Einleitung
Nach zwei Golfkriegen und dreißig Jahren Tikriter Familienherrschaft war die Modernität der irakischen Gesellschaft nur mehr in der Erinnerung vorhanden. Der Irak wurde - wie alle anderen Staaten der Region - von einer Welle der Re-Islamisierung erfasst, die Saddam Hussein für sich zu nutzen versuchte. Seine "Pseudo-Islamisierung der Partei" war aus einer Not geboren: Er wollte lieber auf der islamischen Welle reiten, als von ihr hinweggespült zu werden. Während in den kurdischen Autonomiegebieten vom Staat unabhängige politische Parteien existierten, wurde unter Saddams direkter Herrschaft nur den ulema, dem islamischen Klerus, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zugebilligt. Von diesen Veränderungen in der irakischen Gesellschaft drang kaum etwas nach außen. Im Allgemeinen wurde davon ausgegangen, dass "die Schiiten" als stärkste "Bevölkerungsgruppe" die Macht übernehmen und eine Theokratie nach iranischem Muster errichten würden. Die Angst davor war mit einer der Gründe, warum die USA den schiitischen Aufständischen des Jahres 1991 ihre Hilfe verweigerten und einen geschwächten und international isolierten Saddam Hussein in Bagdad akzeptierten. Zur offiziellen Politik wurde ein "Regimewechsel" erst 1998 mit dem "Iraq Liberation Act". Unmittelbar nach dem Ende des zweiten Golfkrieges kooperierte Washington bereits mit der irakischen Opposition.
In den meisten Darstellungen wird darauf verzichtet, den amerikanischen Pragmatismus herauszustreichen, der es den USA ermöglichte, ideologisch unterschiedliche Gruppen lose zu koordinieren. Eine Kooperation mit den kurdischen Nationalisten (Patriotic Union of Kurdistan/PUK und Kurdistan Democratic Party/KDP) ist nachvollziehbar, da diese ihr Überleben letztendlich der amerikanischen Intervention und der Flugverbotszone verdanken. Ebenso plausibel ist die Zusammenarbeit mit irakischen Monarchisten, Ex-Baathis, Ex-Militärs und westlich orientierten Geschäftsleuten wie Ahmad Chalabi. Überraschender war aber die US-Kooperation mit radikalen Islamisten wie zum Beispiel der Islamischen Bewegung Irakisch Kurdistan (IMIK)
Nach dem Sturz Saddams
Die irakische Bevölkerung reagierte im Großen und Ganzen mit Freude auf den Sturz des Diktators. Am größten war die Begeisterung bei den Kurden im Norden des Landes, die sich eine baldige Unabhängigkeit erhofften, während in jenen Gegenden, in denen die regimefreundlichen Patronagenetzwerke am stärksten waren, die Sorge über die Zukunft überwog. Die kurdischen Parteien nutzten die Situation nach Saddams Sturz umgehend, um mit ihren Milizen über die Waffenstillstandslinie vorzurücken. Während sie Städte wie Khanaqin und die kurdische Region um Jabal Sanjar ohne Probleme einnehmen konnten, mussten sie aus Kirkuk auf amerikanischen Druck hin wieder abziehen. Nach dem Ende der Kampfhandlungen kehrten kurdische Flüchtlinge in die Gebiete zurück, aus denen sie zuvor von Saddam Hussein vertrieben worden waren. Dabei kam es teilweise zur Flucht und Vertreibung der arabischen Bevölkerung.
In den arabischen Gebieten warnten schiitische und sunnitische ulema vor Chaos und Anarchie, erließen fatwas gegen Plünderungen und gegen die willkürliche Ermordung ehemaliger Baathisten. In streng konservativen sunnitischen Städten wie Falluja, die von Baath-Anhängern sofort verlassen wurden, gelang es den Imamen der Moscheen, das gesellschaftliche Leben zu reorganisieren und - ähnlich wie im schiitischen Süden des Landes - für ein gewisses Maß an Ruhe und Ordnung zu sorgen. Der schiitische Klerus konnte in weniger als einem Monat die Macht in den wichtigsten Städten des Südens übernehmen. Auf Anweisung Ayatollah Sistanis wurden Nachbarschaftskomitees, die für Ordnung sorgen und islamische Gesellschaftsnormen durchsetzen, gegründet. Der Aufbau dieser Komitees ging rasch und ohne Zwischenfälle vonstatten. Sie existieren oft neben oder anstelle der von den Amerikanern eingesetzten Verwaltung, gegen die sie sich im Ernstfall ohne Probleme durchsetzen könnten.
Den Amerikanern gegenüber verhielt sich die Bevölkerung eher skeptisch. Für kurze Zeit - zwischen dem Fall des Regimes am 9. April 2003 und der offiziellen Erklärung des Kriegsendes durch Präsident Bush am 1. Mai 2003 - bestand eine reelle Chance, die Bevölkerung für die amerikanischen Besatzer zu gewinnen, da die Freude über den Sturz Saddams noch überwog. Diese Chance wurde durch Missmanagement jedoch vertan. Die offensichtliche Unfähigkeit der Besatzungstruppen, für Sicherheit zu sorgen, und die Verschlechterung der materiellen Lage großer Teile der Bevölkerung trugen zur Desillusionierung bei. Die hohen Verluste der irakischen Zivilbevölkerung durch Bombardierungen und das harte Vorgehen der Amerikaner - vor allem die Demütigung der Familienväter vor ihren Töchtern und Frauen - führten rasch zu offener Feindseligkeit, die von in- und ausländischen Extremisten geschürt wurde.
ORHA und CPA
Die von den USA installierte Zivilverwaltung - zuerst das Office for Reconstruction and Humanitarian Assistance (ORHA) und dann die Coalition Provisional Authority (CPA) - war nach der Resolution 1483 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen jene Behörde, welche die "nach dem anwendbaren Völkerrecht bestehenden spezifischen Befugnisse, Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen dieser Staaten [d.i. die Kriegskoalition, W. P.] als Besatzungsmächte unter einheitlicher Führung" wahrnahm. Resolution 1511 unterstrich den vorübergehenden Charakter der CPA, die im Allgemeinen aber nie als Institution der Kriegskoalition betrachtet wurde, sondern als amerikanische Besatzungsbehörde. Die Bildung der ORHA/CPA war nach Ansicht der US-Administration unter anderem deshalb notwendig, weil man bei sofortiger Machtübergabe mit dem Ausbruch von Feindseligkeiten innerhalb der mit den USA verbündeten Gruppen rechnete.
Die amerikanische Besatzungsbehörde nahm ihren Dienst unter ungünstigen Verhältnissen auf: Jay Garner kam erst am 21. April 2003 nach Bagdad - die Plünderungen, vor denen bereits ein Jahr vorher gewarnt wurde,
Planungsfehler
Das soll nicht bedeuten, dass es keine Planung gegeben hätte. Man ließ sich aber in wichtigen Punkten von eigenen Wünschen, den Interessen ausgewählter Exiliraker und den Erfahrungen des letzten Krieges anstatt von den irakischen Realitäten leiten. Im Pentagon war man offensichtlich der Ansicht, dass die amerikanischen Truppen als Befreier willkommen geheißen würden
Dabei wurde für die konkrete Nachkriegsordnung sogar eine Arbeitsgruppe aus Exilirakern und Beamten des amerikanischen Außenministeriums zusammengestellt. Deren Ergebnisse lagen bereits seit Ende 2002 vor.
Auflösung der Baath-Partei und der Armee
Mit dem Amtsantritt Paul Bremers am 13. Mai 2003 sollte ein Neustart versucht werden. Sein Auftrag lautete, die Reste des Baath-Regimes aufzulösen und den Irak auf seine Souveränität vorzubereiten. Als ersten symbolträchtigen Schritt löste er die Baath-Partei und bald darauf die Armee auf. Die Entscheidung dafür musste auf höchster Ebene gefällt worden sein, da Bremer nach Garner "mit einem Koffer voller Anweisungen" aus Washington kam und in dieser Frage keinen großen Handlungsspielraum hatte. Durch die rigorose De-Baathifizierung der Ministerien verlor die ohnehin geschwächte Bürokratie ihre letzten Kader. Viele Baathisten gingen in den Untergrund. Allerdings befanden sich die USA in einer Zwickmühle: Hätte man die meisten Baathisten in Amt und Würden gelassen, wäre ihnen vermutlich vorgeworfen worden, diese in Wirklichkeit zu fördern.
Die Auflösung der Armee verschlimmerte die Situation, da sie ein zusätzliches Heer von Unzufriedenen schuf. Zehntausende Kadersoldaten bildeten den wichtigsten Rekrutierungspool für die Aufständischen. Dieser Schritt war aus zwei weiteren Gründen problematisch: erstens, weil man die Armee nach Überprüfung des Offiziers- und Unteroffizierskorps zur Bekämpfung der Aufständischen hätte einsetzen können, und zweitens, weil sie, im Gegensatz zur Republikanischen Garde, die letzte genuin irakische Institution war.
Widerstand
Die geheimen Patronagenetzwerke des gestürzten Regimes waren noch so stark, dass Saddam erst nach mehr als einem halben Jahr festgenommen wurde und andere wichtige Baathisten wie der ehemalige Innenminister Izzat ad-Din Ibrahim ad-Duri sich noch immer verstecken können. Das spricht für die These, dass das Regime gewisse Vorbereitungen zur Flucht in den Untergrund getroffen haben musste.
Die Plünderungen nach dem Sturz Saddams wurden zum größten Teil im Rahmen der organisierten Kriminalität begangen. Dadurch wurde das Bild von der allmächtigen amerikanischen Armee nachhaltig zerstört und potentielle Widerstandskämpfer ermutigt, zu den Waffen zu greifen. Der sunnitische Widerstand ist bis dato noch nicht wirklich erforscht. Listen verschiedener Organisationen sind mit Vorsicht zu behandeln, da sich viele Gruppen ad hoc für einen Anschlag bilden.
Ehemalige Mitarbeiter des Sicherheitsapparates gründeten "Al-Awdah - die Rückkehr", das erste Netzwerk verschiedener Zellen im Widerstand.
Auf dem Land ging der Widerstand jedoch von den Moscheen und radikalen Islamisten aus. Islam und Nationalismus sind hier die treibenden Kräfte. Die "Brigaden der Revolution von 1920", auch Irakischer Nationaler Islamischer Widerstand, die "Nationale Front zur Befreiung des Irak" und die "Irakische Islamische Widerstandsfront" agieren großenteils unabhängig von den Baathisten und sind jene Netzwerke des Widerstandes, welche die meisten Anschläge auf die Besatzungstruppen zu verantworten haben. Auf lokaler Basis gibt es noch einige kleinere Gruppen, die oft um eine gewisse Moschee herum gebildet wurden.
Die Entführungen waren anfangs eher kriminell als politisch motiviert, da vor allem irakische Schulkinder, meist Mädchen, entführt wurden, um von den Eltern Lösegeld zu erpressen. Später begannen kleinere, besonders radikale sunnitische Widerstandsgruppen mit der Entführung von Ausländern, da ihnen dadurch ein größeres Medienecho zuteil wurde. Die Entführungen und die grausamen Ermordungen wehrloser Ausländer werden von der irakischen Öffentlichkeit abgelehnt. Die gefährlichsten Gruppen sind jene ausländischen oder von Ausländern geleiteten Organisationen, deren Aktivisten seit Jahren in der internationalen islamistischen Terrorszene tätig sind (wie zum Beispiel die "Islamische Armee in Irak", die Gruppe von Abu-Mus'ab al-Zarqawi, "Al-Tawhid wa al-Jihad" und "Ansar al-Sunnah"). Von 12000 Gefangenen Anfang Dezember 2003 waren 350 ausländische arabische Kämpfer, und von diesen standen fünf unter Verdacht, mit Al-Qaida in Verbindung zu stehen.
Das Verhältnis zwischen einheimischen Widerständlern und internationalen Islamisten ist nicht immer friktionsfrei. In Falluja zum Beispiel kam es zu Spannungen, da der Bevölkerung der Preis, den sie für die islamische Solidarität zu bezahlen hat, zu groß war. Außerdem hatten die ausländischen Araber, die meisten von ihnen Salafisten, das sind Anhänger einer besonders radikalen Richtung, keinen Respekt für den eher traditionellen Islam in Falluja und wollten Verhandlungen mit den Amerikanern unbedingt verhindern.
Zarqawi
Nach der Festnahme Saddam Husseins im Dezember 2003 wurden Abu-Mus'ab al-Zarqawi die meisten Anschläge zugeschrieben. Für die amerikanische Regierung ist er deshalb von Bedeutung, weil seine Anwesenheit im Irak als Beweis für die Verbindungen des Baath-Regimes mit Al-Qaida diente.
Doch die wichtigsten Anschläge auf schiitische Kleriker scheinen nicht von Abu-Mus'ab al- Zarqawi unternommen worden zu sein. Mit derErmordung Ayatollah Abdulmajid Khoeis wurden sowohl Anhänger Muqtada Sadrs als auch Baathisten in Zusammenhang gebracht. Der brutale Anschlag auf Ayatollah Muhamamd Baqir Al-Hakim und ein weiterer Mordversuch an einem hochrangigen Ayatollah im Sommer 2003 gehen wahrscheinlich ebenfalls auf Kosten der Baathisten. Vielleicht steht er aber hinter dem Anschlag auf Ayatollah Sistani vom Januar 2004. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat Zarqawi aber den Anschlag auf die UNO zu verantworten. Die Anschläge auf die christliche Minderheit im Land müssen nicht unbedingt von ihm ausgeführt worden sein, sie lassen sich aber durch seine Weltanschauung erklären.
Falluja
Ende April 2003 eskalierte eine ursprünglich friedliche Demonstration in Falluja, bei der mehr als ein Dutzend unbewaffnete Iraker von amerikanischen Soldaten getötet wurden. Damals versuchten die Geistlichen in den Moscheen noch die Bevölkerung zu beruhigen und waren sogar bereit, mit den Amerikanern zu kooperieren, um Anarchie und Chaos zu vermeiden.
Ende März 2004, im Zuge der allgemeinen Empörung über die Tötung des Hamas-Führers Yassin durch israelische Truppen im Gaza-Streifen, wurden vier Angestellte einer Sicherheitsfirma in Falluja getötet und ihre Leichen von einer wütenden Masse geschändet. In den anschließenden Gefechten mit den US-Soldaten, denen mehr als 40 Amerikaner und über 600 Iraker, davon mindestens die Hälfte Frauen und Kinder, zum Opfer fielen, erwiesen sich die neu aufgestellten irakischen Truppen als vollkommen unbrauchbar.
Einige Tage nach den amerikanischen Präsidentschaftswahlen fiel die Entscheidung, die Rebellenhochburg Falluja anzugreifen. Ministerpräsident Iyad Allawi verhängte den Notstand über das Land und gab den Befehl zum Angriff auf die Stadt. Seither befinden sich amerikanischen und irakische Truppen auf dem Vormarsch; große Teile der Stadt wurden bereits zurückerobert.
Muqtada Sadr
Für den Großteil des schiitischen Widerstandes ist der junge Kleriker Muqtada Sadr verantwortlich. Er konnte auf ein von seinem Vater, dem 1999 ermordeten Muhammad Sadiq Sadr, hinterlassenes Netzwerk radikaler schiitischer Anhänger, mit Zentrum in Sadr-(ehemals Saddam-)City, zurückgreifen. Als Theologe kaum bedeutend und daheranfangs unterschätzt, hatte er sich dem im iranischen Qom ansässigen Ayatollah Husseini-Ha'eri angenähert, der sich im Sommer 2004 von ihm lossagte. Muqtada lässt sich aus Teheran nicht steuern. Dafür sprechen seine zahlreichen antiiranischen Äußerungen. Muqtada, der sich seiner Ablehnung durch das schiitische Establishment sehr wohl bewusst ist, gründete im Juli 2003 die Mahdi-Armee, eine Miliz, die sich anfänglich auf die Rolle einer Sittenpolizei beschränkte.
Es kam daher überraschend, dass just zu dem Zeitpunkt, als Falluja belagert wurde, Paul Bremer die unbedeutende Zeitung Muqtadas verbieten und ihn verhaften lassen wollte. Daraus wurde gefolgert, dass Muqtadas Reaktion auf die Tötung Sheikh Yassins für die in der CPA dominierenden Kreise die eigentliche Ursache war.
Bürgerkrieg?
Zum Widerstand müssen auch die brutalen und fast schon alltäglichen Selbstmordanschläge gerechnet werden, für die nicht nur einige ausländische Fanatiker verantwortlich gemacht werden können. Als Täter kommen sowohl ehemalige Baathisten als auch ausländische oder einheimische Islamisten in Frage. Spätestens seit den letzten schiitischen Feierlichkeiten im März 2004, als bei zwei Anschlägen auf Schiiten in Karbala und Bagdad über zweihundert Menschen starben, wird nicht mehr daran gezweifelt, dass mit aller Gewalt ein Bürgerkrieg initiiert werden soll.
Abhängigkeit und Souveränität
Anfang April 2003 äußerte der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz die Hoffnung, die Macht innerhalb von sechs Monaten an eine souveräne irakische Regierung übergeben zu können. Ein erstes Treffen von Oppositionsgruppen in Nasiriyah am 15. April 2003 scheiterte am Widerstand der SCIRI, die für die Errichtung eines islamischen Staates plädierte. Nach einem weiteren Treffen in Bagdad am 26. Mai 2003 beendeten die USA Mitte Mai diesen Prozess aus Angst vor der Unfähigkeit der existierenden Gruppen, eine stabile Regierung zu bilden oder sich gegen die Dominanz schiitischer Fundamentalisten zur Wehr zu setzen. Am 13. Juli 2003 war die CPA gezwungen, einen 25-köpfigen Regierenden Rat (Iraqi Governing Council - IGC) einzusetzen, der aus Exilirakern, irakischen Parteien, die mit den USA verbündet waren, Vertretern irakischer Stämme und Unabhängigen bestand.
Die Zusammensetzung des Rates spiegelte die allgemeinen Vorstellungen über die irakische Bevölkerung wider.
Mitte November 2003 prognostizierte die CIA eine weitere Zunahme des Widerstandes gegen die Besatzung. Nach Konsultationen mit Washington und Gesprächen mit Mitgliedern des IGC wurde das "Abkommen vom 15. November" geschlossen. Darin wurde die Übergabe der Macht an die Iraker und die Auflösung der CPA am 30. Juni 2004 festgelegt. Dieser Zeitplan wurde eingehalten - Bremer übergab sogar zwei Tage vor dem geplanten Machtwechsel viele Befugnisse an die neue irakische Regierung des Iyad Allawi.
In der Realität hat sich also wenig geändert: Die Regierung ist hinsichtlich der Sicherheit nach wie vor von den amerikanischen und Koalitionsstreitkräften abhängig - auch wenn daran gearbeitet wird, eigene Sicherheitskräfte aufzubauen. Die Wirtschaft kann sich aufgrund der Sicherheitslage nicht normal entwickeln. Wahlen müssen vorbereitet und ein Ausgleich zwischen säkularen und islamistischen Kräften in Gesellschaft und Politik muss gefunden werden. Sensible Themen wie zum Beispiel die kurdische Autonomie werden zur Zeit gar nicht behandelt. Als Erfolg kann jedoch die irakische Nationalkonferenz vom August 2004, die trotz der Belagerung Najafs durchgeführt wurde, beurteilt werden. In dieser Konferenz wurde eine 100-köpfige Kommission gewählt, welche die Wahlen im Januar vorbereiten soll.
Die größte Herausforderung bildeten die Wahlen und die Verfassungsfrage. Ursprünglich hatte Paul Bremer ein System von Wahlmännern im Auge, das im Endeffekt auf Notablenversammlungen hinauslief. Ayatollah Sistani protestierte dagegen mit einer fatwa, in der er die Ausarbeitung einer zukünftigen irakischen Verfassung durch frei gewählte Vertreter und nicht durch von der CPA eingesetzte Experten verlangte. Seine Forderung nach freien Wahlen wiederholte er im November 2003 und zu Beginn des Jahres 2004. Letztendlich konnte er sich mit seinen wichtigsten Forderungen durchsetzen: Die oben genannte Nationalversammlung tagte im August, und aller Voraussicht nach wird Anfang 2005, der prekären Sicherheitslage zum Trotz, gewählt werden.
Die Verfassungsfrage ist für die kurdischen Parteien wichtig: Ihre zentralen Forderungen nach weitgehender Autonomie widersprechen einer irakisch-zentralstaatlichen Vorstellung. Die KDP hatte bereits eigene Verfassungsentwürfe für Kurdistan und für den Gesamtstaat Irak veröffentlicht. Basierend auf den Punkten des Abkommens vom 15. November 2003 wurde ein Gremium zur Ausarbeitung einer provisorischen Übergangsverfassung (Transitional Administrative Law - TAL) gebildet, das bis Ende Februar 2004 die ersten Entwürfe vorlegen konnte. Nach Einsprüchen von kurdischer Seite wurde eine - wie es zunächst schien - für alle Seiten akzeptable Lösung gefunden und am 8. März in Bagdad feierlich unterzeichnet. Den kurdischen Nationalisten war damit aber nur eine kurze Atempause gegönnt. Abgesehen davon, dass viele Unklarheiten im Verhältnis Kurdistan - Irak bestehen blieben,
Alte Freunde, alte Feinde?
Der Amtsantritt der Regierung Allawi ist in abgeschwächter Form eine Rückkehr zu einem älteren amerikanischen Projekt: einen prowestlichen säkularen Baathisten einzusetzen.