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Die CSU von 1945 bis 2018 | Bayern | bpb.de

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Die CSU von 1945 bis 2018 Eine kurze Bilanz

Thomas Schlemmer

/ 16 Minuten zu lesen

Die CSU erhob schon früh den Anspruch, "Volkspartei, Staatspartei und Ordnungspartei" zu sein. Jüngst hat ihr Nimbus allerdings gelitten. Die Ursachen für Erfolg und Misserfolg in historischer Perspektive sowie die Handlungsoptionen der Partei sind Thema dieses Beitrags.

Die Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU) gibt es seit 73 Jahren. Davon war sie 70 Jahre Regierungspartei und führte den Freistaat 50 Jahre lang mit absoluter Mehrheit. In der Geschichte demokratischer Staaten werden sich nur wenige vergleichbare Beispiele finden lassen. Auch Wahlergebnisse jenseits der Marke von 60 Prozent wie bei den Landtagswahlen 1974 und 2003 sind rekordverdächtig. Größer noch als der Erfolg der Partei war stets das Selbstbewusstsein führender CSU-Politiker. Als der damalige Generalsekretär Erwin Huber im Herbst 1994 nach den politischen Perspektiven der CSU befragt wurde, erklärte er: "In Bayern haben die Wittelsbacher 800 Jahre regiert. Wir erst 37. Da is’ noch viel drin." Damit schrieb Huber den Mythos CSU in den Mythos Bayern ein und ergänzte die althergebrachte Trias "Wald, Gebirg und Königstraum" um eine parteipolitische Komponente mit impliziter Ewigkeitsklausel.

Wer hoch greift, kann tief fallen: Bei der Landtagswahl im Oktober 2018 verlor die CSU im Vergleich zu 2013 10,5 Prozent der Stimmen und verfehlte mit 37,2 Prozent – dem zweitschlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte – die absolute Mehrheit deutlich. Je nach politischer Couleur kennzeichneten Entsetzen, Erstaunen, Schadenfreude oder offene Häme die Berichterstattung. "Bayern aus den Fugen", titelte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", ein "politisches Erdbeben" erkannte die spanische Zeitung "El Mundo", während "Dagens Nyheter" aus Stockholm eine "historische Niederlage" konstatierte. Die "Westfalenpost" sprach sogar von einer "Zeitenwende im Freistaat".

Steht Bayern wirklich vor einer "Zeitenwende"? Es ist Zeit, eine kurze Bilanz zu ziehen, die jüngsten Ereignisse in die Geschichte Bayerns und der CSU einzuordnen, nach längerfristigen Entwicklungen und ihren Auswirkungen zu fragen sowie Handlungsoptionen für die nähere Zukunft zu skizzieren.

Letzte ihrer Art?

Die Gründung der CSU 1945/46 als autonome Landespartei entsprach "der konfessionellen, sozialen und regionalen Zerklüftung" der deutschen Nachkriegsgesellschaft" und war Ausdruck der "bayerischen Frage", die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges offener schien denn je. Eigentlich zielte die Idee der Union auf eine Überbrückung aller "Grabenbrüche der neueren deutschen Geschichte" und umfasste damit nicht nur ein Ende der konfessionellen Spaltung auf dem Feld der Politik, sondern schloss auch landsmannschaftliche Gegensätze aus. Die Frühgeschichte der CSU zeigte jedoch bald, dass die Praxis anders aussah. Die Frage nach der Stellung und den Einflussmöglichkeiten Bayerns in einem übergeordneten deutschen Staatswesen überschattete alle innerparteilichen Debatten und führte letztlich dazu, dass die Weichen für ihre Entwicklung zur eigenständigen Landespartei lange gestellt waren, bevor sich die Landesverbände der Schwesterpartei 1950 auf Bundesebene zur Christlich-Demokratischen Union (CDU) zusammenschlossen.

Der CSU war ihr Charakter als Regionalpartei also gleichsam in die Wiege gelegt, das heißt, sie "verlieh der Identität" Bayerns "politischen Ausdruck" und bediente mit starken Worten das "Narrativ der Legitimation regionaler Differenz". Die CSU war nach 1945 aber nicht die einzige deutsche Regionalpartei, und das zeigt schon die Bedeutung, die überkommenen Traditionen und territorial gebundenen politischen (Teil-)Kulturen zukam. Aber in Bayern waren diese historischen Wurzeln und die Erinnerungen an die Zeiten souveräner Staatlichkeit besonders stark, sodass sich gleich zwei Regionalparteien entwickelten: neben der CSU auch die Bayernpartei.

Die Bayernpartei hatte ihre politische Bedeutung allerdings bereits nahezu vollständig eingebüßt, als die Ära Adenauer 1963 zu Ende ging – und damit war sie nicht allein. Die Bundesrepublik war noch keine 20 Jahre alt, als fast alle Parteien, die sich überwiegend über spezifisch territoriale Faktoren definierten, von der parlamentarischen Bildfläche verschwunden waren. Die Gründe dafür lagen in der Integrationskraft des "Wirtschaftswunders" und in der erfolgreichen Politik der Westintegration, also in dem doppelten Versprechen von Wohlstand und Sicherheit, welches das Provisorium Bundesrepublik und die sie tragenden Parteien zunehmend attraktiv erscheinen ließ. Zu diesen Parteien gehörte auch die CSU – paradoxerweise, hatten doch ihre Vertreter im Parlamentarischen Rat und im Bayerischen Landtag das Grundgesetz 1949 mit großer Mehrheit abgelehnt. Dieses Paradoxon ergab sich zum einen aus der Aktionseinheit mit der CDU, mit der die CSU im Bundestag von Anfang an durch eine Fraktionsgemeinschaft verbunden war, in der sie durch ihre meist sehr selbstbewusste Landesgruppe aber stets als eigene Kraft sichtbar blieb; zum anderen aus der aktiven Beteiligung an den Regierungsgeschäften insbesondere durch ebenso populäre wie umstrittene Bundesminister wie Fritz Schäffer, den strengen Hüter der Staatsfinanzen, und Franz Josef Strauß, in dem nicht wenige eine manifeste Bedrohung der jungen Demokratie sahen. Als verdeckte Bundespartei konnte die CSU sowohl Verantwortung auf gesamtstaatlicher Ebene übernehmen als auch effektiv bayerische Interessen bedienen: die "Erschließung des Landes" fördern und Bayern so den Weg in die industrielle Moderne ebnen; finanzielle Ressourcen mobilisieren, um die sozialen Folgen dieses Übergangs zu dämpfen; und glaubhaft die föderalistische Karte spielen, um sich als authentische Vertreterin des Freistaats zu stilisieren.

Das bayerische Bedürfnis nach Autonomie hatte freilich noch eine andere, europäische Dimension. Die CSU erweiterte nämlich ihre "einzigartige institutionelle Doppelrolle" um einen besonderen europäischen Anspruch. Das europäische Projekt war für die CSU von Anfang an Ausdruck einer katholisch-abendländischen Zielprojektion und besonders attraktiv, weil es über das Ordnungsprinzip des Nationalstaats hinauswies. Als bayerische Regionalpartei und verdeckte Bundespartei zog die CSU im Mehrebenensystem der europäischen Staatengemeinschaft unterschiedliche Register, um zum einen die besonderen Interessen Bayerns in einem Europa der Regionen zur Geltung zu bringen, zum anderen aber um ihrer Skepsis gegen administrative Zumutungen aus Brüssel Ausdruck zu verleihen. Die besonderen diplomatischen Beziehungen, die Bayern zur EU und zu Nachbarstaaten wie Österreich pflegt und die die CSU zu befreundeten Parteien wie der Österreichischen Volkspartei aufrechterhält, sind Ausdruck dieses ambivalenten Ansatzes.

Dazu passt die Aussage, der Freistaat sei ein besonderes Stück Deutschland und gleiche Schottland, wo die Scottish National Party für sich beansprucht, eine Nation ohne Staat zu vertreten. Während die Frage nach dem Verhältnis von Region und Nation in Europa aber in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat und die Rufe nach mehr Autonomie, sogar nach Unabhängigkeit lauter geworden sind, ist der Föderalismus in Deutschland als Ausdruck von rückwärtsgewandter Kleinstaaterei unter Druck geraten. Dies zeigt sich auch in Bayern und stellt vor allem die CSU als Gralshüterin der föderativen Ordnung vor Herausforderungen.

Alles auf Anfang?

Wer von der CSU spricht, dachte bis vor Kurzem meist an einen schier unverrückbaren schwarzen Monolithen. Doch dieses Bild verstellt den Blick darauf, dass der Erfolg der bayerischen Unionspartei aus dem Zusammenwirken von ebenso günstigen wie langfristig wirksamen strukturellen Voraussetzungen, politisch-organisatorischen Weichenstellungen und den Fehlern der Mitbewerber um die Wählergunst resultierte. Ebenso ist der jüngste Misserfolg auf die Interdependenz von längerfristigen, schwer beeinflussbaren Prozessen und aktuellen Entwicklungen zurückzuführen. Ein kurzer Blick auf die vier formativen Phasen in der Geschichte der CSU soll dies verdeutlichen.

1945 bis 1966

Die ersten zwei Jahrzehnte ihres Bestehens lassen sich mit "Aufbruch, Krise und Erneuerung" zusammenfassen. 1946 gewann die CSU alle Wahlen mehr oder weniger deutlich und erzielte bei der Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung sogar 58,3 Prozent der Stimmen. Als "Milieupartei des Katholizismus einerseits" und als interkonfessionelle "Sammlungsbewegung rechts von der SPD andererseits", erwies sich die CSU als strukturell mehrheitsfähig. Doch stieß sie wegen erbitterter Führungs- und Flügelkämpfe über Programm, Personal und Organisation rasch an ihre Grenzen. Erschwerend kam hinzu, dass sich das überschaubare Parteiensystem der ersten Nachkriegsjahre seit 1948/49 auch in Bayern zunehmend polarisierte und fragmentierte. Neue Parteien entstanden entweder entlang der historisch gewachsenen konfessionell-territorialen Spannungslinien, die – grob gesprochen – zwischen dem Süden und dem Norden Bayerns verliefen, oder sie ergaben sich aus neuen sozialen Konfliktlagen, die in Krieg, Zusammenbruch und Niederlage wurzelten. Die Bayernpartei und die ersten Interessenvertretungen der Heimatvertriebenen setzten der CSU so sehr zu, dass sie bei der ersten Bundestagswahl 1949 nur noch auf 29,2 Prozent der Stimmen kam und ein Jahr später bei der Wahl zum Bayerischen Landtag sogar zum ersten und einzigen Mal mit 27,4 Prozent hinter die SPD (28 Prozent) zurückfiel. Nie war die CSU weiter von ihrem dreifachen Anspruch entfernt, "Volkspartei, Staatspartei und Ordnungspartei" zu sein. Mehrheiten gegen die CSU waren also nicht nur möglich, sie ließen sich auch organisieren, wie sich im November 1954 zeigte, als sich eine Koalition aus vier Parteien unter sozialdemokratischer Führung bildete, die immerhin drei Jahre regierte.

Der Sturz in die Opposition war für die CSU ein Trauma, das bis heute nachwirkt. Doch gerade dadurch fand die Partei die Kraft, sich zu erneuern: Personell traten verbrauchte Führungsfiguren von der politischen Bühne ab, programmatisch verschoben sich die Gewichte vom prononciert bayerisch-katholischen zum liberal-konservativen, interkonfessionellen Flügel der Partei, und organisatorisch unternahm eine neue Parteiführung energische Schritte zur Werbung neuer Mitglieder und zum Aufbau eines modernen Parteiapparats. Die CSU profitierte dabei vom Ausbau der öffentlichen Parteienfinanzierung ebenso wie von einem allgemeinen Prozess der Konzentration, der das bundesdeutsche Parteiensystem unter den Bedingungen von wachsendem Wohlstand und Stabilität erfasst hatte. 1962 setzte sich der Bayerische Landtag nur noch aus Vertretern von vier Parteien zusammen. Wie die CSU an der Wende von den 1940er zu den 1950er Jahren unter sozialen Spannungen und politischen Gegensätzen gelitten hatte, kam ihr jetzt die zunehmende Integration der Gesellschaft zugute. 1966 gewann die CSU bei der Landtagswahl mit 48,1 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit der Mandate zurück und regierte erstmals seit 1950 wieder ohne Koalitionspartner.

1966 bis 1978

Diese Erfolge sind umso bemerkenswerter, als sie vor dem Hintergrund eines dramatischen Strukturwandels in der Wirtschaft und Gesellschaft Bayerns gesehen werden müssen. In den 1960er Jahren hielt in Bayern endgültig die industrielle Moderne Einzug, und es war die CSU, die diesen Prozess zu steuern und zu beschleunigen suchte. Ihre traditionelle Anhängerschaft in Landwirtschaft, Handwerk und Kleinhandel verlor mehr und mehr an Bedeutung, ganz im Gegensatz zu den Arbeitern und Angestellten im expandierenden sekundären und tertiären Sektor. Doch der SPD gelang es nicht, das Wasser des sozialen Wandels dauerhaft auf ihre Mühlen zu lenken. Die CSU konnte sich dagegen als Partei des Fortschritts profilieren, wobei sie zunehmend auf so widersprüchliche Begriffspaare wie Tradition und Moderne, Konservatismus und Fortschritt oder Heimat und Hochtechnologie setzte, um ihren programmatisch-politischen Horizont zu beschreiben.

Anfang der 1970er Jahre begann die CSU, staatliche Symbole wie Löwe und Raute zu besetzen. Damit profilierte sie sich als angeblich einzig legitime Vertreterin bayerischer Interessen. Zugleich führten der sozioökonomische Strukturwandel und der Ausbau der Infrastruktur auch in den ausgedehnten ländlichen Regionen Bayerns zu einer Verbesserung des Lebensstandards und der Lebenschancen für breite Bevölkerungsschichten, deren politische Früchte die CSU ernten konnte. Bei der Landtagswahl 1970 gewann sie 56,4 Prozent der Stimmen, vier Jahre später sogar 62,1 Prozent. Bis Ende der 1960er Jahre hatte es gedauert, das bürgerlich-konservative Lager fast vollständig in der CSU zu sammeln. Bei den Wahlen 1970 und 1974 gelangen der CSU zudem große Gewinne unter der traditionellen SPD-Wählerschaft. Während sich die SPD davon nie wirklich erholte, stieg die CSU zur beherrschenden Kraft im politischen System Bayerns auf.

1978 bis 1994

Im letzten Jahrzehnt der "Bonner Republik" war die Dominanz der CSU in Bayern am größten. Mit Franz Josef Strauß als Parteichef und Ministerpräsident verfügte sie bis 1988 über eine international bekannte Führungsfigur, die polarisierend und integrierend zugleich wirkte. Die unangefochtene Herrschaft über den Freistaat wurde ab Oktober 1982 flankiert durch die Beteiligung an der christlich-liberalen Bundesregierung unter Helmut Kohl. Zwar blieben Reibungsverluste nicht aus, doch überwogen die Vorteile durch eine effektivere Vertretung bayerischer Interessen auf Feldern wie Verkehrs-, Technologie- und Industriepolitik. In diesem Jahrzehnt gelang es der CSU, durch "vielfältige neue organisatorische Vernetzungen ein parteinahes gesamtbayerisches Sozialmilieu" aufzubauen und "modernes organisationspolitisches Parteimanagement mit neuen Honoratioren-Strukturen" zu verbinden. Diese spezifische Organisations- und Integrationspolitik ist sicher ein wichtiger Faktor, um Wahlergebnisse zu erklären, die bei Landtags- und Bundestagswahlen in diesen Jahren stets und zum Teil deutlich über 50 Prozent lagen.

Allerdings sah sich die CSU ab Ende der 1980er Jahre mit drei Herausforderungen konfrontiert. Das erste dieser Probleme betraf die Auseinandersetzung mit dem Erbe, das der 1988 unerwartet verstorbene Franz Josef Strauß hinterlassen hatte: ungelöste Führungsfragen, zu lange aufgeschobene programmatische Diskussionen und vor allem ein zunehmend skandalisiertes System gegenseitiger Gefälligkeiten. Das zweite Problem ergab sich aus dem Ende der DDR und dem Beitritt der fünf ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik. Strategisch musste sich die CSU damit abfinden, dass sich ihr unmittelbarer Macht- und Einflussbereich nicht verändert hatte, während sich die Gewichte in der Parteienlandschaft und im föderativen System der "Berliner Republik"verschoben. Damit verbunden wuchs drittens die Zahl politischer Mitbewerber. Dieser Prozess der Pluralisierung hatte bereits Ende der 1970er Jahre mit der Gründung der Partei Die Grünen begonnen, die 1986 erstmals auch in den Bayerischen Landtag einzogen, und setzte sich mit den Republikanern fort, die 1990 nur knapp an der Fünfprozenthürde scheiterten.

1994 bis 2018

Die Republikaner verschwanden in Bayern nicht zuletzt deshalb wieder, weil die CSU sich auf die Doppelstrategie verlegte, die Partei als rechtsextrem zu brandmarken sowie gleichzeitig ihre Themen zu besetzen und ihre Wählerschaft zu umwerben. Doch das wachsende Integrationsproblem der CSU war unverkennbar: Selbst bei der Landtagswahl 2003, als die CSU mit 60,7 Prozent der Stimmen noch einmal einen glänzenden Erfolg feiern konnte, kam die Konkurrenz von FDP, Republikanern, Freien Wählern und Ökologisch-Demokratischer Partei auf fast elf Prozent der Stimmen. Dies spiegelte die Pluralisierungs- und Individualisierungsprozesse wider, die die (west)deutsche Gesellschaft im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erfasst hatten. Dass die CSU darunter zunächst weniger zu leiden hatte als andere Parteien, lag an der Persistenz bestimmter soziokultureller Formationen wie der Bindung der Wählerschaft an die christlichen Kirchen gerade im ländlichen Raum; an den im innerdeutschen Vergleich glänzenden ökonomischen Kennziffern und am Faktor Edmund Stoiber, der sich insbesondere nach dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder als bayerische Speerspitze gegen Zumutungen aus Berlin zu profilieren wusste. Entsprechend schwer trafen die CSU die (Selbst-)Demontage ihres Hoffnungsträgers und Stoibers Rücktritt als Ministerpräsident und Parteivorsitzender im Herbst 2007. Ein Jahr später folgte bei der Landtagswahl ein Absturz der CSU auf 43,4 Prozent der Stimmen, der die Partei erstmals seit 1962 in eine Koalitionsregierung zwang. Doch alle Nach- und Unkenrufe erwiesen sich als voreilig. Unter der Führung von Horst Seehofer als Parteivorsitzender und Ministerpräsident gelang es der CSU, den Negativtrend bei den Bundes- und Landtagswahlen 2013 umzukehren. Es wurde aber auch deutlich, dass das Fundament dieses Erfolgs erheblich brüchiger war als früher.

Neben einer geschickten Identitäts- und Heimatpolitik waren es vor allem die Wohlstandsgewinne, die bei Wahlen lange Zeit der Regierungspartei zugutekamen, sodass es der CSU gelang, ein glaubwürdiges Narrativ der Einheit von Land und Partei zu schmieden. Im Lichte der spürbar gesunkenen Mobilisierungsfähigkeit der CSU und des abnehmenden Konzentrationsgrades des bayerischen Parteiensystems scheint diese Erzählung freilich an Integrationskraft verloren zu haben. Heimatverbundenheit bezieht sich stärker als früher auf Region und Wohnort statt auf Bayern als Ganzes. Diese Ausdifferenzierung des Heimatbewusstseins lässt ungleiche Lebenschancen und Wohlstandsdifferenzen stärker hervortreten und verschafft ihnen größere politische Virulenz. Als Unterschiede anerkennendes Strukturprinzip gerät der Föderalismus und damit das Lebenselixier der CSU unter Druck. Hinzu kommt, dass heute mehr als jeder fünfte Einwohner Bayerns einen Migrationshintergrund hat. "Die traditionelle Inszenierung" der CSU und der von ihr (mit)getragenen Staatsregierung als Bannerträger bayerischer Eigenstaatlichkeit, Interessen und Kultur "fällt so zunehmend schwerer und erzielt immer weniger die gewünschten Unterstützungseffekte". Dass nach der Landtagswahl 2018 mit sechs Fraktionen mehr Parteien im Maximilianeum vertreten sind als 1950 und die CSU ein ähnlich schlechtes Wahlergebnis einfuhr wie seinerzeit, spricht eine deutliche Sprache. Wenn man die Geschichte der CSU seit 1945 betrachtet, könnte man also mit Fug und Recht fragen: Alles auf Anfang?

Ausblick

Vergleicht man Fragmentierung und Polarisierung des bayerischen Parteiensystems nach den Landtagswahlen von 1950 und 2018, fallen tatsächlich bestimmte Parallelen auf. Beides lässt auf eine von mehr oder weniger tiefen Spannungs- und Spaltungslinien durchzogene Gesellschaft schließen. Aber schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass sich diese erheblich verschoben haben. 1950 ging es vor allem um Fragen wie Konfession, Region und politische Tradition oder Herkunft, während 2018 der Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten fast jede Bedeutung verloren hat, die Unterschiede zwischen altbayerischen Kernlanden und anderen bayerischen Regionen stark verschliffen sind und der Faktor Herkunft etwas anderes bedeutet als in der von Flucht und Vertreibung geprägten Nachkriegszeit. Dagegen ist das Gefälle zwischen (Groß-)Stadt und Land erheblich wichtiger, dasselbe gilt für Aspekte wie Alter, Geschlecht oder Bildung.

Wie ein Blick auf die Wahlergebnisse 2013, 2017 und 2018 zeigt, sind die Konsequenzen dieser Veränderungen nicht so spektakulär, wie es zunächst den Anschein hat – sieht man davon ab, dass mit der SPD eine tragende Säule des bayerischen Parteiensystems bedrohlich ins Wanken gekommen ist. Verglichen mit der Bundestagswahl 2017 verlor die CSU zuletzt nur etwas mehr als ein Prozent der Stimmen. Der eindeutige Wahlsieger waren die Grünen, die mit 17,6 Prozent das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte im Freistaat einfuhren. Die Gewichte zwischen den politischen Lagern haben sich kaum verschoben, wenn man bedenkt, dass die Stimmen der Alternative für Deutschland zu einem erheblichen Teil von ehemaligen Wählerinnen und Wählern der CSU kamen. Hatten CSU, Freie Wähler und FDP 2013 zusammen noch 60 Prozent der Stimmen gewinnen können, so waren es der schweren Verluste der CSU zum Trotz fünf Jahre später noch immer fast 54 Prozent. SPD, Grüne und Linke kamen dagegen zusammen auf 30,5 Prozent der Stimmen, nach 31,3 bei der Landtagswahl 2013. Dazu passt die Beobachtung, dass zwar auch in Bayern "die Zahl der Wechselwähler steigt", aber die "Richtung weiterhin in beachtlichem Maße strukturell mitbestimmt ist". Die Bindungen an sozialmoralische Milieus, "wie locker oder auch nurmehr latent sie vorhanden sein mögen", präformieren also die "politisch-ideologischen Grundorientierungen". Ein sogenanntes bürgerliches Bündnis mit den Freien Wählern, das der CSU zunächst die nahezu bruchlose Fortsetzung ihrer Politik im Freistaat ermöglichen dürfte, war die fast logische Konsequenz dieser bei aller Veränderung überraschend stabilen Kräfteverhältnisse.

Dennoch dürften die Zeiten einer sicheren Stammwählerschaft und struktureller Mehrheiten ohne große Anstrengungen auf absehbare Zeit vorbei sein. Die CSU wird sich an einen Wählermarkt gewöhnen müssen, der auch in Bayern zunehmend volatil wird. Schließlich entscheiden sich die Wählerinnen und Wähler spontaner und stärker situationsbezogen als früher. Mit einer stimmigen Agenda und dem passenden Personal zur richtigen Zeit ist also einiges zu gewinnen; das zeigt nicht nur der Wahlerfolg der Grünen, sondern auch die erfolgreiche Kampagne von Horst Seehofer, der 2013 für die CSU die absolute Mehrheit zurückerobern konnte.

Der Abschied von strukturellen Mehrheiten muss also nicht bedeuten, dass sich keine situativen Mehrheiten organisieren lassen. Dafür kann die CSU vor allem zwischen drei strategischen Varianten wählen: Die erste steht im Zeichen der Kontinuität, das heißt sie spielt ihre Rolle als verdeckte Bundespartei mit europapolitischem Anspruch weiter. Die zweite würde einen Rückzug auf die Rolle einer bloßen Regionalpartei bedeuten, um die bayerische Bastion auf jeden Fall zu halten. Die dritte käme einem Sprung ins Ungewisse gleich: die Umgründung der CSU zu einer echten Bundespartei, um mit neuen Wählerschichten außerhalb Bayerns ihren politischen Einfluss in Berlin zu sichern und von dort aus auch für den Freistaat Politik zu machen. Überlegungen in diese Richtung hat es immer wieder gegeben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zit. nach Walter Mayr, Große Welt im Rautengitter, in: Der Spiegel, 3.10.1994, S. 40–47, hier S. 47.

  2. Margot Hamm et al. (Hrsg.), Mythos Bayern. Wald, Gebirg und Königstraum, Augsburg 2018.

  3. Zit. nach Pressestimmen zur Landtagswahl, 15.10.2018, Externer Link: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/a-1233243.html.

  4. Zur Orientierung vgl. Alf Mintzel, Geschichte der CSU, Opladen 1977; Thomas Schlemmer, Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955, München 1998; Michael Weigl, Die CSU, Baden-Baden 2013.

  5. Wilhelm Hennis, Die Rolle des Parlaments und die Parteiendemokratie, in: Richard Löwenthal/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland – eine Bilanz, Stuttgart 1974, S. 203–243, hier S. 234.

  6. Gerhard Schulz, Die CDU – Merkmale ihres Aufbaus, in: Max Lange et al. (Hrsg.), Parteien in der Bundesrepublik, Stuttgart–Düsseldorf 1955, S. 3–153, hier S. 31.

  7. Roland Sturm, Die deutschen Regionalparteien, in: Rudolf Hrbek/Martin Große Hüttmann (Hrsg.), Regionalparteien in Europa, Tübingen 2016, S. 9–19, hier S. 9.

  8. Vgl. Ilse Unger, Die Bayernpartei, Stuttgart 1979; Konstanze Wolf, CSU und Bayernpartei, Köln 1984.

  9. Vgl. Günter Buchstab, Die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft, in: Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute, München 2009, S. 255–274.

  10. Vgl. Thomas Schlemmer/Hans Woller (Hrsg.), Bayern im Bund, 3 Bde., München 2001–2004.

  11. So schon Alf Mintzel, Die CSU, Opladen 1975, S. 39.

  12. Vgl. dazu Alexander Wegmaier, Die Idee Europa und die bayerische Europapolitik 1945–1979, München 2018; Guido Thiemeyer, Die Bundesländer und die Entstehung des europäischen Mehrebenensystems 1950 bis 1985, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3/2017, S. 339–363.

  13. Vgl. Eve Hepburn, The CSU and the Territorial Cleavage in Bavarian Party Politics, in: German Politics 2/2008, S. 184–202, hier S. 191; Alexander Wegmaier, Außenpolitik im Föderalismus, St. Ottilien 2011.

  14. Vgl. exemplarisch Thomas Darnstädt, Ein Abgrund von Föderalismus, in: Der Spiegel, 5.7.2010, S. 56–67.

  15. Karl Schmitt, Konfession und Wahlverhalten in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1989, S. 305.

  16. Vgl. Thomas Schlemmer, Die Flügelkämpfe in der CSU 1945 bis 1949, in: Hans Zehetmair (Hrsg.), Politik aus christlicher Verantwortung, Wiesbaden 2007, S. 60–72.

  17. Vgl. Andreas Kießling, Das Parteiensystem Bayerns, in: Uwe Jun/Melanie Haas/Oskar Niedermayer (Hrsg.), Parteien und Parteiensysteme in den deutschen Ländern, Wiesbaden 2008, S. 126–146.

  18. Emil Muhler, Die ideologischen Grundlagen der CSU, in: Politisches Jahrbuch der CSU, Augsburg–Recklinghausen 1954, S. 13–32, hier S. 25.

  19. Vgl. Dirk Götschmann, Wirtschaftsgeschichte Bayerns, Regensburg 2010, S. 393–603.

  20. Vgl. hier und im Folgenden Thomas Schlemmer, Politik und Selbstdarstellung in Bayern und Baden-Württemberg, in: Stefan Grüner/Sabine Mecking (Hrsg.), Wahrnehmung und Steuerung von sozialökonomischem Wandel in Deutschland 1945–2000, Berlin–Boston 2017, S. 171–190.

  21. Vgl. Alf Mintzel, Die CSU-Hegemonie in Bayern, Passau 1998, S. 131.

  22. Vgl. Horst Möller, Franz Josef Strauß, München u.a. 2015, S. 533–726.

  23. Stefan Immerfall/Alf Mintzel, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung zur Parteienlandschaft in Bayern, in: Maximilian Lanzinner/Michael Henker (Hrsg.), Forschungsperspektiven zur Geschichte Bayerns nach 1945, Augsburg 1997, S. 13–28, hier S. 15.

  24. Vgl. dazu Andreas Kießling, Die CSU, Wiesbaden 2004; Henrik Gast/Uwe Kranenpohl, Politische Führung in der CSU nach Strauß, in: Gerhard Hopp/Martin Sebaldt/Benjamin Zeitler (Hrsg.), Die CSU, Wiesbaden 2010, S. 419–439.

  25. Vgl. Oskar Niedermayer, Die Entwicklung des bundesdeutschen Parteiensystems, in: Frank Decker/Viola Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien, Wiesbaden 2007, S. 115–135.

  26. Vgl. Kießling (Anm. 17), S. 140.

  27. Vgl. dazu programmatisch Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom, Göttingen 2010; Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium 1982–1990, München 2006, S. 289–360; Manfred Görtemaker, Die Berliner Republik, Berlin 2009.

  28. Vgl. Harald Schoen, Mir san mir an der weiß-blauen Wahlurne?, in: Kerstin Völkl et al. (Hrsg.), Wähler und Landtagswahlen in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 2008, S. 62–92.

  29. Vgl. die Tabellen bei Kießling (Anm. 17), S. 134f.

  30. Vgl. Europäisches Forum für Migrationsstudien, Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Bayern, Bamberg 2017, S. 2.

  31. Vgl. Manuela Glaab/Michael Weigl, Politik und Regieren in Bayern, in: dies. (Hrsg.), Politik und Regieren in Bayern, Wiesbaden 2013, S. 19–96, hier S. 73–76, Zitate S. 73f.

  32. Vgl. Kießling (Anm. 17), S. 132–140; Martin Elff/Sigrid Roßteutscher, Die Entwicklung sozialer Konfliktlinien in den Wahlen von 1994 bis 2005, in: Oscar W. Gabriel/Bernhard Weßels/Jürgen W. Falter (Hrsg.), Analysen der Bundestagswahl 2005, Wiesbaden 2009, S. 307–327, hier S. 317, S. 322.

  33. Rainer Olaf Schulze, Die bayerische Landtagswahl vom 15. September 2013, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 2/2014, S. 326–348, hier S. 341.

  34. Vgl. Herbert Maier, Das Kreuz mit dem Wähler, in: Hopp/Sebaldt/Zeitler (Anm. 24), S. 29–46; Susan E. Scarrow, Der Rückgang der Parteibindungen aus der Sicht der deutschen Parteien, in: Peter Mair/Wolfgang C. Müller/Fritz Plasser (Hrsg.), Parteien auf komplexen Wählermärkten, Wien 1999, S. 71–102.

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ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Privatdozent am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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