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Die US-Wirtschaft unter George W. Bush

Stephan Bierling

/ 18 Minuten zu lesen

Die US-Wirtschaft hat sich in den letzten vier Jahren zwiespältig entwickelt. Zwar zeigen die Wachstumsraten nach oben, aber das Plus im Staatshaushalt hat sich in ein hohes Defizit verwandelt.

Einleitung

Als sich Al Gore und George W. Bush im Jahr 2000 um die Präsidentschaft bewarben, befand sich die amerikanische Wirtschaft auf den ersten Blick in einem glänzenden Zustand: Zehn Jahre ununterbrochenes Wachstum, das längste in der US-Geschichte, hatte zu Vollbeschäftigung und einem Anstieg der Einkommen aller Bevölkerungsschichten geführt. Hohe Haushaltsüberschüsse und niedrige Inflation komplettierten das Bild. Zwar kühlte sich das rapide Stellenwachstum etwas ab, und die New Economy wankte, aber dies glich allenfalls einem Wolkenstreifen am Horizont.


Da die wirtschaftliche Entwicklung in der Regel die wichtigste Variable für die Wahlentscheidung der Bürger ist, prognostizierten im Sommer 2000 fast alle Analysten einen Sieg von Vizepräsident Gore. Dass er trotz positiver Voraussetzungen verlor, lag an zwei Faktoren: Erstens distanzierte sich Gore nicht nur von Clintons moralisch zwiespältigem Vermächtnis, sondern auch von seinen ökonomischen Erfolgen. Zweitens hatten sich die Wähler so sehr an die Prosperität der neunziger Jahre gewöhnt, dass sie glaubten, Gore sei kein besserer Garant für ihre Fortsetzung als sein Gegenkandidat. Wirtschaftliche Themen spielten deshalb eine untergeordnete Rolle im Wahlkampf. Wenn sie angesprochen wurden, dann meist in der Form der Frage, wie die projizierten gigantischen Haushaltsüberschüsse am besten zu verteilen seien.

Vier Jahre später wird sich das Schicksal von Präsident Bush dagegen neben der Lage im Irak vor allem am Zustand der Wirtschaft entscheiden. Die Bilanz fällt gemischt aus. Zwar zeigen die Wachstumsraten wieder nach oben, die Inflation und die Zinsen sind niedrig, aber das Plus im Staatshaushalt hat sich in ein hohes Defizit verwandelt, und die amerikanische Jobmaschine ist ins Stottern geraten. Dieser Artikel untersucht vor dem Hintergrund der makroökonomischen Daten, welchen Beitrag Bush durch seine Binnen- und Außenwirtschaftspolitik zu diesen Entwicklungen geleistet hat.

Makroökonomische Entwicklung

Wachstum

Clinton war ökonomisch ein Glückspilz: Als er ins Weiße Haus einzog, hatten die USA gerade eine hartnäckige Rezession hinter sich gelassen. Die Wirtschaft erholte sich und lief fast bis zum Ende seiner Amtszeit auf Hochtouren. Bush dagegen ist wirtschaftlich gesehen ein Pechvogel: Er trat im Januar 2001 sein Amt an, als die dot.com-Spekulationsblase gerade geplatzt war und die Zeichen auf Abschwung standen. Unternehmen der New Economy, die den Boom mit hohen Ausgaben für Computer, Software, Produktionsstätten und Büros angefacht hatten, reduzierten jetzt ihre Investitionen und entließen Mitarbeiter. Die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die im letzten Amtsjahr Clintons noch bei 3,7 Prozent gelegen hatte, fiel im Jahr 2001 auf 0,8 Prozent und war im ersten und dritten Quartal des Jahres sogar negativ.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 versetzten einer ohnehin schwachen Ökonomie einen weiteren schweren Schlag. Schließlich wirkte der hohe Ölpreis, der im Sommer 2004 fast 50 US-Dollar pro Barrel erreichte, wie eine Zusatzsteuer und belastete die Erholung. Während die US-Wirtschaft unter Clinton durchschnittlich um 3,5 Prozent pro Jahr wuchs, wird sie unter Bush auf einen Prozentpunkt weniger kommen.

Inflation und Zinsen

Mit der Rezession und der Zerstörung riesiger Vermögenswerte an der Hightech-Börse Nasdaq bestand die reale Gefahr, dass die angesichts der langen Boomphase der neunziger Jahre ohnehin niedrige Inflationsrate unter null fällt, das heißt in eine Deflation umschlagen könnte. In Japan hatte der Kollaps des Immobilien- und Aktienmarkts zehn Jahre zuvor zu einer solchen Entwicklung geführt, die äußerst schwierig zu bekämpfen war und die Wirtschaft bis 2003 lähmte. Die amerikanische Notenbank unter ihrem Präsidenten Alan Greenspan senkte deshalb den Leitzins von Januar 2001 bis Juni 2003 in dreizehn Schritten von 6,5 auf 1,0 Prozent. Zum letzten Mal hatte es unter Präsident Eisenhower in den USA einen so niedrigen Zinssatz gegeben. Seit Ende 2002 sind die Realzinsen sogar negativ, das heißt, der offizielle Zinssatz liegt unter der Inflationsrate.

Dieser außergewöhnliche Stimulus der Notenbank trug wesentlich dazu bei, dass eine Deflation abgewendet wurde und die amerikanische Wirtschaft trotz Hightech-Krise, Terroranschlägen und Irakkrieg nicht in eine lang anhaltende Rezession abglitt, sondern sich schnell erholte und ihre traditionelle Rolle als Motor der Weltwirtschaft beibehielt. Im Juni 2004 begann Greenspan den langen Prozess, die Zinssätze wieder auf ein normaleres Niveau anzuheben, das die OECD bei vier Prozent verortet.

Haushalt

Die Rezession war mitverantwortlich dafür, dass sich das Haushaltsplus von 2,5 Prozent des BIP im Jahr2000 in ein Defizit von 3,6 Prozent 2004 verwandelte. Die beiden anderen Gründe für die markante Verschlechterung der Bundesfinanzen waren die von Bush durchgesetzten Steuersenkungen sowie das starke Anwachsen der militärischen und nichtmilitärischen Ausgaben. Von 2001 bis 2004 fielen die Staatseinnahmen als Anteil am BIP von 20,9 auf 16,4 Prozent, und die Ausgaben stiegen von 18,4 auf 20 Prozent. Die Gesamtverschuldung der USA wuchs unter Bush von 5,7 auf 7,1 Billionen US-Dollar und damit auf 60 Prozent des BIP.

Arbeitsplätze

Wie nicht anders zu erwarten, fiel die Zahl der Jobs mit der Rezession 2001 und der langsamen Wirtschaftsentwicklung 2002. Herrschte bei Bushs Amtsantritt mit 4,2 Prozent noch praktisch Vollbeschäftigung, so erreichte die Arbeitslosigkeit im Juni 2003 mit 6,4 Prozent ihren Höchststand. Im September 2004 betrug sie noch 5,4 Prozent. Im Vergleich mit früheren Konjunkturabschwüngen blieb die Arbeitslosenquote erstaunlich niedrig. Selbst wenn man diejenigen Personen einbezieht, die es aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen, steigt die Quote nur um 0,3 bis 0,4 Prozent. Nach wie vor liegt sie damit deutlich unter der in anderen vergleichbaren Industriestaaten mit Ausnahme Japans und Großbritanniens.

Allerdings ist die Arbeitslosenrate nur ein Indikator für die Entwicklung des Arbeitsmarkts. Ein anderer Indikator - die netto neu geschaffenen Stellen - fällt weniger positiv aus. Schon im letzten Amtsjahr Clintons verlangsamte sich das Beschäftigungswachstum. Unter Bush gingen von Januar 2001 bis Mitte 2003 sogar 2,5 Millionen Jobs verloren. Zwar schuf die US-Wirtschaft seitdem 1,9 Millionen neue Stellen (Stand: September 2004), aber Bush dürfte der erste Präsident seit Herbert Hoover (1929 - 1933) mit einer negativen Arbeitsplätze-Bilanz sein. Dies ist umso beunruhigender, als die amerikanische Wirtschaft pro Monat 150 000 neue Jobs benötigt, um die auf den Arbeitsmarkt drängenden Schulabgänger, Frauen und Immigranten beschäftigen zu können.

Angesichts dieser Entwicklung überrascht es nicht, dass Unternehmen wegen ihrer Politik des "Offshoring", also der Verlagerung amerikanischer Arbeitsplätze ins Ausland, unter Beschuss geraten sind. Tatsächlich hat das Offshoring, das im produzierenden Gewerbe schon seit Jahrzehnten praktiziert wird, mit dem dramatischen Preisverfall bei der elektronischen Datenübermittelung und der Standardisierung der Software jetzt auch verstärkt informatikorientierte Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich erfasst. Vor allem Call Centers, IT-Unternehmen, Finanzdienstleister, Steuerberater und radiologische Abteilungen von Kliniken verlagern Stellen ins Ausland, insbesondere nach Indien. Politiker wie Journalisten erklären Offshoring deshalb zum Sündenbock für die schwache Entwicklung des Arbeitsmarkts. Lou Dobbs, der bekannte Moderator eines Wirtschaftsmagazins auf CNN, stellt in seiner Sendung unter dem Stichwort Exporting America regelmäßig Firmen an den Pranger, die Jobs ins Ausland verlagern.

Die Daten entkräften jedoch alle anekdotischen Belege: So zeigt eine Anfang 2004 erstmals erhobene Statistik des US Bureau of Labor Statistics, dass die Arbeitsplatzverluste durch Offshoring im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft marginal sind. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden zum Beispiel nur 4633 Stellen ins Ausland verlagert. Das entspricht weniger als zwei Prozent aller Entlassungen in diesem Zeitraum. Selbst wenn sich dieser Trend verstärkt, wie das McKinsey Global Institute und Forrester Research vorhersagen, bleibt der Anteil der ins Ausland verlagerten Dienstleistungsjobs angesichts einer Gesamtbeschäftigtenzahl von fast 140 Millionen gering. Betroffen vom Offshoring sind zudem primär repetitive Arbeiten, die relativ niedrige Fähigkeiten erfordern wie das Eintragen und Verwalten von Daten oder standardisierte telephonische Beratung. Anspruchsvollere Tätigkeiten wie Innovation, Design oder Geschäftsentwicklung verbleiben in den USA. Dasselbe gilt für jene 90 Prozent des Dienstleistungssektors, die räumliche Nähe zum Kunden verlangen: vom Groß- und Einzelhandel über den Freizeitbereich bis hin zur Gesundheitsindustrie.

Schließlich profitiert auch die amerikanische Wirtschaft vom Offshoring, da es die weltwirtschaftliche Dynamik sowie die Auslandsnachfrage nach heimischen Produkten und Dienstleistungen steigert und damit zu mehr Arbeitsplätzen und höheren Einkommen in den Vereinigten Staaten führt. IBM, Microsoft und Oracle etwa haben Tausende von Arbeitsplätzen ins Ausland verlagert, allerdings gleichzeitig mehr Stellen in den USA geschaffen. Zwischen 1999 und 2003 verloren zwar 70 000 Computerprogrammierer ihre Stelle, aber im selben Zeitraum wuchs die Zahl der Computersoftware-Ingenieure um 115 000. Im Gegensatz zum Handel mit Gütern erzielten die USA im Handel mit Dienstleistungen 2003 einen Überschuss von 51 Milliarden US-Dollar. David Ricardos Gesetz der komparativen Kostenvorteile gilt auch für das Offshoring. Es liegt an anderen Faktoren, dass in den elf Quartalen ununterbrochenen BIP-Wachstums seit dem Ende der Rezession im November 2001 neue Arbeitsplätze nur so langsam entstanden: dem Investitionsüberhang der späten neunziger Jahre, der verbreiteten Unsicherheit wegen der terroristischen Bedrohung und des Irakkriegs sowie dem rapiden Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge der Arbeitgeber, der sie von Neueinstellungen abhält.

Viele Unternehmer versuchen deshalb, die vorhandenen Beschäftigten effizienter einzusetzen. Dies fällt ihnen umso leichter, als die Informationstechnologien seit Mitte der neunziger Jahre auch im Dienstleistungsbereich Einzug halten. Insbesondere der Groß- und Einzelhandel sowie die Finanz- und die Telekommunikationsbranche können dank der IT-Revolution ihre Lagerbestände gering halten, ihre Logistik verbessern, gezielter mit den Kunden kommunizieren und sich schneller nach ihren Wünschen ausrichten. Die Produktivität der US-Wirtschaft, die von 1974 bis 1994 nur um durchschnittlich 1,4 Prozent zunahm, stieg in den sechs Jahren danach deshalb um 2,5 Prozent und damit fast so rasch wie in den goldenen Nachkriegsjahrzehnten. Seit 2001 beschleunigte sich das Produktivitätswachstum sogar noch. Amerikanische Arbeiter sind heute in 50 der 60 Sektoren, in die das McKinsey Global Institute die Wirtschaft unterteilt, weltweit am produktivsten. Hohe Produktivität ist die wichtigste Voraussetzung für das künftige Lohn- und Beschäftigungswachstum.

Die Handelsbilanz

Unter Bush ist die sich seit Anfang der neunziger Jahre verschlechternde Handelsbilanz noch tiefer ins Minus abgerutscht. 2003 betrug das Defizit 497 Milliarden US-Dollar und damit 4,9 Prozent des BIP. Allein für Ölimporte gaben die USA 130 Milliarden US-Dollar aus.

Wie lange sich die USA ein solch hohes Defizit leisten können, hängt von den Überschussländern ab. Sie können mit ihren riesigen Dollarbeständen entweder amerikanische Unternehmen und Immobilien (Direktinvestitionen) oder Aktien und Bonds (Portfolioinvestitionen) kaufen. In den boomenden neunziger Jahren investierten die Überschussländer vor allem in US-Aktien. Seit der Flaute an der Wall Street erwerben die beiden größten, China und Japan, aber vermehrt staatliche Schuldverschreibungen, im ersten Halbjahr 2004 allein für 270 Milliarden US-Dollar. Insgesamt halten ausländische Gläubiger zehn Billionen US-Dollar in amerikanischer Währung. Damit fällt langfristig nicht nur das amerikanische Nationaleinkommen, weil die Zinsen, Dividenden und Kursgewinne ins Ausland gehen. Vielmehr wird Washington auch attraktive, das heißt höhere Zinsen bieten müssen, um sein Doppeldefizit in Haushalt und Handel zu finanzieren. Allerdings erwerben nicht alle Ausländer amerikanische Schuldverschreibungen ganz freiwillig: Die chinesische und japanische Zentralbank etwa, die für einen Gutteil der ausländischen Käufe von US-Bonds verantwortlich sind, wollen damit den Wert des US-Dollar hoch und ihre Exporte in die Vereinigten Staaten stabil halten. Deshalb sind sie bereit, Zinsen zu akzeptieren, die kaum über der Inflationsrate liegen. China und Japan bekommen also Jobs, die USA billige Importe.

Bushs Wirtschaftspolitik

Inwieweit ist die Politik der Bush-Administration für die negativen und positiven Entwicklungen in der US-Wirtschaft verantwortlich? Auch wenn eine Regierung über ihre Fiskalpolitik nur begrenzten Einfluss auf die 11,5-Billionen-Dollar-Wirtschaft (2004) der Vereinigten Staaten ausüben kann, so ist doch bemerkenswert, welch großen ökonomischen Aktivismus Bush in den letzten vier Jahren an den Tag legte. Im Wahlkampf 2000 hatte er versprochen, den Staat wie sein Vorbild Reagan weiter zu beschneiden, die seit 1998 sprudelnden Haushaltsüberschüsse für die Schuldentilgung und für Steuererleichterungen zu verwenden und die staatliche Rentenversicherung auf ein solides Fundament zu stellen. Als im Monat seines Amtsantritts die Rezession einsetzte, stürzte sich Bush mit großem Elan in die Wirtschaftspolitik - hatte er doch aus nächster Nähe beobachten müssen, wie Clinton seinen Vater im Wahlkampf 1992 mit dem Vorwurf in Bedrängnis brachte, der amtierende Präsident habe nicht genügend gegen die Rezession 1990/91 getan.

Bush: Der Steuersenker

Angesichts von Vorhersagen eines Haushaltsüberschusses von 5,6 Billionen US-Dollar in den nächsten zehn Jahren legte Bush im Frühjahr 2001 ein Programm zur Rezessionsbekämpfung vor, das er mit leichten Kürzungen durch den Kongress brachte und das zum 1. Juli 2001 in Kraft trat. Es sah Steuersenkungen in Höhe von 1,35 Billionen US-Dollar über neun Jahre vor und damit die höchsten seit Reagans Kürzungspaket 1981. Kernstück bildete die Reduzierung der Einkommenssteuer, insbesondere des Spitzensteuersatzes. Um die Konjunktur anzukurbeln, erhielt noch im Herbst jeder allein stehende Steuerzahler einen Scheck über 300 US-Dollar und jedes Ehepaar über 600 US-Dollar, und zwar unabhängig von der individuellen Steuerlast.

Als sich die Wirtschaft im Laufe des Jahres 2002 nur wenig belebte, handelte Bush wieder entschlossen: Er wechselte am 6. Dezember Schatzminister O'Neill und Wirtschaftsberater Lyndsey aus und legte ein Programm für Wachstum und Beschäftigung auf. Zwar billigte der seit 2003 von den Republikanern kontrollierte Kongress nur die Hälfte der vorgeschlagenen Kürzungen von 674 Milliarden US-Dollar, aber er zog einige Steuererleichterungen aus dem Gesetz von 2001 vor (z.B. Senkung der Einkommenssteuersätze, Erhöhung des Kinderfreibetrags, Abbau der steuerlichen Benachteiligung doppelverdienender Ehepaare) und reduzierte die Steuer auf Dividenden auf 15 Prozent.

Ein Gutteil der Steuersenkungen erfolgte zu einer Zeit, in der sich die US-Wirtschaft langsam entwickelte, und wurde deshalb von vielen Ökonomen begrüßt. Allerdings waren sie stark regressiv, das heißt, sie begünstigten die oberen Einkommensgruppen. Dahinter stand die Philosophie, dass Unternehmer, Geschäftsleute und Investoren am besten wüssten, wie sie das zusätzliche Geld ausgeben sollten. Anstatt es für den Konsum zu verwenden, so die Erwartung der Administration, würden sie es investieren und damit neue Jobs schaffen.

Diese Philosophie hatte jedoch zwei Schwachpunkte: Zum einen lieferte sie den Demokraten Wahlkampfmunition, da sie die Steuersenkungen als sozial unausgewogen darstellen konnten. Zum anderen traten die von Bush und seinem Wirtschaftsteam erhofften Trickle-Down-Effekte in der Realität kaum ein. Die Profiteure der Steuersenkungen investierten das zusätzliche Geld nämlich nicht wie erwartet vor allem in die Ausweitung der Produktionsanlagen oder in amerikanische Aktien. Vielmehr verwandten sie es, um Importwaren und ausländische Aktien zu kaufen, oder ließen es auf Tagesgeldkonten liegen - was alles der US-Wirtschaft kaum half.

Grund dafür war nicht nur die verbreitete ökonomische und politische Unsicherheit angesichts der Terroranschläge und des Irakkriegs. Vielmehr hatten die massiven Überinvestitionen in den Jahren 1997 - 2000 zu einer sehr niedrigen Kapazitätsauslastung der amerikanischen Wirtschaft geführt. In einer solchen Konstellation können, wie Jens van Scherpenberg zu Recht betont, steuerliche Investitionsanreize oder Entlastungen für Unternehmer und Investoren wenig bewirken. Einige Ökonomen forderten deshalb Steuersenkungen für die mittleren und unteren Einkommensschichten, da sie das zusätzliche Geld in der Regel zügig für Konsumausgaben verwenden. Das Problem hierbei ist jedoch, dass die Steuersätze für diese Gruppen ohnehin schon niedrig sind und eine Senkung deshalb nur geringe Wirkungen entfalten würde. Zudem litt die US-Wirtschaft von Mitte 2000 bis Mitte 2003 weniger unter einer Konsum- als unter einer ausgeprägten Investitionsflaute.

Bush: Der Big Spender

Das Gros des staatlichen Beitrags zur Konjunkturerholung ging also nicht auf die Steuersenkungen, sondern auf zusätzliche Ausgaben zurück. Sie waren von Bush im Wahlkampf 2000 noch abgelehnt worden und sind vor allem Folge der Anschläge des 11. September 2001. Sofort nach den Terrorattacken beantragte Bush ein 40 Milliarden US-Dollar-Notfallpaket, das der Kongress umgehend billigte. Mehrere Nachtragshaushalte folgten, unter anderem für Anti-Terror-Maßnahmen und die Kriege in Afghanistan und im Irak. Das Budget für das Pentagon stieg zwischen 2001 und 2004 von 311 Milliarden auf 457 Milliarden US-Dollar, das für die Heimatverteidigung verdoppelte sich im selben Zeitraum auf 40 Milliarden US-Dollar.

Allerdings schossen nach dem 11. September auch die Ausgaben für nicht gesetzlich vorgeschriebene innen- und sozialpolitische Programme nach oben. Für Arbeitslosenunterstützung, Schulen, Zuschüsse an die Einzelstaaten und Subventionen an die Land- und Energiewirtschaft sowie für die Regionalentwicklung gab der Bund 2004 mit 433 Milliarden US-Dollar 114 Milliarden mehr aus als 2001. Neben der Bildungsreform und dem Farmgesetz 2002 erwies sich vor allem die Regelung vom Dezember 2003 als teuer, verschreibungspflichtige Medikamente für Rentner künftig über Medicare und damit aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Sie wird in den nächsten zehn Jahren 535 Milliarden US-Dollar kosten. Dass das Weiße Haus solche Initiativen trotz einer sich verschlechternden Haushaltslage vorantrieb, verstanden die Parlamentarier als Signal, verstärkt Bundeszuschüsse für Projekte in ihrem Wahldistrikt in das Budget aufzunehmen. Insgesamt wuchsen die Ausgaben unter Bush deshalb schneller als unter jedem anderen Präsidenten seit Lyndon B. Johnson.

Die Ausgabensteigerungen haben die Rezession von 2001 abgemildert und den folgenden Aufschwung gestützt. In der Tat kann Bushs expansive Fiskalpolitik als eines der wenigen erfolgreichen, weil antizyklischen Stimulusprogramme in der US-Wirtschaftsgeschichte gelten. Was kurz- und mittelfristig positive Effekte hatte, erweist sich langfristig allerdings als problematisch. Innerhalb von vier Jahren verwandelte sich ein 236-Milliarden-US-Dollar-Überschuss im Staatshaushalt nämlich in ein 422-Milliarden-Dollar-Defizit. Zu keinem Zeitpunkt seit 1945 verschlechterte sich die Lage des Bundesbudgets ähnlich dramatisch wie zwischen 2001 und 2004. Dabei droht das Defizit von einem konjunkturellen zu einem strukturellen zu werden, weil die Änderungen bei Einnahmen und Ausgaben gesetzlich festgeschrieben und nur schwer rückgängig zu machen sind.

Zwar hat Bush angekündigt, das Defizit in einer zweiten Amtszeit um die Hälfte zu senken. Fiskalkonservative Republikaner schenken solchen Versprechungen aber wenig Glauben, zumal der Präsident bisher kein einziges Veto gegen ein Ausgabenprogramm einlegte. So erhöhte der Kongress Bushs drei Budgetentwürfe jedes Mal um 100 Milliarden US-Dollar, ohne dass der Präsident seine Unterschrift verweigert hätte. Neunzig Abgeordnete im Repräsentantenhaus kritisierten auch den Haushaltsentwurf der Administration für das Fiskaljahr 2004/05 als "übertrieben großzügig". Selbst Notenbankchef Greenspan, der Bushs Steuersenkung 2001 noch unterstützt hatte, warnt nun vor den Folgen der Schuldenpolitik, weil sie langfristig die Kapitalmarktzinsen nach oben treibe und ein immer größerer Teil des Haushalts für Zinszahlungen verwendet werden müsse. Da ab 2010 zudem die geburtenstarken Jahrgänge, die Baby-Boomer, in Ruhestand gehen und die staatliche Renten- und Krankenversicherung belasten, drohe dem Bund die finanzielle Handlungsunfähigkeit.

Die meisten Amerikaner sorgen sich zwar über das hohe Haushaltsdefizit. Aber es liegt auf ihrer Prioritätenliste so weit hinter der Wirtschaftslage, dem Irakkrieg, dem internationalen Terrorismus und der Arbeitslosigkeit, dass es das angesehene National Journal als das große Nonissue des diesjährigen Wahlkampfs bezeichnete. Bush und Kerry konnten deshalb versprechen, die meisten Steuersenkungen von 2001 und 2003 beizubehalten und nicht wie vorgesehen 2010 auslaufen zu lassen. Zusammen mit neuen Ausgabenprogrammen würden ihre Pläne das Defizit in den nächsten zehn Jahren um weitere 1,2 Billionen US-Dollar erhöhen. Das Government Accountability Office sagt unter diesen Umständen ein Hochschnellen der Bundesschuld bis 2022 auf 100 Prozent des BIP vorher. Damit dürfte das Thema Haushaltskonsolidierung bald auf einen der vorderen Plätze der politischen Agenda zurückkehren, wo es 1992 schon einmal stand.

Bush: Der janusköpfige Freihändler

Bush war im Wahlkampf 2000 als überzeugter Freihändler aufgetreten. Die Bilanz fällt nach vier Jahren allerdings gemischt aus. Bush hatte im August 2002 vom Kongress die Trade Promotion Authority (TPA), die 1994 ausgelaufen und Clinton dreimal verweigert worden war, erstens zur Aushandlung von neuen Handelsverträgen erhalten; zweitens zur Lancierung einer neuen Handelsrunde im Rahmen der WTO (Doha-Runde), womit sein Vorgänger 2000 in Seattle noch gescheitert war.

Allerdings stehen diesen Erfolgen auch gravierende ordnungspolitische Sünden gegenüber. So verhängte Bush Schutzzölle für die Stahlindustrie und akzeptierte wenig später ein riesiges Subventionspaket für die Landwirtschaft. Damit erkaufte er sich zwar die Zustimmung einiger Parlamentarier zur TPA, fügte aber seinem Image als Freihändler und der heimischen Wirtschaft Schaden zu. Die Schutzzölle für Stahl etwa, die vom März 2002 bis Dezember 2003 galten, sollten die Arbeitsplätze der amerikanischen Stahlarbeiter sichern. Da aber die Stahlkonsumenten 40 mal mehr Personen beschäftigen als die Stahlproduzenten und die Preise für Stahl infolge der Zölle stiegen, gingen der US-Wirtschaft nach Schätzungen des Institute for International Economics zwischen 45 000 und 75 000 Stellen verloren.

Die Subventionen für die Farmer erschwerten die Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde und führten gemeinsam mit der starren Haltung der EU zum Scheitern der Ministergespräche in Cancun im September 2003. Zwar machen die Gespräche seit Mitte 2004 wieder Fortschritte, aber Washington scheint zunehmend auf bilaterale Freihandelsabkommen zu setzten. Solche Initiativen bieten allerdings nur geringe wirtschaftliche Vorteile und geben multilateralen Vereinbarungen keine neuen Impulse. Regionale Freihandelsabkommen wie das in Miami im November 2003 lancierte Free Trade Area of the Americas (FTAA) sind zwar sinnvoller, aber sehr mühsam zu verwirklichen.

Allerdings sah sich Bush massivem Druck aus dem Kongress ausgesetzt. Das ist vor allem Folge der Tatsache, dass sich der Anteil des Außenhandels an der US-Wirtschaft seit 1970 auf 30 Prozent verdreifacht hat. So positiv dies für die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Vereinigten Staaten war, so sehr hat sich damit aber auch die Zahl der von Importen betroffenen Branchen erhöht. Für eine wachsende Zahl von Parlamentariern vor allem im Repräsentantenhaus ist es folglich politisch attraktiv geworden, Unternehmen und Arbeiter in ihren Wahlkreisen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen.

Gerade in Zeiten von Arbeitsplatzverlusten und eines Rekord-Handelsbilanzdefizits blüht deshalb der Protektionismus. 46 Prozent der Verschlechterung der amerikanischen Handelsbilanz seit 1992 gehen auf das Minus mit China und der EU zurück. Das 124-Milliarden-US-Dollar-Handelsdefizit 2003 mit China war das höchste, das die USA je mit einem Land hatten. Gegenüber der EU verwandelte sich ein Plus im Handel von 9Milliarden US-Dollar 1992 in ein Defizit von 93Milliarden US-Dollar 2003. Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass Demokraten wie Republikaner im Wahlkampf scharfe Kritik an chinesischen und europäischen Handelspraktiken übten. Bush stimmte bisweilen in diesen Chor ein: So forderte er Peking auf, seine an den US-Dollar gekoppelte Währung aufzuwerten. Im August 2004 hatte Washington auf 56 chinesische Produkte Strafzölle wegen Dumpings verhängt, mehr als gegen jeden anderen Staat. Auch gegenüber der EU setzte die Administration auf eine Kombination von weichem US-Dollar und Vorwürfen wegen angeblich unfairer Handelspraktiken.

In der Frage des Offshoring hat sich der Präsident ebenfalls nicht als expliziter Freihändler exponiert. Als Gregory Mankiw, der Direktor seines Wirtschaftsrats, Offshoring als "gute Sache" bezeichnete, weil es eine neue Form des internationalen Handels sei, wurde er nicht nur von den Demokraten angegriffen, sondern auch viele Republikaner in Kongress und Regierung distanzierten sich von ihm. Da Bushs Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen 2004, Senator John Kerry, unter großem öffentlichen Zuspruch gegen "Benedict Arnold"-Unternehmer wetterte, die US-Jobs ins Ausland schafften, hielt sich das Weiße Haus bedeckt. Wie politisch sensibel die Verlagerung von Jobs ins Ausland in einem Wahljahr ist, musste im März 2004 Bushs Kandidat für das Amt des Sonderbeauftragten für das produzierende Gewerbe erfahren. Er hatte als Geschäftsführer eines Bauunternehmens eine Fabrik in China eröffnet und 75 seiner amerikanischen Arbeiter entlassen. Unter öffentlichem Druck musste er schließlich seine Kandidatur zurückziehen.

Ergebnisse und Ausblick

Bushs Wirtschaftspolitik stand unter dem Diktum, die politischen Fehler seines Vaters zu vermeiden. Dieser hatte die Steuern erhöht und die Uruguay-Runde des GATT und NAFTA abgeschlossen. Obwohl Bush senior damit den Grundstein zur Sanierung des Haushalts und für den Boom der neunziger Jahre legte, verlor er 1992 die Wahl, weil eine Mehrheit der Amerikaner der Ansicht war, er habe ihren wirtschaftlichen und sozialen Nöten nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet.

Sein Sohn machte alles anders: Er senkte die Steuern, erhöhte die Ausgaben und demonstrierte wirtschaftspolitische Führungskraft. Damit hat er dazu beigetragen, dass die Rezession kurz war und der Aufschwung rasch einsetzte. Ob die Wähler dies dem Präsidenten am 2. November danken werden, ist aber fraglich. Es gibt nämlich eine Diskrepanz, wie die Amerikaner die Wirtschaftslage einschätzen und was sie von Bushs Wirtschaftspolitik halten. Im August 2004 bezeichneten 85 Prozent der US-Bürger die finanzielle Lage ihres Haushalts als ausgezeichnet, sehr gut und gut. 63 Prozent hielten den Zustand der amerikanischen Wirtschaft für sehr gut oder gut. Angesichts solcher Zahlen und der Wachstumsdaten prognostiziert das bekannte Wahlvorhersage-Modell des Yale-Ökonomen Ray Fair einen Sieg von Bush mit mehr als 58 Prozent der Wählerstimmen. Andererseits billigten nur 40Prozent der registrierten Wähler die Wirtschaftspolitik des Präsidenten. Es könnte also sein, dass sie ihm trotz seines entschlossenen Handelns wie seinem Vater eine zweite Amtszeit verweigern.

Auf den nächsten Präsidenten warten jedenfalls eine Reihe wirtschaftlicher Herausforderungen: die Sanierung des Staatshaushalts, die Mut und schmerzhafte Maßnahmen erfordert; der Abschluss der Doha-Runde über den Widerstand vielfältiger innenpolitischer Interessengruppen hinweg; die Reform der staatlichen Altersversicherung, die Bush im Wahlkampf 2000 anzupacken versprochen hatte, aber dann nicht weiter verfolgte; ferner die Reduzierung des Handelsbilanzdefizits, um die Abhängigkeit von ausländischem Kapital zu verringern. Verglichen mit den Problemen der großen kontinentaleuropäischen Staaten oder mit denen Japans scheinen die Schwierigkeiten der amerikanischen Wirtschaft allerdings leichter beherrschbar.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Daniel W. Drezner, The Outsourcing Bogeyman; in: Foreign Affairs, (May/June 2004), http://www.foreignaffairs. org/20040501faessay83304/daniel-w-drezner/the-outsourcing-bogeyman.html.Soweit nicht anders vermerkt, sind diesem Artikel auch die folgenden Daten entnommen. Kritischer zum Offshoring: Exporting Jobs, in: Congressional Quarterly Researcher, 14 (2004) 7, S. 149 - 172.

  2. Vgl. Geringe Abwanderung von US-Jobs ins Ausland, in: Neue Zürcher Zeitung vom 16. 6. 2004, S. 17.

  3. Vgl. Eduardo Porter, Rising Cost of Health Benefits Cited as Factor in Slump of Jobs, in: New York Times (NYT) vom 19. 8. 2004.

  4. Vgl. Hal R. Varian, Information Technology May Have Been What Cured Low Service-Sector Productivity, in: NYT vom 12. 2. 2004, S. C2.

  5. Vgl. David Brooks, Scanning For Success, in: NYT vom 3. 4. 2004, S. A27.

  6. Vgl. John Maggs, Winners and Losers In the Bush Economy, in: National Journal (NJ) vom 15. 5. 2004, S. 1494 - 1501.

  7. Vgl. Jens van Scherpenberg, Bushs 674-Milliarden-Programm, SWP-Aktuell 3, (Januar 2003), S. 4 f.

  8. Zit. in: David Baumann, Accounting for the Deficit, in: NJ vom 12. 6. 2004, S. 1851.

  9. Vgl. Julie Kosterlitz, The Nonissue, in: NJ vom 17. 7. 2004, S. 2240 - 2244.

  10. Vgl. James Cox, Tensions Rise As Economic Power Tilts, in: USA Today vom 11. 8. 2004, S. 1B/2B.

  11. Vgl. Floyd Norris, Trade Gap Darkens U.S. Picture, in: International Herald Tribune vom 20. 8. 2004, S. 13.

  12. Vgl. The Great Hollowing-Out Myth, in: The Economist (US-Ausgabe) vom 21. 2. 2004, S. 27 - 29.

  13. Benedict Arnold, ein amerikanischer General, der während der Revolution zu den Briten überlief, dürfte der meistverachtete Mann in der amerikanischen Geschichte sein.

  14. Vgl. Stephen J. Norton, For Democrats Blasting Bush on Jobs, Outsourcing Is In, in: Congressional Quarterly vom 13. 3. 2004, S. 620f., 624f.

  15. Vgl. William Schneider, Maybe It's Not the Economy, in: NJ vom 3. 7. 2004, S. 2128. Fairs Modell ist zu finden unter (http://www.fairmodel.econ.yale.edu).

  16. Vgl. American Research Group: Half of Americans Say National Economy Getting Worse As Bush Job Approval Ratings Remain Unchanged (http://www.americanresearch group.com/economy/) (5.10. 2004).

Dr. phil., geb. 1962; seit 2000 Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg; Gastprofessuren an der University of California in San Diego, der Fort Hare Universität in Südafrika und der Hebräischen Universität in Jerusalem.
Anschrift: Universität Regensburg, Institut für Politikwissenschaft, Universitätsstr. 31, 93040 Regensburg.
E-Mail: E-Mail Link: stephan.bierling@politik.uni-regensburg.de

Zahlreiche Veröffentlichungen zur Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik der USA; zuletzt: Geschichte der amerikanischen Außenpolitik von 1917 bis zur Gegenwart, München 2003.