Einleitung
Kein Zweifel, die zaghaften Versuche, einem neuen Patriotismus das Wort zu reden, kommen mehr von links als von rechts. Ist der Patriotismus gar nach links gewandert, wie der Publizist Eckhard Fuhr vermutet, bzw. die Linke in die Mitte gepilgert, während das klassische nationalkonservative Milieu gestrandet ist, wie an der exemplarischen Behandlung im Falle des ausgeschlossenen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann zu sehen war? Bundeskanzler Gerhard Schröder fordert von der Opposition die Zustimmung zu seiner "Agenda 2010" als eine "patriotische Tat" ein. Sozialwissenschaftler im kommunitaristischen Umfeld denken über die Kategorie eines "Sozialpatriotismus" nach. Von Unternehmern wird in sozialökonomisch schwerer Zeit die Bereitstellung heimischer Arbeitsplätze zum Beweis ihrer Vaterlandsliebe gefordert.
Seit die Linke mit Günter Grass' Krebsgang-Novelle die deutsche Opfergeschichte für sich zu entdecken scheint, lösen sich auch zusehends die alten Blockaden bei der Wahrnehmung der lange Zeit so verpönten bundesrepublikanischen Frühgeschichte. Sogar der Kanzler kam zum Weinen ins Kino. Er zeigte sich öffentlich gerührt, als er im Herbst letzten Jahres in Essen, der Heimatstadt des zuvor verstorbenen Matchwinners Helmut Rahn, der Premiere von Sönke Wortmanns Das Wunder von Bern beiwohnte. Tränen um die Fußballnation. Kanzler Schröder hatte schon bei anderer Gelegenheit das Berner Wankdorfstadion zur nationalen Gedenkstätte deklariert, das er "in einem Zug mit der Berliner Mauer, mit Weimar und anderen Bauwerken und Orten" aufgereiht wissen wollte, "die in der Geschichte des Landes hervorragende Bedeutung haben und deren symbolische Bedeutung über viele Generationen erhalten bleibt".
Hat Sönke Wortmanns Erfolgsfilm einen verständnisvolleren Blick auf die stets nur als miefig und spießig beleumundeten fünfziger Jahre ermöglicht, wie Fuhr vermutet? "Plötzlich löst sich die Frühgeschichte der Bundesrepublik aus jenem Konfliktmuster zwischen verstockten Tätervätern und aufbegehrenden Tätersöhnen, welches sie seit 1968 beherrscht hatte. Es wächst so etwas wie Neugier und Verständnis für die Bewältigungsstrategien der traumatischen Kriegs- und Nachkriegsgeneration."
Was steckt dahinter? Lehrt Not Vaterlandsliebe? Oder geht hier die Rechnung des Schriftstellers Martin Walser auf, der sich am 8. Mai 2002 im Dialog mit Kanzler Schröder im Willy-Brandt-Haus zu einem "Geschichtsgefühl" bekannte, das von "einfältigen Intellektuellen" immer ignoriert worden sei. Durch Empfindung könne man wissend werden, stellte er fest.
Der 50. Jahrestag des sensationellen deutschen Fußballerfolgs im Weltmeisterschaftsfinale vom 4. Juli 1954 in der Schweiz fügt sich passend in eine Kette von aufwändig rekonstruierten historischen Events, die eine Welle von "Geschichtsgefühlen" auslöste. Die Reihe reicht von den bislang eher nachgeordneten Beispielen deutscher Opfergeschichte wie dem alliierten Bombenkrieg auf deutsche Städte und der Vertreibung aus dem Osten über die Heldensagen von Bern 1954 und Lengede 1963, Ranking-Shows über die "zehn größten Deutschen" bis zur Ostalgie-Unterhaltung im Fernsehen und zu der bitteren Geschichtsironie in Wolfgang Beckers Kultfilm Good bye, Lenin.
So schwappt derzeit eine Welle von Büchern auf den Markt, die sich mit der sportlichen wie gesellschaftspolitischen Bedeutung des deutschen Weltmeisterschaftssiegs über die haushoch favorisierte ungarische Nationalelf befassen.
Sogar fußballbegeisterte Politiker wie Helmut Kohl oder Edmund Stoiber scheuen sich heute keineswegs mehr, auf die Frage nach der gesellschaftspolitischen Symbolik des Außenseitererfolgs der deutschen Underdogs von einem Gründungsdatum der Bundesrepublik zu schwärmen oder das fragwürdige "Wir-sind-wieder-wer"-Gefühl obenan zu stellen. Damit scheint zur offiziellen Lesart geworden, was sich früher nur dem polemischen Blick des Feuilletons erschloss.
Keiner hat das "Wir sind wieder wer" authentischer auf den Punkt gebracht als DFB-Präsident Peco Bauwens in seiner skandalösen Rede im Münchener Löwenbräukeller zwei Tage nach dem Finale. Seiner nationalistischen Sichtweise gemäß hatte das deutsche Team den Siegermächten eine Lektion auf dem Rasen erteilt, nachdem der deutsche Sport eine kurze Zeit von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen ausgeschlossen worden war. "Wenn aber andere auf dem Spielfeld herumturnen mit ihren Fahnen vor dem Spiel", so Bauwens, "dann geht es nicht an, dass unseren Leuten verboten wird, unsere stolze deutsche Fahne zu führen. Das lassen wir uns nicht gefallen. Unsere Mannschaft hat ihnen heute die Quittung gegeben."
Das erste Nachkriegsländerspiel mit deutscher Beteiligung fand an Buß- und Bettag 1950 im Stuttgarter Neckarstadion gegen die Schweiz statt. Dabei war nur eine unterdrückte Genugtuung des "Man spielt wieder mit uns" aufgekommen, vom Zustand der Normalität konnte noch keine Rede sein. Theodor Heuss hielt für jenen Zustand den Begriff von einer "geknickten Souveränität" parat.
Für den obersten deutschen Fußballfunktionär hatten die Sportler mit ihrem Erfolg nicht nur gegen den Stachel der Besatzungsmächte gelöckt, sondern gleichzeitig den deutschen Namen wieder reingewaschen: "Dieser Sieg hat gezeigt, dass es Schlacken auf dem Sport und dem deutschen Volk nicht mehr geben kann, wenn es jemand ehrlich mit uns meint." Mochten auch alle Beteiligten berührt weggehört und der Bayerische Rundfunk die Übertragung abgebrochen haben, als Bauwens auch noch den Donnergott Wotan bemühte, der den deutschen Kickern den Fuß geführt habe - so lässt sich dennoch nicht leugnen, dass er mit seinen empörten Einlassungen gegen die Siegermächte die Herzen der Deutschen erreichte.
Auch der spätere langjährige ARD-Endspiel-reporter Rudi Michel, damals Zeitzeuge vor Ort in Bern, schildert in seinem gerade vom DFB mit herausgegebenen "offiziellen Erinnerungsbuch", welche Gefühle von Bitterkeit, Schuld und stiller Wut in ihm hochkamen, als er im Wankdorfstadion neben der rot-weiß-grünen ungarischen und der FIFA-Fahne mit der Weltkugel eine leere Fahnenstange gewärtigen musste, weil Wind und Wetter oder wer auch immer die deutsche Fahne heruntergerissen hatte: "Ich fühlte mich diskriminiert und gedemütigt." Als dann die Hymne des Siegers erklang und der Deutsche Michel auf den leeren Fahnenmast blickte, "dann sang ich sie mit - die erste Strophe".
Gegrölt habe sie keiner, behauptet Michel, obwohl die laut vernehmbare erste Strophe der Schlachtenbummler bei der Siegerehrung zu erheblicher diplomatischer Verstimmung führen sollte. Bundespräsident Heuss musste hinterher die Wogen des nationalen Überschwangs glätten, als er am Tag nach seiner Wiederwahl den Spielern im Berliner Olympiastadion das Silberne Lorbeerblatt überreichte und dabei die passenden Worte zu Bauwens' Entgleisungen und dem Gegröle der Fans fand.
Rudi Michel hält derlei Entschuldigungen offenbar nicht für notwendig: "Unser Auftreten war von Zurückhaltung bestimmt. Spätere Biografen, Soziologen und Pseudo-Historiker bemühten in ihren Darstellungen häufig mehr die eigenen Fantasien, als dass sie sich auf die Wahrnehmung von Zeitzeugen verließen."
Der Historiker Joachim C. Fest hat der plumpen "Wir-sind-wieder-wer"-Floskel widersprochen. Die Deutschen seien sich des Wirtschaftswunders damals nicht so sicher gewesen. Wie lange würde es anhalten? Aber mit dem "Wunder von Bern" habe sich etwas ereignet, das ihnen niemand mehr nehmen konnte und das keiner konjunkturellen Laune mehr unterworfen war: "Es hat den Deutschen ein anderes Bewusstsein von sich selbst gegeben. Ich würde aber nicht Selbstbewusstsein sagen, das ist etwas anderes. Es war aber nicht die große Befreiung, das große Aufatmen, nicht ein Jetzt sind wir wieder wer`. Es war eher eine tiefe Befriedigung, auch Stolz. Und dennoch: Die gewisse Gedämpftheit, die damals noch wie ein Schleier auf dem Land lag, die war noch lange präsent."
Während in Deutschland verschämt jede politische Bedeutung des Sportes geleugnet wurde, war in Ungarn das über Jahre ungeschlagene Dreamteam "der kleinste gemeinsame Nenner zwischen stalinistischem Regime und ungarischem Volk - eine Art nationaler Kitt". Und doch gab es zwischen der Bedeutung der Nationalmannschaften im kommunistisch regierten Ungarn und der frühen Bundesrepublik Ähnlichkeiten. Der deutsch-ungarische Publizist Peter Kasza beschreibt in seinem jüngsten Buch, wie sehr in beiden Ländern die Nationalmannschaften eine "Mittlerposition" eingenommen hätten, die auf ganz gegensätzliche Weise die Entfremdung zwischen Staat und Volk gekennzeichnet habe: Während in Ungarn purer Hass auf den stalinistischen Terrorstaat zu spüren war, sei in Deutschland eine "apolitische Reserviertheit der ungewohnten Demokratie gegenüber" anzutreffen gewesen. Der Fußball konnte hierzulande zum Abbau solcher Reserven kaum beitragen, solange der Sportchauvinismus eines Peco Bauwens das Sagen hatte: "Bei den hohen Idealen, die wir vertreten, hört die Demokratie auf."
Das "Wunder von Bern" taugt weder als Symbol einer verspäteten Republikgründung noch als wichtige Station auf der Westwerdung Deutschlands. Solange es als Denkzettel gegen die Siegermächte revanchistisch in Anspruch genommen wurde, gewann es auch keine primäre ideologische Bedeutung im Kalten Krieg wie bei den ungarischen Machthabern um den stalinistischen Hardliner Rakosi, dem "die goldene Elf" um Puskas und Hidegkuti als willkommenes Instrument gegen den "imperialistischen" Westen diente. Die Systemkonkurrenz im Sport spielte ohnehin für kommunistische Staaten eine größere Prestigerolle, weil sie mit Erfolgen in Arenen ihre drastische ökonomische Unterlegenheit zu kompensieren suchten.
Streng genommen ist das legendäre 3:2 von Bern nicht einmal ein westdeutsches, sondern eher ein gesamtdeutsches Ereignis. Im Fußball hatte die geteilte Nation noch einmal zusammengefunden. Der Politik des sportlich völlig abstinenten Kanzlers Konrad Adenauer kam es nicht ungelegen, dass die kommunistischen Machthaber der SED in arge Begründungsnöte gerieten, zumal in einer Phase, da sie sich ideologisch noch nicht von der Einheit der Nation verabschiedet hatten. "Wie soll man einen Sieg der bundesdeutschen Mannschaft auslegen?" Reporter Heinz Florian Oertel redete sich mit seinem Hang zur Ästhetik heraus, um den spieltechnisch überlegenen Magyaren - unter Absehung ideologischer Gründe - den Sieg zu wünschen. Während der SED-Staat die Daumen für die sozialistischen Brüder aus Ungarn drückte, hielt jedoch die DDR-Bevölkerung zu ihren westdeutschen Landsleuten. So stellte die erfolgreiche Nationalmannschaft der Bundesrepublik über Jahrzehnte den wichtigsten grenzübergreifenden Bezugspunkt für sportbegeisterte DDR-Bürger dar. Im Schwimmen oder in der Leichtathletik waren die Sportler aus Thüringen, Sachsen oder Brandenburg der Bundesrepublik meist überlegen. Nur im Fußball gab es eine still gehegte Bewunderung für westdeutsche Mannschaften und Kicker-Idole wie Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller. Man fieberte verstohlen mit der Bundesliga-Elite, wenn Weltmeisterschaften waren und die eigene Auswahl wieder einmal nur zuschauen durfte.
"Welche Deutschen erfüllt es nicht mit ehrlicher Freude, dass es einer deutschen Mannschaft gelungen ist, in Genf (!) den Sieg davonzutragen", heuchelte Chefagitator Karl Eduard von Schnitzler, als Fritz Walter und seine tapferen Recken denCoupe Jules Rimet eroberten. Doch was Adenauer und Heuss mit den Siegern anstellen wollten, so der Mann vom "Schwarzen Kanal" in ideologisch verblendeter Analogie, "ist nichts anderes als das, was Hitler bei der Olympiade vorexerziert habe: der Missbrauch des Sports als Fassade für die Kriegsvorbereitung".
Der Publizist Jürgen Bertram hat in seiner "deutschen Geschichte" über die "Helden von Bern" vier historische Stationen des Nachspiels zum Endspiel zusammengefasst:
Erstens: der psychische Zustand einer um ihre Identität gebrachten Nation, deren Bezugspunkte, Orientierungswillen und Werte verloren gegangen waren. Das deutsche Volk habe unter der "Zentnerlast der Zweitklassigkeit" gelitten. Danach hat der Sieg von Bern die Republik zwar nicht neu begründet, aber mental verändert. Wie eine Woge sei die Begeisterung "über das Stauwerk der nationalen Schmach" geschwappt (Alfred Georg Frei).
Zweitens: der kollektive Rausch. Nicht elf Fußballer, sondern "wir", die Deutschen, hatten gewonnen. Nach dem 4. Juli 1954 hat es ein vergleichbares Datum der nationalen Begeisterung nur noch am 9. November 1989 gegeben, dem Tag, als die Mauer fiel.
Drittens: die kollektive Verdrängung. Die glanzvollen Bilder der Sieger hätten die düsteren Schatten der Vergangenheit überblendet. "Dieser Tag", so Joachim C. Fest, "leistete eine Befreiung der Deutschen von all dem, was auf ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg lastete."
Viertens: das neue Selbstwertgefühl, wonach die Deutschen im Erfolg ihrer Fußballweltmeister sich selbst wie nach einer mirakulösen Auferstehung feierten.
Sosehr die gesellschaftspolitischen Deutungen des "Wunders von Bern" auch divergieren mögen, eine Erkenntnis scheint zumindest gesichert, die sich wie ein roter Faden durch alle Veröffentlichungen zieht: Die wahren Nutznießer des Fußball-Jahrhundertereignisses waren die Jugendlichen im Nachkriegsdeutschland.
Jürgen Bertram betont, wie sehr auch für die Söhne der Triumph im Wankdorfstadion ein Befreiungsschlag gewesen sei. Denn in der Atmosphäre der fünfziger Jahre hätten die Väter ihre schuldhafte Verstrickung verdrängt und ihre Frustration häufig genug an den Kindern abreagiert.
In Wortmanns Film Das Wunder von Bern wird dieses Motiv aufgegriffen. Ein aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrter Vater versucht mit Prügelerziehungsmethoden aus der NS-Zeit seinen fußballbegeisterten elfjährigen Sohn zur Raison zu bringen. Doch die sentimentale Schmonzette aus den restaurativen Fünfzigern endet in der Läuterung des verbitterten Vaters durch die Macht des Fußballs. Das Happy End findet im Berner Wankdorfstadion statt, wohin Vater und Sohn gemeinsam kutschieren.
Bereits der Schriftsteller F. C. Delius hat in seinem Roman über den Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde (1994) die Geschichte eines elfjährigen Pfarrersohnes erzählt, der Bern als "Schimmer eines Auswegs" aus dem Muff der nordhessischen Provinz erfährt.
In ähnlich emphatischer Weise hält auch Klaus Theweleit daran fest, dass den Jungen damals der Fußball das "Tor zur Welt" bzw. zu "anderen Wirklichkeiten" aufgestoßen habe. Entschieden plädiert er für eine "Existenz aus Fußballphantasien und Lebensrealität": "Spielen hieß Weltanschluss. Die Schnittstelle zwischen Ich` und Welt`: der Ball." Spielend die Welt kennen lernen oder gebannt schauend die Grenzen überschreiten - zwischen utopischem Schein und Balsam im Alltag entfaltet sich das Spiel - nach Theweleit - als "Dramaturgie eines Lebensbogens".
Rudi Michel lässt es sich in seiner Oral history nicht nehmen, derlei Intellektualisierung des Fußballs in die Schranken der alten Kalten-Kriegs-Verhältnisse zu verweisen. Er erinnert daran, dass erst Fritz Walter das einst als Proletensport verpönte Spiel populär gemacht habe: "Die Intellektuellen ignorierten den Fußball gern. Es gehörte geradezu zum guten Ton, ihn mies zu reden. Wer damals gesagt hat: Davon versteh' ich gar nichts`, der galt fast schon als Intellektueller - er hat seine Ablehnung demonstriert."
Mochte der unerwartete WM-Triumph noch so sehr als Souveränitätsgewinn der neuen Bundesrepublik empfunden werden, im Bewusstsein der konkurrierenden Fußballnationen galten die Sieger von Bern - trotz des spielerisch hoch begabten Fritz Walter und des Individualisten Helmut Rahn - als unansehnliche "Klopper", "Rasenmäher" oder "Ackerfußballer". Über Jahrzehnte hielt sich das böse bellizistische Klischee von den "deutschen Rasen-Panzern". Herbergers "Sensen- und Sichelfußball" wurde ob seiner "teutonischen Tugenden" wie Härte, Ausdauer und Kampfgeist mehr gefürchtet als goutiert.
Als die Spielergeneration der Beckenbauer, Overath und Netzer eine ästhetische Wende im deutschen Fußball einleiteten, geriet der Berner Triumph in den Augen der jüngeren Generation ein wenig unter Stalingrad-Verdacht. Die sagenumwobene Geschichte vom Aufbäumen des fast schon besiegten deutschen David gegen den ungarischen Goliath roch verdächtig nach Heldenlegenden aus Landserheftchen.
Doch als der deutsche "Rumpelfußball" - eine unfreundliche Etikettierung Franz Beckenbauers - in den achtziger Jahren zurückkehrte und die DFB-Equipe mehrere spielerisch zweifelhafte Endspielteilnahmen erkämpfte, entwickelte sich hierzulande eine Art trotziges Erfolgsbewusstsein von einem deutschen Sonderweg auf dem Rasen: nämlich selbst eklatante spielerische Defizite durch außergewöhnlichen Kampfesmut kompensieren zu können. Wo es an der Technik fehlte, war Rackern bis zum Umfallen angesagt.
Inzwischen garantieren die sprichwörtlichen deutschen Tugenden allein keinen Erfolg mehr gegen eine technisch und taktisch hochgerüstete internationale Konkurrenz. Gesellschaftliche Analogien bieten sich an: Eine neue Spielergeneration beherrscht nicht einmal mehr das Kämpfen. Der einstige Superstar im Weltfußball steht vor der Zweitklassigkeit. Radikale Umbrüche verlangen nach heroischen Vorbildern. Schon deshalb dürfte auch das "Wunder von Bern" nie in Vergessenheit geraten.