokumentiert ein "Abrutschen" sowohl des sozialemotional bedingten Problem- als auch des Leistungsverhaltens unter die durchschnittliche Bewertung,
Zusammenfassend ist zu konstatieren: Das sozialemotionale und das Leistungsverhalten entwickelt sich nach Auffassung der Eltern nicht unmittelbar parallel. Zwar lässt sich im Modell sukzessive und bis zur Heirat auch nachhaltig eine Konsolidierung des sozialemotionalen Verhaltens nachweisen, aber diese erfolgt bedeutend langsamer als jene des Leistungsverhaltens. Bei Eintritt neuer Familienereignisse ist jedoch die Gefahr der Destabilisierung des Leistungsverhaltens deutlich erhöht. Den Daten ist schließlich leicht zu entnehmen, dass eine Durchschnittsrechnung, die keine methodische Rücksicht auf die differenten biografischen Ereignisse nimmt, die Effekte ausgleicht. Dies kann eine mögliche Erklärung für die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse zu Scheidungskindern sein.
Mädchen und Jungen zeigen signifikant unterschiedliche Bewältigungsstrategien: Das sozial-emotionale Verhalten von Mädchen wird als weniger problematisch wahrgenommen als das von Jungen: Während Mädchen im Allgemeinen introvertierter und depressiver reagieren und folglich weniger auffällig erscheinen, sind Jungen extrovertierter und aggressiver. Das Selbstwertgefühl der Mädchen sinkt. Obwohl sich im Leistungsverhalten kein signifikanter Geschlechterunterschied feststellen lässt, gibt es jedoch einen deutlichen Unterschied beim Schulerfolg.
Biografischer Verlauf von Familienereignissen und Schulkarrieren - zwei Fallstudien
Die folgenden Fallstudien von Anna und Fritz
- Das sozialemotionale Verhalten beider Kinder wird als problematisch eingestuft.
- Beide Familienbiografien sind aufgrund von Trennung, Scheidung und Zusammenzug bzw. Wiederverheiratung der Eltern komplex.
- Die Schulkarrieren verlaufen entgegengesetzt, also einmal erfolgreich und einmal nicht: Die Daten von Anna und Fritz wurden 1996 in der ersten Welle in der Grundschule und 1998 in der zweiten Welle in der Sonderschule und im Gymnasium erhoben.
Fritz ist ein Pendelkind. Er lebt abwechselnd bei Mutter und Vater. Die Eltern von Fritz haben beide Abitur. Der Vater ist Vollzeit erwerbstätig. Die Mutter studierte zum Zeitpunkt der ersten Welle noch und war in der zweiten Welle Vollzeit erwerbstätig. Fritz erlebt die Trennung seiner Eltern mit fünf Jahren, die Scheidung wie auch den Zusammenzug des Vaters mit einer neuen Partnerin mit sieben Jahren und ein Jahr später den Zusammenzug der Mutter mit einem neuen Partner.
Anna lebt bei der Mutter. Ihre Mutter war in der ersten Welle arbeitslos, in der zweiten Welle Teilzeit erwerbstätig. Sie hat Hauptschulabschluss; der Vater war Vollzeit erwerbstätig und hat ebenfalls Hauptschulabschluss. Anna erlebt die Scheidung ihrer Eltern mit drei Jahren, einen ersten Zusammenzug ihrer Mutter mit einem neuen Partner mit vier und einen zweiten mit fünf Jahren. Sowohl Anna als auch Fritz reagieren auf die unsicher gewordene Familiensituation nach der Trennung ihrer Eltern mit Gehorsamsverweigerung: Fritz' Mutter erzählt von "Disziplinschwierigkeiten", und Annas Mutter meint, dass "das Kind stur und aggressiv geworden ist". Das Leistungsverhalten von Anna und Fritz wird zum Zeitpunkt des Ereignisses bzw. zu Beginn der Schulzeit negativ beurteilt: Zum Zeitpunkt des Zusammenzugs des Vaters und auch der Mutter mit jeweils neuen Partnern geht Fritz bereits in die zweite bzw. dritte Klasse. Die Mutter berichtet von "Tagträumerei" und dass er "unkonzentriert" sei. Das Leistungsverhalten von Anna wird bereits in der ersten Klasse von ihrer Mutter als sehr schlecht beurteilt. Anna und Fritz zeigen in der Intensität ihres Problemverhaltens zum bzw. nahe am Ereigniszeitpunkt ein ähnlich problematisches sozialemotionales und Leistungsverhalten.
Der Konsolidierungsverlauf bis zum Zeitpunkt der ersten Welle ist jedoch deutlich zu unterscheiden. Die Mutter von Fritz bescheinigt ihm zu dieser Zeit (er ist nun elf Jahre alt) soziale Kompetenz im Umgang mit Familienproblemen. Ihr fällt auf, dass er "mit zunehmendem Alter seine Probleme eher rational löst ... Er trennt die Welt von Schule und Haushalt bei mir/Haushalt beim Vater emotional voneinander".
Der Grundschullehrer aus der ersten Welle begründet sein Urteil über Fritz mit dem Elternhaus: "Eltern stehen vor der Scheidung." Fritz sieht er "sehr willig, aber oft oberflächlich und wenig fleißig". Trotzdem gelingt Fritz der Übertritt in das Gymnasium.
Die Mutter von Anna dagegen verweist darauf, dass deren Verhalten nach wie vor schwierig sei, allerdings erweist sich ein Hortwechsel als günstig: Das "soziale Verhalten des Kindes nach dem Hortwechsel ab der 2.Klasse wurde besser, auch im Freundeskreis".
Anna bleibt besonders auffällig, dies führt ein Jahr nach der ersten Welle mit 11Jahren zu einer Heimeinweisung, und sie wiederholt die Klasse. Die Ursache von Annas Problemen sieht der Grundschullehrer ebenfalls im "problematischen Elternhaus": "Die Mutter ist allein erziehend, hat aber einen Partner." Er urteilt, dass Anna "unkonzentriert, nicht sehr belastbar, unruhig, besonders auffällig, unheimlich zappelig ist ... Bei einer Klassenfahrt wollte niemand mit Anna im Zimmer sein. Das Mädchen hat nicht viele Freunde aus der Nachbarschaft, die Lerninhalte überfordern sie."
Die weitere Entwicklung des Verhaltens bis zur zweiten Welle verdeutlicht, dass auch bei Fritz die Familienproblematik weiterhin besteht. Nun ist Fritz 13Jahre alt; seine Mutter und sein Vater sind beide seit einem Jahr wieder verheiratet. Der Vater verweist darauf, dass Fritz' Leistungen sich verschlechtert haben. Er teilt mit: "Kind lebte bei mir und bei leiblicher Mutter, wollte ganz zu mir."
Der Gymnasiallehrer aus der zweiten Welle bescheinigt Fritz sowohl Leistungs- als auch soziale Probleme, er erweist sich jedoch als integrationsfähig: "Der Schüler kommt mit dem gymnasialen System besser zurecht, er war letztes Jahr aggressiver, hatte zuerst Schwierigkeiten Freunde zu finden, hat sich in die Klassengemeinschaft eingeordnet und hat nun Kontakt zu zwei anderen Schülern."
Die Entwicklung von Anna zeigt bis zur zweiten Welle - und nach der Heimeinweisung - erste Fortschritte. Anna ist nun 12Jahre alt, und die Mutter meint, dass "das Mädchen selbstbewusster würde".
Anna wird in die Förderschule für Erziehungshilfen überwiesen. In der zweiten Welle verweist der Förderschullehrer zwar immer noch auf schwerwiegende Probleme bei Anna, dokumentiert jedoch ebenfalls eine Besserung ihres sozialemotionalen Verhaltens: "Anna möchte immer im Vordergrund stehen, sie hat Streit mit anderen Schülern. Andererseits hilft sie schwachen Schülern, auch im Schulbus. Sie bricht das Vorhaben ab, wenn sich nach kürzerer Zeit kein Erfolg einstellt; sie macht durch vorlaute Äußerungen auf sich aufmerksam. Im 2.Halbjahr ist eine deutliche Besserung eingetreten."
Obwohl beiden Scheidungskindern Konzentrationsschwächen und Disziplinprobleme bescheinigt werden, sind ihre Schulkarrieren extrem unterschiedlich. Die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten ergeben sich nach diesen Fallstudien aus der unterschiedlichen sozialemotionalen Kompetenz der beiden Schulkinder: Fritz zeigt trotz vorhandener Probleme bereits vor dem Übertritt in die weiterführende Schule die Fähigkeit zur Distanz und damit Ich-Stärke, während Anna mit mangelndem Selbstwertgefühl und Anerkennungsproblemen kämpft. Bei Anna erfolgt die Stabilisierung - aus dem Blickwinkel der schulischen Selektionsschwellen - im Grunde zu spät, um eine negative Schulkarriere abwenden zu können. Zusätzlich belegt der biografische Verlauf bei Anna, dass die Wiederholung der Klasse wirkungslos war.
Soziale Unterstützungsfaktoren lassen sich sowohl bei Anna als auch bei Fritz ausfindig machen: Bei Anna macht sich - allerdings zu spät - die sozialpädagogische Unterstützung (nach Heimeinweisung) positiv bemerkbar. Fritz ist im Vergleich zu Anna "privilegiert"; er ist durch sein bildungsnahes Elternhaus abgesichert.
Diese beiden Fälle dokumentieren, dass es bei vergleichbaren Familienbiografien zu gegenläufigen Schulkarrieren kommen kann. Welchen Schulerfolg haben Kinder mit ähnlichen Familienbiografien im Durchschnitt zu erwarten?
Schulerfolg von Schülerinnen und Schülern mit differenter Familienbiografie
Aus Abbildung 2 (s. PDF-Version) geht hervor, dass Kinder von Alleinerziehenden, aus sozialen (so genannten "Stieffamilien") und sonstigen Familien (Adoptiv- und Pflegefamilien) gegenüber Kindern aus Familien, in denen das Kind bei beiden leiblichen Eltern lebt, beim Schulerfolg benachteiligt sind.
Im Durchschnitt finden sich fast 22 Prozent der Kinder in Familien, die nach Trennung bzw. Scheidung bzw. nach der Gründung einer sozialen Familie entstanden sind. Diese Relation entspricht etwa dem Anteil dieser Gruppe von Kindern in der Grundschule. Im Gymnasium reduziert sich ihr Anteil auf ca. 16 Prozent. Nimmt man die Grundschule, in die alle Kinder eingeschult werden, als Maßstab, dann ergibt sich im Gymnasium eine Quote für Kinder aus nicht traditionellen Familien von ca. 75 Prozent. In der Realschule bleibt der Anteil mit ca.20 Prozent unterrepräsentiert; in der Hauptschule ist er dagegen mit über 25 Prozent überrepräsentiert, die Quote steigt auf ca. 117 Prozent. Sehr auffällig ist die Verdoppelung der Quote der Kinder aus nicht traditionellen Familien in der Förderschule bzw. den Schulen für Erziehungshilfen mit einem Anteil von über 44 Prozent.
Kinder von Alleinerziehenden sind in der Hauptschule überrepräsentiert; noch stärker vertreten sind Kinder aus sozialen Familien: Ihr Anteil verringert sich im Gymnasium auf die Hälfte; in der Realschule und auch in der Hauptschule bleibt er annähernd gleich, in der Förderschule hingegen verdoppelt er sich. Die sonstigen Familien haben hier sogar einen fast vierfachen Anteil.
Eine Differenzierung nach Geschlecht dokumentiert, dass Mädchen stärker benachteiligt sind als Jungen und bestenfalls mittlere Bildungsabschnitte erreichen. Im Gymnasium verringert sich der Gesamtanteil der Mädchen aus nicht traditionellen Familien auf ca. 14 Prozent, während er bei den Jungen bei 19 Prozent liegt. Die Gymnasialquote der Mädchen aus sozialen Familien ist mit 47 Prozent die niedrigste bei den nicht traditionellen Familien; die der Jungen liegt bei 72 Prozent. Die Mädchen aus sozialen Familien erreichen eine Quote von 110 Prozent in der Realschule, die vergleichbaren Jungen ca. 78 Prozent. Die Jungen von Alleinerziehenden können mit ihrer Gymnasialquote von 104 Prozent sogar mit den Jungen aus den traditionellen Familien gleichziehen, die Mädchen schaffen nur 68 Prozent.
Die Erklärung für dieses empirische Ergebnis liegt erstens darin, dass Schwierigkeiten bei der Bewältigung von kritischen Familienereignissen mit problematischem Verhalten einhergehen. Dieses liegt signifikant deutlicher im sozialemotionalen Bereich als im Leistungsverhalten der betroffenen Schülerinnen und Schüler. Zweitens fließt das sozialemotionale Verhalten mit in die Benotung ein: Mit einer Zunahme problematischen Verhaltens sinken die Noten in allen zentralen Fächern.
Sozial- und bildungspolitische Handlungsperspektiven
Die Daten belegen die schwierige biografische Situation von Schulkindern im Grundschulalter und in der Zeit des Übertritts in die weiterführenden Schulen: Die Schule scheint nicht in der Lage zu sein, zum gegebenen Zeitpunkt die erforderliche Hilfe zu leisten. Das Verhältnis von Familie und Schule verschiebt sich unter diesen Bedingungen: Die Schule beförderte durch die Bildungsexpansion Emanzipationsbestrebungen in der Familie.
1. eine sozialpädagogische Ausrichtung der Schule: Diese kann im Rahmen des Ausbaus zur Ganztagsschule auch in der Grundschule pädagogisch konstruiert werden. Die sozialpädagogische Ausrichtung soll zum einen in erweiterten diagnostischen Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer zum Ausdruck kommen und deshalb Teil der Aus- und Weiterbildung sein. Zum anderen ist eine Erweiterung der Kooperation von Schule und Jugendhilfe anzustreben. Die sozialpädagogische Unterstützung - und zwar vor Ort in der Schule als Schulsozialarbeit - kann Kinder in ihren sozialemotionalen Kompetenzen fördern und damit auch Familienschwächen ausgleichen helfen.
2. Elternbildung und Elternarbeit: Der gesellschaftliche Wandel stellt Eltern heute vor neue Aufgaben und Pflichten, die nicht mehr aus Tradition und Norm abzuleiten sind. Erziehungskunst muss gelernt werden. Zum einen ist die Schule als Träger allgemeiner Bildung gefordert, diese Aufgabe wahrzunehmen und Unterricht in Erziehungslehre anzubieten. Die Erweiterung erzieherischer Kompetenzen kann und soll auch in anderen allgemeinen Bildungseinrichtungen der Erwachsenenbildung erfolgen. Zum anderen muss in den Schulen vermehrt Elternarbeit stattfinden. Lehrerinnen und Lehrer sind in Aus- und Weiterbildung auf Elternarbeit unter den gegebenen Bedingungen des familialen Wandels vorzubereiten.
3. Elternpartizipation in der Schule: Eltern sollen sich, um das Wohl ihrer Kinder besser vertreten zu können, stärker in die Schule einbringen. Die Schule muss hierfür einen größeren Rahmen zur Elternpartizipation gewähren. Elternpartizipation soll sich sowohl auf Entscheidungsprozesse als auch auf eine betreuende Mitarbeit in der Schule beziehen.
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