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Nationalismus und Europaskepsis in den postkommunistischen Staaten Mittel-und Osteuropas

Detlef Pollack

/ 21 Minuten zu lesen

Nationale Haltungen müssen kein Hindernis für die Unterstützung europäischer Werte sein. Wenn sie jedoch mit der Hinwendung zu regionalen Traditionen verbunden sind, können sie eine Gefahr für das europäische Zusammenwachsen darstellen.

Die Fragestellung

Stellen nationale Identitäten eine Barriere für das Zusammenwachsen Europas und die Unterstützung europäischer Ideale wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit oder Marktwirtschaft dar? Bilden also Nationalismus und nationale Identitäten ein besonders brisantes Konfliktpotenzial im sich erweiternden Europa aus? Diese Frage sei anhand der Analyse nationaler Orientierungen und Identitäten in den postkommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas behandelt.

In diesen Ländern war nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus ein Wiederaufleben nationalistischer Bestrebungen zu beobachten, das in dieser Stärke kaum jemand in Westeuropa erwartet hatte. Man denke etwa an die nationalen und ethnischen Konflikte im früheren Jugoslawien, an dienationalen Emanzipationsbewegungen in der Sowjetunion oder auch an die staatliche Separierung von Tschechien und der Slowakei. Nach dem Untergang des Staatssozialismus, der in der Zeit des bipolaren Ost-West-Konfliktes nationalistische Bestrebungen mit harter Hand zurückgedrängt hatte, konnten sich aufgrund der Liberalisierung der politischen Verhältnisse nationale Interessen offenbar wieder entfalten. Eingedämmte nationale und ethnische Konflikte brachen auf und entwickelten eine ungeahnte Eigendynamik. Natürlich benutzten nicht wenige politische Akteure den Nationalstaatsgedanken, um sich von der Herrschaft der Sowjetunion zu befreien und im Namen nationaler Ziele für den Anschluss an Europa einzutreten. In Estland etwa lautete die antisowjetische Parole nach 1989: Der Weg nach Europa ist der Weg der nationalen Befreiung. Der Nationalismus trug in dieser Zeit wie so häufig in seiner Geschichte also auch emanzipative Züge. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die partikularistischen nationalen Orientierungen und Interessen dem Prozess der europäischen Integration nicht entgegenstehen und ihn auf vielfache Weise behindern und hemmen können. Sie spitzt sich zu, wenn man den Prozess der Integration vieler postkommunistischer Länder in die Europäischen Union ins Auge fasst. In diesem Prozess müssen die Länder des ehemaligen Ostblocks, die sie sich gerade erst von der politischen, militärischen, ökonomischen und kulturellen Oberhoheit der Sowjetunion befreit haben, erneut supranationale Strukturen als verbindlich für ihre eigenen nationalen Entscheidungen akzeptieren. Kann eine solche Akzeptanz ohne größere Konflikte erwartet werden von Ländern, die im Laufe ihrer Geschichte nicht nur von der Sowjetunion, sondern teilweise über Jahrhunderte hinweg auch von anderen Großmächten wie dem Osmanischen Reich, der Habsburger Monarchie oder Preußen abhängig waren? Nationale Gefühle sind durch diese Erfahrungen teilweise tief verletzt worden. Sie lassen sich politisch leicht evozieren und instrumentalisieren und dürfen daher nicht ignoriert werden, wenn der Prozess der europäischen Einigung erfolgreich gestaltet werden soll.

Gleichzeitig muss man natürlich auch sehen, dass Europa in vielen dieser Länder eine hoch akzeptierte Idee mit starker Ausstrahlungskraft darstellt. Sie steht für Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, aber natürlich auch für Wohlstand und materiellen Überfluss. Zu Zeiten der Sowjetunion war diese Idee eine Utopie - eine Vision, von deren Realisierung man sich weit entfernt wähnte und die daher am Sternenhimmel des osteuropäischen Werteuniversums hell zu glänzen vermochte. Während die Sowjetunion als Besatzungsmacht und als politisches Imperium in den kommunistischen Staaten vielfach verachtet war, besaß Westeuropa für viele Mittel- und Osteuropäer ein positives Image. 1989, als die kommunistischen Regime zusammenbrachen, träumten sie davon, bald so zu leben wie die Menschen in Westeuropa, in Freiheit und Wohlstand. "Rückkehr nach Europa" wurde in vielen Ländern der nach 1989 anstehende Transformationsprozess genannt, womit eben nicht nur die Verbesserung der ökonomischen Lage, sondern auch die Verwirklichung von nationaler Selbstbestimmung, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemeint war.

Heute ist die Zugehörigkeit zur Europäischen Union (EU) für zahlreiche dieser osteuropäischen Länder Realität geworden. Damit hat Europa allerdings viel von seiner früheren Strahlkraft eingebüßt. Der diffuse Enthusiasmus, mit dem man 1989 in Richtung Europa blickte, ist heute in nicht wenigen der Staaten Ost- und Ostmitteleuropas durchmischt mit einer beachtlichen Skepsis gegenüber Europa. Die Relativierung des positiven Images, das Europa einst besaß, hat unter anderem damit zu tun, dass sich der erhoffte schnelle ökonomische Aufschwung in vielen Ländern Ost- und Ostmitteleuropas schwieriger als erwartet gestaltet, dass soziale Ungleichheiten zugenommen haben, sich die wirtschaftliche Lage seit 1989 für manche nicht verbessert, sondern verschlechtert hat und viele mit Sorge in die Zukunft blicken. Sie kann auch mit der in den ostmitteleuropäischen Ländern weit verbreiteten Befürchtung erklärt werden, einer neuen politischen Dominanz ausgeliefert zu sein, die nun nicht mehr vom Osten, sondern vom Westen ausgeübt wird. Und sie ist auch auf die Frustrationen zurückzuführen, welche die Brüsseler Bürokratie, die detaillierten Anforderungen des acquis communautaire gegenüber den osteuropäischen Beitrittsländern sowie die zuweilen langwierigen und komplizierten Beitrittsverhandlungen der EU in den betroffenen Ländern ausgelöst haben. So ist in den osteuropäischen Ländern eine kontroverse Diskussion darüber im Gange, inwieweit sich die nationalen Interessen innerhalb der EU durchsetzen lassen oder durch eine Mitgliedschaft in der EU verletzt werden, inwieweit die nationale Souveränität und Kultur, das nationale Eigentum an Grund und Boden, die Würde und der Stolz der Nation im Gegenüber zu Westeuropa bewahrt werden können, oder ob die Mitgliedschaft in der EU mehr dem eigenen Land oder der EU nützt. Zuweilen sind in diesem Disput Stimmen zu vernehmen, die den Westen als moralisch dekadent und als politisch korrupt einstufen. Die gesunkenen Erwartungen an Europa drücken sich übrigens auch in den dramatisch niedrigen Beteiligungsraten an den diesjährigen Europawahlen aus.

Wie die Referenden zum Beitritt zur EU in vielen Ländern Osteuropas gezeigt haben, scheint Europa seinen guten Ruf jedoch in einem gewissen Maße erhalten zu haben. Seine Erfolge werden gesehen, und große Teile der Bevölkerung unterstützen auch heute noch die Zugehörigkeit ihrer Länder zur EU. Allerdings besitzt die Bereitschaft der Bevölkerung, die Mitgliedschaft in der EU zu unterstützen, nicht mehr in jedem Land jene Selbstverständlichkeit wie noch Anfang der neunziger Jahre. Sie ist vielmehr deutlich zurückgegangen und hat sich auch noch einmal nach den Referenden zum Beitritt zur EU im Frühling 2003, als viel für die EU geworben und politische Aktionen zur Beförderung des Ansehens der EU durchgeführt wurden, deutlich abgeschwächt. Inzwischen gibt es hinsichtlich der Akzeptanz der EU-Mitgliedschaft zwischen den Ländern große Differenzen. In einigen von ihnen - wie etwa in Lettland und Estland - wird sie nur noch von etwa 30 Prozent der Bevölkerung als eine gute Sache angesehen. Ist Europa in den Augen der Bevölkerung in den ostmitteleuropäischen Ländern noch immer das Modell für die eigene Entwicklung? Wie sieht das Verhältnis zwischen nationaler und europäischer Identifikation aus? Gibt es eine Bereitschaft zur Identifikation mit Europa? Steht die nationale Identität im Gegensatz zur europäischen Identität? Hat der Nationalismus negative Effekte auf die Akzeptanz der europäischen Integration und auf die Unterstützung europäischer Ideale wie Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit? Geht er einher mit der Präferenz für autoritäre Regime oder gar mit der Bereitschaft zur Rückkehr zum Kommunismus? Von welchen Variablen hängt die Identifikation mit der Nation ab? Von Bildung, Region, Alter, wirtschaftlicher Situation, Aufstiegs- bzw. Abstiegserfahrungen, Gerechtigkeitseinschätzungen, oder wovon sonst?

Auf Basis der folgenden Analyse soll auf alle der hier gestellten Fragen eine empirisch begründete Antwort gegeben werden. Im Mittelpunkt werden die Fragen stehen, ob nationale Identitäten eine Barriere für die Öffnung gegenüber der EU darstellen und von welchen Faktoren europaskeptische Einstellungen abhängen, sofern sie sich überhaupt nachweisen lassen. Die empirische Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen bildet eine im Herbst 2000 in der Hauptverantwortung des Autors in elf ost- und ostmitteleuropäischen Ländern durchgeführte vergleichende Bevölkerungsumfrage, in die auch Fragen zur nationalen und europäischen Identität aufgenommen wurden. Die Länder bzw. Regionen, in denen die Befragung stattfand, waren: Ostdeutschland, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Russland, Estland, Bulgarien, Rumänien, Albanien und Slowenien.

Nationale Identität als unabhängige Variable

Um die Identifikation mit der Nation und mit Europa messen zu können, soll auf eine in dem oben erwähnten Survey gestellte Frage zurückgegriffen werden. Sie lautete, ob sich die Befragten in den ostmittel- und osteuropäischen Ländern als Europäer verstehen, ob sie sich als Bulgaren, Polen, Russen, Deutsche wahrnehmen, also mit ihrer Nation identifizieren, oder ob sie sich in einer regionalen Tradition sehen. Die Befragten mussten zwischen den Antwortmöglichkeiten nicht alternativ auswählen, sondern hatten die Möglichkeit, auf alle drei Fragen getrennt zu antworten, so dass multiple Identitäten erfasst werden konnten. Wie die Antworten auf diese drei Fragen zeigen, wurde die Möglichkeit, jede Identität zu verneinen, ebenso selten gewählt wie die, sich nur über die Region oder nur über Europa oder über Europa und die Region gemeinsam zu identifizieren. Das heißt, die meisten Menschen besitzen so etwas wie eine nationale Identität, und gewöhnlich kombinieren sie diese mit regionalen oder europäischen oder sowohl mit regionalen als auch europäischen Bezügen. Deshalb sei im Folgenden nur aufdie vier Gruppen eingegangen, die quantitativ von Belang sind: auf die Gruppe derjenigen, die behaupten, nur eine nationale Identität zu haben, auf jene mit einer nationalen und regionalen Identität sowie mit einer nationalen und europäischen Identität und auf jene, die regionale, nationale und europäische Orientierungen miteinander kombinieren.

Ist es sinnvoll, diese vier Identitätstypen voneinander zu unterscheiden? Ist es für die Unterstützung der EU-Mitgliedschaft, für die Bejahung westlicher Werte wie Demokratie, Freiheit oder Marktwirtschaft und für die Ablehnung nichtdemokratischer Werte wie Diktatur oder Sozialismus von Bedeutung, welcher dieser Gruppen man angehört? Wie Tabelle 1 (s. PDF-Version) zeigt, besteht zwischen der Identifikation mit der Nation und der Akzeptanz der Idee der Demokratie kein signifikanter Zusammenhang. Verbinden sich nationale und regionale Identität miteinander, korreliert dieser Identitätstyp mit der Bejahung der Demokratieidee hingegen negativ (-.17). Umgekehrt schätzen diejenigen, die sich als Europäer verstehen und ihre europäische Identität mit ihrer nationalen oder mit ihrer nationalen und lokalen Identität kombinieren, die Idee der Demokratie überdurchschnittlich häufig positiv ein (+.07 bzw. +.10). Das Gegenteil trifft auf die Unterstützung der Idee des Sozialismus zu. In diesem Fall ist die Zustimmung unter Befragten mit europäischer und nationaler bzw. europäischer, nationaler und regionaler Identität geringer als im Durchschnitt (-.08 bzw. -.06) und unter Befragten mit nationaler und regionaler Identität höher (+.13). Dasselbe Korrelationsmuster finden wir, wenn wir nach dem Entwicklungsweg fragen (westlicher Weg), den das Land einschlagen sollte, nach der Akzeptanz der Marktwirtschaft, danach, ob man der Freiheit dem Wert Gleichheit vorzieht (Freiheit), oder danach, ob es am besten wäre, das Parlament abzuschaffen und stattdessen einen starken Führer zu haben (starker Führer), oder ob man zur kommunistischen Herrschaft zurückkehren sollte (Rückkehr zum Kommunismus). Jedes Mal bejahen die regionalen Nationalisten - das ist hier der interessante Identitätstyp - antidemokratische und antiwestliche Alternativen häufiger als der Durchschnitt, präferieren die national und/oder regional identifizierten Europäer westlich-demokratische Werte signifikant häufiger und stehen diejenigen, die sich lediglich mit der Nation identifizieren, weder westlichen noch antiwestlichen Werten besonders aufgeschlossen gegenüber. Diesem Antwortverhalten entspricht es, dass Personen mit einer europäischen und nationalen oder mit einer europäischen, nationalen und regionalen Identität der Mitgliedschaft ihres Landes in der EU eher zustimmen (Mitgliedschaft EU), regionale Nationalisten sie eher ablehnen und reine Nationalisten weder zur einen noch zur anderen Seite neigen. Mit anderen Worten - und das ist der Kern dessen, was hier gesagt werden soll -: Nicht die Bejahung nationaler Identität als solcher widerspricht europäischen Wertvorstellungen wie Demokratie, Freiheit oder Marktwirtschaft und der Offenheit gegenüber dem Prozess der europäischen Integration. Eine nationale Orientierung, ganz gleich ob sie sich nun mit europäischen oder europäischen und regionalen Identitätsmustern verbindet oder nicht, weist mehrheitlich sogar eine tendenziell prowestliche Haltung auf. Demokratie, Marktwirtschaft oder Freiheit werden nur dann überdurchschnittlich abgelehnt, wenn nationalistische Haltungen mit der Hinwendung zu regionalen Traditionen verbunden sind.

Nationale Identität als abhängige Variable

Wie lässt sich nun - damit kommen wir zur zweiten der beiden aufgeworfenen Fragen - die unterschiedliche Einstellung zu europäischen Werten wie Demokratie oder Marktwirtschaft in den unterschiedlichen Identitätstypen erklären? Bei einer sozialstrukturellen Betrachtung (die hier nicht abgebildet werden kann) fällt auf, dass Personen mit einer regionalen und nationalen Orientierung unter allen Identitätstypen den niedrigsten Bildungsstand besitzen, dass unter diesen ältere Menschen deutlich überrepräsentiert sind und sie den geringsten Anteil an Hauptstädtern, aber den höchsten der in der Landwirtschaft Beschäftigten stellen. Umgekehrt ist bei denjenigen, die sich als Europäer und zugleich als Angehörige ihrer Nation wahrnehmen, das Bildungsniveau am höchsten, die Gruppe der Jüngeren überrepräsentiert, der Anteil derjenigen, die in der Hauptstadt des jeweiligen Landes wohnen, am höchsten und der Anteil der Landbevölkerung am niedrigsten.

Die Vertreter des regional-nationalen Identitätstyps schätzen darüber hinaus die ökonomische Situation des eigenen Haushalts deutlich schlechter ein als die Angehörigen aller anderen Identitätstypen, insbesondere des national-europäischen. Dasselbe trifft auch auf die Einschätzung der ökonomischen Situation des Landes zu. Ebenso meinen diejenigen, die sich regional und national identifizieren, überdurchschnittlich häufig, dass sie ungerecht behandelt werden und nicht den ihnen zustehenden Anteil am Nationaleinkommen erhalten. Und sie halten auch die Gesellschaft insgesamt für ungerechter als die anderen. Besonders deutlich werden die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Identitätstypen, wenn man danach fragt, ob sich die wirtschaftliche Lage seit der Zeit vor 1989 verbessert oder verschlechtert hat. Insgesamt sehen alle Befragten bis auf die Vertreter des national-europäischen Identitätstyps mehr Verschlechterungen als Verbesserungen (vgl. Grafik 1: PDF-Version). Am negativsten aber ist die Einschätzung derjenigen, die sich in einer regional-nationalen Tradition verorten. Fragt man hingegen danach, wie man die Zukunft im Vergleich zur gegenwärtigen Situation bewertet, so sind die Hoffnungen gerade bei den regionalen Nationalisten am größten und bei denjenigen, die sich national und europäisch orientieren, am geringsten. Zwischen den aus dem Vergleich zur sozialistischen Zeit resultierenden Verlusterfahrungen und den Erwartungen an die wirtschaftliche Situation in der Zukunft besteht vor allem beim regional-nationalen Identitätstyp eine emotionale Spannung, die nur durch Veränderung der gegenwärtigen Verhältnisse abgebaut werden könnte.

Offenbar handelt es sich bei dem regional-nationalen Identitätstyp um eher niedrig gebildete, ältere, in der Peripherie lebende, teilweise bäuerlich geprägte Schichten, für die der Nationalismus ein Kompensationsinstrument für ihre unterprivilegierte und als ungerecht wahrgenommene Situation darstellt. Man könnte von einem "peripheren Nationalismus" sprechen, in welchem europäische Werte wie Demokratie oder Marktwirtschaft eher abgelehnt werden, während die Neigung zur Bevorzugung von Diktatur und starker Führerschaft sowie die Bereitschaft zur Rückkehr zum Staatssozialismus gepaart mit Europaskeptizismus relativ stark ausgeprägt sind. Mit seiner Hilfe können Ansprüche auf Verbesserung der allgemeinen Lebenssituation begründet und damit politisch wirksam geltend gemacht werden. Dabei bedienen sich die schlechter gestellten, peripheren Gesellschaftsschichten möglicherweise deshalb nationalistischer Argumente, weil diese sich vortrefflich dazu eignen, das Interesse an Zugehörigkeit, Gleichbehandlung und Besserstellung zu artikulieren und gesellschaftlich zu legitimieren. Dieser periphere Nationalismus steht einem urbanen Nationalismus gegenüber, der sich überproportional bei Jüngeren, hoch Gebildeten, Städtern, insbesondere den Einwohnern der Hauptstädte, und bei den Transformationsgewinnern findet. Der urbane Nationalismus kann sich sehr wohl mit der Akzeptanz von Demokratie und Marktwirtschaft verbinden und weist eine beachtliche Offenheit für den Prozess der europäischen Integration auf. Das heißt - und das sei nochmals wiederholt -, Nationalismus kann nicht als solcher als Bedrohung der europäischen Integration und der europäischen Ideale und Ziele angesehen werden. Der Nationalismus steht nur dann mit einer europäischen Perspektive und mit europäischen Werten in Konflikt, wenn er sich partikularistisch beschränkt und lokalistisch versteift.

Trägt man die bisher aufgeführten Faktoren - die sozialstrukturellen Merkmale, die Einschätzung der Gerechtigkeit der Gesellschaft, die individuelle und allgemeine ökonomische Lagebeurteilung sowie die Bewertung des Funktionierens der Wirtschaft im Vergangenheits-Gegenwarts- und im Gegenwarts-Zukunfts-Vergleich - in eine Regressionsanalyse ein, in welcher der periphere Nationalismus die abhängige Variable ist, so erweist sich vor allem die Einschätzung der Veränderung der allgemeinen und der individuellen ökonomischen Situation als einflussreich (hier nicht abgebildet). Aber auch die Beurteilung der Gerechtigkeit der Gesellschaft und des Anteils, den man am Nationaleinkommen erhält, spielt hier eine Rolle. Das bedeutet zunächst, dass für die Ausbildung des peripheren Nationalismus vor allem die Veränderung der ökonomisch-materiellen Situation und die ökonomische Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft ausschlaggebend sind. Als noch bedeutsamer erweisen sich in der Regressionsanalyse aber die Differenzen zwischen den Ländern. Es scheinen also vor allem grundlegende Differenzen zwischen den Ländern zu sein, welche die Ausbildung der unterschiedlichen Identitätstypen bedingen.

Tabelle 2 (s. PDF-Version) bestätigt diese Vermutung. Sie zeigt die Verteilung der vier Identitätsgruppen im Ländervergleich. Die Verteilung ist äußerst heterogen: Bulgarien und Russland weisen einen außergewöhnlich hohen Prozentsatz an Personen auf, die sich selbst in einer nationalen und regionalen Tradition sehen. In Polen, Rumänien und der Slowakei ist die Gruppe mit einer dreifachen Identität überrepräsentiert. Tschechien, Ungarn und Slowenien zeigen eine Überrepräsentation der Gruppe, in der eine nationale und europäische Identität dominiert, und in Ostdeutschland und Albanien ist der Prozentsatz derer vergleichsweise hoch, die sich nur mit ihren nationalen Traditionen identifizieren. Estland steht stets irgendwo in der Mitte. Betrachtet man die enormen Länderdifferenzen inder Verteilung der Identitätstypen, wird ein Ebenenwechsel der Analyse von der mikrosoziologischen auf die makrosoziologische Ebene erforderlich. Die bisherige mikrosoziologische Untersuchung muss nunmehr durch makrosoziologische Überlegungen ergänzt werden.

Der periphere Nationalismus im Ländervergleich

Wenn wir die vorgetragenen Einzelresultate der mikrosoziologischen Analyse auf die Aggregatebene übertragen, lässt sich annehmen, dass die starke Identifikation mit der Region und der Nation, wie sie in Russland und Bulgarien anzutreffen ist, durch die schwierige ökonomische Lage in diesen Ländern befördert wird. Tatsächlich weisen diese beiden Länder ein ausgesprochen niedriges Modernisierungsniveau auf, wie etwa am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ablesbar ist. Ein vergleichsweise niedriges Modernisierungsniveau besitzen unter den in die Untersuchung einbezogenen Ländern neben Russland und Bulgarien aber auch Rumänien und Albanien. In diesen beiden Ländern ist ein überproportionaler Anteil von Vertretern des peripheren Nationalismus allerdings nicht anzutreffen. Eine wirtschaftliche Krisensituation führt also nicht automatisch zu einer Verschärfung nationalistischer Überzeugungen und Gefühle. Um den hohen Anteil regionaler Nationalisten in Russland und Bulgarien zu erklären, müssen daher weitere Faktoren in Betracht gezogen werden.

Eine Erklärungshilfe könnte darin bestehen, zwischen der objektiven wirtschaftlichen Situation und ihrer Beurteilung durch die Bevölkerung zu unterscheiden. Betrachtet man etwa die Bewertung der wirtschaftlichen Veränderungen von der staatssozialistischen Epoche bis zur Gegenwart nach Ländern differenziert, so zeigt sich, dass zwar Russen, Bulgaren und Rumänen diese Veränderungen negativ einschätzen, Albaner aber positiv (vgl. Grafik 2: PDF-Version), obschon der Stand der wirtschaftlichen Entwicklung in Albanien deutlich unter dem Niveau der anderen Länder liegt. Ausschlaggebend für den Einfluss der wirtschaftlichen Lage auf die Ausbildung regional-nationalistischer Einstellungen ist also nicht die ökonomische Lage als solche, sondern ihre subjektive Bewertung. Diese wird nachdrücklich vom jeweiligen Anspruchsniveau beeinflusst. Das Ausgangsniveau der Transformationsprozesse in Albanien war offenbar so gering, dass die Veränderungen nach 1989 nur als Verbesserungen wahrgenommen werden konnten, auch wenn sie objektiv vielleicht wenig gebracht haben. Dort bildete sich jener periphere Nationalismus, der so stark demokratieablehnend und europaskeptisch ist, deutlich weniger stark heraus als in Bulgarien oder Russland. Entscheidend ist also offenbar nicht allein das Maß der wirtschaftlichen Rückständigkeit als solcher, sondern vor allem das Gefühl der relativen Deprivation.

Ein weiterer Erklärungsfaktor für die überdurchschnittliche Ausbildung regional-nationalistischer Identitäten könnte darin gesehen werden, ob in einem Land ethnische Konfliktfelder gegeben sind oder nicht. Prinzipiell lassen sich zwei Formen ethnischer Konflikte unterscheiden: solche, die aufgrund von ethnischen Minderheiten im Lande entstehen, und solche, die dadurch zustande kommen, dass Angehörige der eigenen Nation als Minderheiten im Ausland leben. Für Russland und Bulgarien treffen beide Konfliktfälle zu. Russland zeichnet sich als Vielvölkerstaat durch ein hohes Maß an ethnischer Heterogenität aus. Außerdem ist es von der Nationalitätenfrage auch dadurch besonders stark betroffen, dass sich aufgrund der imperialistischen Politik der Sowjetunion Millionen von Russen im Ausland angesiedelt haben, etwa in Estland oder Lettland oder auch in der Ukraine, wo sie teilweise einen Bevölkerungsanteil von mehr als 25 Prozent stellen und als ehemalige "Unterdrücker" oft scharf ausgegrenzt werden. Auch in Bulgarien ist das Nationalitätenproblem besonders virulent. Außerhalb von Bulgarien leben als Bulgaren bezeichnete Südostslawen in Griechisch-Makedonien und im ehemals jugoslawischen Mazedonien. Bulgarien selbst hat einen Anteil von 9 Prozent Türken, die sich als Angehörige der ehemaligen Herrschaftskultur ebenfalls keiner großen Beliebtheit erfreuen. Als Ende 1989 die von Todor Shivkov erlassenen Gesetze zur Assimilation der Türken, die unter anderem eine brutale Namensänderungskampagne zur Folge hatten, aufgehoben wurden, kam es zu spontanen Protesten aufgebrachter nationalistischer Gruppen, insbesondere im gemischt besiedelten Osten des Landes. Regional-nationalistische Einstellungen verstärken sich also aufgrund aktueller ethnischer Konflikte, die durch das Zusammenleben unterschiedlicher Nationalitäten und Ethnien auf engem Raum bedingt sind und in deren Verlauf sich der Nationalismus der Konfliktparteien aneinander reibt und wechselseitig hochschaukelt. Aber auch hinsichtlich dieses Erklärungsfaktors lassen sich Ausnahmen finden, welche die Gültigkeit dieses Erklärungsansatzes einschränken. Man denke etwa an die Auslandsungarn in der Slowakei und in Rumänien oder an die Minderheiten der Ungarn und Roma und Sinti in Rumänien, ohne dass sich in Ungarn oder Rumänien ein vergleichbares Maß an peripherem Nationalismus wie in Bulgarien oder Russland nachweisen lässt. Auch in diesem Fall wirkt also der benannte Faktor nicht automatisch, wohl aber möglicherweise in Kombination mit anderen.

Als ein weiterer dieser Faktoren könnte der Umgang mit nationalen Gefühlen und Interessen in der Zeit des Staatssozialismus identifiziert werden. In der Sowjetunion, in der die Autonomie der in das Imperium eingeschlossenen Nationen weitgehend missachtet, nationale Besonderheiten allenfalls als folkloristische Spezialitäten behandelt und der homo sovieticus propagiert wurde, trug die jahrzehntelange Unterdrückung nationaler Identitäten nach dem Zusammenbruch des imperialistischen Zentrums nicht unerheblich zur Wiederentdeckung des Nationalen bei. In Rumänien hingegen wurde der Nationalismus von Nicolae Ceausescu seit den sechziger Jahren für die Legitimation seines Regimes und die Durchsetzung seiner politischen Ziele instrumentalisiert und dadurch gründlich entwertet. Eine im Vergleich zu anderen Ländern größere Enthaltsamkeit und Reflektiertheit im Umgang mit nationalen Einstellungen und Affekten könnte die Folge gewesen sein. Das schließt nicht aus, dass sich auch in Rumänien nationalistische Ressentiments an ethnischen Konflikten wieder neu entzünden werden. Das könnte etwa in dem Konflikt mit der ungarischen Minderheit passieren, deren Verdienste im Prozess des Umbruchs von 1989/90 in Rumänien zunächst breit gewürdigt wurden, deren öffentlich demonstrierter Überlegenheitsgestus dann jedoch wieder Anlass für nationalistische Gegenbewegungen bot. Aber auch hier ist der Fall nicht eindeutig, denn auch in Bulgarien setzte die kommunistische Führung seit 1965 auf die nationale Karte. In Bulgarien kam es jedoch nicht zu einer ähnlichen Entwertung des Nationalismus wie in Rumänien. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass die bulgarische Bevölkerung aufgrund der traditionell engen Beziehungen zwischen Bulgarien und Russland dem sozialistischen Regime von Anfang an insgesamt aufgeschlossener gegenüberstand.

Schließlich sei als ein letzter Einflussfaktor auf die soziale Relevanz von Großmachtideen für die Ausbildung nationalistischer Einstellungen hingewiesen. Für Russland ist der Zusammenhang offensichtlich, denn noch vor wenigen Jahren war die Sowjetunion eine Supermacht mit einem Einflusspotenzial, das sich fast auf die halbe Welt erstreckte. Es mag sein, dass es deshalb der Bevölkerung dort schwerer fällt als den Menschen in anderen Ländern, mit ihrer unterprivilegierten und ökonomisch schwachen Lage fertig zu werden, und dass die antieuropäischen und nationalistischen Einstellungen in Russland zu einem großen Teil auf das höhere Anspruchsniveau in der Bevölkerung zurückzuführen sind und eine direkte Reaktion auf die Vorherrschaft des westlichen Gesellschaftsmodells in der gegenwärtigen, sich globalisierenden Gesellschaft darstellen. Auch für Bulgarien lassen sich Großmachtideen nachweisen, denn als 1878 der Präliminarfrieden von San Stefano geschlossen wurde, sprach dieser Vertrag Bulgarien einen Territorialbestand vom Schwarzen Meer bis fast an die Adria und von der Donau bis an die Ägäis zu. Zwar wurde der Vertrag schon im Jahr seines Abschlusses auf dem Berliner Kongress revidiert, es ist jedoch kein Zufall, dass 1990 der 3. März, der Tag, an dem der Vertrag von San Stefano abgeschlossen wurde, zum neuen Nationalfeiertag erklärt wurde. Dies zeigt, wie lebendig auch im heutigen Bulgarien, das sich gern die Rolle des Vermittlers zwischen europäischer Kultur und Islam zuschreibt, Großmachtideen noch sind. Allerdings stoßen wir auch hier wieder auf bezeichnende Ausnahmen. In Ungarn zum Beispiel ist die Erinnerung an den im Friedensvertrag von Trianon nach dem Ersten Weltkrieg festgelegten Gebietsverlust von mehr als 60 Prozent ebenfalls noch wach, und dennoch hat sich in Ungarn kaum ein regionaler Nationalismus wie in Bulgarien oder Russland herausgebildet.

Schlussbemerkungen

Zusammenfassend können wir festhalten, dass die überproportionale Ausprägung des regional-nationalen Identitätstyps durch das Zusammentreffen unterschiedlicher Faktoren begünstigt wird: durch wirtschaftliche Rückständigkeit, durch das Gefühl relativer Deprivation, durch national-ethnische Konfliktpotenziale, durch das in unterschiedliche Richtungen weiterwirkende Erbe des Sozialismus sowie durch Großmachtideen. Keiner dieser Einflussfaktoren allein reicht aus, um das europaskeptische Einstellungssyndrom des peripheren Nationalismus hervorzubringen. In unterschiedlicher Kombination können die benannten Faktoren jedoch zu seiner Entstehung beitragen.

Nationalismus, so können wir abschließend formulieren, ist ein ambivalentes, janusköpfiges, amorphes soziales Phänomen. Er kann sich mit Ideen der Demokratie und Marktwirtschaft verbünden, er kann aber auch antidemokratisch ausgerichtet sein. Von den unterschiedlichsten politischen Akteuren lässt er sich ideologisch benutzen und instrumentalisieren: von den ehemals kommunistischen Parteien wie in Rumänien oder Bulgarien ebenso wie von antikommunistischen Kräften wie in Polen oder Ungarn. Jedes Mal dient der Nationalismus den politischen Akteuren dazu, sich im politischen Wettstreit sozial zu behaupten und große Bevölkerungsteile auf die eigene Seite zu ziehen. Er ist nicht einfach da als eine tradierte kulturelle Substanz, sondern wird von politischen Akteuren konstruiert und eingesetzt zur Durchsetzung politischer, ökonomischer und sozialer Interessen. Zu einer solchen Instrumentalisierung eignet er sich, da sich im Gewand des Nationalismus unterschiedlichste Probleme auf einen Nenner bringen, Verantwortlichkeiten sozial zurechnen und Hoffnungen bündeln lassen. Wenn die westeuropäischen Staaten den Prozess der Integration Europas vorantreiben wollen, sind sie gut beraten, mit regionalen Differenzen ökonomischer und sozialer Natur, insbesondere mit Differenzen zwischen Peripherie und Zentrum, an denen sich nationalistische Einstellungen häufig festmachen, zu rechnen und mit ihnen sensibel umzugehen. Der periphere Nationalismus stellt sich nach den hier vorgestellten Analysen als ein von unterprivilegierten und peripheren Schichten benutztes Instrument zur Einklagung von Ansprüchen auf Zugehörigkeit und Gleichstellung dar, mit dem diese Schichten auf legitime Art und Weise die Verbesserung ihrer sozialen und ökonomischen Lage anmahnen können. Der Nationalismus stellt für sich genommen noch keine Gefahr für Europa dar, aber er kann zu einer solchen werden, wenn sich über ihn Gefühle der Schlechterstellung und Benachteiligung artikulieren und Anspruch auf Gehör verschaffen wollen. Eine solche nationalistische Anspruchshaltung lässt sich mehrheitlich gegenwärtig nur in wenigen Ländern Ostmittel- und Osteuropas nachweisen. In den meisten Ländern dieser Region bildet die nationale Identität der Bevölkerungen bei der Mehrheit keine Barriere für die Durchsetzung europäischer Ideale und Zielstellungen, sondern ein Medium, in welchem sich diese realisieren können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur funktionalen Ambivalenz des Nationalismus vgl. Gerhard Simon, Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion, Baden-Baden 1986, S. 27f. sowie die Einleitungsbemerkungen von Heinrich August Winkler in: ders./Hartmut Kaelble (Hrsg.), Nationalismus - Nationalitäten - Supranationalität, Stuttgart 1993, S. 10.

  2. Auf die Frage, wie sich ihr Leben in Zukunft verändern werde, sagte im Frühling 2004 eine Mehrheit der Befragten, dass es sich eher verschlechtern als verbessern werde. 62 % erwarteten eine Verschlechtrerung der ökonomischen Lage in ihrem Land, während nur 15 % mit einer Verbesserung rechneten. Vgl. European Commission (Hrsg.), Eurobarometer 2004.1. First Results, Spring 2004, S. 3.

  3. In allen Beitrittsländern liegt der Anteil derer, die eine Mitgliedschaft in der EU unterstützen, über dem Anteil derer, die sie für etwas Schlechtes halten. Vgl. European Commission, ebd., S. 7.

  4. Die Befragung "Political Culture in Central and Eastern Europe" wurde vorbereitet gemeinsam mit Jörg Jacobs, Olaf Müller und Gert Pickel, alle Frankfurt (Oder). Die Organisation und Durchführung der Mehrländerbefragung lag in der Hand von INRA Deutschland.

  5. Es gibt in den hier untersuchten Korrelationen nur eine Ausnahme von dieser Regel: Hinsichtlich der Marktwirtschaft zeigen diejenigen, die sich mit Europa und der Nation identifizieren, keine überdurchschnittliche Affinität (n.s.). Die regionalen Nationalisten lehnen die Marktwirtschaft allerdings überdurchschnittlich häufig ab (-.11), und die national und regional identifizierten Europäer stimmen ihr besonders stark zu (+.10), womit das allgemeine Muster wiederum bestätigt wird.

  6. Der Korrelationskoeffizient Pearson zwischen nationaler Identifikation und Zustimmung zur Demokratieidee bzw. zur Demokratie als Regierungsform beträgt .08 bzw. .10. Die Korrelation ist damit signifikant. Ebenso ist eine positive Korrelation zwischen nationaler Identität und dem Wert Freiheit festzustellen.

  7. Peter A. Kraus, Nationalismus und Demokratie: Politik im spanischen Staat der Autonomen Gemeinschaften, Wiesbaden 1996, S. 63.

  8. Diese Unterscheidung entspricht einem Ergebnis der Analysen Martin Heidenreichs, der ebenfalls starke regionale Ungleichheiten in Mittel- und Osteuropa feststellt, insbesondere zwischen hauptstädtischen Regionen, die von der Internationalisierung und Tertiärisierung der jeweiligen Volkswirtschaften außerordentlich profitieren, und einem agrarisch geprägten Umfeld, dessen Industrie wegbricht; vgl. Martin Heidenreich, Regionale Ungleichheiten im erweiterten Europa, in: Jutta Allmendinger (Hrsg.), Entstaatlichung und Soziale Sicherheit, Opladen 2003, S. 177 - 197.

  9. Vgl. Human Development Report 2002. http://stone.undp.org/reports/global/2002/en/pdf, S. 150.

  10. In Tschechien wiederum werden zwar die Verbesserungen der ökonomischen Situation seit 1989 gesehen, angesichts der erreichten Fortschritte wandelt sich der Blick in die Zukunft allerdings in Resignation.

  11. Das Potenzial für die Artikulation ethnischer Gruppen ist häufig territorial konzentriert; vgl. P.A. Kraus (Anm. 7), S. 63. Insofern ist es nahe liegend, einen engen Zusammenhang zwischen dem peripheren und einem ethnischen Nationalismus zu vermuten und Ersteren vielleicht sogar unter Letzterem zu subsumieren.

  12. Vgl. Stefan Troebst, Nationalismus vs. Demokratie: Der Fall Bulgarien, in: Margareta Mommsen (Hrsg.), Nationalismus in Osteuropa: Gefahrvolle Wege in die Demokratie, München 1992, S. 180, S. 178.

  13. Vgl. Anneli Ute Gabanyi, Nationalismus in Rumänien: Vom Revolutionspatriotismus zur chauvinistischen Restauration, in: M. Mommsen, ebd.,S. 147.

  14. 78 Prozent der Ungarn bezeichneten 1989 den Friedensvertrag von Trianon vom 4. Juni 1920 als das "am tiefsten gehende historische Trauma" (Csepeli György, Versenyben az identitásért: A nemzeti azonosság mintái a posztkommunista Magyarországon, in: Valóság, 12 (1991), S. 17 - 25).

Dr. theol., geb. 1955; Professor für vergleichende Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), zur Zeit Max Weber-Chair an der New York University.
Anschrift: New York University, Center for European Studies, 58 West 10th Street, New York, NY 10011, USA.
E-Mail: E-Mail Link: dp72@nyu.edu

Veröffentlichungen u.a.: (zus. mit Jörg Jacobs, Olaf Müller und Gert Pickel) Political Culture in Post-Communist Europe, Aldershot 2003; Säkularisierung - ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland, Tübingen 2003.