Einleitung
Solarenergie ist die Wunschenergiequelle der Zukunft. Eine absolute Mehrheit, 74 Prozent der Befragten, äußerten diese Meinung bei einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach. Die im Vorfeld der Konferenz "Renewables 2004" veröffentlichte Studie "Umwelt 2004 - Unsere Energiezukunft" bescheinigte dem "Kraftwerk Sonne" ein überragend positives Image in der deutschen Bevölkerung. Selbst wenn man Auftrags-Meinungsumfragen skeptisch beurteilt - die emotionale Zuneigung zu regenerativen Energien, das Grundvertrauen ist überraschend groß, und zwar in einem Land, das in letzter Zeit oft als "erschöpft" dargestellt wird.
Optimistische Signale kamen anlässlich der Energie-Konferenz auch aus den Laboratorien der Spitzenforschung. Hoch effiziente Dünnschichtsolarzellen, nanokristalline Farbstoffsolarzellen, organische Solarzellen und andere futuristische Verfahren könnten bald ausgereift sein. Materialeinsparung, hohe Wirkungsgrade und Massenproduktion würde die Solartechnologie billiger und besser machen. So könnte sie die wichtige Rolle spielen, die sie für unsere gemeinsame Zukunft spielen muss.
Erfolgsgeschichten, ehrgeizige Aktionspläne und Selbstverpflichtungen beherrschten die Szene auf der "Renewables 2004" Anfang Juni in Bonn. In den Mittelpunkt rückten Konzepte zur Koppelung von Armutsbekämpfung und der Nutzung Erneuerbarer Energien: Der Zugang zu sauberen Energiequellen helfe, die Armut zu beseitigen, und dieArmutsbekämpfung bringe den Klimaschutz voran. "Das Zeitalter der Erneuerbaren", so Bundesumweltminister Jürgen Trittin, "hat begonnen." Zur gleichen Zeit machte der weltweite Energiehunger Schlagzeilen. Die Preise für Öl, Koks und Stahl explodierten, verursacht vor allem durch ein entfesseltes Wirtschaftswachstum in Ländern wie China und Indien. Steigender Konsum, Wohnungsbau und Motorisierung - die nachholende Entwicklung, also die Ausbreitung des westlichen Konsummodells, vollzieht sich im Zeitraffer. Es ist kaum verwunderlich, dass die Lobby von Kohlebergbau und Atomenergie die Lage nutzte, um die Potenziale der Erneuerbaren Energieträger anzuzweifeln und sich für die Renaissance ihrer Industrien stark zu machen. Eine neue Runde im erbitterten Kampf um die Hegemonie zwischen dem fossil-nuklearen Goliath und dem solaren David kündigte sich an.
Die "Sonnen-Strategie" setzt die Dringlichkeit und die Möglichkeit einer Richtungsänderung auf die Tagesordnung. Sie ist keine Alternative, sagt Hermann Scheer, der sie seit zehn Jahren vehement vertritt, sondern eine Notwendigkeit. Sonnenenergie ist unerschöpflich. Das nutzbare Potenzial, das uns die Sonne täglich schenkt, reicht aus, um den gesamten Energiebedarf der Menschheit zu decken. "Das Ziel im vor uns liegenden Jahrhundert muss das vollständige Ersetzen der herkömmlichen Energiequellen durch die stets aktuelle Sonnenenergie sein - also eine vollständige solare Energieversorgung der Menschheit."
Aus dem Dilemma des "immer mehr" führt jedoch ein "weiter so - nur mit anderer Technik" nicht heraus. Die vollständige Substitution der fossil-nuklearen Energieträger setzt eine erheblich ressourcenleichtere Zivilisation voraus. Nur diese kann ein verallgemeinerbares Modell bieten und eine andere nachholende Entwicklung anbahnen. "Das gute Leben neu denken" forderte kürzlich eine Studie des amerikanischen Worldwatch Institutes.
Bilder der Energie
Als Einstieg soll ein nachhaltiger Blick auf ein Kunstwerk dienen. Es ist ein kleines Objekt aus der Zeit der großen Aufbrüche; heutiger Materialwert: etwa ein Euro. Eine Glühbirne ragt schräg in den Raum. Die gläserne Wand des Kolbens glänzt gelb. Die Fassung aus schwarzem Plastik ist am Sockel mit einem Stecker an einer Zitrone befestigt, so, wie eine Lichtquelle an einen Energiespeicher angeschlossen ist. Beide Komponenten halten sich wechselseitig in einer fragilen Balance. Die Zitrone bewahrt die Glühlampe vor dem Umkippen und wird von dieser gehalten. Das ist alles. Minimalismus in den Mitteln, armes Material - Arte povera. "Joseph Beuys, Capri-Batterie, nach 1000 Stunden auswechseln", lautet die Aufschrift des 1985 entstandenen Multiples. Ein wahrhaft paradoxes Bild der Energieübertragung: Ein Stromkreis ist geschlossen. Die vom Pflanzenorganismus umgewandelte Sonnenenergie, so suggeriert die "Capri-Batterie", fließe als elektrischer Strom durch die Glühlampe und bringe sie kontinuierlich zum Leuchten. Das sonnenhafte Gelb und die der Sonne ähnelnden Formen von Frucht und Artefakt verweisen auf das kosmische Kraftwerk, den Sonnenball, und den elementaren Energiefluss: hier die Sonne, da das künstliche Licht. Die lakonische Gebrauchsanweisung macht Endlichkeit und Erneuerbarkeit des Speicherelementes bewusst. Sobald der Saft der Zitrone, das Elektrolyt, ausgetrocknet ist, muss die Frucht, der Akkumulator, ausgewechselt werden.
"Beuys' Inhalte sind einfach", hieß es schon 1963 in einem Ausstellungskatalog. "Mit geringem Aufwand, mit der Beschränkung auf wenige unerläßliche Elemente, mit äußerster Sparsamkeit der Mittel werden Gebilde geschaffen, die zugleich zart und spröde, poetisch aber ohne Sinnenreiz sind."
Das kleine Kunstwerk hat eine bewegte Geschichte. Entstanden ist es zu einer Zeit, als in Genf die Brundtland-Kommission ihren Bericht an die UNO entwarf, der unter dem Titel "Our common future" so nachhaltig wirkte.
Auf der EXPO 2000 in Hannover stand die "Capri-Batterie" als Beitrag Nordrhein-Westfalens im deutschen Pavillon an exponierter Stelle. Im gedämpften Licht der Halle, in der Nachbarschaft von Kultobjekten des zu Ende gegangenen Millenniums, Daimler-Oldtimer (Baden-Württemberg), Gutenberg-Bibel (Rheinland-Pfalz) und einer Hansekogge (Mecklenburg-Vorpommern), wirkte sie zugleich fragil, verloren und sperrig. Es war eine kühne, im besten Sinne unvorsichtige Idee, sie zum Sinnbild für das EXPO-Motto "Mensch-Natur-Technik" zu nutzen und als repräsentativ für den Weg Deutschlands in die Zukunft auszustellen. Doch die EXPO war schnell vergessen. Den damals so umlagerten "Planet of Visions" hat man kürzlich sang- und klanglos auf einer Mülldeponie im Ruhrgebiet entsorgt. Die "Capri-Batterie" ist weiter auf Tournee, zur Zeit im Rahmen einer deutsch-niederländischen Wanderausstellung: "Denken, Reden, Machen / Denken, praten, doen!" Eine Bastelanleitung für eine funktionierende Zitronen-Batterie ist beigelegt. Beuys für Kinder: Bildung für ein solares Zeitalter.
Die Vision vom solaren Zeitalter
Das Konzept wurde in den neunziger Jahren u.a. von dem Klimaforscher Hartmut Graßl, dem Politiker Hermann Scheer und dem Publizisten Franz Alt ins Gespräch gebracht. Die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen für ein Überleben der Menschheit angesichts der drohenden Klimakatastrophe standen im Zentrum. Die Ebene der Lebensstile, die kulturellen, also ästhetischen, ethischen und spirituellen Dimensionen des Übergangs zur Nachhaltigkeit blieben weitgehend ausgeblendet. Nur kleine, relativ wenig beachtete Zirkel thematisierten diese Aspekte. Zu einem Knotenpunkt dieses Netzes wurden in den Jahren 1985 bis 1999 die Toblacher Gespräche.
Der vor allem im deutschsprachigen Raum und in Italien viel beachtete Gesprächskreis richtete seinen Fokus immer stärker von der technischen Ausgestaltung der ökologischen Wende auf die kulturellen Dimensionen von Nachhaltigkeit. 1992, im Jahr des Erdgipfels von Rio, formulierte der Initiator der Toblacher Gespräche, der Südtiroler Künstler, Soziologe und Bergsteiger Hans Glauber, die Koordinaten des neuen Wohlstandsmodells: "Langsamer, weniger, besser, schöner". Bei aller Kritik an der zerstörerischen Entwicklung der Zivilisation nimmt der Ansatz die Attraktivität des "Schneller, höher, weiter, mehr" ernst. Er unterschätzt nicht das Beharrungsvermögen des Stabilität und Sicherheit versprechenden Wachstumsparadigmas. Er verkennt nicht die ästhetische Faszination und die Glücksverheißungen der Konsumwelt. In einem offenen Wettstreit der zwei Modelle müsse der neue Entwurf seine Anziehungskraft steigern und sich als "einfach schöner" erweisen. "Die Vision ist das solare Zeitalter, das Zeitalter der umfassenden neuen Kultur der Nachhaltigkeit." Das fossil-nukleare Zeitalter ist nur eine kurze Episode in der Geschichte der Menschheit. Es umspannt die Epoche vom Beginn der Industrialisierung bis spätestens zur Erschöpfung der fossilen Ressourcen. Vorher lebte die Menschheit nur von der Sonne. Nachher wird sie wieder nur von der Sonne leben. Allerdings erlaubt das zweite solare Zeitalter ein Leben auf einem viel höheren zivilisatorischen Niveau. Denn dank neuer Technologien, vor allem der Möglichkeit, mit der Sonne Strom zu erzeugen, wird es möglich sein, die Energie der Sonne viel besser und flexibler zu nutzen.
Es wird eine dezentrale, demokratischere und gerechtere Zivilisation sein. Denn im Unterschied zum Öl, den anderen fossilen und den nuklearen Brennstoffen, deren Besitz sich in wenigen Händen konzentriert, ist die Sonne für alle da. Wir besitzen die Sonne nicht. Wir haben lediglich Zugang. Die Energiequelle Sonne hat überdies den Vorteil, dass sie besonders reichhaltig da zur Verfügung steht, wo heute Armut herrscht. Die Utopie einer gerechteren Entwicklung rückt in greifbare Nähe. Der neue zivilisatorische Entwurf setzt auf eine neue Balance von materiellen und immateriellen Gütern, auf umfassende Lebensqualität statt auf einseitigen Güterwohlstand. "Die Ökonomie des guten Lebens besteht aus einer naturverträglichen Kombination maßvollen Konsums und immaterieller Güter." (Toblacher Thesen 1997) Das solare Zeitalter ermöglicht so eine wesentlich ressourcenleichtere Zivilisation. Diese beruht auf einer neuen Art zu produzieren und zu konsumieren. Sie erkennt die Notwendigkeit, Grenzen kreativ zu akzeptieren. Sie macht die Auseinandersetzung mit der quantitativen Begrenzung zum Konzept und sucht die Potenziale für ein ungestümes kontinuierliches Wachstum auf dem Feld der immateriellen Güter und Werte. "Die Funktion der materiellen Güter liegt im Grunde darin, uns das Hervorbringen der immateriellen Güter und der Gemeinschaftsgüter zu erleichtern." (Gerhard Scherhorn, Toblacher Gespräche 1997). Die Begrenzung wird selbst zu einer Ressource. Es gilt, innerhalb dieser Beschränkungen das Maximale herauszuholen. Es entwickelt sich eine Ästhetik des rechten Maßes.
"Auch Schönheit ist ein Lebens-Mittel." (Toblacher Thesen 1998) Sie ist ein Grundbedürfnis. Ohne sie kein erfülltes Leben. Aus der Erfahrung von verletzter Schönheit, also z.B. von verschandelter Landschaft und urbaner Tristesse, Kehrseite der industriellen Massenproduktion, entspringt das Engagement für eine Kultur der Nachhaltigkeit. Sie entfaltet sich im behutsamen Umgang mit den Ressourcen. Sie betont die lokale Eigenart und Tradition ebenso wie die natürliche und kulturelle Vielfalt. Der Genuss von ökologischen Lebensmitteln, die sinnliche Erfahrung von Natur, der Reiz von gutem Design und guter Architektur bedeuten Lebensfreude.
Neue Leitbilder
Vergleicht man die Leitbilder, die hierzulande auf den verschiedensten Praxisfeldern in der letzten Zeit ausgereift sind und vorgelegt wurden, so findet man die Orientierung auf unterschiedliche und mannigfaltige Bedürfnisse, auf Lebbarkeit und Attraktivität, auf Sinnlichkeit und Ästhetik, auf das "gute Leben" in der Gegenwart und in einer "wünschenswerten und machbaren Zukunft" an vielen Stellen wieder. Dabei ist das Gebot einer drastischen Reduktion des Ressourcenverbrauchs keineswegs ausgeblendet. Formeln wie "Gut leben statt viel haben" (BUND), "Halb so viel, doppelt so gut" (Karl Ludwig Schweisfurth), das klassische, dem Orakel von Delphi entlehnte "Von nichts zu viel" (Wuppertal Institut) oder das ebenfalls klassische "Weniger ist mehr" (Bauhaus Dessau) beschreiben diesen Zusammenhang und variieren die Koordinaten von Toblach. Es ist spannend zu beobachten, wie diese Dialektik in den neuen Leitbildern aufscheint.
Beispiel: "Nachhaltige Mobilität". Ausgangspunkt in der aktuellen Diskussion, z.B. in den kürzlich formulierten "Tutzinger Thesen und Handlungsempfehlungen zur nachhaltig-zukunftsfähigen Mobilität"
Beispiel: "Nachhaltige Agrar- und Ernährungskultur". Das Leitbild, das die Schweisfurth-Stiftung im Sommer 2002 vorstellte,
Das sind nur zwei Beispiele von vielen für ein praxisnahes neues Denken in Richtung auf ein solares Zeitalter. Die Lösungen sind einfach und zugleich anspruchsvoll. Sie sind arbeitsintensiv und damit Arbeitsplätze schaffend. Aber sie betten die Ökonomie ein. Das gute Leben in einem stabilen Gemeinwesen ist die Ebene, um die es geht. Sie entsprechen einem Bedürfnis des "simplify your life", ohne in eine "schreckliche" Vereinfachung, letztlich in Schäbigkeit und Tristesse, in den Kult des Billigen abzustürzen.
Ressource Kulturgeschichte
"Es müsste uns gelingen, Shakespeare, Homer, Tolstoj 'ökologisch' zu lesen", so der Publizist Carl Amery in seinem Dialog mit Hermann Scheer über den "Klimawechsel von der fossilen zur solaren Kultur"
"Unsre Erde ist ein Stern unter Sternen", so 1784 ein Opus magnum dieser Epoche, "ist nichts durch sich selbst, sondern empfängt von himmlischen, durch unser ganzes Weltall sich erstreckenden Kräften ihre Beschaffenheit und Gestalt, ihr Vermögen zur Organisation und Erhaltung der Geschöpfe (...). Mit unsichtbaren, ewigen Banden ist sie an ihren Mittelpunkt, die Sonne gebunden, von der sie Licht, Wärme, Leben und Gedeihen erhält."
Das ist der Anfang von Johann Gottfried Herders "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit". Geschrieben hat er sie in enger Zusammenarbeit mit Goethe, seinem "lieben Bruder", der zu jener Zeit an einem später abgebrochenen "Roman über das Weltall" arbeitete. In einer Zeit, als Europa begann, die Natur zu vermessen und zu sezieren, den Globus aufzuteilen und auszuplündern, imaginierte man in Weimar den ganzheitlichen Blick auf den Planeten. Herders Blick auf die "alles fassende sich selbst umkreisende Erde unter mir" taucht ein in die blaue Hülle, die Atmosphäre, "dieses große Behältnis wirkender Kräfte". Er spricht häufig vom "Klima", das unsere Existenz bestimme, und sagt, die Natur auf dem Wohnplatz Erde sei überall ein lebendiges Ganzes. Sie wolle sanft befolgt und gebessert und nicht gewaltsam beherrscht sein. Herder benutzt in einem sehr zentralen Sinne den Begriff des oikos, der "Haushaltung der Natur", und meint damit die Mannigfaltigkeit der Arten und der Kreisläufe in der Natur und deren Fähigkeit zur Regeneration. In der Gemeinschaft der Lebewesen gebühre dem Mensch die Position des "Mittelgeschöpfs", des Haushalters (oikonomos), aber nicht wie bei Descartes des maitre et possesseur. Sein aufrechter Gang erlaube dem Menschen, nach oben zu schauen, also in die Sphäre des Geistigen und Spirituellen, aber auch in die Weite, in die Zukunft. Herder verwirft die zeitgenössische Form der Globalisierung, den Kolonialismus, und die damit einhergehende Anmaßung, "dass die Bewohner aller Weltteile Europäer sein müßten, um glücklich zu leben". Er feiert die Vielfalt der Kulturen der Welt: "Unser Erdball ist eine große Werkstätte zur Organisation sehr verschiedenartiger Wesen."
Herder verknüpft eine von Spinozas Pantheismus inspirierte Naturphilosophie mit Vorstellungen von Menschenrecht und Menschenwürde, die von der Französischen Revolution mit geprägt sind. In dieser sozusagen organischen Verbindung von Ökologie und Humanität liegt die Verwandtschaft zum heutigen Nachhaltigkeitsdiskurs. Der Grundgedanke zieht sich wie ein grüner Faden durch die Geschichte der Weimarer Klassik. Man darf nicht vergessen, dass diese Kultur in einem Armenhaus entstand. Anna Amalia, die junge verwitwete Regentin, fand zu Beginn ihrer Regentschaft ein durch Kriege und Verschwendungssucht völlig ruiniertes Staatswesen vor. Eine ihrer ersten Maßnahmen war 1760 die "neue und nachhaltige Forsteinrichtung" in den Wäldern ihres Landes. Damit wurde zum erstenmal überhaupt von der " Cammer" eines Kleinstaates explizit das 1713 formulierte Prinzip der Nachhaltigkeit zugrunde gelegt. "Sie haben gewusst", so beschrieb Hellmut Seemann, der Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, das weimarische Modell, "dass man mit sehr geringen Mitteln in einer kleinen Residenzstadt mit einer winzigen Auenlandschaft um einen mittelgroßen Fluss herum ein Weltkulturerbe schaffen kann (...). Nicht obwohl man so wenig Geld hat, sondern weil man die Bescheidenheit der materiellen Möglichkeit zum Konzept gemacht hat."
Das lokale Handeln war stets in eine globale, planetarische Perspektive eingebunden: "Ich denke mir die Erde mit ihrem Dunstkreis", meinte Goethe zu Eckermann (11. April 1827), "gleichnisweise als ein großes lebendiges Wesen, das im ewigen Ein- und Ausatmen begriffen ist." Ein Gedanke, der mit der Essenz der Gaia-Theorie und des Kyoto-Protokolls korrespondiert. In seinem Kondolenzbrief aus Dornburg zum Tod von Großherzog Carl August machte er im Sommer 1828 den Garten des Schlosses und die blühende Landschaft des Saaletales zum Sinnbild von Nachhaltigkeit: "Könnte mir (...) ein erwünschteres Symbol geboten werden, deutlicher anzeigend, wie Vorfahr und Nachfolger, einen edlen Besitz gemeinschaftlich festhaltend, pflegend und genießend, sich von Geschlecht zu Geschlecht ein anständig-bequemes Wohlbefinden emsig vorbereitend, eine für alle Zeiten ruhige Folge bestätigten Daseins und genießenden Behagens einleiten und sichern?" Und wenige Tage vor seinem Tod (11. März 1832) äußerte Goethe wiederum zu Eckermann: "Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei, die Sonne zu verehren, so sage ich abermals: Durchaus!"
Gibt es in den europäischen Kulturen einen gemeinsamen Vorrat an Bildern und Geschichten, die den Visionen eines solaren Zeitalters Nahrung geben könnten? Ein gemeinsames Band, das den "Canticum Solis", den Sonnengesang des Franziskus von Assisi, mit Albert Einsteins Thesenpapier über den "photoelektrischen Effekt", der theoretische Grundlage der Photovoltaik, verbindet? Eine wie auch immer verschlungene Linie, die vom viriditas (Grünkraft)-Begriff Hildegard von Bingens zu den Naturbildern Paul Klees, vom Konzept der "nachhaltigen" Forstwirtschaft des kursächsischen Oberberghauptmanns Carlowitz zum Sustainable-development-Prinzip der norwegischen Sozialdemokratin Gro Harlem Brundtland führt?
Materialien für eine solche Spurensuche sind in zahllosen Arbeiten der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer gesichtet und aufbereitet. Im Diskurs über Nachhaltigkeit wurden sie bisher so gut wie nie wahrgenommen. Sie könnten ihm jedoch zu mehr Tiefgang verhelfen. Es wäre eine spannende Aufgabe, die Stimmen aus der Vergangenheit in einen kleinen, flexiblen Kanon von Basismaterialien zu integrieren, welche die "Essentials" des Nachhaltigkeitsdenkens fantasieanregend präsentieren: Bilder, Geschichten, Gesichter, Denkbilder. Einer solcher Kanon wäre durch ein Netz von poetischen Orten und Lernorten in der Natur zu ergänzen: vom Forêt de Paimpont, Merlins bretonischem Zauberwald, bis zur Isola Maggiore im Lago Trasimeno, wo Franziskus fastete, von Rousseaus Grab auf der Pappelinsel von Ermenonville bis zu Goethes Jagdhütte auf dem Kickelhahn-Gipfel, vom Svarcenbersk'y kanal in Stifters böhmischem Hochwald bis zu Joseph Beuys' Palazzo Regale in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf.
Ein europäischer Traum?
Trotz der Meinungsumfragen, die der Solarenergie einen hohen Sympathiewert zusprechen, trotz einiger Erfolgsgeschichten bei dem Versuch, nachhaltige Lösungen auszuarbeiten und ihnen einen "Sitz im Leben" zu geben - von einer größeren Mobilisierung für den Übergang zu einem solaren Zeitalter kann keine Rede sein. Tatsächlich herrscht eine eigenartige, ungute und paradoxe Situation: In dem Moment, wo es allgemein dämmert, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben und in Zukunft mit weniger auskommen müssen, scheint das Konzept der Nachhaltigkeit an Einfluss zu verlieren. Dabei ist es im Kern eine Strategie der bewussten Reduktion. Gerade dadurch hätte es das Potenzial, in aktuellen Krisen gangbare Auswege zu öffnen. Trotzdem herrscht die Meinung vor, erst mit einem "robusten" Wirtschaftswachstum könne man sich Nachhaltigkeit wieder leisten. Statt den Mut zum Weniger aufzubringen, setzen Politik und Gesellschaft ängstlich auf ein vermutlich illusionäres Mehr an Wachstum.
Es ist eine kühne Idee, in dieser Situation Nachhaltigkeit in das Zentrum eines "Europäischen Traums" zu rücken. Genau diesen überraschenden Versuch unternimmt in seinem gerade erschienenen Buch der amerikanische Autor Jeremy Rifkin.
Mit der Absage an traditionelle Machtpolitik und das Primat ökonomischer Interessen, mit einer entschlossenen Hinwendung zum Prinzip der Vorsorge und einer Kultur der Empathie hätten die Europäer die Lehren aus den Katastrophen ihrer Geschichte und den ökologischen Folgen ihrer Produktionsweise gezogen. Als "leise Supermacht" könnten sie sich gelassen der Zukunft in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts zuwenden. "Der Europäische Traum ist ein Silberstreifen am Horizont einer geplagten Welt. Er lockt uns in eine neue Zeit der Inklusivität, Diversität, Lebensqualität, spielerischen Entfaltung, Nachhaltigkeit, der universellen Menschenrechte und der Rechte der Natur und des Friedens auf Erden. Wir Amerikaner", so schließt Rifkin, "haben immer gesagt, für den Amerikanischen Traum lohne es sich zu sterben. Für den Europäischen Traum lohnt es sich zu leben."