Renovierungsarbeiten an Geschichtsbildern
Man kann den Eindruck gewinnen, dass, je weniger Zeitzeugen der Ereignisse um den 20. Juli 1944 zur Verfügung stehen, desto mehr Zeitgenossen heute bezeugen, dass der Widerstand gegen das NS-Regime doch eine selbstverständliche und erwartbare Tat gewesen sei. Das Bild des Widerstandes in der Geschichte ist in Bewegung. Ähnliches hat man mit dem Datum 8. Mai 1945 erfahren. Dieses Ereignis wurde zwischenzeitlich für viele zu einem Tag der Befreiung,
Dieses durchaus verständliche Urteil verändert eine frühere Bewertung, denn der 20. Juli 1944 war in der Geschichte auch einmal als Staatsstreich bezeichnet worden. Niemand kam 1944 öffentlich auf den Gedanken, sich mit den Akteuren zu solidarisieren und für Widerstandsaktionen etwa nach dem Vorbild der französischen Résistance zu sorgen. Im Gegenteil: Der Propaganda des Regimes gelang es, weit über ihre Zeit hinaus erfolgreich von Verrat und Eidbruch zu sprechen. Diese Abwehrpolitik des Regimes blieb in der Bundesrepublik noch lange Zeit lebendig und wirksam.
Der 8. Mai 1945 hat in der Bundesrepublik eine geschichtspolitisch weitreichende Umwertung erfahren, insofern als er im Rückblick zum Tag der Befreiung mutierte. Davon war bereits in der DDR die Rede. Uminterpretationen von historischen Ereignissen sind an sich Bestandteile autoritärer bzw. totalitärer, jedenfalls partizipationsschwacher Gesellschaften. Die herrschende Klasse kann relativ einfach - top down - neue Daten von Siegen, Geburtstagen und Ähnlichem verbindlich verordnen. Strapaziöser war es dagegen in der jungen Bundesrepublik, den Status einer besiegten Feindnation einzunehmen. Wir können uns deshalb fragen, ob es im Umgang mit Geschichte nun möglich wird, sich die Schicksalsdaten auszusuchen, sozusagen ein Geschichtsmenü zu bestellen?
Zu einem derartigen geschichtsingenieurhaften Vorgehen eignet sich, wie gezeigt, auch der 20. Juli 1944. Seine Vertreter verkörperten nach eigenem Selbstverständnis das "andere Deutschland"
Vielleicht ist es besser, entlang der engeren Fachliteratur die Mühen der Archivarbeit zur Kenntnis zu nehmen. Dann werden die Akteure des 20. Juli 1944 in ihrer historischen Eingebundenheit und mit ihren Licht- und eben auch Schattenseiten
Dass die Tat dann auch noch erfolglos blieb,
Wie problematisch ein geschichtspolitischer Konstruktivismus auch immer sein mag: Ein geschichtspolitisches Denken herrscht durchaus vor. Der Disput um die Deutungshoheit hat seine eigenen Waffen und Regeln, denen man sich nicht ohne Schaden entziehen kann.
Was heißt Geschichtspolitik?
Geschichtspolitische Kontroversen verbinden sich etwa mit der Fischer-Kontroverse, dem Historikerstreit, der Debatte um die Bewertung des 8. Mai 1945, der Debatte um den Wiederaufbau des Hohenzollern-Schlosses in Berlin und mit den Fragen nach einem Bundesland Preußen, mit der so genannten Walser-Bubis-Debatte, mit den Fragen zum Holocaust-Mahnmal, mit der Beachtung und Bewertung von deutschen Brandopfern nach alliierten Bombeneinsätzen, mit der Frage der Entschädigung von Zwangsarbeitern oder mit der Frage der Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen. Diese erinnerungspolitischen, z. T. vergangenheitspolitischen, spezifisch auf die NS-Zeit bezogenen Debatten haben in Frankreich und Deutschland
All diese Vorgänge sind eingebettet in die Aufarbeitungsstrategien der Medien, namentlich des wirkungsreichen Fernsehens. Ob es um "affektive Bilder statt (um eine) geschichtspolitische Analyse" geht, wie die "Neue Zürcher Zeitung" über auf den "D-Day" und den 20. Juli 1944 bezogene Sendungen schreibt
Selbstverständlich gilt einerseits der wissenschaftliche Wahrheitsmaßstab, nur ist andererseits zu konstatieren, dass ähnlich wie in der Ökonomie viele Wahrheiten, viele berechtigte Interpretationen kursieren; auch in der Bewertung des 20. Juli 1944. Auch diese Vielfalt ist wahr. Deshalb kommt es sehr wohl auf die Frage nach der Deutungshoheit an, denn setzt sich etwa die Meinung fest, "der 20.Juli" sei eine Angelegenheit demokratieferner Adliger, die in letzter Minute den militärischen Untergang hätten abwenden wollen, dann hätte dies weitreichende Konsequenzen: "Überall in der Republik sind Straßen, Schulen und Kasernen nach den Männern des 20. Juli benannt."
Auch eine von-Stauffenberg-Straße gibt es. Bekanntlich ist das Urteil über den zentralen Akteur des 20. Juli 1944, zumindest in der Bundeswehrtradition, umstritten gewesen. An von Stauffenberg oder an von Tresckow kann man die Konfliktlinien der geschichtspolitischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte gut aufzeigen. Zurzeit diskutiert man (wieder) besonders das Involviertsein dieses Antifaschisten in die Zeit des Krieges und seiner Ereignisse und Vorkommnisse.
Wem gehört der 20. Juli 1944?
"Wem gehört der 20. Juli 1944?"
Wenn der Kern mancher Auseinandersetzung geschichtspolitischer Art "die Frage nach dem historischen Ort der Bundesrepublik, nach ihrem Selbstverständnis, nach den werthaften und normativen Inhalten ihres Gedächtnisses" ist, wie der Experte für Geschichtspolitik, Edgar Wolfrum, in anderem Zusammenhang urteilt
Ergebnisse
Für den 20. Juli 1944 bedeutet dies, versuchsweise, folgende abschließende Bewertung in geschichtspolitischer Absicht vorzunehmen. Im Vergleich zu anderen wichtigen Daten deutscher Geschichte, die um geschichtspolitische Aufmerksamkeit konkurrieren, etwa dem 17. Juni 1953, dem 13. August 1961, dem 8. Mai 1945, den verschiedenen Ereignissen am 9. November und auch im Vergleich zum wilhelminischen Sedanstag vom 2. September 1870 oder zum Reichsgründungstag vom 18. Januar 1871 wird mit dem 20. Juli 1944 eine die Öffentlichkeit heute bewegende Widerstandshandlung gegen eine totalitäre Diktatur, aus der heraus Massenverbrechen begangen wurden, verbunden. Die erinnernde Gesellschaft hat, bezogen auf dieses Datum, erst im Laufe von Jahrzehnten, die Ostdeutschen erst nach 1989, eine sich mit der Handlung identifizierende, historisch würdigende Position bezogen.
Identifizierung bedeutet nicht unkritische Aneignung oder vorbehaltlose Zustimmung, nicht eine die Personen glorifizierende Monumentalisierung oder die Monopolisierung der Widerstandshandlungen auf die Kreise, die im engeren oder im weiteren Sinne mit dem Wolfsschanzenereignis und seinen Folgen zu tun hatten. Aber Identifizierung mit den Widerstandskreisen des 20. Juli, die ja ein plurales Spektrum umfassten und keineswegs alle einzig auf eine Demokratie heutiger Prägung hin orientiert waren, bedeutet, ein Stück Konsens in der Parteiendemokratie Deutschlands artikulieren zu können, dokumentierbar etwa in Reden der Bundespräsidenten. Das trug und trägt zur Integration der Bonner und wohl auch Berliner Republik bei. Wenn dieser Konsens trotz vergangener Deutungskontroversen Bestand hat, so wäre die geschichtspolitische Verortung dieses antitotalitären Widerstandes als symbolischer Akt innerhalb der politischen Kultur Deutschlands abgeschlossen. Am Charakter der Selbstbefreiung Deutschlands wird kaum zu zweifeln sein.