Einleitung
Was das "Alte Europa" von Anbeginn argwöhnte, bestätigen nun nicht nur der Geheimdienstausschuss des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika und der Abschlussbericht der UN-Waffeninspekteure, sondern auch die CIA: Massenvernichtungswaffen konnten im Irak nicht gefunden werden. Die seinerzeit präsentierten "Quellen" erwiesen sich als Täuschungen.
Wäre dieser "Ring der Vernebelungen" nur ein Politthriller
Doch Osama Bin Laden und Al-Qaida existieren fort, auch wenn Afghanistans Berge von modernsten Ortungswaffen durchlöchert sind. Die Taliban wurden aus Kabul verjagt - zugunsten ihrer Vorgänger, die sich mit westlichen Hilfen wieder bewaffnen, um alsbald jenen Staat beseitigen zu können, der nicht der ihre ist, sondern den der Westen zu seiner eigenen Beruhigung als demokratische Staatenbildung inszeniert, samt einer Wahl, bei der das Wahlvolk kaum weiß, was Wählen bedeutet.
Mit dem Irak verfuhr die westliche Zivilisation in umgekehrter Weise. Statt "nation building" wurde ein für vormoderne Verhältnisse erstaunlich gut funktionierender Staat in die Wüste gebombt, aus Gründen, die nicht stichhaltig waren, und ohne Aussicht auf Erbauliches. Die für den Wiederaufbau vorgesehenen Gelder werden von der allgemeinen nationalen Destruktion verschlungen, in die sich das Gegeneinander von Interessen, Ethnien und Mörderbanden aufgelöst hat. Saudi-Arabien dagegen, dessen ultrafundamentale Eiferer von Wahabiten und Salafiten den internationalen Terrorismus nachweislich finanzieren, ist, im Gegensatz zum Irak Saddam Husseins, als Verbündeter nicht in Ungnade gefallen. Auf der nach unten offenen Skala der Menschenrechtsverletzungen gilt kein Maß mehr, seit die Befreier, wenn es opportun ist, ähnlich zu wüten scheinen wie die Despoten, derer sie sich entledigen wollten.
Dabei entstammt doch die Moral der westlichen Zivilisation ausgerechnet dem Kampf gegen Despotie und Willkür, samt ihrem vornehmsten Grundsatz: der Gleichheit aller vor Gesetz und Recht. Was ist passiert, dass diese Zivilisation ihre wertvollsten Erbschaften, vom Westfälischen Frieden über die Menschenrechte bis zur Charta der Vereinten Nationen, preiszugeben droht aufgrund des Handelns einer unheiligen Allianz aus Gedankenlosen, die an gar nichts mehr glauben, und fanatisch Glaubenden, die zu wenig denken? Muss man den unvermeidbaren Fall großer Mächte, gar den Untergang des Abendlandes befürchten?
Zeitenwende "9/11"?
Wer über die Verteidigung des Zivilen schreibt, läuft Gefahr, den entschiedenen Gutmenschen geben zu wollen, der sich, gleich Nathan dem Weisen, zum Mediator zwischen widerstreitenden Kulturen macht, zugleich aber auch Grenzen zieht und ein Politikverständnis propagiert, wie es einst die Gralshüter der wehrhaften Demokratie verfochten, als sie, mit dem Grundgesetz unter dem Arm, "Radikale" per Erlass vom öffentlichen Dienst fern hielten. Tatsächlich geht es nicht um rituelle Politik oder die Exekution von Symbolen und Symbolischem, sondern um die Grundlagen, die den Transformationen ins Symbolische vorausgehen, und um den Wert, den ein jeder dieser Grundlage beimisst.
Doch ein Blick auf die Debatten um Abtreibung, Sterbehilfe, Gentechnik oder Todesstrafe belehrt eines Schlechteren. Vermutlich ist uns gar nichts heilig - was auch kein schlechtes Zeichen wäre, nach "Heil Hitler" und all dem Unheil reinrassiger Wunderheiler. Sind wir also völlig abgeklärte, ernüchterte Zeitgenossen? Die Frage ist nicht rhetorisch, sollten wir es tatsächlich mit Menschen zu tun haben, die "den Tod mehr lieben als das Leben" und die auf unseren Gräbern tanzen wollen.
Der weltweite Terrorismus stellt uns nicht vor unmittelbare Notwehrsituationen. Die Menschen in den Twin Towers, in Madrid, Moskau oder Beslan starben chancenlos. Situationen wie in Flug 93 der United Airlines sind die Ausnahme. Es geht auch nicht um Endkämpfe "Mann gegen Mann", sondern um Moral: Was sind mir die Grundlagen, die mir mein Leben ermöglichen, wirklich wert? Hier nützt kein Ungefähr. Die Scharia ist inakzeptabel, ebenso ein Gottesstaat. Es ist eine historische Errungenschaft - die im Übrigen viel Blut gekostet hat -, dass der Staat dem Recht unterworfen ist statt religiösen Nomenklaturen, die ihre Interessen als Offenbarung göttlicher Weisheit ausgeben. Gleiches und unabhängiges Recht ist das höchste Gut abendländischer Zivilisation und ihre unveräußerliche Grundlage, ohne die es keine Verständigung geben kann: Für diese Überzeugung bin ich bereit, mit dem Leben zu bezahlen.
Dass dies im Kontext des Terrorismus jedoch durch und durch falsch klingt, spürt man beim Schreiben und Lesen; in einem anderen Kontext bekommt es einen neuen Klang. Wer beispielsweise am Straßenverkehr teilnimmt, übernimmt ein "allgemeines Teilnahmerisiko", das darin besteht, "verunfallen" zu können. Im Jahr 2001 starben auf unseren Straßen beinahe 8000 Menschen. Unsere uneingeschränkte Mobilität ist uns dieses Teilnahmerisiko wert. Als Vielfahrer weiß ich um dieses Risiko, und obwohl es mich jederzeit treffen kann, akzeptiere ich es stillschweigend. Ist es unangemessen, nach dem allgemeinen Teilnahmerisiko einer "offenen Demokratie" zu fragen? Ist es politisch inkorrekt, unsere stillschweigende Bereitschaft zum Blutzoll für ein minder bedeutendes Gut wie Autofahren ins Verhältnis zu setzen zur "Zahlungsbereitschaft" für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte?
Selbst wenn diese unveräußerlichen Güter in Guanta'namo oder im Abu-Ghraib-Gefängnis mit Füßen getreten werden, zeigt dies nur, dass keine Zivilisation davor gefeit ist, von ihren Nutznießern unterminiert zu werden, zugleich aber auch, dass nicht jede Zivilisation bereit und in der Lage ist, dagegen Rechtsmittel einzulegen oder zuzulassen.
Die Frage, wie in Zeiten terroristischer Bedrohung das Zivile verteidigt werden kann, ist keineswegs so neu, wie gelegentlich getan wird. Das régime de la terreur etwa, durch das in Frankreich nach 1793 alle Konterrevolutionäre eingeschüchtert und beseitigt werden sollten, mag den Begriff "Terrorismus" historisch datieren, nicht aber die Erfahrung eines Schreckens, der Ohnmacht fühlen lässt bis zur Entblößung aufs Kreatürliche. In dieser allgemeinen Form ist Terror von Anbeginn der Feind jeden Hegens und Pflegens, jeden Zivilisierens und Kultivierens. Der Schrecken aller Sinne macht jedes Besinnen unmöglich.
Aporien des Wahrnehmens
Der Begriff der "Zivilgesellschaft"
Wachsender Wohlstand scheint den Blick zu trüben, zumindest so lange, wie genügend Spielraum für Wohltaten und Transferleistungen zu erübrigen ist, damit Differenzen nicht zu Konflikten eskalieren. Wenn es knapp und eng wird, werden an den Bollwerken die Zugbrücken eingeholt und die Sparempfehlungen durchgereicht bis zu jenen, die sich ihrer nicht erwehren können. Ehrenamtliches Engagement, Gemeinsinn und Zivilgesellschaft haben ihre Konjunkturen - antizyklisch zu denen der Wirtschaft. Daran wäre nichts zu tadeln, gäbe es neben dem zu überwindenden Mangel auch ein gemeinsames gutes Konzept, um seine Ursachen zu beseitigen. "Blood, sweat and tears" werden bereitwillig vergossen, wenn daran geglaubt wird, dass es richtig ist und gerecht. Wo hingegen weder die Ziele für richtig noch die Mittel ihrer Erreichung für gerecht erachtet werden, fallen Staat und Gesellschaft auseinander, wird der Kampf partialer Interessen unverhohlen. Im historischen Kontext zeigen solche Kämpfe die hässliche Seite der "Schönwetter-Demokratie", nämlich eine antizyklische Konjunktur der Entzivilisierung. Doch abnehmende Chancen münden keineswegs zwangsläufig in Kriminalität und Radikalismus auf der einen und in Polizeistaat und Faschismus auf der anderen Seite. Die Übersteigerung ins einmalig Monströse führt eher zu Besinnungslosigkeit, die Erinnern zum leeren Ritual macht statt zum Bewusstsein, dass immer auch etwas ganz anderes möglich ist und eine Wahl besteht.
Haben wir heute gegenüber diesem ins einmalig Monströse übersteigerten Terrorismus überhaupt noch eine Wahl, ist ein ganz anderer Umgang mit ihm möglich als fortwährende Eskalationen in Krieg, Gegenterror und eine lange Konjunktur der Entzivilisierung? Manche haben die USA bereits vor "9/11", vor den massiven Beschränkungen der bürgerlichen Freiheiten durch den "Patriot Act" und den in Guanta'namo Bay suspendierten Grundrechten als "Polizeistaat" bezeichnet.
Allgemein formuliert stehen wir keineswegs vor dem Dilemma, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu müssen. Es geht nicht um die Gefahr, den Terror mit polizeistaatlichen Mitteln zu bekämpfen und dadurch des Zivilen verlustig zu gehen. Wahr ist vielmehr, dass ohne polizeistaatliche und geheimdienstliche Mittel Terrorismusbekämpfung unmöglich ist. Warum diese Mittel per se problematisch sein sollen, müsste von jenen belegt werden, die so etwas fortwährend behaupten. Die Bundeswehr ist keine Reichswehr und der Staatsschutz keine Gestapo. Gefährlich ist etwas anderes: Wir stehen in Gefahr, unsere Grundwerte einzuschränken, um jener wenigen habhaft werden zu können, die durch Terror unsere Wertordnung beseitigen wollen. Wieso tun wir selbst, was des Terrorismus ist? Zumal nie und nimmer zu befürchten steht, dass es diesem Terrorismus aus eigener Kraft gelingen könnte, seine Ziele zu erreichen. Dazu fehlt es ihm an Überzeugungskraft und auch an wirksamer Masse.
Wovor fürchtet man sich also? Dass die Frauen der westlichen Welt Jeans und Lippenstift wegwerfen und nach der Burka schreien? Dass ihre Männer in Bergcamps einrücken, um die Welt in die feudale Herrlichkeit von Scheichs, Imamen, Clan-Despoten und warlords zurückzuentwickeln? Die Verheißungen der Gottesstaaten und ihrer Krieger gelten nur wenigen Frommen, während sich die Mehrheit nach den säkularen Verheißungen einer Zivilisation sehnt, die Recht und Freiheit gewährt. Abermals ließe Geschichte zur Besinnung kommen: Die meisten Zivilisationen sind an inneren Blutungen verschieden, nicht an importiertem Terrorismus. Wenn wir etwas fürchten müssten, dann nicht diesen Terrorismus, sondern innere Blutungen. Die schlimmste hat Gramsci beschrieben: die Denaturierung der Zivilgesellschaft in ein Bollwerk partialer Interessen, unter deren Selbstsucht das Gemeinwesen zerstört wird und mit ihm die Glaubwürdigkeit unserer Grundwerte. Diese Debatte wäre die Verteidigung des Zivilen, doch stattdessen beherrscht ein hollywoodesker Phantomterrorismus die allgemeine Wahrnehmung.
Monopoly
Die Medien haben die Ereignisse des 11. September 2001 dem besonnenen Nachdenken entrissen und in eine symbolische Inszenierung transformiert. Durch die Endlosschleife einschlagender Flugzeuge und brennender Türme verkam die Wirklichkeit zu einem Hollywood-Film voller Pyrotechnik, Gigantismus und Heroisierung. Es ging nicht mehr um Terrorismus, schon gar nicht um die Suche nach einer angemessenen Antwort, sondern um Bin Laden und die Bushs, um den "Krieg gegen die Ungläubigen" und den "Kreuzzug" der Zivilisation gegen das neue "Reich des Bösen". Die Welt schien dem Showdown zwischen Gut und Böse entgegenzufiebern. Es gab tatsächlich "das Bedürfnis nach einem Militärschlag als Antwort auf die schrecklichen Angriffe", sagte Brent Scowcroft, Berater der US-Präsidenten Ford, George Bush sen. und George W. Bush. Die Rede vom "Krieg gegen den Terrorismus" sei sinnvoll und notwendig gewesen, um die Bevölkerung zu mobilisieren. "In den ersten Tagen", so Scowcroft, "war die Rede vom Krieg vor allem ein Weckruf. Die Wortwahl hat ihren Zweck erfüllt."
Was aber könnten die Kriegsziele und Einsatzgebiete sein? Mangels Informationen sprossen Verschwörungstheorien
Es geht jedoch nicht nur um die Umverteilung von Souveränität zwischen Nationalstaaten und supra-nationalen Institutionen, sondern auch um die inhaltliche Ausgestaltung einer globalen Grund- und Wertordnung. Wohl zu Recht werfen die Armen den Reichen vor, dass sich Demokratie und Menschenrechte feiern lassen, wenn man im Überfluss leben kann. Was wohl von diesen gepriesenen Gütern bliebe, wenn es so knapp und erbärmlich zuginge wie in den Ländern des Südens? Die vom UNEP (United Nations Environmental Programme) und der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) 1974 in Mexiko verfasste Erklärung von Cocoyok bezeichnete die reichen Industrieländer als "fehl- bzw. überentwickelt". Man forderte sie auf, ihren "Überkonsum" einzustellen und einen Lebensstil "einschließlich bescheidener Konsumstrukturen" zu bewirken, welcher der globalen Entwicklung nicht länger Schaden zufüge. Dazu bedürfe es einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung, gerechterer terms of trade und eines Mitspracherechts bei der Festlegung von Minimum- und Maximumstandards des Konsums. Diese Forderungen gehen weit über das hinaus, was uns selbstverständlich ist: gerechte und gleiche Lebensbedingungen für jeden Bürger. Was hier heraufzieht, sind Welt-Pro-Kopf-Quoten für den Ressourcenverbrauch und Standards für das Existenzminimum. Ob wir es uns eingestehen mögen oder nicht, letztlich wird sich globale Gerechtigkeit nur über derartige Mechanismen herstellen lassen. Je länger wir uns dieser materiellen Seite allgemeiner und gleicher Menschenrechte verweigern, desto offensichtlicher wird, dass wir Heuchler im Bollwerk sind, die ihre Konsumscharia verteidigen.
Scharia gegen Scharia
Vielleicht ist es hilfreich, die im Namen des Islam, oder zutreffender: ideologisierter Islamismen, begangenen Straftaten als das zu nehmen, was sie, zumindest auf der Symbolebene, auch immer sein sollen: Fanale eines "heiligen Krieges". Auch wenn man die zugespitzten Thesen Samuel Huntingtons vom clash of civilizations nicht teilen mag, zeigen gleichwohl die vielfachen Anschläge, dass religiöse beziehungsweise ersatzreligiöse Versatzstücke als weltanschauliche Gegenpole zum abendländischen Modernisierungsverständnis instrumentalisiert werden. Doch wo Huntington das westliche Bollwerk verstärken will, entdecken andere hinter den fundamentalistischen Ideologemen einen rationalen Wunsch, eine Hoffnung auf ein "Sein-Sollen": "Die Moderne ist Lebensform und Wirtschaftssystem zugleich. Weltweit setzt die technisch-rationale Industriegesellschaft den Maßstab für Entwicklung und Fortschritt. Die entscheidende Frage lautet daher nicht: Wollen wir die Moderne, oder sind wir dagegen? Sie ist längst Realität und prägt auch den Nahen Osten. Das eigentliche Problem liegt ganz woanders: Wird die arabisch-islamische Welt die Moderne auch weiterhin nur importieren - oder kann sie einen eigenen Beitrag leisten zu Fortschritt und Entwicklung? Wie kann die arabisch-islamische Welt den Anschluß finden an die Industriegesellschaft westlicher Prägung, ohne ihre kulturelle Identität zu verlieren?"
Diese vor fast zehn Jahren formulierte Frage ist aktueller denn je. Sie beschreibt das eigentliche Problem und den emotionalen Kern, der politik- und damit verhandlungsfähig machen könnte und sollte. Er wirkt auf ganz ähnliche Weise für die Identitätsbildung Japans gegenüber dem Westen.
Tatsächlich hat die Moderne nicht ausschließlich abendländische Wurzeln. Schon das Epigramm vom antiken Griechenland als Wiege abendländischer Kultur war Ideologie; es unterschlug nur allzu gern die Zuströme aus Indien, China und der arabischen Welt. Kein Wunder also, wenn viele Muslime eine solche Modernitätsbestimmung bekämpfen und sich um ihren Anteil am Menschheitserbe und somit auch um ihre Identität betrogen fühlen. Historisch gesehen ist damit eine kulturelle Identität des Morgenlandes schon lange verloren, kann Fundamentalismus nur als der letzte Ausdruck einer viel länger andauernden Krise verstanden werden. Natürlich rechtfertigt die eigene Krise nicht, das zerstören zu wollen, was man nicht hat oder nicht haben kann. Gleichwohl machte man es sich zu einfach, jeden Fundamentalismus mit Terrorismus gleichzusetzen. Viel zu wenig wird der Frage nachgegangen, welche Lösungen die Fundamentalismen außer Terror anbieten, welche "Identität" sie ausbilden wollen und was ihr positiver Beitrag zur menschlichen Zivilisation sein soll.
Die neuzeitlichen fundamentalistischen Bewegungen entstanden unter protestantischen Christen im 19. Jahrhundert in den USA. Bis heute sehen sie sich als Wahrer einer "echten" Gläubigkeit, dazu berufen, "Fehlentwicklungen" ihres Landes zu korrigieren. Die islamischen Fundamentalisten unterscheiden sich in dieser Weltsicht nicht. Auch sie glauben an die Möglichkeit, die Welt durch die Symbiose absoluten Glaubens und darauf fußenden Handelns erneuern zu können. Ob sich damit die globalen Probleme der Moderne lösen lassen, steht dahin. Bislang verheißt kein Gottesstaat einen Gegenbeweis. Allerdings macht das Amalgam aus Zukunftsängsten, Technikkritik, Fortschrittsfeindschaft, schärfer werdenden ökonomischen Widersprüchen und politischen Ungerechtigkeiten in immer mehr Gesellschaften und quer durch alle Bevölkerungsgruppen anfällig für Ideologismen, Lösungsutopien und Heilsversprechen, vor allem, wenn sie sich religiös legitimieren und fundamental einfach erscheinen.
Der zielorientierte Terrorismus kommt nicht ohne Interaktionsbeziehungen aus; sie machen ihn, abhängig vom Gelingen, stark und unauffindbar oder schwach und entblößt. Der importierte Terrorismus bleibt schwach und punktuell. Dagegen beginnt Zivilisation von innen zu bluten, wenn der Terrorismus heimisch wird und Unterstützung findet.
So gesehen ist jede Terrortat ein Test mit einem Binnen- und einem Außeneffekt. Nach innen sollen Kohäsion und Einsatzbereitschaft der eigenen Leute, die Bindewirkung auf die Sympathisanten und die Motivationskraft auf das Umfeld getestet, nach außen Entschlossenheit, Härte, auch Führungsanspruch bewiesen und zugleich die Gegenwehr erkundet werden. Allein deshalb wäre es falsch, "Wirkung" und "Nerven" zu zeigen, weder durch Angst noch durch Übermaß.
Eine wirksame Gefahrenabwehr gegenüber dem Terrorismus besteht in Augenmaß und in einer systematischen, international koordinierten Aufklärung der Vorfeldbereiche. Sie ist Prävention, nicht Rachefeldzug bis zum Entstaatlichungskrieg. Das unumkehrbare Erfordernis gesellschaftlicher Störungsfreiheit erzwingt die Früherkennung und Verhinderung riskanter Störungswirkung im Innern. Dies schließt das Risiko von Beschränkungen ein, doch sollte in Ruhe und nicht ideologisch geprüft werden, was nützt, ohne Liberalität und Freizügigkeit zu beschränken.