Einleitung
Der Sport, wie wir ihn heutzutage kennen, entwickelte sich europaweit mit ersten Konturen als eigenständiges gesellschaftliches Teilsystem im ausgehenden 18. Jahrhundert. Hier wurden eine Vielzahl von volkstümlichen Festen, Spielen, Bewegungen, spielerischen körperlichen Auseinandersetzungen und Wettstreiten zu einem gesellschaftlichen Bereich, der sich durch eigene Organisationen (u.a. Vereine, Wettbüros, Turnplätze), spezifische Rollen (Vorturner, Schiedsrichter, drill master) und vor allem durch ein spezifisches Sinngefüge von anderen gesellschaftlichen Bereichen absetzte. Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte sich ein eigenständiges gesellschaftliches Teilsystem etabliert, dessen zentrale Handlungsorientierung sich als körperbezogene Leistung und Leistungssteigerung beschreiben lässt. Jegliches sportbezogene Handeln hat die körperliche Leistungsfähigkeit zum Mittelpunkt und richtet sich darauf, sie zu demonstrieren, sie auszutesten, sie zu steigern oder auch sie zu erhalten.
Die Frage, der hier nachgegangen werden soll, ist, inwieweit die Sportentwicklung in Europa und die immer umfangreichere Einbeziehung der Bevölkerung in die jeweiligen Sportsysteme mit Fragen der Geschlechtszugehörigkeit verknüpft ist. Dies soll in zwei Schritten erfolgen: zum einen mit Blick auf die Ausdifferenzierung von Turnen und Sport im 18. Jahrhundert in Deutschland, Frankreich und England,
Turnen und Sport im 18. und 19. Jahrhundert
England
In England, das als Mutterland des Sports gilt, entwickelten sich schon Anfang des 18. Jahrhunderts zunehmend organisierte Sportfeste, die bei Ruderwettbewerben oder Pferderennen mehrere Zehntausend Zuschauer anzogen. Hiermit verwoben war ein extensives Wettsystem, dass sich auch im Boxen und Kricket etablierte und systematische Strukturbildungen zur Folge hatte. Dies lässt sich an verschiedenen Stationen des Pferderennsports gut beobachten: vom ersten Rennkalendarium und einheitlicher Regelstruktur 1727 über den Ausbau von Rennstrecken in den dreißiger und vierziger Jahren bis hin zur Gründung des Jockey Clubs 1752.
Landadel und Aristokratie gründeten in dieser Zeit verschiedene kleine soziale Zirkel (clubs) von sportlich interessierten gentlemen. Einige dieser Vereinigungen erlangten überregionale Autorität, so die Society of St. Andrews Golfers (gegr. 1754), die kurze Zeit später mit königlicher Vollmacht als Royal and Ancient Club of St. Andrews zur zentralen Institution des Golfsports wurde und bis heute als Dachverband für den Golfsport in Großbritannien anerkannt ist.
Die systematische Ausdifferenzierung des Sports fand allerdings erst im viktorianischen Zeitalter ab Mitte des 19. Jahrhunderts statt. In der Ära erfolgreicher imperialistischer Feldzüge und einer fortschreitenden industriellen Revolution wurde vor allem das Bürgertum Träger der rasch voranschreitenden Ausdifferenzierung des Sportsystems. Es entwickelte aus den traditionellen Bewegungs- und Sportaktivitäten durch Systematisierung, Veränderung alter und Einführung neuer Spielformen seine eigenen Mannschaftssportarten wie Fußball und Hockey, seine eigene Leichtathletik und auch seine eigenen Schwimmwettbewerbe.
Mit der wachsenden Zahl von Teams und Wettkämpfen vollzog sich in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine schnelle Verbreitung von Sportvereinigungen (associations), die - anders als die Clubs der Aristokratie - demokratisch organisiert waren und zu einer sozialen Öffnung des Sports führten, d.h. nicht den Männern einer bestimmten sozialen Klasse vorbehalten waren. Allerdings waren Frauen von diesen Männerdomänen immer noch vielfach ausgeschlossen. Sie erhielten keinen oder nur beschränkten Zutritt zu den Vereinen und wenn sie aufgenommen wurden, hatten sie kein Stimmrecht bei den Mitgliederversammlungen, und ihnen wurden für ihre sportlichen Aktivitäten auch nur sehr begrenzt Räume und Plätze zugewiesen. Da die Dachverbände sich zudem weigerten, gemeinsame Wettbewerbe für Männer und Frauen durchzuführen, gründeten sie ab den achtziger Jahren in verschiedenen Sportarten Vereine nur für Frauen. In der Folgezeit verbanden sich diese dann auch zu entsprechenden Dachverbänden, so z.B. im Golf die Ladies' Golf Union, gegr. 1893 (neben dem Royal and Ancient Golf Club of St. Andrews, 1754); im Hockey die All English Women's Hockey Association, gegr. 1895 (neben der Hockey Association, 1886); im Bowls die English Women's Bowling Association, gegr. 1931 (neben der English Bowling Association, 1903).
Deutschland
In Deutschland war Ende des 18. Jahrhunderts J. Guths Muths ein Vorreiter für die Verbreitung von Gymnastik und systematischer Bewegung. Sein 1793 erschienenes Werk "Gymnastik für die Jugend" stellte die gesellschaftliche Bedeutung von Gesundheit, sittlicher Bildung und körperlichen Fähigkeiten heraus, die es mit der Einrichtung von Leibesübungen zu bewahren gelte. Jugend bedeutete zu jener Zeit die männliche Jugend; Mädchen kamen in diesem Buch nicht vor. Lediglich in der zweiten Auflage widmete Guts Muths ihnen einige wenige Passagen und empfahl spezifische "leichte Bewegungen" und "kleinere Fußmärsche" für sie.
Die Idee der Schaffung öffentlicher Einrichtungen für Leibesübungen wurde von Friedrich Ludwig Jahn mit der Errichtung des ersten Turnplatzes in der Berliner Hasenheide 1811 realisiert und in der Folge dann mit der Gründung von Turnanstalten sowie Turnergesellschaften ausgebaut. Neu an dieser Bewegung war weniger das Turnen an sich - d.h. das Laufen, Springen, Werfen, Klettern, Ringen oder die Geländespiele -, sondern die mit vielfältigen Gerüsten und Geräten ausgestatteten Turnanstalten sowie der Gedanke der "Öffentlichkeit" der Übungen. Sie waren öffentlich in dem Sinne, dass sie offen für alle Altersgruppen und sozialen Schichten waren, für aktive Teilnehmer wie auch für Zuschauer. Jahn hatte dabei allerdings nur die männliche Bevölkerung im Blick, und erst später kam es in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld unter methodischer Ausarbeitung heilgymnastischer Übungen zu einer Öffnung des Turnens in Bezug auf Mädchen.
Nach der preußischen "Turnsperre" von 1820, die auch das Verbot öffentlicher Turnplätze beinhaltete, rückten in den vierziger Jahren im Einklang mit der restaurativ ausgerichteten Bildungspolitik Leibesübungen und Turnen zunehmend in das Interesse des politischen System. Da sie als geeignetes Mittel gesehen wurden, den "ordnungsstarken Untertan" hervorzubringen, wurde Schulturnen zu jener Zeit an den öffentlichen Schulen zunächst auf freiwilliger Basis eingeführt. Ab den sechziger Jahren wurde es zunehmend pflichtmäßiger Unterrichtsgegenstand zunächst für die Jungen in den höheren Schulen, dann für die Volksschulen und Ende des 19. Jahrhunderts auch für Mädchenschulen.
Frankreich
In Frankreich lassen sich erst Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts deutlichere Konturen eines eigenständigen Turn- und Sportsystems erkennen. Turnen, Gymnastik und Sport entwickelten sich parallel mit eigenen Strukturen. Vor allem die politische Umwelt hatte eine deutlich induzierende Wirkung für die Ausdifferenzierung. Mit der militärischen Niederlage von Sedan 1871 und dem Verlust des Krieges entwickelte sich in Frankreich eine nationalistische Bewegung, deren revanchistische Ziele sich in der Turnbewegung kristallisierten. In patriotischer Mission entstanden in dieser Zeit Turnvereinigungen (sociétés gymnastiques), die sich auf vormilitärisches Training spezialisierten mit dem Ziel, Stärke, Disziplin und Mannhaftigkeit zu verbessern. Als Turn- und Schützenvereinigungen, die ganz eindeutig von kriegerischem und revanchistischem Gedankengut getragen wurden, sicherten sie sich auch schnell die Unterstützung und finanzielle Förderung des Staates. Nur zwei Jahre später, 1873, wurde die Union des Sociétés Françaises de Gymnastique (USFG) als nationaler Dachverband der Turnbewegung gegründet. In dieser Zeit wurde der Turnunterricht auch Pflichtfach in allen öffentlichen Jungenschulen und führte zum Bau eigener Turn- und Exerzierplätze.
Das englische Sportmodell diente ab Mitte der fünfziger Jahre vor allem den Mitgliedern der gehobenen Klassen als Vorbild für Freizeitaktivität. Allerdings wurde der Import von Sportarten aus England zum Teil ironisch als Plagiat kommentiert: Tennis hätte seinen Vorgänger im französischen jeux de paume, Rudern sei schon immer als canotage bekannt gewesen und Rugby sei nichts anderes als das traditionelle jeu de ballon. Lediglich das verabscheuungswürdige Wetten sowie Brutalität und Wildheit seien typisch britisch und wurden zunächst abgelehnt.
Pierre de Coubertin, dessen Verständnis von Sport von der Idee der Erziehung der Jugend zu gentlemen geprägt war, kommt hier eine zentrale Rolle zu. Im Mittelpunkt des von ihm vertretenen und propagierten (englischen) Sportmodells stand die moralische Stärkung der Jugend durch die Vermittlung von Ordnung, Disziplin und Kooperation einerseits sowie Freiheit, Eigeninitiative und Wettbewerb andererseits. Coubertin setzte sich mit diesen Orientierungen ganz deutlich von den politisch motivierten und militärisch ausgerichteten Handlungsrationalitäten der sociétés gymnastiques ab und fand mit seinem Modell der "Erziehung der Jugend" durch sportlichen Wettbewerb vor allem in den mittleren und oberen Schichten Anhänger. Die Verbreitung der englischen Sportarten wurde von einer intensiven Institutionalisierungsphase begleitet, die 1887 zur Gründung des Athletikbundes führte.
Differentieller Einschluss und das Wesen der Geschlechter
Diese länderspezifischen Entwicklungen lassen sich im 19. und 20. Jahrhundert weiterverfolgen und zeigen - europaweit - kulturspezifische Sportarttraditionen und individuelle Akzente im Aufbau von Strukturen und in der Einbeziehung der Bevölkerung. Neben diesen länderspezifischen Besonderheiten lassen sich zugleich eine Reihe von Gemeinsamkeiten in der Ausdifferenzierung der Sportsysteme erkennen. Die empirischen Beispiele auch aus anderen Ländern belegen, dass Turnen, Leibesübungen, Gymnastik und Sport zu Beginn nur bestimmten Kreisen der Bevölkerung zugänglich waren und von ihnen betrieben wurden. Die Einbeziehung der Bevölkerung in die sich konstituierenden Sportsysteme war weder vollständig noch neutral gegenüber zentralen sozialstrukturellen Merkmalen wie Klasse, Geschlecht und Alter. Angehörige der oberen sozialen Klassen wurden vor denjenigen der unteren Klassen inkludiert, Kinder und Jugendliche vor der erwachsenen Bevölkerung, Jungen vor Mädchen und Männer vor Frauen.
Deutlich erweisen sich dabei die realisierten Leistungsbezüge zwischen Sport und anderen gesellschaftlichen Bereichen als mehr oder weniger förderliche Rahmenbedingungen für einen Einschluss der gesamten Bevölkerung.
Diese geschlechtsbezogene differentielle Inklusion in das entstehende gesellschaftliche Teilsystem Sport wurde im 19. Jahrhundert von der zu jener Zeit entwickelten Polaritätstheorie flankiert. Sie ging von natürlichen, angeborenen und unveränderlichen polaren Wesensmerkmalen der Frauen und Männer aus. Die "Urprinzipien des Weiblichen" sind demzufolge Ruhe, äußere Passivität, mütterliche Fürsorge und Sicherung des Daseinsmilieus, wohingegen die "männlichen Urprinzipien" die suchende Beweglichkeit und der Wettkampf sind.
Die Medizin bekräftigte aus ihrer Perspektive - bis weit in das 20. Jahrhundert hinein -, dass "naturwidrige Arten" von Bewegung oder Sport die Kräfte von Frauen übersteigen und Dauerschäden zu befürchten seien. Immer wurde in diesen Argumentationen die Gebärfähigkeit zum zentralen Bezugspunkt, an dem die "angemessene Art" von Bewegung und Sport für Frauen festgelegt wurde. Dies grenzte jegliche Form des Leistungssports aus, aber auch Kraft-, Kampf- und Ausdauersportarten.
Keine Bedenken riefen dagegen kleinere förmliche Bewegungen, Gymnastik und Tanz hervor, die sich als typische Leibesübungen für das weibliche Geschlecht etablierten. Sie erlaubten und förderten die mit Weiblichkeit assoziierten Ausdrucksmöglichkeiten und schienen der den Frauen zugeschriebenen 'fließenden Motorik' zu entsprechen und gesunde, harmonische Bewegungsformen zu fördern.
Die Olympischen Spiele der Moderne
Der historischen Entwicklung in den einzelnen Ländern entsprechend wurden auch die modernen Olympischen Spiele von Männern für Männer ins Leben gerufen. Der Gründer der seit 1896 stattfindenden neuzeitlichen Spiele, der französische Baron Pierre de Coubertin, konstatierte, dass die Partizipation an diesem sportlichen Ereignis ausschließlich den Männern vorbehalten sein sollte. "Aufgabe" der Frauen sei es, mit ihrem Applaus die Leistungen der Athleten zu würdigen.
Vier Jahre später nahmen allerdings schon vereinzelt Frauen als Aktive an den Olympischen Spielen teil, wobei ihre Teilnahme damals lediglich auf die Disziplinen Golf und Tennis beschränkt war und sogar ohne offizielle Zustimmung durch das IOC stattfand. An der Olympiade des Jahres 1908 nahmen insgesamt 36 Frauen als Athletinnen teil; dies entsprach einem Anteil von 1,8 Prozent der gesamten Teilnehmer/innen, bei den Berliner Spielen 1936 waren es 8 Prozent.
Erst mit den Spielen des Jahres 1976 wurde die Anzahl der für Frauen zugänglichen Sportarten erheblich erhöht, und entsprechend stieg auch der prozentuale Anteil der Sportlerinnen auf 21 Prozent. Bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 und Salt Lake City 2002, an denen jeweils ca. 200 Länder teilnahmen, waren jeweils rund 40 Prozent der gesamten Aktiven Frauen. 15 Länder - insbesondere die islamischen Länder - hatten gar keine Athletin nach Sydney entsandt.
Die immer noch geringere Teilnahme von Athletinnen an den Olympischen Spielen hat u.a. mit der begrenzten Anzahl von zugelassenen Sportarten bzw. Gewichtsgruppen zu tun. So sind bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 166 Wettbewerbe für Männer und 125 für Frauen aufgenommen worden. Einige Wettbewerbe finden ausschließlich für Männer statt, so z.B. Boxen, Ringen (griechisch-römisch), Turnen (Seitpferd, Ringe, Barren, Reck), Leichtathletik (3 000 m Hürden, 50 km Gehen, Zehnkampf), andere wiederum ausschließlich für Frauen wie z.B. Rhythmische Sportgymnastik, Turnen (Stufenbarren, Schwebebalken), Leichtathletik (Siebenkampf) und Synchronschwimmen.
Geschlechtsbezogene Inklusionsprofile im 21. Jahrhundert
Der Sachverhalt, dass die Einbeziehung der Bevölkerung in die Sportsysteme der einzelnen Länder Europas nicht sozial neutral verlaufen ist, führte in den sechziger Jahren auf europäischer Ebene zu der Verabschiedung der Europäischen Charta "Sport für alle". Die politische Orientierung dieser Charta ist unter Bezug auf den Artikel I - "Jeder Mensch hat das Recht Sport zu treiben" -, Bedingungen zu schaffen, die es der gesamten Bevölkerung ohne Berücksichtigung von Geschlecht, Alter, Beruf oder Einkommen ermöglichen, regelmäßig Sport zu treiben. Sie wurde 1975 von der Sportministerkonferenz verabschiedet und gilt fortan als Referenz für die sportpolitischen Maßnahmen der Regierungen und der freiwilligen Vereinigungen im Sport.
Das Sportengagement der Bevölkerung ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts erheblich gestiegen und hat sich in einer Vielzahl von neuen Organisations- und Sportformen entwickelt. Heutzutage lassen sich grob vier unterschiedliche Organisationsformen skizzieren:
- ohne organisatorische Anbindung im Freundes- oder Familienkreis (z.B. Joggen, Walken, Rollerblading, Radfahren etc.);
- in freiwilligen Vereinigungen, d.h. den Turn- und Sportvereinen (Vielzahl von Sportarten, die überwiegend wettkampf- und leistungssportmäßig aber auch als Freizeitsport betrieben werden);
- in privatwirtschaftlichen Einrichtungen (überwiegend Fitness-Centern oder auch Tennis-/Squash-/Badminton-Centern);
- im Rahmen des staatlichen Sektors und Bildungssystems (insbesondere Schulsport, Hochschulsport, Sportangebote der Stadt).
Das Sportengagement
Die Frage, die sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellt, ist, ob die sich in der Geschichte abzeichnende sehr begrenzte Integration von Mädchen und Frauen auch heute noch Bestand hat. Um den Umfang und die Form des Sportengagements der Bevölkerung zu bemessen, stehen unterschiedliche Datenquellen zur Verfügung: repräsentative Umfragedaten, Mitgliedschaftserhebungen der Vereine und Verbände sowie Markterhebungen der privatwirtschaftlichen Einrichtungen. Da die Erhebungsinstrumente europaweit sehr variieren, birgt ein Vergleich dieser Daten eine Vielfalt von methodischen Problemen, so dass Detailvergleiche unmöglich sind.
Zunächst zeigt sich in den allgemeinen Partizipationsraten und in den Mitgliedschaftsdaten der Vereine, dass es in Bezug auf die allgemeine Sportpartizipation ein Nord-Süd-Gefälle und ein Ost-West-Gefälle gibt. Im Norden Europas (z.B. Norwegen, Schweden) ist ein höherer Anteil der Bevölkerung sportlich aktiv als in den südlichen Ländern (z.B. Spanien, Griechenland), und ebenso ist in den Ländern Westeuropas (z.B. Frankreich, Belgien, Deutschland) ein höherer Anteil der Bevölkerung sportlich aktiv als im Vergleich zu den Ländern Osteuropas (z.B. Polen, Tschechien).
Darüber hinaus zeigen die Umfragedaten in allen Ländern, dass Frauen weniger regelmäßig Sport treiben als Männer. Allerdings ist dieses Gender-gap in den Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt und variiert auch erheblich in Bezug auf die Lebensphasen. Die Entwicklung des Sportengagements ist vor allem seit den neunziger Jahren als sehr heterogen zu bezeichnen und wirkt sich auch auf die differerentielle Inklusion der Geschlechter aus. So belegen die Partizipationsdaten im Ländervergleich z.B. für Deutschland einen überproportionalen Anstieg der Sportpartizipation von Mädchen und Frauen im Vergleich zu den Jungen und Männern, umgekehrt in Spanien einen überproportionalen Anstieg der Sportpartizipation von Jungen/Männern im Vergleich zu den Mädchen/jungen Frauen und in England sowie Frankreich ebenfalls einen überproportionalen Anstieg bei den Mädchen/Frauen und gleichzeitig eine Stagnation oder sogar Rückgang der Sportpartizipation bei den Jungen und Männern.
Bemerkenswert ist hierbei der Sachverhalt, dass die geschlechtsbezogene differentielle Inklusion in den traditionellen Strukturen der Sportsysteme, d.h. den Turn- und Sportvereinen, deutlicher ausfällt als in Bezug auf die allgemeine Sportpartizipation gemessen an den Umfragedaten. So sind die Turn- und Sportvereine in den europäischen Ländern nach wie vor Männerdomänen - zwar in abnehmendem Maße, dennoch über alle Länder hinweg ausgeprägt. Die Mitgliedschaftsstruktur in den Turn- und Sportvereinen ist durch ein durchschnittliches Verhältnis von 60-80 Prozent Jungen/Männer und lediglich 20-40 Prozent Mädchen/Frauen gekennzeichnet. In den westeuropäischen Ländern lässt sich eine Verringerung des Gender-gaps in den achtziger Jahren erkennen, die allerdings seit den neunziger Jahren nicht mehr zu beobachten ist.
Offensichtlich haben die verschiedenen Organisationsformen des Sportsystems eine unterschiedliche geschlechtsbezogene Bindungskraft bzw. Attraktivität. Im Gegensatz zu den Turn- und Sportvereinen weisen die kommerziellen Einrichtungen - und hier insbesondere die Fitness- und Sportstudios - in den hoch industrialisierten Ländern einen überproportionalen Anteil von Mädchen und Frauen in ihrem Kreis von Kunden und Kundinnen auf, der zumeist zwischen 50 und 70 Prozent liegt.
Diese geschlechtsbezogene Einbeziehung von Frauen in die verschiedenen Organisationsformen des Sports hat unmittelbar mit den jeweils angebotenen Bewegungs- und Sportformen zu tun. Ein wesentlicher Grund für die geringere Einbeziehung von Mädchen und Frauen in den Vereinssport liegt in der Orientierung der Mehrzahl der Vereine an einem traditionellen Sportkonzept, das regelmäßiges Training, Leistung und Wettkampf in den Vordergrund stellt. Die meisten Vereine sind (mit bis zu 100 Mitgliedern) klein, bieten vorwiegend nur eine Sportart - zumeist traditionelle Mannschaftssportarten - an und sind als Treffpunkt für Jungen und Männer etabliert. So zeigen die Befunde länderübergreifend, dass, je größer die Vereine sind, d.h., je mehr Mitglieder sie haben und je vielfältiger das Angebot in Bezug auf die Sportarten, die Teilnahmeformen und die Leistungsausrichtung ist, desto größer auch der Anteil an Mädchen und Frauen in diesen Organisationen ist.
Für den überproportionalen Anteil von Mädchen und Frauen in kommerziellen Sporteinrichtungen lassen sich ebenfalls länderübergreifende erklärende Faktoren benennen. Zum einen sind die Sportangebote nicht auf Wettkampf- und Leistungssport sowie regelmäßiges Training in der Gruppe orientiert, sondern (nahezu) jederzeit nutzbar und kommen damit den Individualisierungstendenzen moderner Gesellschaften entgegen. Zum anderen werden sie oft explizit auf Körperstyling sowie Fitness und Gesundheit zentriert sowie flankiert von zusätzlichen Dienstleistungsangeboten (wie Sonnenbank, Sauna, Solarium, Bar, Zeitschriften), mit der das Spektrum der Aktivitäten vor allem in Richtung Wellness erweitert wird. Diese Ausrichtung von Sportangeboten kommt der Motivstruktur von Mädchen und Frauen weitaus stärker entgegen als der der Männer.
Frauen in Führungspositionen des Sports
Die internationalen Befunde zur Frage der Geschlechterparität im Sport im Allgemeinen und zur Beteiligung von Frauen in Führungspositionen der Sportsysteme im Besonderen sind eindeutig: Europaweit und international sind Frauen nicht entsprechend ihrem Anteil an den aktiven Mitgliedern in den leitenden Funktionen des organisierten Sports repräsentiert. Je mehr Verantwortung, Einfluss und Entscheidungsbefugnisse mit einer Position im Sportsystem verbunden sind, desto weniger Frauen sind dort zu finden.
Gleichzeitig ist eine generelle, wenn auch nur langsame Zunahme der Repräsentanz von Frauen in den Führungsetagen und Steuerungsgremien zu beobachten. Dieser Trend variiert innerhalb der Länder in den verschiedenen Sektoren des Sportsystems (freiwilliger, kommerzieller und öffentlicher Sektor) und auch zwischen den Ländern. Man gewinnt den Eindruck, dass die Sportorganisationen des freiwilligen Sektors, d.h. die Turn- und Sportvereine, resistenter gegen diese Entwicklung sind als z.B. die Institutionen des staatlichen Sektors.
Die traditionelle Männerdomäne Sport scheint sich somit zu öffnen - immer mehr Menschen und vor allem immer mehr Mädchen und Frauen treiben Sport, und Frauen werden dabei zunehmend auch in leitende Funktionen integriert. Mit einem differenzierteren Blick werden allerdings die Brüche in dieser Entwicklung sichtbar. Selbst dort, wo Frauen zunehmend Funktionsrollen übernehmen - auf den unteren und mittleren Führungsebenen -, wird auf der Hinterbühne eine soziale Differenzierung sichtbar: Hauptberuflich tätige Sportmanagerinnen sind seltener in Vollzeitstellen zu finden, Trainerinnen betreuen eher Jugendgruppen sowie Frauenteams, und alle weiblichen Führungskräfte werden generell auf jeder Ebene schlechter bezahlt.
Neben einer klaren ungleichen Verteilung auf vertikaler Ebene - der Hierarchie von Einfluss und Entscheidungsbefugnis - gibt es somit zusätzlich eine Differenzierung auf horizontaler Ebene bei der Verteilung von Arbeitsbereichen, Prestige und finanzieller Anerkennung. Die europaweit zu beobachtende Professionalisierung im Sportsystem und die damit einhergehende Kommerzialisierung des Sports wirkt eher verstärkend und lässt die traditionelle Männerdomäne des Sports wieder erstarken.
Auch aktuell findet so etwas wie "ausschließende Integration" statt. Frauen kommen langsam in die Entscheidungsgremien und Führungspositionen des Sports - eine allmähliche Integration zeichnet sich ab -, zugleich ist dieser Prozess aber mit impliziten Ausschlusskriterien verbunden. Da dies kein intentionaler Vorgang ist, stellt sich die Frage nach den Ursachen und nach geeigneten Maßnahmen für eine schnellere und umfassendere Integration der Frauen in die Führungsgremien.
Geschlechterforschung und Frauenförderpolitik
Ursachen der differentiellen Inklusion
Der Sport zeichnet sich durch eine besondere Indifferenz gegenüber den sozialen Phänomenen der Geschlechterunterscheidung aus. Dies hängt eng damit zusammen, dass Sport ein körperzentriertes Sozialsystem ist und körperzentrierte Leistungen, das "Schneller, Weiter, Höher", das Besser-Sein als andere oder als vorherige eigene Leistungen zu den zentralen Handlungsorientierungen der beteiligten Akteure und Akteurinnen gehören. Mit jedem körperlichen Auftreten einer Person wird eine Anschaulichkeit der Geschlechterordnung (re)produziert, die ungleich realitätsmächtiger ist als es Diskurse je sein können. Die Körper und deren unterschiedliche Leistungsfähigkeit sind eine visuelle Empirie der "natürlichen" Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Das, was sich zeigt, braucht man nicht in Frage zu stellen, und es zeigt sich, dass Männer größer, muskulöser, stärker, schneller und kräftiger sind. Allzu leicht erscheint damit eine "natürliche Ordnung zwischen den Geschlechtern" als erwiesen und legitimiert Unterscheidungen sozialer Art.
Ein Anliegen der Geschlechterforschung - unter anderen - ist es, die kulturelle Reproduktion der asymmetrischen Ordnung der Geschlechterverhältnisse soziologisch zu rekonstruieren. Zu erklären ist hierbei, wie aus biologischen Unterschieden soziale Ungleichheiten werden und was die Prozesse der symbolischen Geschlechtskonstruktion und ihr hierarchisierendes Wirken in Gang hält.
Die Ursachen für die geringere Einbeziehung von Frauen innerhalb des Sports und ihre deutliche Unterrepräsentanz in Führungspositionen des Sportsystems sind vielschichtig.
- der Diskurs über die körperlich-physiologischen Bedingungen von Frauen und Männern, mit denen Gymnastik und Tanz als "weibliche Bewegungsarten" und Fußball und Rugby aber als "männliche Sportarten" charakterisiert werden;
- die den Geschlechtern zugeschriebenen psycho-sozialen Unterschiede, die Frauen z.B. eine geringere Konfliktfähigkeit und ein geringeres Interesse an Leitungspositionen attestiert, Männern hingegen Wettbewerbsorientierung, Durchsetzungskraft und Machtwillen;
- die gesellschaftlichen Strukturen, die mit einer traditionellen Rollen- und Ressourcenverteilung verbunden sind und generell weniger Frauen als Männer in Führungspositionen aufweisen;
- die Kultur in den Sportorganisationen, d.h. Männerbünde sowie abwehrendes Verhalten bei Themen wie Frauenförderung und -politik.
Interessant ist bei diesen Befunden, dass die identifizierten Ursachenkomplexe von Frauen und Männern unterschiedlich wahrgenommen werden. Männer verorten die Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen vor allem in den allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und bei den "frauentypischen" Einstellungen und Fähigkeiten, Frauen hingegen sehen die Ursachen eher in der männerdominierten Kultur der Sportorganisationen und ihren Strukturen.
Gleichstellung der Geschlechter - aber wie?
Die Gleichstellung der Geschlechter ist als Leitidee in jedem der hier analysierten Länder zu finden. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für konkretes Handeln und die Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung von Frauen. Allerdings zeigt die international vergleichende Analyse hier auch eine alltägliche Rhetorik. "Natürlich" ist jeder und jede von uns für die Gleichstellung der Geschlechter, "selbstverständlich" für gleiche Chancen von Frauen und Männern. Dies allein reicht jedoch nicht, um die Inklusion von Mädchen und Frauen in den Sport zu fördern.
Aktionen und Programme zur Förderung von Mädchen und Frauen haben europaweit viele Facetten. Sie sind zumeist eingebettet in eine Reihe von Zielgruppen-Förderprogrammen. Sie erfüllen ganz konkret die Funktion, interessierte Mädchen und Frauen dazu zu motivieren, Sport zu treiben und sich ehrenamtlich in den freiwilligen Organisationen zu engagieren.
Gleichstellungs- oder auch Frauenförderpläne sind in nahezu allen europäischen Ländern und in nahezu allen Organisationsformen in irgendeiner Form zu finden. Ihre Umsetzung variiert allerdings erheblich. Eine stärkere Sichtbarkeit und Relevanz haben hingegen Satzungselemente und -änderungen in den Grund- und Geschäftsordnungen der Organisationen, die ein deutliches Bekenntnis für eine umfassende Umsetzung der Gleichstellung enthalten. Sie haben einen weitaus verbindlicheren Status, und verschiedene Beispiele zeigen, dass erst solche Satzungsänderungen Verpflichtungen mit sich bringen, die nachhaltig wirken. Hierzu gehört z.B. die Einführung einer Geschlechterquotenregelung in das norwegische Sportgesetz, die positive Wirkungen hatte.
Die Kopplung von Ressourcenzuwendung mit der Realisierung von Gleichstellungsmaßnahmen hat in diesem Zusammenhang eine positive Wirkung auf die Integration von Frauen in das Sportsystem. Dies belegen auch die Effekte des Title IX aus den USA, der festlegt, dass keine Person aufgrund ihres Geschlechts bei Bildungsprogrammen oder ähnlichen staatlich finanzierten Aktivitäten benachteiligt, d.h. in irgendeiner Form vom Zugang hierzu oder von den Vorteilen hieraus ausgeschlossen werden darf. Geld erweist sich als effektives Steuerungsmittel dafür, dass sich Personen um die Situation der Gleichstellung in ihrer Organisation Gedanken machen (awareness rising) und darüberhinaus Ideen und Mechanismen entwickeln, die dazu beitragen können, die vorhandene geschlechtsbezogene soziale Ungleichheit abzubauen (affirmative action).
Gleichstellung bedeutet heutzutage - im Sport und in anderen gesellschaftlichen Bereichen - weitestgehend die Sicherstellung der gleichberechtigten Partizipation von Mädchen und Frauen. Sie wird vornehmlich als Frauensache definiert und marginalisiert nicht selten die an diesem Prozessaktiv beteiligten Personen - manchmal auch Männer.
Die Politik des Gender Mainstreaming, die in einigen Ländern Europas mittlerweile auch das Sportsystem erreicht hat, könnte eine grundlegende, d.h. nachhaltige Veränderung herbeiführen. Sie bedeutet, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Mädchen/Frauen und Jungen/Männern bei jeder Entscheidungsfindung in allen gesellschaftlichen Bereichen und auf allen Ebenen systematisch zu berücksichtigen. Das Engagement und die Kompetenz aller Akteure - Männer wie Frauen - sind hier gefragt, um die Erkenntnisse der Forschung gewinnbringend in eine Veränderung der Organisationskultur einfließen zu lassen. Hier liegt eine Herausforderung an die Sportpolitik und die Selbstverwaltung des Sports, bei der Realisierung der Europäischen Charta Sport für alle neue Wege zu gehen.