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Ethische Aspekte nanotechnologischer Forschung und Entwicklung in der Medizin

Christoph Baumgartner

/ 22 Minuten zu lesen

Die Nanotechnologie hat in der Medizin die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten erweitert. Welche ethischen Probleme ergeben sich aus dieser Entwicklung?

Einleitung

Nanotechnologie ist ein relativ junges, jedoch zunehmend wichtigeres Forschungsfeld. Seit der Physiker Richard Feynman in einer berühmt gewordenen Rede mit dem Titel "There is Plenty of Room at the Bottom" 1959 erläuterte, warum er die direkte und gezielte Manipulation von Atomen und Molekülen für prinzipiell möglich hielt, und so den historischen Grundstein für die Erforschung des Nanokosmos legte, hat sich die Nanotechnologie derart rasant entwickelt, dass ihr heute der Rang einer Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts zugesprochen wird. Ihr wird das Potenzial zu einer Transformation ganzer Technologiefelder zugetraut. Der von ihr zu erwartende Einfluss auf Gesundheit, Wohlstand und Lebensstandard der Menschen wird von dem Chemie-Nobelpreisträger Richard Smalley, einem der führenden Wissenschaftler im Bereich der Nanotechnologie, mit den Auswirkungen verglichen, die Technologien wie die Mikroelektronik, bildgebende Verfahren in der Medizin und künstliche Polymere gemeinsam im 20. Jahrhundert zeitigten.

Doch was ist unter Nanotechnologie zu verstehen? Für den Begriff Nanotechnologie gibt es zwar keine einheitliche Definition, doch kann festgehalten werden, dass ihr Gegenstand die Erforschung und Entwicklung von Systemen, Strukturen, Oberflächen und anderen funktionalen Elementen in einem Größenbereich von weniger als 100 Nanometern (nm) ist. Ein Nanometer entspricht definitionsgemäß einem milliardstel Meter (= 10-9 m). Zum Vergleich: Eine Linie von zehn aneinander gereihten Wasserstoffatomen (den kleinsten Atomen) ist 1 nm lang; der Durchmesser eines roten Blutkörperchens beträgt ca. 5 000 nm. Das Ziel der Nanotechnologie besteht jedoch nicht einfach in fortschreitender Miniaturisierung. Es geht vielmehr darum, einen Größenbereich dem aktiven und kontrollierten Zugriff zu erschließen und technisch nutzbar zu machen, in dem neue und bislang unzugängliche chemische, elektronische, magnetische, mechanische und optische Eigenschaften auftreten, die insbesondere aus quantenphysikalischen Effekten resultieren.

Gestützt durch eine gezielte weltweite Förderpolitik wurde der Forschungsprozess mittlerweile so weit vorangetrieben, dass die Erkundung des Nanokosmos über reine Grundlagenforschung hinaus geht und zu Recht von Nanotechnologie gesprochen wird. Zahlreiche konkrete Anwendungen befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Entwicklungsprozesses und haben zum Teil schon Eingang in die Lebenswelt des Menschen gefunden. Neben Informations- und Datenverarbeitung, Raumfahrt, Landwirtschaft, Umweltschutz und Militär gehört nicht zuletzt der ethisch besonders sensible Bereich der Medizin zu denjenigen Bereichen, in denen man sich entscheidende Entwicklungen von der Nanotechnologie erhofft.

Nanotechnologe und Medizin

Die für lebendige Organismen maßgeblichen Prozesse spielen sich wesentlich im Nanometermaßstab ab, elementare biologische Einheiten wie zum Beispiel DNA, Proteine oder Zellmembrane liegen in dieser Größenordnung. Durch die Nanotechnologie wird angestrebt, diese biologischen Einheiten besser zu verstehen und nach Möglichkeit gezielt zu steuern. Die Miniaturisierung bis hinunter auf die Nanoskala verspricht daher ein wesentliches Merkmal biomedizinischer Produkte und Verfahren in der Postgenomics-Ära zu werden. Die erhofften Möglichkeiten, die durch nanoskalige Produkte und Verfahren erschlossen werden sollen, stellen dabei in vielen Fällen keine vollständig neuen Entwicklungen dar. Vielmehr sollen durch den Einsatz der Nanotechnologie bei bereits heute auf der Makro- oder Mikroebene verwendeten Entwicklungen große Fortschritte erzielt werden. Die Nanotechnologie gilt daher als enabling technology: Entscheidende Weiterentwicklungen bereits bekannter Produkte und Verfahren werden durch den Einsatz von Nanotechnologie ermöglicht, auch wenn man dem Produkt nicht in allen Fällen auf den ersten Blick "ansieht", dass es sich dem Einsatz von Nanotechnologie verdankt. Darüber hinaus resultieren Entwicklungen insbesondere im Bereich der Lebenswissenschaften häufig aus der Konvergenz verschiedener moderner Technologien, die durch die Nanotechnologie ermöglicht wird. Neben der Nano- sind hier vor allem die Bio- und die Informationstechnologie sowie die Kognitionswissenschaft (engl. Cognitive (Neuro-)Science) von Bedeutung - in diesem Zusammenhang ist von NBIC-Technologies die Rede.

Die Hoffnungen, die mit nanotechnologischen beziehungsweise NBIC-Entwicklungen im Bereich der modernen Medizin verbunden werden, sind immens. So soll der Einsatz nanoskaliger Diagnosetechniken die Identifikation von Krankheiten bereits während ihres Entstehens und in der Folge eine gezielte Intervention ermöglichen, bevor die betreffende Krankheit symptomatisch erkannt werden könnte. Auch im Bereich der genetischen Diagnostik sind von der Nanotechnologie bedeutende Entwicklungen zu erwarten. Nanoskalige Verfahren unterstützen hier eine Entwicklung, die schon in naher Zukunft in Bereiche vordringen könnte, die für viele Menschen heute noch unvorstellbar sind: Es wird erwartet, dass im Jahr 2020 ein Test, der eine vollständige "genetische Karte" (genetic map) bereitstellt, ein Standardtest sein wird, vergleichbar einem heutigen Bluttest.

Nanopartikel sollen in Zukunft auch als Drug-Delivery- und Drug-Targeting-Systeme fungieren: Sie werden aufgrund ihrer Kleinheit vom Immunsystem des menschlichen Körpers nicht erkannt, migrieren unterhalb einer bestimmten Größe durch Zellwände und sind dazu in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Diese Eigenschaften sollen genutzt werden, um nanoskalige "Fähren" zu entwickeln, die hochwirksame Pharmazeutika passgenau an ihren Bestimmungsort positionieren und dort freisetzen. Auf diese Weise könnten zum einen Pharmazeutika eingesetzt werden, bei denen dies zum Beispiel aufgrund ihrer mangelnden Löslichkeit bisher nicht möglich ist. Zum anderen könnten durch die beschriebene Methode Nebenwirkungen minimiert werden, da Medikamente auf diese Weise in geringsten Dosen und nur an ihrem konkreten Wirkungsort im menschlichen Körper freigesetzt werden würden.

Im Bereich der Krebstherapie werden magnetische Nanopartikel gelöst und in einen Tumor gespritzt. In einem magnetischen Wechselfeld werden Krebszellen durch die zuvor von ihnen aufgenommenen Nanopartikel erhitzt, ohne dass sich das sie umgebende gesunde Gewebe in gleicher Weise erwärmt. Durch die Erwärmung stirbt das Tumorgewebe ab (Magnetflüssigkeitshyperthermie).

Mit Hilfe nanotechnologischer Materialien könnte es darüber hinaus möglich werden, biokompatible Implantate zu entwickeln, die von der körpereigenen Immunabwehr nicht als Fremdkörper erkannt und infolgedessen nicht abgestoßen werden. Entsprechende Versuche erstrecken sich auch auf die Entwicklung künstlicher Gliedmaßen (möglicherweise mit neuen Funktionalitäten), die durch körpereigene Signale steuerbar sein sollen, auf die Entwicklung komplexer Organe sowie auf die Wiederherstellung des Seh- oder Hörvermögens. Eine zunehmend wichtigere Rolle könnten zukünftig biologisch-technische Schnittstellen als Basis für möglichst direkte Formen des Informationsaustausches zwischen menschlichem Körper und Maschinen spielen. Neuroprothesen oder Information- & Communication-Technology-Implantate (ICT-Implantate) sollen es eines Tages erlauben, durch neurodegenerative Krankheiten oder Unfälle verloren gegangene mentale Fähigkeiten wiederherzustellen und möglicherweise Querschnittsgelähmte zu heilen. Derartige Implantate oder künstliche Organe sind an sich noch keine Nanotechnologie, doch kann der Einsatz nanotechnologischer Materialien und Verfahren die Realisierungschancen solcher Entwicklungen beträchtlich erhöhen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Erwartungen, die mit dem Einsatz der Nanotechnologie in der Medizin verbunden werden, von der Optimierung bereits bestehender Verfahren über die Entwicklung neuer Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bis hin zu einer signifikanten Verlängerung der Lebensspanne bei zumindest gleichbleibender Lebensqualität als Resultat des Technologieeinsatzes reichen. Insgesamt wird die Qualität der medizinischen Versorgung - so die Erwartung von im Rahmen einer Delphi-Studie befragten Expertinnen und Experten - durch nanoskalige Produkte und Verfahren erheblich steigen.

Die Entwicklung derartiger nanotechnologischer Anwendungen und insbesondere der NBIC-Technologien im Bereich der Medizin ist freilich unterschiedlich weit fortgeschritten. Während zum Beispiel die Magnetflüssigkeitshyperthermie bereits in der Phase der klinischen Erprobung ist, gilt die Entwicklung komplexer künstlicher Organe als noch in einem relativ frühen Stadium befindlich. Ziele wie die Verbesserung der sensorischen und mentalen Fähigkeiten des Menschen oder die populäre Vorstellung von intelligenten nanoskaligen Robotern, die im Blutkreislauf das körpereigene Immunsystem verstärken, indem sie Viren oder andere Krankheitserreger zerstören oder Ablagerungen von den Gefäßwänden entfernen, werden von den meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern derzeit (noch?) im Bereich des Visionären, freilich nicht prinzipiell Unmöglichen, und den Forschungsprozess durchaus Stimulierenden angesiedelt. In noch größerem Maße gilt dies von so genannten sich selbst replizierenden Assemblern. Diese sollen einem der populärsten Nanotechnologen, K. Eric Drexler, zufolge eines Tages in der Lage sein, nahezu jeden beliebigen Gegenstand durch exaktes Positionieren von Atomen und Molekülen (sog. Molecular Manufacturing) herzustellen.

Zum Stand der ethischen und gesellschaftlichen Debatte

Den mit der Nanotechnologie beziehungsweise den NBIC-Technologien verbundenen Hoffnungen stehen offene Fragen gegenüber, welche die ethischen und sozialen Aspekte des Einsatzes der Nanotechnologie betreffen. Gerade im Bereich der Medizin werfen bestimmte nanotechnologische Entwicklungen ethische Probleme auf, die in anderen Zusammenhängen bereits bestehen. Diese werden im Kontext der Nanotechnologie jedoch neu akzentuiert und zum Teil verschärft. Darüber hinaus werden neue ethische Fragestellungen aufgeworfen. Angesichts dessen ist es erstaunlich, dass deren Erforschung bis zum jetzigen Zeitpunkt nahezu vollständig ausgeblieben ist. Der weltweiten nahezu exponentiellen Zunahme natur- und ingenieurwissenschaftlicher Publikationen zur Nanotechnologie steht eine verschwindend geringe Anzahl von Veröffentlichungen gegenüber, in denen die ethischen Aspekte der Nanotechnologie thematisiert werden. Die wenigen deutschsprachigen Stellungnahmen zu ethischen beziehungsweise sozialen Aspekten der Nanotechnologie sind durchweg allgemein gehalten, weisen in der Regel keinen Bezug zu konkreten Entwicklungen auf und stammen überwiegend von Expertinnen und Experten aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Philosophinnen und Philosophen beziehungsweise Ethikerinnen und Ethiker haben sich bisher kaum zu Wort gemeldet.

Die zivilgesellschaftliche Debatte zum Thema Nanotechnologie beschränkt sich im deutschsprachigen Raum bislang weitestgehend auf die Thesen Bill Joys. Dieser warnte im Jahr 2000 in einem Artikel mit dem Titel "Why the Future Doesn't Need Us" vor möglichen katastrophalen Folgen der Nanotechnologie für den Menschen, unter anderem davor, dass sich selbst replizierende Nanoroboter außer Kontrolle geraten, sich immer weiter vermehren und die Biosphäre in "grauen Schleim" verwandeln könnten (auf dieses so genannte Grey Goo-Problem hatte 1990 bereits K.Eric Drexler hingewiesen). Auf internationaler Ebene wurde das Thema Nanotechnologie mittlerweile von Nichtregierungsorganisationen aufgegriffen. Eine erste größere kritische Stellungnahme zur Nanotechnologie veröffentlichte im Januar 2003 die in Kanada ansässige Action Group on Erosion, Technology and Concentration (ETC-Group) unter dem Titel "The Big Down". Darin werden unter anderem ein sofortiges Moratorium für die kommerzielle Produktion neuer nanoskaliger Materialien und eine weltweite Förderung der wissenschaftlichen Bewertung der sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Implikationen der Nanotechnologie gefordert.

Auch wenn in "The Big Down" vorwiegend solche nanotechnologischen Entwicklungen beurteilt werden, deren Realisation zum heutigen Zeitpunkt als stark hypothetisch gilt, und die Forderung nach einem umfassenden Moratorium eine nahezu pauschale Verurteilung "der Nanotechnologie" (die es in dieser allgemeinen Form nicht gibt) impliziert, so kommt der ETC-Group doch das Verdienst zu, auf den eklatanten Mangel einer ethischen und sozialwissenschaftlichen Begleitforschung zur Nanotechnologie aufmerksam gemacht zu haben.

Ethische und soziale Aspekte

Im Folgenden sollen einige ethische Implikationen des Einsatzes nanotechnologischer Entwicklungen in der Medizin genannt werden, die als problematisch erscheinen. Aspekte, welche die Nanotechnologie auch in ethischer Hinsicht als wünschenswert erscheinen lassen, werden an dieser Stelle also nicht thematisiert - sie liegen vor dem Hintergrund der oben angedeuteten Hoffnungen, die mit nanotechnologischen Entwicklungen im Bereich der Medizin verbunden werden, auf der Hand. Zu denken ist dabei nicht nur an die Aussicht, bestimmte Krankheiten leichter erkennen und besser bekämpfen zu können, sondern auch an die Möglichkeit, dass die Nanotechnologie Alternativen zu biomedizinischen Verfahren bereitstellen könnte, die bereits im Stadium ihrer Erforschung als ethisch problematisch beurteilt werden (z.B. zur verbrauchenden Embryonenforschung im Kontext der Erforschung von Therapien neurodegenerativer Erkrankungen). Ebenso wenig kann im Folgenden näher auf Risiken und ethische Probleme eingegangen werden, die im Falle einer Entwicklung von sich möglicherweise selbst replizierenden Nanorobotern entstehen würden. Auch hier sind ethische Aspekte einer derartigen Entwicklung offenkundig - in diesem Fall als Probleme, die von der drohenden Nicht-Kontrollierbarkeit und Nicht-Rückholbarkeit freigesetzter Nanoroboter bis zu Fragen nach dem moralischen Status von "Gemachtem", das wichtige Kriterien von bekannten Lebensformen erfüllt, reichen.

Hinsichtlich der ethischen Aspekte des Einsatzes nanotechnologischer Entwicklungen im Bereich der Medizin können anthropologische Aspekte von bio- beziehungsweise medizinethischen Aspekten methodisch unterschieden (nicht jedoch voneinander getrennt) werden. Eine weitere Kategorie bilden sozialethische Aspekte.

Anthropologische Aspekte

Insbesondere aus nanotechnologischen Entwicklungen im Bereich von Mensch-Maschine-Schnittstellen ergeben sich Fragen, die zunächst keinen explizit moralischen Charakter haben. Sie betreffen vielmehr das Menschenbild sowie das Verhältnis von Technik einerseits und Natur beziehungsweise Leben andererseits (bzw. die eventuelle partielle Auflösung der Grenze zwischen beiden). Längerfristig könnten mehr und mehr Funktionen des menschlichen Körpers von Artefakten aus dem Bereich der NBIC-Technologien übernommen werden, ja diese könnten sogar eines Tages in der Lage sein, die sensorischen und mentalen Fähigkeiten des Menschen zu verbessern. In diesem Zusammenhang lässt sich bereits heute in Publikationen aus dem Bereich der NBIC-Technologien eine Forschungstendenz identifizieren, in deren (zum jetzigen Zeitpunkt noch hypothetischer) Konsequenz eine in der Debatte um Künstliche Intelligenz beschriebene Entwicklung gewissermaßen invertiert wird: Nicht eine eventuelle "Vermenschlichung" von technisch Produziertem stellt hier die Herausforderung dar, sondern gerade umgekehrt das Phänomen, dass der menschliche Körper durch immer weiter entwickelte ICT-Implantate und künstliche Organe mehr und mehr technisiert wird. Dieser Prozess führt in letzter Konsequenz so weit, dass die Grenze zwischen Mensch und Maschine vom Menschen her in Frage gestellt wird: "How much nano-prothesis will make one non-human?"

Für das menschliche Selbstverständnis sind mit derartigen - zum jetzigen Zeitpunkt freilich hypothetischen - Entwicklungen zentrale Herausforderungen verbunden. Wenn im Prinzip nahezu jeder Teil des menschlichen Körpers austauschbar und in seiner bekannten biologischen Funktion durch Artefakte optimierbar zu sein scheint und dies in der Praxis auch angestrebt wird, so ist zu fragen, ob die Identität des Menschen überhaupt noch einen Grund in seiner Leiblichkeit haben kann. Die zunehmende Technisierung des menschlichen Körpers, die in medizinischen beziehungsweise biowissenschaftlichen Anwendungen von NBIC-Technologien einen zumindest vorläufigen Höhepunkt zu erreichen scheint, führt offensichtlich zu der Notwendigkeit, zu prüfen, ob wir den Menschen noch als der Technosphäre gegenüber beschreiben können, und er zwingt uns, neue Perspektiven in der Anthropologie einzunehmen: "Menschsein [muss man] nicht mehr in Abgrenzung gegen die Tierheit oder die Gottheit denken (...), sondern gegen die Maschine."

An derartige Überlegungen schließen sich Fragen von hoher ethischer Relevanz an: Ist eine eventuelle Verschmelzung von natürlich Gewordenem einerseits und technisch Produziertem andererseits überhaupt normativ relevant? "Schließt der Anspruch von Menschen auf Selbsterhaltung und Selbsterweiterung das Überschreiten der eigenen Gattungsgrenzen (hin zu "Mensch/Maschine-Mischwesen") ein? (...) Solche und ähnliche Fragen bedürfen bei der Weiterentwicklung von Nanotechnologie und ihrem Einsatz (...) - insbesondere in den Lebenswissenschaften - offenbar noch einer genaueren Diskussion und Klärung."

Es ist zu erwarten, dass eine Vernetzung beziehungsweise Überblendung von Mensch und Maschine, wie sie im Kontext der angestrebten Konvergenz von Nano-, Bio- und Informations- beziehungsweise Kognitionswissenschaften diskutiert wird, aufgrund der damit verbundenen Auswirkungen auf die mentalen Ereignisse der betreffenden Personen - sofern dieser Begriff dann noch Anwendung finden kann beziehungsweise soll - den Rahmen der bisherigen Herausforderungen durch Implantate wie zum Beispiel Herzschrittmacher sprengen würde. Welche Auswirkungen dies auf unsere Vorstellungen von Autonomie und Humanität hätte, ist zum jetzigen Zeitpunkt kaum abzusehen. Sollten "intelligente" (ICT-)Implantate oder andere Mensch-Maschine-Schnittstellen tatsächlich eine tragende Rolle bei der Handlungssteuerung spielen oder die Emotionalität eines Menschen wesentlich beeinflussen, wie dies teilweise im Bereich der NBIC-Technologien anvisiert wird, so ist zu prüfen, ob beziehungsweise inwiefern davon die Verantwortlichkeit der jeweiligen Person betroffen ist. Entsprechende Fragen sind im rechtswissenschaftlichen Kontext hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit und gegebenenfalls der Schuldfähigkeit einer Handlung beziehungsweise eines Menschen von Bedeutung.

Bio- und medizinethische Aspekte

Die oben genannten Entwicklungen im Bereich der medizinischen (Gen-)Diagnostik, die durch die Nanotechnologie ermöglicht werden sollen, erweitern und verschärfen Problemfelder, die in der jüngsten Diskussion um ethische Aspekte zum Beispiel von Biochips und Gentests und die so genannte individualisierte Medizin bereits eine Rolle spielen. Hier ist eine Kontinuität zu derzeit aktuellen Forschungsthemen der biomedizinischen Ethik gegeben.

Die angestrebten Diagnoseverfahren sollen einen leichten, schnellen und möglichst billigen Zugriff auf sehr persönliche Daten ermöglichen, die zum Beispiel Aussagen über den Lebensstil, die biologische Herkunft (Vaterschaft) oder das "genetische Schicksal" eines Menschen nahe legen. Da die Erhebung dieser Informationen durch nanotechnologische Verfahren und Materialien sehr einfach möglich sein soll, droht die Gefahr des Missbrauchs zu steigen. Dabei ist etwa an das Einholen und die Verwendung sehr persönlicher, etwa genetischer Daten eines Menschen ohne dessen Zustimmung im privaten Bereich zu denken. Auch Beispiele aus dem Bereich der Arbeitswelt und des Versicherungswesens liegen auf der Hand. Gerade in diesem Sektor setzt Missbrauch nicht voraus, dass die entsprechenden Tests ohne Zustimmung der betroffenen Person durchgeführt werden. Es ist vielmehr zu fragen, inwiefern überhaupt von Freiwilligkeit die Rede sein kann, wenn es zum Beispiel üblich werden würde, in Bewerbungsunterlagen neben Lebenslauf und Zeugnissen auch die Ergebnisse von Gentests beizulegen.

Bereits diesseits des direkten Missbrauchs nanotechnologischer Diagnoseverfahren werden durch die entsprechenden Tests ethische Probleme aufgeworfen. Gentests liefern in der Regel zahlreiche Informationen, nach denen gar nicht unmittelbar gesucht wurde. Hier ist zu fragen, wie mit derartigen Informationen umzugehen ist. Hat ein Patient bzw. eine Patientin ein Recht auf Nichtwissen, wenn Daten vorliegen, die zum Beispiel eine genetische Disposition für eine bestimmte Krankheit bedeuten? Derartige Fragen sind keineswegs spezifisch für nanotechnologische Entwicklungen. Sie werden jedoch neu akzentuiert und in ihrer Dringlichkeit möglicherweise verschärft, wenn der Einsatz von Nanotechnologie in der Herstellung entsprechender Tests dazu führt, dass sie den professionalisierten Raum ärztlichen Handelns verlassen und in den privaten Bereich wandern, indem sie zu Hause durchgeführt werden können, vergleichbar einem heutigen Schwangerschaftstest. Darüber hinaus ist die Frage zu stellen, ob eine bis ins Kleinste reichende medizinische Überwachung des menschlichen Körpers bis hin zu einem "remote monitoring", das etwaigen Abweichungen von biochemischen Normdaten mit sofortiger gezielter Medikalisierung entgegentritt, überhaupt wünschenswert beziehungsweise ethisch zu rechtfertigen ist. Zu bedenken ist dabei auch, dass Körper, die gewissermaßen als Datensender fungieren, mit technischen Systemen oder untereinander vernetzt werden und möglicherweise sogar miteinander kommunizieren könnten. In jedem Fall ist hier mit einem erheblichen rechtlichen Regelungsbedarf zu rechnen, etwa im Hinblick auf den Schutz der Privatheit und den Umgang mit persönlichen Informationen.

Ein weiteres Bündel medizinethischer Fragestellungen ergibt sich aus den mittel- und langfristigen Zielen und Visionen, die den Forschungsprozess insbesondere im Bereich der medizinischen NBIC-Technologien leiten. Der nanotechnologische Forschungsprozess wird im Bereich der Medizin nicht selten mit dem Ziel einer technischen, den Menschen jedoch im Innersten betreffenden "Verbesserung" (Enhancement) von dessen physischen, mentalen und sensorischen Fähigkeiten in Zusammenhang gebracht. Visionen sind dabei die Erweiterung der menschlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit und des Erinnerungs- und Konzentrationsvermögens, aber auch die Verbesserung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit (u.a. von Soldatinnen und Soldaten) unter Extrembedingungen. Sollten derartige Entwicklungen realisiert werden können, so blieben davon weder das Selbstverständnis der Medizin noch die gesellschaftlich hoch bedeutsamen und das medizinische Handeln leitenden Vorstellungen von Krankheit, Normalität und Behinderung unberührt. Deutlich wird dies an Texten wie K. Eric Drexlers Buch Engines of Creation - the coming era of nanotechnology, in dem er das Altern nicht nur als Krankheit bezeichnet, sondern sogar in einem Atemzug mit den Pocken nennt: Beide seien natürlicherweise und nach Möglichkeit bis zu ihrer möglichst weitgehenden "Ausrottung" zu bekämpfen. Unabhängig von nanotechnologischen Entwicklungen ist im Kontext der Reproduktionsmedizin bereits heute zu beobachten, dass von Techniken wie der Pränataldiagnostik und - wo diese zugelassen ist - der Präimplantationsdiagnostik ein erhöhter gesellschaftlicher Normierungsdruck auf menschliche Körper und menschliche Fähigkeiten ausgeht. Dieser Druck dürfte sich im Zuge der im Kontext von NBIC-Technologien diskutierten "Verbesserung" menschlicher Fähigkeiten massiv erhöhen. Bereits heute wird die Frage diskutiert, ob in Gesellschaften, deren Gesundheitssystem durch die Nanotechnologie dahingehend transformiert wäre, dass es nicht nur Heilungsmethoden im herkömmlichen Sinn, sondern auch "Anthropotechniken" im Sinne des Enhancement umfassen würde, die Möglichkeit bestünde, sich dem entsprechenden Normierungsdruck zu entziehen, ohne gesellschaftlich diskriminiert zu werden.

Sozialethische Aspekte

Zu den zentralen ethischen Herausforderungen, die durch die Nanotechnologie zu erwarten sind, zählen Fragen des Zugangs zu nanotechnologischen Entwicklungen und damit einhergehende Probleme der Teilhabegerechtigkeit. Gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung ist zu erwarten, dass nanotechnologische Entwicklungen zumindest anfänglich aufgrund ihrer Kostenintensität (und möglicherweise infolge von Patentierungsstrategien, s.u.) nur einer relativ geringen Zahl von Menschen zur Verfügung stehen werden. Es ist zu befürchten, dass dies zu ethisch problematischen sozialen Ungleichheiten führen wird: Diejenigen, die an nanotechnologischen Entwicklungen partizipieren werden, werden über immer bessere diagnostische und therapeutische Verfahren verfügen, während anderen Menschen der Zugang hierzu verschlossen bleibt und es für diese zunehmend schwieriger sein wird, sich die medizinisch-technologischen Neuerungen leisten zu können. Da der Nanotechnologie das Potenzial zugesprochen wird, nicht nur qualitative Verbesserungen bestehender Produkte zu erzielen und neue zu generieren, sondern ganze Technologiefelder zu transformieren, könnte die beschriebene Entwicklung dazu führen, dass sich die Lebenswelten und die Lebenschancen verschiedener Menschengruppen durch die Nanotechnologie auseinander entwickeln und schließlich signifikant voneinander unterscheiden werden. Für die daraus resultierende Kluft wurde bereits der Terminus nano divide geprägt. Dieses Problem ist sowohl innerhalb ein- und derselben Gesellschaft als auch zwischen verschiedenen Gesellschaften als Problem einer globalen Teilhabegerechtigkeit beziehungsweise fairer Zugangschancen virulent. Von großer Bedeutung sind hierbei auch Fragen der Prioritätensetzung im Gesundheitswesen. Verbessert der Einsatz nanotechnologischer Entwicklungen die Gesundheitsversorgung auch in ärmeren Ländern und für marginalisierte Bevölkerungsgruppen, oder wird hier eine Medizintechnologie vorangetrieben, die angesichts der drängenden globalen Gesundheitsprobleme als Luxusgut erscheint?

Da der nanotechnologische Forschungs- und Entwicklungsprozess eine Infrastruktur erfordert, wie sie praktisch nur in den industrialisierten Ländern vorliegt, steht zu befürchten, dass der nano divide die bereits bestehende Kluft zwischen hoch technisierten Gesellschaften einerseits und in dieser Hinsicht weniger entwickelten Ländern andererseits verstärken wird.

Neben dem nano divide stellen Fragen der Patentierung einen zweiten Bereich sozialethischer Aspekte der Nanotechnologie dar. In der nanotechnologischen Forschung und Entwicklung findet ein Wettlauf um Schlüsselpatente statt. Für den weiteren Verlauf des Forschungsprozesses gilt es als gesichert, dass der Schutz des geistigen Eigentums an nanotechnologischen Erfindungen eine lebhafte ethische Debatte hervorrufen wird. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht bereits heute die Frage, ob die traditionellen Argumente, die für den Schutz des geistigen Eigentums durch Patente genannt werden, im Falle bestimmter nanotechnologischer Entwicklungen Geltung beanspruchen können. So wird zum Beispiel diskutiert, ob es möglich sein soll, dass chemische Elemente als solche oder in bestimmten Modifikationen unter Patentschutz gestellt werden. Können diese überhaupt Erfindungen sein, was eines der wesentlichen Kriterien für Patentierbarkeit ist, oder werden sie als Grundbausteine der Materie nicht vielmehr entdeckt? In diesem Fall wären sie nach geltender Rechtslage von der Patentierung ausgeschlossen. Durch die Vergabe von Patenten, die für breite Forschungsbereiche von Bedeutung sind, entstehen Abhängigkeiten von den Patentinhabern, die den Forschungs- und Entwicklungsprozess behindern können anstatt ihn zu fördern, was ein wichtiges Ziel des Patentsystems ist. Dieses Problem ist besonders in jungen Disziplinen wie der Nanotechnologie von Bedeutung und trägt häufig zur Verstärkung von bereits bestehenden ungleichen (und nicht selten unfairen) Ausgangschancen bei. Spezifische Fragen wirft die Nanobiotechnologie auf, bei der biologische Komponenten tragende Funktionen übernehmen, deren Eigenschaften jedoch durch artifizielle Nanopartikel oder Ähnliches signifikant verändert werden. Sollen Produkte der Verschmelzung von Natur und Technik in gleicher Weise patentiert werden können wie Autoreifen, Glühbirnen und andere, rein technische Produkte, oder verbietet dies die Tatsache, dass im Forschungs- und Entwicklungsprozess auf "natürliche" Vorleistungen zurückgegriffen wird, die letzten Endes unverfügbar sind? Vor dem Hintergrund solcher hier nur angedeuteten Fragen wird deutlich, dass hinsichtlich der Patentierung im Bereich der Nanotechnologie eine ähnliche Debatte zu erwarten ist, wie sie in Europa derzeit um die Frage der ethischen Zulässigkeit bestimmter Formen der Patentierung biotechnologischer Erfindungen geführt wird.

Schlussbemerkungen

Betrachtet man die oben nur genannten ethischen Fragestellungen, die durch nanotechnologische Entwicklungen in der Medizin aufgeworfen werden, so lässt sich sagen, dass die wenigsten davon spezifisch für die Nanotechnologie sind. Allerdings findet das "ermöglichende" (vgl. enabling technology) und "zusammenführende" (vgl. NBIC-Convergence) Potenzial, über das die Nanotechnologie auf der technisch-naturwissenschaftlichen Ebene verfügt, eine Entsprechung auf der Ebene der ethisch relevanten Aspekte: Ebenso wie die Nanotechnologie das Potenzial bereits bekannter Technologien und Verfahren enorm erhöht und die Verschmelzung zum Beispiel von Biotechnologie und elektronischen informationsverarbeitenden und kommunikationstechnischen Systemen ermöglicht, so werden auch die damit verbundenen ethischen Fragen besonders akzentuiert und zum Teil verschärft. Von besonderer Beschaffenheit sind darüber hinaus Probleme, die aus den neuartigen Eigenschaften nanoskaliger Entwicklungen erwachsen. So macht die Tatsache, dass Nanopartikel aufgrund ihrer Kleinheit die Blut-Hirn-Schranke passieren können und vom Immunsystem des Menschen nicht als Fremdkörper erkannt und daher auch nicht bekämpft werden können, solche Entwicklungen zwar einerseits für medizinische Anwendungen interessant. Andererseits sind bei der Nutzung von solchen zumindest hinsichtlich ihrer medizinischen Anwendung qualitativ neuartigen Eigenschaften nicht überschaubare und auf dem jetzigen Stand des Wissens möglicherweise nicht erahnbare Nebeneffekte zumindest nicht auszuschließen. In einigen, wenn auch bislang noch nicht realisierten Fällen wie bestimmten, durch nanotechnologische Materialien ermöglichten ICT-Implantaten oder selbstreplizierenden Nanorobotern werden Fragen aufgeworfen, die eine eigene Qualität aufweisen und die durch die Nanotechnologie ihren vormals rein fiktionalen Charakter verlieren. Nicht zuletzt stellt das (bislang prognostizierte) gesellschafts- und technologietransformative Potenzial der Nanotechnologie eine Besonderheit dar, die eine ethische Reflexion der Nanotechnologie nicht nur nahe legt, sondern erforderlich macht.

Die Erforschung der ethischen Aspekte der Nanotechnologie ist in methodischer Hinsicht eine große Herausforderung für die interdisziplinäre Ethik: Sowohl ein Großteil der technischen Entwicklungen als auch die kulturellen und sozialen Auswirkungen der Anwendungen der Nanotechnologie sind gerade im Bereich der Medizin in noch stärkerem Maße mit Unsicherheiten, Verheißungen und Spekulationen behaftet, als dies bei anderen Technologien der Fall ist. Ein forschungsethisches Problem stellt auch die Tatsache dar, dass die Nanotechnologie als angewandte Technologie im medizinischen Kontext gerade erst im Entstehen begriffen ist; "Wie sollen (...) Bewertungen von 'emerging technologies' erfolgen, deren Anwendungskontexte noch kaum oder nur unter großer Unsicherheit abzusehen sind?"

Für die Ethik als praxisorientierter und -orientierender Wissenschaft ist mit der Tatsache, dass die Nanotechnologie bisher noch eine emerging technology in einem frühen Entwicklungsstadium ist, auch eine besondere Chance verbunden: Vor allem wenn die Erforschung der ethischen Aspekte der Nanotechnologie auch solche Entwicklungen mit einbezieht, die derzeit (noch) im Bereich des Visionären liegen, wird die Ethik nicht rein konsekutiv verfahren und nicht wie ihr häufig vorgeworfen wird "zu spät kommen". Sie kann vielmehr - als Ethik im naturwissenschaftlichen Forschungsprozess selbst - in engem Bezug zu den konkreten technologischen Entwicklungen und dem Forschungsprozess erfolgen, diesen kritisch-produktiv begleiten und dabei Orientierungswissen für die frühzeitige Gestaltung zukünftiger Entwicklungen und von entsprechenden politischen und rechtlichen Regelungen bereitstellen. Dass der ethische Forschungsprozess dabei unabhängig von mehr oder weniger (wissenschafts)politischen Voreingenommenheiten erfolgen muss, liegt auf der Hand.

Betrachtet man die bisherigen Stellungnahmen zu den ethischen und sozialen Aspekten der Nanotechnologie, so lässt sich eine starke Dominanz von zwei diametral entgegengesetzten Positionen beobachten. Auf der einen Seite steht eine Strömung, die primär Einschätzungen vornimmt, die an nahezu paradiesische Verheißungen erinnern. Dem steht auf der anderen Seite eine mehr oder weniger pauschale Ablehnung der Nanotechnologie gegenüber, die meist vor dem Hintergrund von Szenarien wie dem oben genannten Grey Goo-Problem erfolgt und Gefahren von nahezu apokalyptischen Ausmaßen skizziert. Beide Positionen dürften sich - zumindest hinsichtlich der generellen Gültigkeit, die sie oftmals für sich zu beanspruchen scheinen - nach einer sorgfältigen Analyse als unangemessen erweisen. Interessanterweise fordern Vertreter beider Positionen eine frühzeitige und breite öffentliche Diskussion der ethischen und sozialen Aspekte nanotechnologischer Entwicklungen.. Beide Parteien beziehen sich dabei häufig auf die europäische Debatte um die grüne Gentechnik und auf das langjährige Moratorium für gentechnisch modifizierte Lebensmittel in Europa.

Während die einen eine Debatte fordern, um eine Situation wie bei der grünen Gentechnik zu verhindern, fordern sie die anderen, um ein entsprechendes Moratorium herbeizuführen. Aus wissenschaftsethischer Perspektive ist eine Versachlichung und Professionalisierung der gerade erst im Entstehen begriffenen Debatte angezeigt. Sie ist jung genug, dass dies noch möglich ist, und die sachliche Notwendigkeit dazu ist vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklung auf dem naturwissenschaftlich-technologischen Sektor unabweisbar gegeben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Deutsch unter dem Titel: Da unten ist jede Menge Platz, in: Richard Feynman, Es ist so einfach. Vom Vergnügen, Dinge zu entdecken, München 2001, S. 153 - 179.

  2. Vgl. Richard E. Smalley, US Congress Testimony vom 22.Juni 1999. (http://www.house.gov/science/smalley_ 062299.htm).

  3. Vgl. Herbert Paschen u.a., TA-Projekt Nanotechnologie. Endbericht (TAB Arbeitsbericht, Nr. 92), Berlin 2003; Günter Schmid u.a., Small Dimensions and Material Properties. A Definition of Nanotechnology, Bad Neuenahr-Ahrweiler 2003.

  4. Vgl. Mihail C. Roco/William S. Bainbridge (Hrsg.), Converging Technologies for Improving Human Performance. Nanotechnology, Biotechnology, Information Technology and Cognitive Science, Dordrecht u.a. 2003.

  5. Vgl. R. S. Williams/P. J. Kuekes, We've only just begun, in: Mihail C. Roco/William S. Bainbridge (Hrsg.), Societal Implications of Nanoscience and Nanotechnology, Arlington 2001, S. 103 - 107.

  6. Vgl. Norbert Malanowski, Vorstudie für eine Innovations- und Technikanalyse (ITA) Nanotechnologie, hrsg. von VDI-Technologiezentrum Abteilung zukünftige Technologien, Düsseldorf 2001, S. 31.

  7. Vgl. K. Eric Drexler, Engines of Creation, Oxford 1990; ders./Chris Peterson/Gayle Pergamit, Experiment Zukunft. Die Nanotechnologische Revolution, Bonn - Reading, Mass. u.a. 1994; Mathias Schulenburg, Erkundungen in der Nanowelt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42/2003, S.26 - 34.

  8. Vgl. Anisa Mnyusiwalla/Abdallah S. Daar/Peter A. Singer, Mind the gap: science and ethics in nanotechnology, in:Nanotechnology, 14 (2003), S. R9 - R13 (http://www.utoronto.ca/jcb/pdf/nanotechnology.pdf).

  9. Bill Joys, Warum die Zukunft uns nicht braucht, in: Frank Schirrmacher (Hrsg.), Die Darwin AG. Wie Nanotechnologie, Biotechnologie und Computer den neuen Menschen träumen, Köln 2001, S. 31 - 71.

  10. ETC-Group, The Big Down. From Genomes to Atoms. Atomtech: Technologies Converging at the Nano-scale, 2003 (http://www.etcgroup.org/documents/TheBigDown.pdf). Auch Greenpeace widmet sich mittlerweile der Nanotechnologie. Eine im Auftrag von Greenpeace erstellte Studie weist ebenfalls auf die Dringlichkeit einer ethischen und sozialwissenschaftlichen Begleitforschung der Nanotechnologie hin, hält das von der ETC-Group geforderte Moratorium jedoch für nicht praktikabel und möglicherweise schädlich: Alexander H. Arnall, Future Technologies, Today's Choices. Nanotechnology, Artificial Intelligence and Robotics; A technical, political and institutional map of emerging technologies. A report for the Greenpeace Environmental Trust, London 2003 (http://www.greenpeace.org.uk/MultimediaFiles/ Live/FullReport/5886.pdf).

  11. Richard H. Smith, Social, Ethical, and Legal Implications of Nanotechnology, in: M. C. Roco/W. S. Bainbridge (Anm. 5), S. 257 - 271, hier S. 269.

  12. Gernot Böhme, Über die Natur des Menschen, in: A. Barkhaus/A. Fleig (Hrsg.), Grenzverläufe: Der Körper als Schnitt-Stelle, München 2002, S. 233 - 247.

  13. H. Paschen u.a. (Anm. 3), S. 358ff.

  14. Vgl. dazu Ludger Honnefelder u.a. (Hrsg.), Das genetische Wissen und die Zukunft des Menschen, Berlin-New York 2003; speziell im Hinblick auf die Nanotechnologie H.Paschen u.a. (Anm. 3), S. 363ff., und Volker Wagner/Dietmar Wechsler, Technologieanalyse Nanobiotechnologie II: Anwendungen in der Medizin und Pharmazie, hrsg. von Zukünftige Technologien Consulting der VDI Technologiezentrum GmbH, Düsseldorf 2004, S. 163f.

  15. Siehe die entsprechenden Beiträge in M. C. Roco/W. S. Bainbridge (Anm. 4).

  16. Vgl. K. E. Drexler (Anm. 7), S. 114ff. Drexler schwebt vor, dass eines Tages nanoskalige cell repair machines zur Verfügung stehen werden. "People who survive intact until the time of cell repair machines will have the opportunity to regain youthful health and to keep it almost as long as they please." Auch im Rahmen des von der National Science Foundation der USA durchgeführten Workshops Converging Technologies for Improving Human Performance wurden entsprechende "Hoffnungen" auf ein sehr langes, von körperlichen Beschwerden freies Leben formuliert. Vgl. M. C. Roco/W. S. Bainbridge (Anm. 4).

  17. Vgl. R. H. Smith (Anm. 11), S. 271.

  18. Vgl. Walter Baumgartner u.a., Nanotechnologie in der Medizin, Studie des Zentrums für Technikfolgen-Abschätzung beim Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat, Bern 2003, S. 69ff.

  19. Vgl. H. Paschen u.a. (Anm. 3), S. 367. Die entgegengesetzte Ansicht vertreten Erin Court, Abdallah S. Daar, Elizabeth Martin, Tara Acharjya und Peter A. Singer. Sie sind der Ansicht, dass die Nanotechnologie die Kluft zwischen industrialisierten Gesellschaften und den so genannten Entwicklungsländern eher verringern wird und fordern vor diesem Hintergrund eine Debatte, die nicht die Risiken der Nanotechnologie in den Mittelpunkt stellt, sondern auch deren Chancen benennt. Vgl. Erin Court u.a., Will Prince Charles et al diminish the opportunities of developing countries in nanotechnology? (http://nanotechweb.org/articles/society/3/1/1/1).

  20. Vgl. V. Weil, Ethical Issues in Nanotechnology, in: M. C.Roco/W. S. Bainbridge (Anm. 5), S. 244 - 251, hier: S. 248.

  21. Vgl. ETC-Group (Anm. 10), S. 48.

  22. Torsten Fleischer u.a., Nachhaltigkeitspotentiale von Schlüsseltechnologien, in: A. Grunwald u.a. (Hrsg.), Forschungswerkstatt Nachhaltigkeit. Wege zur Diagnose und Therapie von Nachhaltigkeitsdefiziten, Berlin 2001, S. 267 - 290, hier S. 275.

Dr. theol., geb. 1969; Studium der Chemie und der katholischen Theologie in Tübingen, wissenschaftlicher Koordinator am Interfakultären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen.
Anschrift: Interfakultäres Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), Universität Tübingen, Wilhelmstraße 19, 72074 Tübingen.
E-Mail: E-Mail Link: christoph.baumgartner@uni-tuebingen.de

Veröffentlichung: (Hrsg. zus. mit Dietmar Mieth) Patente am Leben? Ethische, rechtliche und politische Aspekte der Biopatentierung, Paderborn 2003.