Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Was passiert mit unserem Müll? | Müll | bpb.de

Müll Editorial Deponierte Schätze. Archäologien des Mülls als Spiegel der Gesellschaft Was passiert mit unserem Müll? Nationaler Müllkreislauf und internationale Müllökonomie Müllgovernance in Deutschland und Europa Zur falschen Zeit am falschen Ort. Müll als Ressource Müll als Strukturfaktor gesellschaftlicher Ungleichheitsbeziehungen Recycelte Sprachbilder. Kleine Geschichte deutscher Abfalldiskurse bis 1990 Zero Waste. (K)ein Ding der Unmöglichkeit?

Was passiert mit unserem Müll? Nationaler Müllkreislauf und internationale Müllökonomie

Henning Wilts

/ 14 Minuten zu lesen

Kein europäisches Land hat höhere Abfallverwertungsquoten als Deutschland. Aber was genau passiert eigentlich mit unserem Müll? In welchen Teilen der Welt wird er recycelt? Und wer hat Zugriff auf die Rohstoffe, die aus ihm zurückgewonnen werden?

Über Jahrzehnte hinweg war Deutschland international Vorreiter und Vorbild im Bereich der Abfallwirtschaft: Abfälle wurden und werden in Deutschland sicher und zuverlässig entsorgt und sind praktisch keine direkte Gefahr mehr für die Bevölkerung. Deutschland ist zu Recht stolz auf seine abfallwirtschaftliche Infrastruktur mit einer differenzierten Sammelstruktur und beispielsweise technisch vorbildlichen Müllverbrennungsanlagen – tatsächlich hat kein europäisches Land höhere Verwertungsquoten: Über alle Abfälle hinweg liegt sie bei 79 Prozent, für Siedlungsabfälle weist die Abfallstatistik sogar eine Verwertungsquote von 90,1 Prozent aus. Vor diesem Hintergrund galt Abfall, wie er in Deutschland anfällt (Abbildung 1), lange Zeit als technisch "gelöstes" Problem ohne weiteren Handlungsbedarf.

Zusammensetzung der Haushaltsabfälle in Deutschland 2015, in Millionen Tonnen. (© Statistisches Bundesamt 2017)

Seit einigen Jahren erfährt die Abfallwirtschaft unter dem Schlagwort "Kreislaufwirtschaft" jedoch einen massiven Perspektivwechsel: Nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission, die 2015 ihren Aktionsplan Kreislaufwirtschaft vorgestellt hat, sollen Abfälle in Zukunft in erster Linie als potenzieller Rohstoff gesehen werden; sowohl die in einzelnen Produkten enthaltenen natürlichen Ressourcen als auch deren ökonomischer Wert sollen am Ende der Nutzungsphase möglichst optimal erhalten bleiben. Angesichts der Rohstoffarmut in Europa sollen die Abfälle recycelt und wieder in den Produktionsprozess zurückfließen, um so auch langfristig die europäische Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.

Damit geraten jedoch auch neue Fragen in den Fokus: Was genau passiert eigentlich mit unserem Müll? Wo bleibt er, und in welchen Teilen der Welt wird er recycelt? Und wer hat dann Zugriff auf die Rohstoffe, die aus ihm zurückgewonnen werden?

Aus der klassischen Perspektive der "Entsorgungssicherheit" waren diese Fragen irrelevant, Hauptsache irgendwer kümmert sich um den Müll: Die 90,1 Prozent Verwertungsquote sagt zu diesen Fragen nichts aus. Tatsächlich wird Abfall aber immer mehr zu einem international gehandelten Wirtschaftsgut, wobei Deutschland noch nach Ansätzen und Instrumenten sucht, die tatsächlich "interessanten" Abfälle im Land zu behalten und zu verwerten: Betrachtet man die material reuse rate, die den Wiedereinsatz von Abfällen in der Industrie beziffert, so liegt Deutschland mit einer Materialwiederverwendungsrate von 11 Prozent deutlich hinter Ländern wie den Niederlanden (27 Prozent) oder Italien (19 Prozent).

Die Herausforderungen und die der internationalen Müllökonomie zugrunde liegenden "Geschäftsmodelle" unterscheiden sich dabei extrem von Abfallstrom zu Abfallstrom. Vor diesem Hintergrund werde ich im Folgenden an den Beispielen Altautos und Verpackungsabfälle darlegen, wo unser Müll bleibt und was mit ihm passiert. Abschließend werde ich einige Schlussfolgerungen ziehen, was das für die Governance einer deutschen Kreislaufwirtschaft bedeutet.

Grundlagen der Abfallverbringung

In der EU-Abfallrahmenrichtline von 2008 wird Abfall wie folgt definiert: "jeder Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss". Dabei wird grundsätzlich zwischen Siedlungsabfällen und Produktionsabfällen unterschieden: Siedlungsabfall ist ein Oberbegriff für Abfälle, die nicht bei Produktionsprozessen anfallen. Zu den Siedlungsabfällen gehören Bauabfälle, Abfälle von öffentlichen Flächen (Parkabfälle, Straßenkehricht, Marktabfälle), Haushaltsabfälle (Hausmüll, Sperrmüll, Wertstoffe und anderes mehr) sowie Gewerbeabfälle. Produktionsabfälle, also Abfälle aus Produktionsprozessen, unterscheiden sich davon, weil sie häufig nur aus einem Material bestehen ("Mono-Abfälle") und damit deutlich einfacher wieder in einen Produktionsprozess zurückgeführt werden können. Bei Produktionsabfällen kann es sich je nach Zusammensetzung um "nicht gefährliche" oder "gefährliche" Abfalle handeln.

Bis Mitte der 1970er Jahre fand die Entsorgung von gefährlichen Abfällen aus Deutschland illegal im Ausland statt und führte dort zu erheblichen Umweltbelastungen. Diverse Giftmüllskandale sorgten für ein weltweites Interesse, die Abfallverbringungen politisch zu regeln oder ganz zu unterbinden. Resultat der langjährigen politischen Prozesse ist ein komplexes Regelsystem, das nationale und internationale Vorschriften zusammenfasst. Der Export von Abfällen – präziser: die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen – unterliegt unterschiedlichen Anforderungen. Welche Anforderungen gelten, hängt davon ab, um welche Art von Abfall es sich handelt, welches Entsorgungsverfahren vorgesehen ist und welche Staaten (EU-Staaten oder Drittstaaten) betroffen sind. Die Grundlagen dazu sind in der EU-Abfallverbringungsverordnung definiert, national umgesetzt im deutschen Abfallverbringungsgesetz (AbfVerbrG).

Beispiele für Abfälle der Grünen und Gelben Liste (© bpb)

Grundsätzlich gilt, dass als ungefährlich eingeschätzte Abfälle (aufgeführt auf der sogenannten Grünen Liste, siehe Kasten) ohne Genehmigung exportiert werden dürfen; bei Abfällen von der Gelben Liste muss, vereinfacht gesagt, gegenüber den Behörden der betroffenen Staaten (das heißt auch möglicher Transitländer) nachgewiesen werden, dass eine ordnungsgemäße Entsorgung des transportierten Abfalls sichergestellt ist. Die für Deutschland veröffentlichten Daten des Umweltbundesamtes zeigen, dass 2016 rund 21 Millionen Tonnen nicht notifzierungspflichtiger Abfall und rund 2,5 Millionen Tonnen notifzierungspflichtiger Abfall aus Deutschland exportiert wurden. Ebenso zeigt sich, dass grenzüberschreitende Transporte vorwiegend zwischen Nachbarstaaten stattfinden und die Abfälle im Mittel unter 500 Kilometer vom Ort der Abfallentstehung entfernt entsorgt werden. Die mengenmäßig wichtigsten Abfallströme bilden dabei Eisen- und Stahlschrott, Schrotte aus Nicht-Eisenmetallen sowie Kunststoff und Papier.

Betrachtet man das vorhandene Regelwerk, so scheint der Import und Export von Abfällen auf dem Papier umfassend geregelt: Abfall soll nicht in andere Länder verbracht werden können, wenn er dort aufgrund niedrigerer Umweltstandards billiger entsorgt werden kann. Die Situation wird jedoch deutlich komplexer, sobald der Abfall zum begehrten Wirtschaftsgut wird, wie die folgenden zwei Beispiele verdeutlichen.

Beispiel Altautos

Altfahrzeuge, also nicht länger verwendete Pkw und Lkw, sind speziell aufgrund der enthaltenen Betriebsflüssigkeiten wie Öl, Benzin oder Batterieflüssigkeit ein für die Umwelt hoch gefährlicher Abfall, sodass seine Entsorgung detailliert in der Altautoverordnung geregelt ist. Gleichzeitig sind in Altautos zahlreiche Rohstoffe wie Stahl und Kupfer, zunehmend aber auch Rohstoffe enthalten, bei denen die Versorgungssicherheit der europäischen Industrie als zunehmend kritisch eingeschätzt wird, wie beispielsweise Palladium, Lithium oder Seltene Erden. Der Gesetzgeber hat daher eine Verwertungsquote von 95 Prozent festgesetzt, die beim Recycling eines Altfahrzeugs erreicht werden muss. Deutschland hat für das Jahr 2016 sogar eine Quote von 98 Prozent erreicht, sodass der Eindruck eines fast geschlossenen Stoffkreislaufs entstehen könnte. Die Realität zeigt sich jedoch in Abbildung 2: Von den 2,88 Millionen Pkw und Fahrzeugen bis zu 3,5 Tonnen Gesamtmasse, die 2016 in Deutschland außer Betrieb gesetzt wurden, sind gerade mal 410.000 Altfahrzeuge auch hier recycelt worden – die 98 Prozent beziehen sich also auf gerade mal knapp 15 Prozent des Abfallstroms, der Rest wurde zum größten Teil ins Ausland exportiert, überwiegend in osteuropäische Länder – und damit auch die in ihnen enthaltenen Rohstoffe.

Verbleib der rund 2,88 Millionen endgültig stillgelegten Gebraucht- und Altfahrzeuge in Deutschland 2016. (© Umweltbundesamt/Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Jahresbericht über die Altfahrzeug- Verwertungsquoten in Deutschland im Jahr 2016 (Anm. 7))

Nach einer ersten Nutzungsphase in Deutschland von durchschnittlich zwölf Jahren werden die exportierten Fahrzeuge in den anderen EU-Mitgliedsstaaten in der Regel fünf bis sieben Jahre genutzt, bevor sie für eine letzte Nutzung nach Westafrika oder Länder wie Kasachstan gebracht werden, wo die deutsche Altautoverordnung natürlich nicht gilt. Dort werden nur die wirklich rentablen Teile wie der Katalysator entnommen, Öl und Benzin fließen häufig einfach in den Boden, und die Autowracks enden auf Deponien oder in der Landschaft.

Das Beispiel der Altfahrzeuge verdeutlicht ein grundsätzliches Problem bei der Regulierung der internationalen Müllökonomie: Die oben beschriebenen Regeln gelten für Abfälle, in diesem Fall Altfahrzeuge. Als Abfall wäre dieser Export illegal; der Export eines Gebrauchtwagens fällt dagegen unter keine dieser Vorgaben und ist damit legal. Die Differenzierung von Abfall und Produkt ist gerade beim Pkw häufig eine Gratwanderung: Bei der notwendigen Einzelfallentscheidung der zuständigen Abfallbehörden kommt es insbesondere auf den Erhaltungszustand des Fahrzeuges, den Fahrzeugwert und den erforderlichen Reparaturkostenaufwand an. Notfalls muss ein Sachverständigengutachten den Zustand untermauern. Damit ist die Differenzierung für den Zoll an der Grenze kaum zu bewältigen.

Was in Deutschland als Abfall angesehen wird, weil sich beispielsweise eine Reparatur nicht mehr rechnet, kann im Ausland häufig noch als Gebrauchtwagen verkauft werden. Die dort erzielbaren Preise für deutsche Gebrauchtfahrzeuge liegen teilweise deutlich über dem in Deutschland möglichen Gewinn. Sowohl die technischen Anforderungen für die Fahrtauglichkeit als auch die Standards für deren Überwachung liegen in diesen Ländern deutlich niedriger als in Deutschland, sodass die Fahrzeuge noch wesentlich länger genutzt werden können und damit einen höheren ökonomischen Wert aufweisen.

Ein zweites Geschäftsmodell ist die Verbringung eines deutschen Altfahrzeugs als Gebrauchtfahrzeug in einen EU-Mitgliedsstaat ohne dortige Wiederanmeldung, sondern mit anschließender nicht anerkannter Demontage. Gespräche im Rahmen eines vom Umweltbundesamt initiierten Forschungsprojektes zum Verbleib von Altfahrzeugen mit Behörden und Wirtschaftsakteuren in Polen, Litauen und Tschechien haben ergeben, dass es in einigen dieser Mitgliedsstaaten einen hohen Anteil nicht anerkannter Behandlungsanlagen gibt. In solchen illegalen Anlagen werden nach Aussagen der legalen Konkurrenz in der Regel selbst minimale Umweltstandards nicht eingehalten. Dadurch werden in solchem Umfang Kosten eingespart, dass der Import von Altfahrzeugen aus Deutschland rentabel werden kann.

Das Vorgehen gegen solche illegalen Betriebe gestaltet sich in der Praxis schwierig, insbesondere weil die Identifizierung der tatsächlich Verantwortlichen durch komplizierte Unterauftragsverhältnisse vor allem an nicht in der EU ansässige Personen oder Unternehmen absichtlich erschwert wird. In verschiedenen, insbesondere osteuropäischen Ländern wird vonseiten der Recyclingbetriebe von der Praxis berichtet, dass Altfahrzeuge demontiert, exportiert und anschließend in den Bestimmungsländern mit hohen Importzöllen oder -verboten wieder montiert werden. Das Geschäftsmodell basiere dabei auf zwei Elementen: Zum einen würden durch die Zerlegung des Fahrzeugs die Transportkosten für die Ausfuhr deutlich reduziert. In dieser Form könnten pro Container deutlich mehr Fahrzeuge zu den gleichen Kosten verbracht werden. Die nicht anerkannte Demontage soll nach Angaben der Verwerter aus Tschechien sowohl in Deutschland als auch in den grenznahen Regionen der Nachbarstaaten mit weniger strengen Kontrollen illegaler Demontageaktivitäten stattfinden.

Die Illegalität solcher Betriebe ist jedoch häufig auch eine Grauzone: So wurde beispielsweise für Tschechien berichtet, dass die Lizenzen für anerkannte Demontagebetriebe unbefristet vergeben werden und bei ausbleibenden Kontrollen die Grundlagen für die Genehmigung längst entfallen sein können. Hinzu kommt dort, dass für den Betrieb eines anerkannten Demontagebetriebs nach Gesetz eigentlich ein Vertrag mit einem Hersteller oder Importeur notwendig ist: Von den rund 570 Anlagen verfügen jedoch nur etwa 200 Anlagen über einen solchen Vertrag. Teilweise werden historische Importlizenzen für eine sehr begrenzte Anzahl von Fahrzeugen dazu genutzt, massenweise und erkennbar missbräuchlich solche Verträge auszustellen.

Das Beispiel der Altautos zeigt also deutlich, dass hohe Umweltstandards für die Verwertung im Inland wenig nützen, wenn Abfälle dann billiger ins Ausland verbracht werden können beziehungsweise dort ein begehrtes Wirtschaftsgut sind.

Beispiel Verpackungsabfälle

Ein zweites, aktuell auch intensiv diskutiertes Beispiel sind Verpackungsabfälle: Insgesamt fallen in Deutschland jährlich etwa 18 Millionen Tonnen dieser Abfälle an – mit deutlich steigender Tendenz, unter anderem weil wir immer häufiger außer Haus essen und die Zahl der durchschnittlichen Mitglieder einer Wohnung immer weiter sinkt. Hinzu kommt der in den vergangenen Jahren massiv gestiegene Anteil des Online-Versandhandels, der enorme Mengen an Verpackungsmaterial verbraucht.

Für die Verwertung dieser Abfälle gehörte Deutschland Anfang der 1990er Jahre zu den absoluten Vorreitern. Mit der ersten Verpackungsverordnung 1991 wurde festgelegt, dass die Hersteller finanziell und praktisch für die Sammlung und Verwertung verantwortlich sein sollten. Mit der Einführung dieser "erweiterten Herstellerverantwortung" wurde erstmals die Zuständigkeit privater Unternehmen für Abfälle aus Haushalten bestimmt. Hierzu wurde mit dem Grünen Punkt ein neues System etabliert, das Duale System Deutschlands (abgekürzt DSD; "dual", weil es neben dem öffentlich-rechtlichen das zweite Entsorgungssystem ist). Die Einsammlung und Verwertung sind im DSD über die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack organisiert. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher begann mit dieser Neuerung die unendliche Diskussion, welcher Abfall tatsächlich in welche Tonne gehört – zumal die Restmülltonne gebührenpflichtig ist, während die Gelbe Tonne kostenlos zur Verfügung gestellt wird und stattdessen über Zuschläge auf den Produktpreis bezahlt wird. Die Monopolstellung des DSD führte bald zu verschiedenen Korruptionsskandalen, sodass beschlossen wurde, auch in diesem Marktsegment Aufträge im Wettbewerb zu vergeben. So kommt es, dass es in Deutschland aktuell neun duale Systeme gibt, was unter anderem dazu führt, dass man sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass nur Abfälle mit dem Grünen-Punkt-Symbol in die Gelbe Tonne gehören – dieses Logo darf schlicht nicht von allen dualen Systemen genutzt werden.

Über die Verwertung dieser Abfälle herrscht bis heute in der Bevölkerung eine hohe Verunsicherung. Hartnäckig halten sich Gerüchte, die Abfälle aus der Gelben Tonne würden ohnehin "mit dem Restmüll zusammengeschmissen" oder "komplett verbrannt". Tatsächlich sind die dualen Systeme verpflichtet, die Verwertung der von ihnen entsorgten Abfälle über sogenannte Mengenstromnachweise zu dokumentieren und dabei auch die in der Verpackungsverordnung beziehungsweise ab 2019 im Verpackungsgesetz vorgegebenen Quoten zu erreichen: Demnach müssen beispielsweise aktuell 36 Prozent der Kunststoffverpackungen, ab 2022 sogar 63 Prozent werkstofflich recycelt werden. Deutschland verweist mit Stolz auf seine insgesamt sehr hohe Verwertungsquote von 97 Prozent für Verpackungsabfälle – darin enthalten ist neben der werkstofflichen Verwertung, dem eigentlichen Recycling, aber auch die energetische Verwertung, sprich die Verbrennung. Die aktuelle Situation ist in der Abbildung 3 dargestellt – insgesamt wird etwa die Hälfte des Abfalls nach einer Vorsortierung verbrannt, die andere Hälfte recycelt (wobei anzumerken ist, dass auch aus ökologischer Sicht viele aktuelle Verpackungen nicht sinnvoll recycelt werden können).

Entsorgungswege von Verpackungsabfällen aus Kunststoff in Deutschland 2015. (© Kurt Schüler, Aufkommen und Verwertung von Verpackungsabfällen in Deutschland im Jahr 2015, Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes, Dessau-Roßlau 2017)

Die Verunsicherung in der Bevölkerung beruht auch auf der Tatsache, dass die dualen Systeme nachweisen müssen, dass der Abfall ordnungsgemäß verwertet wurde – nicht jedoch wo. Häufig werden die Abfälle über lange Distanzen zu Sortieranlagen transportiert und die Sortierreste wiederum in anderen, nach tagesaktuellen Preisen ausgewählten Anlagen verbrannt. Und zur Realität der Verwertungsquoten gehört auch, dass dabei Mengen einberechnet werden, die zum Recycling ins Ausland exportiert werden: Von den rund 3,1 Millionen Tonnen Verpackungsabfällen aus Kunststoff wurden 2016 nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes 327.500 Tonnen, also etwa 10,5 Prozent, exportiert und dort verwertet. Über die exakten Zielländer dieser Exporte und die dort geltenden Umweltstandards geben die dualen Systeme in der Regel keine Auskünfte.

Das globale System der Exporte von Kunststoffabfällen wurde Anfang 2018 massiv erschüttert, als China ein länger angekündigtes Verbot für den Import verschiedener Abfälle umsetzte beziehungsweise Importeuren im Land die Lizenz entzog oder so hohe Vorgaben zum Beispiel für den maximalen Störstoffanteil in Abfällen festsetzte, dass diese praktisch einem Importstopp gleichkamen. In den vergangenen Jahren hatte sich China zum Hauptzielland der zunehmend global gehandelten Plastikabfallströme entwickelt. Da die Volksrepublik aber – vor allem dank der optimierten Sammlung hochwertiger Plastikabfälle auf dem einheimischen Markt – nicht länger auf den Import ausländischer Abfälle angewiesen ist, um die eigenen Entsorgungsanlagen auszulasten, hat seine Regierung im Rahmen der Aktion "Nationales Schwert" die beschriebenen Importbeschränkungen verhängt. Diese wurden durch Inspektionen der inländischen chinesischen Verwertungsbetriebe strategisch vorbereitet, wobei in über zwei Drittel der untersuchten Betriebe erhebliche Verletzungen der in China geltenden Umweltbestimmungen festgestellt wurden.

Insgesamt muss festgehalten werden, dass Abfälle aus Deutschland nicht nach China exportiert wurden, um dort illegal entsorgt zu werden; sie wurden dorthin exportiert, weil chinesische Akteure bereit waren, einen höheren Preis für die Materialien zu zahlen als die deutsche Konkurrenz. Ein wesentlicher Faktor ist dabei das deutlich niedrigere Lohnniveau in China, welches eine händische Vorsortierung der Abfälle ermöglicht, die in Deutschland niemals rentabel wäre. Hinzu kommen die niedrigen Transportkosten: Da China sehr viele Produkte auf dem Seeweg nach Deutschland exportiert, müssen Container und Schiffe auch wieder in die entgegengesetzte Richtung bewegt werden – dabei können Abfälle für kleines Geld mitgenommen werden, ehe die Frachträume leer bleiben. Allerdings sind Chinas Umweltstandards nicht mit denen Deutschlands vergleichbar, das gilt sowohl für den Recyclingprozess selbst als auch für die Entsorgung der verbleibenden Sortierreste. In Deutschland werden diese einer hochwertigen thermischen Verwertung zugeführt; in China jedoch werden Sortierreste in der Regel ohne weitere Vorbehandlung entsorgt und tragen damit zur Vermüllung der Weltmeere bei, deren Ursprung überwiegend in China und weiteren südostasiatischen Staaten liegt.

Mit dem Importstopp haben viele Akteure in Europa neben Sorgen um möglicherweise zukünftig höhere Entsorgungskosten für unsere Abfälle auch die Hoffnung, Europa könnte damit gezwungen werden, stärker in eigene Verwertungskapazitäten zu investieren. Deutschland hat jedoch im ersten Halbjahr 2018 nur rund 20 Prozent weniger Altkunststoffe exportiert als im Vorjahr: zwischen Januar und Juni 2018 immer noch rund 531.000 Tonnen im Wert von 169 Millionen Euro. Die deutlich reduzierten Exporte nach China und Hongkong wurden größtenteils kompensiert durch Mehrausfuhren in andere asiatische Staaten, insbesondere nach Malaysia, Vietnam, Indien und Indonesien (Abbildung 4). Darüber hinaus hat sich die Türkei zu einem starken Abnehmer deutscher Altkunststoffe entwickelt. Im Vorjahresvergleich haben sich die Ausfuhren in diese fünf Länder in etwa verdreifacht auf durchschnittlich 36.000 Tonnen pro Monat. Allerdings sind diese Länder mit dem Handling dieser Mengen deutlich überfordert, sodass zum Beispiel auch in Vietnam kurzfristig weitgehende Importbeschränkungen verhängt wurden. Das globale Müllkarussell dreht sich also weiter.

Entwicklung der deutschen Altkunststoffexporte. (© Destatis; Europäischer Wirtschaftsdienst GmbH)

Schlussfolgerungen

Die zwei Beispiele der Altautos und der Verpackungsabfälle verdeutlichen, dass Abfälle durchaus zunehmend als wertvolle Quelle für neue Sekundärrohstoffe angesehen werden. In unserer Welt globalisierter Wertschöpfungsketten ist damit jedoch auch verbunden, dass Abfälle in jene Teile der Welt verschifft werden, in denen die Rohstoffe für unsere Konsumgüter hergestellt werden: Unser ressourcenintensiver Lebensstil führt damit zunehmend zu Umweltbelastungen in von uns weit entfernten Ecken des Planeten, was uns häufig überhaupt nicht bewusst ist. Damit stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerungen daraus für die deutsche und europäische Abfallpolitik zu ziehen sind.

Im Sinne des Ressourcenschutzes ist es sinnvoll und notwendig, die Nutzung primärer Rohstoffe durch recycelte Materialien zu ersetzen. Wenn wir einen großen Anteil insbesondere unserer Plastikprodukte aus Asien importieren, führt beispielsweise ein Exportverbot für Plastikabfälle in diese Länder nur dazu, dass dort anstatt recyceltem Plastik primärer Kunststoff eingesetzt wird. Die Europäische Kommission hat im Rahmen ihres Aktionsplans Kreislaufwirtschaft das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 das bestehende lineare System des "Produzierens-Nutzens-Wegwerfens" durch ein System zirkulärer Wirtschaft zu ersetzen. Importe und Exporte werden jedoch aus unterschiedlichsten Gründen ein wesentlicher Bestandteil eines zukünftigen Abfallwirtschaftssystems sein – weder aus ökologischen noch aus sozialen Gründen ergibt eine Rückkehr zu einem autarken System langfristig Sinn. Damit verlieren jedoch auch nationale Recyclingquoten und Umweltstandards an Bedeutung: Tatsächlich ist die hochwertige Rückgewinnung von Rohstoffen relevant, wo immer sie letzten Endes als Abfall anfallen.

Gleichzeitig werden freiwillige Selbstverpflichtungen seitens der Industrie nicht ausreichen, wenn es in den nächsten Jahren um Milliardeninvestitionen in zusätzliche Abfallinfrastrukturen, Ausbildungen und technisches Know-how in Ländern wie Vietnam und Indonesien geht. Gefragt sind damit innovative Ansätze einer individuellen Herstellerverantwortung, die nicht wie bislang an der deutschen oder EU-Außengrenze endet: Wo Unternehmen vom Zugriff auf Sekundärrohstoffe profitieren, sollten sie gleichzeitig auch langfristig und verbindlich die Kosten für die Kreislaufführung übernehmen müssen – unabhängig davon, wo sie entstehen. Erste Konzepte zivilrechtlicher Vereinbarungen zur Kreislaufwirtschaft wurden hierzu entwickelt – die Herausforderung wird jedoch darin bestehen, diese in den bisher ausschließlich auf inländische Verwertung ausgerichteten Rechtsrahmen zu integrieren; lediglich die Fiktion einer hochwertigen Verwertung auf Basis allein von Verträgen mit Recyclern wird dazu nicht ausreichen.

ist promovierter Volkswirt und Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Transformationsprozesse zur Kreislaufwirtschaft, Ökonomie der Abfallvermeidung und Ressourceneffizienz. E-Mail Link: henning.wilts@wupperinst.org