Länderverfassungsrecht im unitarischen Föderalismus
Mit Blick auf den unitarischen Charakter des deutschen Föderalismus ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch die Verfassungen und Regierungsformen der Gliedstaaten eine nur geringe Variationsbreite aufweisen. Dies gilt zumindest, wenn man die Bundesrepublik mit Ländern wie den USA oder der Schweiz vergleicht, in deren föderalen Systemen der Gedanke der Vielgestaltigkeit eine weitaus größere Rolle spielt und bundesstaatliche Traditionen fest verankert sind. Die Homogenitätsthese muss allerdings sogleich eingeschränkt werden: Bezogen auf den Bund trifft sie nur auf das parlamentarische Regierungssystem der Länder und nicht auf die direktdemokratischen Verfahren zu, die heute in allen 16 Bundesländern verfassungsrechtlich festgeschrieben sind. Weniger dramatisch sind die Unterschiede im Bereich des Wahlrechts, in dem sich sämtliche Länder innerhalb des bundesgesetzlichen Verhältniswahlsystems bewegen, unterhalb dieser Ebene aber ebenfalls zahlreiche Variationen anzutreffen sind.
Dass die Länder rechtlich über einen durchaus weiten Spielraum bei der Gestaltung des eigenen Regierungssystems verfügen, ergibt sich aus demso genannten Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, das ihre verfassungsmäßige Ordnung lediglich an die allgemeinen Grundsätze des "republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates" bindet. Die Einführung weiter gehender direktdemokratischer Elemente, als sie das Grundgesetz in Art. 29 vorsieht, ist durch diese Bestimmung ebenso gedeckt wie der mögliche Wechsel von der Verhältnis- zu einer reinen Mehrheitswahl.
Eigenarten der Länderpolitik
Verfassungsrechtler wie Brun-Otto Bryde oder Hans Herbert von Arnim konstatieren mit Blick auf die Verwaltungslastigkeit eine größere Nähe der Länderpolitik zur kommunalen als zur Bundesebene, die sich auch in der Organisation der Regierungssysteme ausdrücken müsse.
Hennis und Eschenburg hatten die Eigenart der verwaltungsbezogenen Länderpolitik seinerzeit daran festgemacht, dass sie der parteipolitischen Auseinandersetzung auf weite Strecken entzogen sei. Hennis' Diktum, wonach es "keinen christlich-demokratischen Straßenbau und keine sozialdemokratische Wasserwirtschaft" gebe, sollte den Sachverhalt auf den Punkt bringen. In dieser Generalisierung ist seine These zweifellos verfehlt. Erstens sind auch Verwaltungsentscheidungen ihrem Wesen nach nicht durchweg unpolitisch oder bloß technokratisch, so wie es der Begriff des "Vollzugs" suggeriert. Vielmehr erfordern sie sachliche oder zeitliche Prioritätensetzungen, die den zuständigen Organen manche Gestaltungsfreiheit eröffnen.
Dennoch bleibt es im Großen und Ganzen richtig, dass sich Bund und Länder vom politischen Charakter ihres Aufgabenzuschnitts deutlich unterscheiden. Der Grad der parteipolitischen Durchdringung ist in der Landespolitik geringer, was eine umstandslose Übertragung des parlamentarischen Wettbewerbsmodells auf die Länderebene schwierig macht. Die Analogie zur kommunalen Politik liegt hier in der Tat auf der Hand. Besonders schlagend ist sie in den drei Stadtstaaten, die als Bundesländer zugleich Gemeinden sind und damit eine nochmals andere Aufgabenstruktur aufweisen als die Flächenländer. Von daher drängt sich die Frage auf, ob die Kommunen auch bei der Gestaltung des Regierungssystems ein geeignetes Vorbild sein könnten.
Betrachtet man dessen drei Hauptmerkmale - die Volksgesetzgebung, das Wahlrecht und das Verhältnis von Regierung und Parlament -, so zeigen sich die größten Übereinstimmungen zwischen den heutigen Länder- und Kommunalverfassungen im ersten Bereich: bei der direkten Demokratie.
Das parlamentarische System in den Ländern: Divergenzen und Konvergenzen
Alle Landesverfassungen konstituieren heute rein parlamentarische Regierungssysteme mit einem Einkammerparlament und geschlossener Exekutive. Allein Bayern bildete hiervon bis 1998 eine Ausnahme, indem es sich neben dem Landtag einen Senat als Zweite Kammer leistete. Überlegungen, eine Zweite Kammer einzuführen, waren von den Verfassungsgebern auch in anderen Ländern (Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) angestellt worden, blieben aber allesamt ohne Erfolg. Dasselbe gilt für die in dem ursprünglichen rheinland-pfälzischen Verfassungsentwurf vorgesehene Einführung einer exekutiven Doppelspitze, die sich am semipräsidentiellen System der Weimarer Republik orientierte.
Nimmt man allein die Verfassungsnorm, waren die Unterschiede in den Regierungsformen der Länder zunächst durchaus beträchtlich. Erst später sollte es im Zuge der übereinstimmenden Verfassungspraxis durch Verfassungsreformen zu einer Angleichung kommen. Siegfried Mielke hat in einer frühen Arbeit zum Länderparlamentarismus vier Modelle der parlamentarischen Regierungsform unterschieden, von denen sich drei - die Parlamentsregierung, die "echte" parlamentarische Regierung und der "disziplinierte" (abgeschwächte) Parlamentarismus - in den ursprünglichen Länderverfassungen wiederfanden.
Etwas unübersichtlicher ist das Bild bei der Bestellung und Entlassung der Regierungsmitglieder. Abweichend vom Modell des Grundgesetzes sehen hier die meisten Verfassungen weiterhin eine Bestätigung des gesamten Kabinetts durch das Parlament vor; auch die Entlassung der Minister ist in einigen Fällen an dessen Zustimmung gebunden (so in Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland). In Berlin und Bremen müssen die Senatoren vom Parlament vor ihrem Amtsantritt sogar einzeln bestätigt werden. (In Hamburg gilt dies seit der Verfassungsreform 1996 nur noch für im Laufe der Legislaturperiode neu bestellte Regierungsmitglieder.) Bremen und Hamburg sahen ursprünglich nicht einmal die Wahl des Senatspräsidenten bzw. Ersten Bürgermeisters durch die Bürgerschaft vor; dieser wurde vielmehr erst nach der Wahl des gesamten Senats als primus inter pares aus dessen Mitte bestellt. Die 1994 bzw. 1996 beschlossenen Verfassungsreformen haben mit dieser Tradition gebrochen.
Unterschiedliche Regelungen gibt es auch beim Misstrauensvotum.
Die bayerische Regelung ist insofern interessant, als die Verfassung des Freistaates dem Ministerpräsidenten nicht die anderswo übliche Richtlinienkompetenz einräumt, was ansonsten nur noch in Bremen und Berlin der Fall ist. Daran lässt sich zum einen ablesen, dass zwischen den Modalitäten der Bestellung bzw. Abberufung und der Richtlinienbefugnis kein zwingender Sachzusammenhang besteht; einige Landesverfassungen verweigern dem Regierungschef sogar die mit der Richtlinienkompetenz normalerweise einhergehende Organisationsgewalt, die hier entweder bei der gesamten Regierung liegt (Bremen, Hamburg) oder durch Regierung bzw. Regierungschef und Landtag gemeinsam ausgeübt wird (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz). Zum anderen macht es die überragende Bedeutung der Verfassungspraxis deutlich, in der sich die Prärogative des Regierungschefs auch gegen den Wortlaut der Verfassungen behauptet hat. So hatte zum Beispiel Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau das Recht, die Senatoren selbst auszuwählen, bereits vor der Verfassungsreform 1996 für sich beansprucht, die insofern nur die Konsequenzen aus der bestehenden Praxis zog.
Parteiensystem und Regierungsformate
Damit wendet sich der Blick zur politischen Praxis. Wenn die Variationen der Regierungsform in der Verfassungswirklichkeit wenig sichtbar geworden sind, so liegen die Gründe dafür vor allem bei den Parteien, die das Funktionieren des parlamentarischen Systems in der Bundesrepublik im Sinne eines einheitlichen - am britischen Westminster-Parlamentarismus geschulten - Regierungsmodells geprägt und die bestehenden verfassungsrechtlichen Unterschiede darüber abgeschliffen haben.
Das mehrheitsdemokratische Modell, wie es in annähernder Reinform in Großbritannien vorzufinden ist, basiert auf dem Prinzip der alternierenden Regierung. Dass es sich auch in der Bundesrepublik frühzeitig durchsetzen konnte, lag nicht ursächlich in der Konzeption des Grundgesetzes begründet, im Gegenteil: Die Beratungsprotokolle des Parlamentarischen Rates belegen, wie fremd der "neue Dualismus" den Verfassungsgebern seinerzeit gewesen ist.
Der Kritik an den vermeintlich "systemwidrigen" Regierungsformaten wurde die Grundlage entzogen, als die Großen Koalitionen und Allparteienregierungen ab Mitte der fünfziger Jahre in rascher Folge verschwanden. Ihrem Höhepunkt strebte diese Entwicklung im April 1972 zu. Nach dem Ende der Großen Koalition in Baden-Württemberg gab es ab diesem Zeitpunkt in den Ländern nur noch Einparteienregierungen (acht Fälle) oder Kleine Koalitionen (drei Fälle), die alle entweder dem Regierungs- oder Oppositionslager des Bundes zuzurechnen waren. Zu einer "gemischten" Koalition kam es erst wieder 1977 (CDU/FDP in Niedersachsen), zu einem vom mehrheitsdemokratischen Modell abweichenden Regierungsformat sogar erst 1981 (CDU-Minderheitssenat in Berlin).
Die Entwicklung des Parteiensystems hat dafür gesorgt, dass sich das auf dem Gegenüber von regierender Mehrheit und Opposition basierende Parlamentarismusverständnis des Westminster-Systems in der Bundesrepublik auch normativ durchsetzte. Angesichts der immer noch wirkungsmächtigen Tradition des konstitutionellen Gleichgewichtsdenkens war das keineswegs selbstverständlich.
Es ist nicht ohne Ironie, dass die Verfassungsänderungen zu einem Zeitpunkt erfolgten, als das bundesdeutsche Parteiensystem in eine neue Phase der Fragmentierung eintrat. Die Erweiterung der alten Zweieinhalbparteienstruktur um Grüne und PDS sowie die gelegentlichen Wahlerfolge rechtsextremer bzw. -populistischer Parteien führten dazu, das die Bildung einer Mehrheitskoalition nach dem vertrauten Muster in den neunziger Jahren schwieriger wurde. Existierten in der Hochzeit der Stabilität in den siebziger Jahren gerade mal drei Regierungsformate, so waren es von 1990 bis 2004 bereits zwölf. Von den insgesamt 224 Regierungsjahren in den Ländern entfielen in diesem Zeitraum 79 auf Unions- bzw. SPD-Alleinregierungen, 103 auf Kleine Koalitionen (in sieben verschiedenen Varianten), 34 auf Große Koalitionen und 8 auf Minderheitsregierungen. Die abweichenden Regierungsformate machten damit immerhin knapp ein Fünftel aller Fälle aus. Die Pluralisierung schlug sich auch darin nieder, dass in 65 Regierungsjahren "gemischte" Koalitionen im Amt waren, die nicht den Mehrheitskonstellationen auf Bundesebene entsprachen.
Die Oppositionsregelungen in den Länderverfassungen nehmen sich vor diesem Hintergrund problematisch aus, gehen sie doch alle implizit von einer Einparteienregierung oder Kleinen Koalition als Regierungsmodell aus. Anderweitige Formate wie die Große Koalition oder eine parlamentarisch gestützte Minderheitsregierung lassen sich durch sie nicht einfangen. Bei der Großen Koalition fehlt es der Opposition an Masse, um ihre Alternativfunktion wahrzunehmen, da sie keine realistische Chance hat, die Regierung nach der kommenden Wahl abzulösen. Im Falle der Minderheitsregierung besteht das Problem darin, dass sich nicht alle Teile des Parlaments dem Lager der Regierung oder Opposition klar zuordnen lassen. Die in den meisten der Oppositionsartikel enthaltenen Legaldefinitionen charakterisieren Letztere scheinbar eindeutig als diejenigen Fraktionen und Mitglieder des Landtages, welche die Regierung nicht tragen bzw. stützen. Was "stützen" bedeutet, ist in diesem Zusammenhang jedoch keineswegs klar. Versteht man darunter eine wie auch immer geregelte Form der Kooperation, würde der Oppositionsbegriff in der Tat keinen Sinn ergeben. Wie aber verhält es sich, wenn der betreffende Teil die Regierung bloß "duldet", indem er auf die Einbringung eines Misstrauensvotums verzichtet bzw. ein solches nicht befürwortet? In dieser Situation könnte die Regierung keineswegs sicher sein, dass sie für ihre Gesetzgebungsvorhaben im Parlament immer die notwendige Unterstützung findet.
Die Mehrheitsfixierung des bundesdeutschen Parlamentarismus, die sich in den Oppositionsklauseln ausdrückt, ist verständlich, wenn man an die instabilen Regierungsverhältnisse der Weimarer Republik zurückdenkt. Minderheitskabinette wie in Skandinavien oder das in Südeuropa gelegentlich gepflegte Regieren mit wechselnden Mehrheiten sind der parlamentarischen Kultur der Bundesrepublik bis heute fremd geblieben. Einen schlagenden Beweis dafür lieferte das Schicksal der 1994 gebildeten Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt. Die von manchen Politologen gehegte Hoffnung, das "Magdeburger Modell" könne eine Art Zukunftsmodell des parlamentarischen Systems in Ostdeutschland sein (mit möglichen Rückwirkungen auch auf die westlichen Bundesländer), hat sich bekanntlich nicht erfüllt. Für die Dogmatiker der Mehrheitsdemokratie lag im Scheitern des Experiments zweifellos eine Genugtuung, markierte eine lediglich geduldete Minderheitsregierung in ihren Augen doch den Sündenfall des parlamentarischen Systems schlechthin.
Alternativen zur parlamentarischen Regierungsform
Unter den möglichen Alternativen zum parlamentarischen System werden in der Literatur zwei besonders hervorgehoben: das Proporzmodell schweizerischer oder österreichischer Provenienz und das US-amerikanische Präsidialsystem. Das Proporz- oder Konkordanzmodell, das auf die Bildung einer Allparteienkoalition hinausläuft, wurde von Wilhelm Hennis bereits in den fünfziger Jahren als Regierungsform für die Gliedstaaten ins Spiel gebracht. Tatsächlich hatte es damals in einigen Ländern - am längsten in Baden-Württemberg - Bestand, ehe sich der mehrheitsdemokratische Parlamentarismus überall durchsetzte. Dass Hennis an seinem Vorschlag auch später festhielt,
Eine besser geeignete Alternative zur parlamentarischen Regierungsform hält das präsidentielle Modell bereit. Hier kann man nicht nur auf die Vorschläge zurückgreifen, die Eschenburg seinerzeit für die baden-württembergische Landesverfassung gemacht hatte, sondern auch auf die Erfahrungen in den Kommunen, in denen die Direktwahl der Bürgermeister in den neunziger Jahren flächendeckend eingeführt worden ist. Für die Übertragung des präsidentiellen Systems auf die Länderebene lassen sich vor allem demokratische Gesichtspunkte ins Feld führen. Wenn die Hauptfunktion der Länder in der Durchführung der Bundesgesetze bzw. des europäischen Rechts liegt, scheint es nur folgerichtig, die Bürger an der Bestellung der mit den Verwaltungsaufgaben betrauten Exekutive unmittelbar zu beteiligen. Die Direktwahl der Ministerpräsidenten verspricht aus dieser Sicht zwei Vorteile. Zum einen würde sie die ehrliche Konsequenz aus der bestehenden Verfassungslage ziehen, die den Länderregierungschefs bereits heute eine herausgehobene Position zuweist. Zum anderen wäre sie mit einer Stärkung des - ja ebenfalls direkt gewählten - Parlaments verbunden, das den Regierungschef nun nicht mehr im Amt halten müsste und ihm somit unbefangener als bisher gegenübertreten könnte. Das präsidentielle System würde es den Abgeordneten also ermöglichen, einen Teil ihrer verloren gegangenen Kontrollfunktionen zurückzugewinnen. Dies hätte auch eine Wiederbelebung des unter dem Druck der "Fraktionsdisziplin" verkümmerten freien Mandates zur Folge. Und wo sie über legislative Restkompetenzen verfügen, wären die Landtage nicht mehr genötigt, die faktische Gesetzgebungsarbeit allein der Regierung zu überlassen.
Die Funktionsweise des deutschen "Parteienbundesstaates" hat allerdings zur Folge, dass die parlamentarische Abhängigkeit der Regierung auch bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten nicht restlos beseitigt werden kann. Die anzustrebende Regierungsform in den Bundesländern weist insofern in Richtung eines präsidentiell-parlamentarischen Mischsystems.
Auf absehbare Zeit wird der Direktwahlvorschlag sicherlich keine Realisierungschancen haben. Auch in der wissenschaftlichen Diskussion wurde die Idee ja erst in den neunziger Jahren wieder entdeckt und von Hans Herbert von Arnim