Die Koordinaten des deutschen Parteiensystems verschieben sich. In den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene sind so viele Parteien vertreten wie seit den Anfangsjahren der Bundesrepublik nicht mehr, darunter erstmals auch wieder eine rechts der Union. Die "Volksparteien" CDU, CSU und SPD, die bei der Bundestagswahl 2017 zusammengenommen noch rund 53 Prozent aller Zweitstimmen auf sich vereinten und sich in einem Kraftakt zu einer nicht mehr ganz so großen Koalition zusammenschlossen, konnten 2018 bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen gemeinsam nicht einmal mehr die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen.
Die zunehmende Fragmentierung und Rechtsverschiebung im parlamentarischen Parteienspektrum ist kein deutsches Phänomen: Seit Jahren schmelzen in fast allen Ländern Europas die traditionellen konservativen und sozialdemokratischen Lager zugunsten rechter Randparteien sowie neuer Gruppierungen wie der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, Podemos in Spanien oder "En marche!" in Frankreich. In der Bundesrepublik, wo die abwechselnd oder zusammen regierenden Volksparteien über Jahrzehnte divergierende Interessen unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen in einen gemeinwohlorientierten Konsens integrieren konnten und hohe Stabilität garantierten, stellen diese Entwicklungen jedoch die bisherige Funktionsweise der Parteiendemokratie infrage.
Können die erforderlich werdenden neuen, komplexeren Bündniskonstellationen dauerhaft handlungsfähige Regierungen hervorbringen? Oder müssen sich die Bürgerinnen und Bürger vermehrt auf Regierungskrisen, häufige Neuwahlen und Minderheitenregierungen einstellen? Ist gar mit "Weimarer Verhältnissen" mangelnder Kompromissfähigkeit zu rechnen, die die erste deutsche Republik zu ihrem Ende durch den Aufstieg extremistischer Kräfte führte? Die derzeit schwelenden Fragen spiegeln eine allgemeine Verunsicherung über die Anpassungsfähigkeit des politischen Systems wider.