Die Geschichte der Türkei im 20. Jahrhundert war stark von Auswanderung geprägt. Aktuell leben mehr als 5,5 Millionen türkische Staatsbürger*innen laut dem türkischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten im Ausland; 4,6 Millionen davon haben ihren Wohnsitz in einem westeuropäischen Land. Die meisten türkeistämmigen Einwohner*innen hat Deutschland: etwa drei Millionen, darunter sowohl türkische Staatsbürger*innen als auch Menschen türkischer Abstammung, die entweder die deutsche und die türkische oder nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Aufgrund verschiedener Phasen der Auswanderung setzt sich die türkeistämmige Bevölkerung in Deutschland aus vielen unterschiedlichen Gruppen zusammen, die sich teilweise aktiv voneinander abgrenzen und zuweilen auch Konflikte aus dem Herkunftsland hier austragen: Kurd*innen und Türk*innen, Alevit*innen und Sunnit*innen, säkulare und religiöse Türkeistämmige, AKP-Anhänger*innen und AKP-Kritiker*innen.
Die türkische Politik gegenüber den im Ausland ansässigen Türkeistämmigen wurde seit dem AKP-Wahlsieg von 2002 verstärkt und ausgeweitet. Dieses Engagement basiert auf drei Prinzipien: Erstens werden die Angehörigen der Nation im Ausland als "Diaspora" definiert; zweitens wurde die Teilnahme an Wahlen und Referenden für türkische Staatsbürger*innen im Ausland ermöglicht, ohne dass diese ins Land reisen müssen, und drittens wird die Verbindung von muslimischer und türkischer beziehungsweise eine neo-osmanische Identität betont. Die AKP betreibt eine aktive Politik zur Förderung der Identifikation mit der Türkei unter Türkeistämmigen im Ausland und zur Mobilisierung der Türkeistämmigen in Deutschland für innertürkische beziehungsweise ihre eigenen Belange, wie zuletzt etwa die Eröffnung der Ditib-Moschee (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) am 29. September 2018 in Köln in Anwesenheit von Präsident Recep Tayyip Erdoğan zeigte.
Im Folgenden skizziere ich zunächst die Phasen der Migration aus der Türkei nach Deutschland. Vor diesem Hintergrund analysiere ich die ab 2002 erfolgte Neuausrichtung der "Diasporapolitik" der türkischen Regierung und frage abschließend nach den Reaktionen der Türkeistämmigen auf diese Mobilisierungsstrategien.
Aus der Türkei nach Deutschland
Die türkische Migration in die westeuropäischen Länder begann in den 1960er Jahren als Arbeitsmigration im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Deutschland war eines der bedeutendsten Aufnahmeländer und schloss bilaterale Abkommen über die Anwerbung von Arbeitskräften mit verschiedenen Ländern: etwa mit Italien 1955, mit Spanien und Griechenland 1960 und mit der Türkei 1961. Die Arbeitsmigrant*innen wurden als "Gastarbeiter" bezeichnet, was den vorübergehenden Wohnsitz in Deutschland betonen sollte, – und damals die Vorstellung beider Seiten wiederspiegelte. Ab Mitte der 1970er Jahre verschob sich der Schwerpunkt der türkischen Migration: Seit dem "Anwerbestopp" von 1973 fand Einwanderung vor allem im Rahmen des Familiennachzugs statt – und als nicht intendierte Folge wurden aus vielen "Gastarbeitern" Einwander*innen und Deutschland zum Einwanderungsland.
Eine weitere Immigration aus der Türkei setzte ein, als die politische Lage in der Türkei unmittelbar vor und in den Jahren nach dem Militärputsch 1980 viele Menschen auf der Suche nach Asyl nach Deutschland und in andere europäische Länder trieb. In den 1980er und 1990er Jahren erfolgte so eine Diversifizierung der Immigrant*innen aus der Türkei. Viele der Asylsuchenden waren linksgerichtete Aktivist*innen. Zudem kamen viele Kurd*innen, die wegen der fortwährenden Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) in den südöstlichen und östlichen Provinzen der Türkei das Land verließen. Eine in vielerlei Hinsicht vergleichbare Zuwanderung wurde jüngst ausgelöst durch die "Säuberungspolitik", die nach dem Putschversuch in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 einsetzte. Viele der aktuell Geflüchteten sind gut ausgebildete Journalist*innen, Akademiker*innen und Aktivist*innen, weshalb in diesem Zusammenhang auch von einem neuerlichen brain drain gesprochen werden kann.
Diasporapolitik im Wandel
Historisch betrachtet, wurde der Begriff Diaspora anhand der jüdischen, armenischen oder griechischen Diaspora definiert, die als "Opfer-Diaspora" bezeichnet wurden. Diese frühere Definition lieferte einen Archetyp: Mitglieder der so verstandenen Diaspora wurden vertrieben, fühlen den Verlust und hegen den Wunsch nach Rückkehr in das Heimatland. Zeitgenössisch wird hingegen eine transnationale Perspektive auf Gruppen in der Diaspora eingenommen und davon ausgegangen, dass Diasporagemeinden nicht unbedingt zurück in das Land ihrer Vorfahren wollen, sondern sie aufgrund des zirkulären Austausches und der transnationalen Mobilität eine Verbundenheit für mehr als ein Land (Heimat und Aufnahmeland) empfinden können. So gewinnt die Diaspora auch an Bedeutung für die Entsendeländer. Einige davon nutzen die Diasporapolitik zur Vernetzung oder zur Instrumentalisierung für unterschiedliche Interessen. Das Engagement kann dabei wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder politischer Natur sein. Die Politikwissenschaftlerin Eva Østergaard-Nielsen definiert den politischen Bereich dieser Bemühungen als "extension of political rights to non-resident nationals or attempts to influence and control expat political activities abroad".
Während in den 1970er Jahren den im Ausland ansässigen Türkeistämmigen vor allem kulturelle und soziale Angebote gemacht wurden, zeigte der türkische Staat seit den 1980er Jahren, als deutlicher wurde, dass viele der als kurzfristige Arbeitsmigration intendierten Ausreisen zu Daueraufenthalten in den Aufnahmeländern geworden waren, vermehrt wirtschaftliches und politisches Interesse an ihnen. Seit Beginn der Amtszeit der AKP 2002 ist eine Neuausrichtung des Engagements der AKP-Regierung(en) gegenüber den Türkeistämmigen im Ausland zu beobachten. Insbesondere das Jahr 2008 markiert einen bedeutenden Politikwechsel hin zu einer stärkeren Politisierung: In diesem Jahr änderte das türkische Parlament das Wahlgesetz und erlaubte erstmals türkischen Staatsbürger*innen, die außerhalb der Türkei leben, bei Wahlen und Referenden abzustimmen, ohne in die Türkei reisen zu müssen. Das Gesetz wurde erstmals bei der Präsidentschaftswahl 2014 vollzogen. Ein Zusatzartikel dieses Wahlgesetzes ermöglichte es dem türkischen Staat außerdem, Wahlbüros im Ausland einzurichten. Dafür bedarf es in einigen Ländern, wie Deutschland, der Zustimmung und Genehmigung staatlicherseits.
Mit dieser Neuerung änderte sich auch die Art und Weise, wie Türkeistämmige adressiert wurden: Seit dem Amtsantritt der AKP-Regierung 2002 wurde immer häufiger der Begriff der "Diaspora" verwendet. Diese sprachliche Verschiebung erfolgte im Kontext einer breiteren Neuausrichtung der türkischen Außenpolitik. Der Sprecher des türkischen Präsidenten, İbrahim Kalın, erklärte 2011, dass die Strategie einer verstärkten öffentlichen Diplomatie eine Methode zur Förderung nationaler Interessen sei. Ziel der neuen Diasporapolitik ist, die öffentliche Meinung im Ausland und damit nach Möglichkeit die Politik der Aufnahmeländer so zu beeinflussen, dass wirtschaftliche und politische Vorteile für die Türkei wahrscheinlicher werden. Dies lässt sich beispielsweise aus der Rede des damaligen Außenhandelsministers Kürşad Tüzmen bei einem Forum des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen 2009 herauslesen. Tüzmen beschrieb dort die Türkeistämmigen als "Diaspora" und betonte die Bedeutung ihres Beitrags für den türkischen Handel. Seitdem taucht der Diaspora-Begriff immer wieder in Statements verschiedener türkischer Staatsbeamter in unterschiedlichen Kontexten auf. So bezeichnete der Leiter des Amtes für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften Mehmet Köse erst kürzlich Köln als die "Hauptstadt der Diaspora" und betonte ihre Bedeutung für die "Bewahrung von Identität, Kultur und Sprache". Bei einer Veranstaltung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) sprach Präsident Erdoğan von "neuen Dienstleistungen" für türkische Bürger*innen in der Diaspora, um die türkische Sprache und Kultur besser zu fördern.
Die Neuausrichtung schlägt sich auch institutionell nieder: Bereits vor der Regierungszeit der AKP gab es staatliche Institutionen wie die Generaldirektion für auswärtige Angelegenheiten und Dienstleistungen für Arbeitnehmer im Ausland (Dış İlişkiler ve Yurt Dışı İşçi Hizmetleri Genel Müdürlüğü), die 1967 gegründet wurde. Zudem fungierten Attachés in türkischen Konsulaten als Ansprechpartner für die Türkeistämmigen. Zeynep Şahin Mencütek und Bahar Baser sprechen von einer Zeit "intensiven Engagements und der Institutionalisierung" ab 2003. Als Beleg führen sie einen Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission vom 17. Juni 2003 an, in dem legislative und institutionelle Änderungen angesprochen werden, die dabei helfen sollen, mögliche Probleme der Bürger*innen im Ausland anzugehen. Beispielsweise wurde die Einrichtung einer Direktion für Diaspora-Angelegenheiten empfohlen. Die Gründung des Amtes für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften (Yurtdışı Türkler ve Akraba Topluluklar Başkanlığı, YTB) 2010 kann als ein Ergebnis der Empfehlungen der Kommission gewertet werden. Die YTB organisiert Veranstaltungen für Türkeistämmige im Ausland und nutzt auffällig oft den Begriff der "Diaspora". So hat etwa die "Diaspora Youth Academy" des YTB zum Ziel, "gebildete Individuen heranzuziehen, die die Zukunft der türkischen Diaspora bilden könnten". Dies spiegle die "neue Vision für die Türkei" wider. Weiterhin sei die YTB bestrebt, die im Ausland lebenden Bürger*innen und Familien zu koordinieren. Nach Einschätzung mancher Forscher*innen könnten hier auch außenpolitische Ambitionen der Türkei sichtbar werden, die mit der "Entdeckung" der Fähigkeiten als soft power in Verbindung stehen.
Schließlich steht die neue türkische Diaspora-Politik im Kontext der nationalen Identitätspolitik. Die mehrheitlich muslimische Identität der AKP-Anhänger*innen entspricht der "neo-osmanischen Haltung" der Parteilinie, die in einer breiten Definition der Nation zum Ausdruck kommt. Der Begriff der "Nation" wird gezielt mit dem Begriff der "Gemeinschaft" vermischt – vor allem mit einer religiösen Gemeinschaft, die nationalstaatliche Grenzen überschreitet. 2017, als der damalige Premierminister Binali Yıldırım in Oberhausen eine Rede zum Verfassungsreferendum hielt, beschwor er die religiöse Gemeinschaft, als er erklärte, dass "die Gebete der Ummah [Religionsgemeinschaft] hinter ihnen [Türkeistämmigen im Ausland] stehen". Mit dieser Wortwahl sprach er die muslimischen AKP-Anhänger*innen an. Wie Abadan-Unat et al. gezeigt haben, verstehen sich AKP-Anhänger*innen in Deutschland in erster Linie als Muslim*innen. Über die Betonung der muslimischen Identität soll deren Gemeinschaftsbildung gestärkt werden. Auch der Sozialwissenschaftler Yaşar Aydın stellt fest, dass die AKP und staatliche Eliten den "muslimischen Nationalismus" (Jenny B. White) fördern, der "sich an einer historischen türkisch-osmanischen Identität orientiert" und "eine religiös motivierte, exklusive gruppeninterne Solidarität" ermöglicht.
"Counterparts" in Deutschland
Das neue Engagement der Türkei im Ausland hat "Counterparts" in Organisationen, die in den Aufnahmeländern von türkischen Immigrant*innen selbst (teilweise mit Unterstützung aus der Türkei) als Kulturvereine oder politische Parteien gegründet wurden, starke Verbindungen zur AKP und in die Türkei unterhalten und dabei politische und/oder religiöse Positionen vertreten. Besonders präsent sind hier Organisationen der Ditib oder der UETD. Ditib wurde 1984 im Rahmen des Komitees für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) der Türkei in Köln gegründet, um die religiösen Bedürfnisse der Immigranten in Deutschland zu bedienen. Ditib hat derzeit über 960 Filialen, die jeweils als Kulturvereine eingetragen sind, wobei die Imame, die in den Ditib-Moscheen arbeiten, mehrheitlich aus der Türkei entsandt sind. Die 2004 ebenfalls in Köln gegründete UETD wird von einigen als Lobbyorganisation der AKP angesehen. Bei der Generalversammlung der Organisation im Kosovo im Mai 2018 wurde der offizielle Name in Union Internationaler Demokraten (UID) geändert, was eine strategische Neuausrichtung signalisiert. Beide Organisationen engagieren sich vor allem im Bereich türkeibezogener Themen, politisch, gesellschaftlich und religiös, interessieren sich aber auch für deutsche und europäische Politik.
Als Vertretung von muslimischen und vor allem türkeistämmigen Migrant*innen gegründet wurden 2010 das Bündnis Innovation und Gerechtigkeit (BIG), eine Partei, die bei verschiedenen Landtagswahlen angetreten ist, und 2016 die AD-Demokraten, die bisher bei der Bundestagswahl 2017, aber nur in Nordrhein-Westfalen, und bei der Landtagwahl in Hessen 2018 angetreten ist.
Vieles spricht dafür, dass die genannten Vereine, Verbände und Parteien eine "two-track strategy" verfolgen: Einerseits stärken sie die Identifikation der Türkeistämmigen mit ihrer Herkunft, andererseits engagieren sie sich für ihre Mitglieder aber auch im Aufnahmeland und versuchen, die politische Öffentlichkeit des Aufnahmelandes für die Belange der Immigrant*innen zu interessieren. Zudem haben die migrantischen Selbstorganisationen eine "Vermittlerfunktion zwischen einheimischen und Türkeistämmigen". Mit anderen Worten sind diese Organisationen in hohem Maße mit beiden Ländern verbunden und spielen eine Rolle bei der Mobilisierung und politischen Meinungsbildung, aber eben auch als Brückenbauer. Dass diese institutionelle Infrastruktur in Deutschland so starke Resonanz findet, weist insofern auch auf integrationspolitische Defizite im Aufnahmeland hin: Für die politischen Interessen derjenigen Türkeistämmigen, die nicht deutsche Staatsbürger*innen wurden und in den vorhandenen deutschen Parteien Politik mitzugestalten suchten, gab es praktisch keine Vertretung.
Wirkungen der Diasporapolitik in Deutschland
Die Wahlbeteiligung unter türkischen Staatsbürger*innen im Ausland ist im Laufe der Zeit gestiegen, was auf die Möglichkeit zurückzuführen ist, nicht dafür in die Türkei reisen zu müssen – und auf das Wissen um diese Möglichkeit. Von etwa 2,8 Millionen Wahlberechtigten im Ausland haben bei der Präsidentschaftswahl 2014 gut 530.000 ihre Stimme abgegeben; 2015, bei der Parlamentswahl im Juni, stieg die Zahl auf etwa eine Million, und bei der Wiederholung im November waren es fast 1,3 Millionen Wähler*innen im Ausland. 2018 stimmten etwa 1,5 Millionen (von mittlerweile über drei Millionen Wahlberechtigten) bei der Parlamentswahl ab, ebenso viele bei der Präsidentschaftswahl. Diese Tendenz lässt sich auch für Deutschland beobachten: Von den etwa 1,4 Millionen Wahlberechtigten gingen 2014 nur etwas über Hunderttausend zur Wahl, 2015 stieg die Zahl auf fast eine halbe Million im Juni und überschritt die halbe Million im November. 2018 stimmten sogar über 600.000 türkische Bürger*innen bei der türkischen Präsidentschaftswahl und der Parlamentswahl ab; die Wahlbeteiligung lag bei 45,7 Prozent, davon haben 64,78 Prozent Erdoğan und 56,3 Prozent die AKP gewählt.
Die Verbundenheit mit der Türkei unter Türkeistämmigen nimmt laut einer aktuellen Studie zur Identifikation und politischen Partizipation türkeistämmiger Zugewanderter in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland seit 2011 stetig zu, die Verbundenheit nur mit Deutschland hingegen ab. Fühlten sich 2010 noch 29,5 Prozent der Befragten mit der Türkei heimatlich verbunden, lag der Anteil 2017 bei knapp über 50 Prozent. Die Heimatverbundenheit nur mit Deutschland sank im gleichen Zeitraum von 25,4 auf 17,0 Prozent. Mit beiden Ländern gleichermaßen verbunden fühlen sich gut 30 Prozent – ein Rückgang von 10 Prozentpunkten seit 2010. Daneben wurde auch der Grad der Länderzugehörigkeit (von sehr stark bis gar nicht) abgefragt. Dabei zeigte sich, dass eine sehr starke Zugehörigkeit zu Deutschland von 37,5 Prozent und eine eher starke Zugehörigkeit von 43,3 Prozent der Befragten angegeben wurden, insgesamt 80,8 Prozent. Sehr stark der Türkei zugehörig fühlen sich 61,1 Prozent, eher stark 27,2 Prozent, insgesamt 88,3 Prozent.
Sowohl die gestiegene Wahlbeteiligung als auch die zunehmende Verbundenheit mit der Türkei sind Indizien dafür, dass die neue Diasporapolitik der Türkei Wirkung zeigt – wenn auch nicht bei allen Türkeistämmigen gleichermaßen, ist dieser Bevölkerungsteil doch, wie bereits erwähnt, heterogen. Vor allem die "türkisch-sunnitischen Organisationen haben auf das Engagement der Türkei in der Diasporapolitik positiv reagiert", so die Politikwissenschaftlerin Ayca Arkilic; andere Migrantenorganisationen wie alevitische oder nicht-islamische Organisationen seien "nicht Teil dieses inneren Zirkels". Zu den Wirkungen auf verschiedene Gruppen und deren Perspektiven auf die Diasporapolitik ist weitere Forschung notwendig.
Fazit
Unter Führung der AKP wurde der Austausch zwischen der Türkei und den Türkeistämmigen im Ausland intensiviert. Ein Grund dafür ist die politische Bedeutung der türkischen Staatsbürger*innen im Ausland als Teil des Wahlvolkes. Als "türkische Diaspora" angesprochen, werden Türkeistämmige zunehmend breit mobilisiert. Dieser Trend ist vor allem in Deutschland sichtbar, wo die meisten Türkeistämmigen außerhalb ihres Herkunftslandes den Hauptwohnsitz haben. Dabei sind es insbesondere AKP-nahe Organisationen, die Informationen und Positionen zu Entwicklungen in der türkischen Innenpolitik gezielter verbreiten, als es zuvor – etwa über nicht institutionell gebundene digitale Medien – der Fall war. Türkeibezogene Themen werden regelmäßig über die institutionellen Kanäle kommuniziert, und kollektive Identitäten, die im Einklang mit religiösen und nationalistischen Einstellungen der AKP stehen, scheinen von diesem Wagenheber-Effekt besonders zu profitieren.
Eine starke Verbundenheit mit der Türkei bedeutet aber nicht, dass sich Türkeistämmige nicht auch mit Deutschland verbunden fühlen. Es ist wichtig, diese gleichzeitigen Verortungen und auch mögliche doppelte Loyalitäten der Türkeistämmigen ernst zu nehmen. Und es wäre falsch, sie einfach als Integrationsdefizit abzutun. Die Verbundenheit mit Deutschland kann gestärkt werden, indem Eingewanderte mehr Akzeptanz und Teilhabe in der deutschen Gesellschaft und Politik erfahren. Dabei sollte es im demokratischen Streit legitim sein, dass manche von ihnen ihre Positionen explizit als Türkeistämmige vertreten wollen. Schon darin eine vermeintlich fehlende Integrationsfähigkeit und -willigkeit zu sehen, hilft dagegen vor allem der türkischen Regierung, in Deutschland lebende Türkeistämmige für ihre (innen)politischen Ziele zu instrumentalisieren.