Einleitung
Die Anzahl der Berichte sowohl über das Sexgewerbe selbst als auch über den so genannten Frauenhandel und den Prostitutionstourismus ist gestiegen. Es geht um die (Arbeits-)Migration von Frauen aus den Ländern Osteuropas, um Geschlechter- und Machtverhältnisse, Sexualität und Geld, Konsumverhalten sowie Gewalt gegen Frauen. Wir befinden uns an einer Schnittstelle von Sexismus und Rassismus.
Dabei bleibt vieles ausgeblendet, manches wird falsch dargestellt. Fallstricke liegen auch in den eigenen Erklärungsversuchen und -ansätzen sowie den Überlegungen zu Verbesserungen und den daraus resultierenden Forderungen. Dem Thema immanent sind folglich viele, äußerst emotionsgeladene und damit auch medienträchtige Aspekte, die eine differenzierte Darstellung nicht leicht machen.
Vorherrschend ist - und vielfach ausgemalt wird in diesem Kontext - das Bild der Ware Frau. Es impliziert, dass das Objekt jeden Handels die Ware ist, die ge- und verkauft wird, die - normalerweise - weder einen eigenen Willen noch eigene Wünsche besitzt. Der Verkaufspreis bestimmt sich nach den Regeln von Angebot und Nachfrage auf dem Markt. So wird in diesem Zusammenhang auch gerne von Sklaverei
Die Verantwortung dafür liegt dieser Argumentation zufolge allein bei den Händlern und Männern; den Frauen wird jedes Eigeninteresse und die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, abgesprochen. Sie sind in diesem Zusammenhang nur zur plastischen Verdeutlichung des Ausmaßes dieser "illegalen, männlichen und geldgierigen Machenschaften" relevant. Dass sie ihre guten Gründe haben, sich auf diesen Handel einzulassen, etwa auf das schwer verdiente Geld angewiesen sind, bleibt bei dieser Argumentation unberücksichtigt.
Folgerichtig wird nach der staatlichen Ordnungsmacht, nach stärkeren und restriktiveren Kontrollen gerufen. Das Problem scheint damit - zumindest theoretisch - gelöst: Täter und Opfer sind ausgemacht. Die Frauen werden aus den Fängen dieser monströsen Organisationen gerettet. Man muss sich um sie - die Opfer - kümmern, da sie als Zeuginnen - sprich "Beweismittel" - notwendig und in diesem Kontext unabdingbar und äußerst relevant sind.
Die Probleme der Arbeit suchenden Frauen bleiben dabei unberücksichtigt, die Gründe für ihre Migration werden nicht tangiert. Ebenso wenig thematisiert wird die Nachfrage nach den Frauen aus Osteuropa in Deutschland und anderen westlichen Ländern.
Die Folge ist, dass wichtige Diskussionen im eigenen Lande nicht geführt werden: etwa über die Notwendigkeit von und den Umgang mit billigen Arbeitskräften im informellen reproduktiven Bereich, über das veränderte Geschlechterverhältnis, die Vorstellungen von Beruf, Familie und Haushalt, über Sexualität und Beziehungswünsche und über die Veränderungen, die stattfinden.
Auch die rasch hergestellte Verbindung zu kriminellen Organisationen - so genannten Schlepperbanden, der Mafia und zum ganz großen Geld - lassen dieses Thema so vermeintlich einfach erscheinen, gleichzeitig reizvoll und völlig nebulös: ein Thema, dem man sich nur allzu bereitwillig unter dem Label von Sex, Crime und Exotik widmet.
Natürlich enthält jedes Klischee ein Körnchen Wahrheit; und es gibt sicher auch die beschriebenen extremen Fälle. Bei der Migration von Frauen aus Osteuropa in die Prostitution oder auch in andere illegale Arbeitsverhältnisse bleibt dabei allerdings allzu oft die Frage offen, inwieweit diereißerischen Darstellungen über geschlagene, gequälte und gezwungene Frauen der Realität zehntausender von Frauen, die in westeuropäischen Ländern im informellen Arbeitssektor - im Reproduktionsbereich - leben und arbeiten, gerecht werden. Die Situation dieser Frauen in Deutschland ist schwierig, und ihre persönliche Motivation, ihr Heimatland zu verlassen, ist weit komplexer, als vielfach wahrgenommen wird.
Eines kann an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden: Das Kernproblem der Arbeitsmigration von Frauen aus Osteuropa ist die schwierige Situation in den Heimatländern in Verbindung mit den ausländerrechtlichen Regelungen und der Nachfrage in den Zielländern.
Ursachen und Hintergründe
Frauen stellen laut International Labour Organization (ILO) mittlerweile die Hälfte der ca. 100 Millionen ArbeitsmigrantInnen. Sie verlassen ihre Heimat aus unterschiedlichen Gründen: aus wirtschaftlichen, politischen, sozialen, gesellschaftlichen, familiären und/oder persönlichen. Sie gehen in der Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse, nicht selten, weil sie der Verantwortung für ihre Familien und Kinder, für die sie meist alleine Sorge tragen, gerecht werden wollen. Den Hintergrund stellt die wirtschaftliche Misere und politische Situation in den Herkunftsländern dar, die durch entsprechende Veränderungen nach dem Fall der Mauer in der DDR im November 1989 und durch die wachsende Globalisierung geprägt ist. Die Folgen sind bekannt: Armut, sinkende Reallöhne, Massenarbeitslosigkeit, fehlende soziale Absicherung, sexistische und rassistische Verfolgung etc. Frauen haben zudem insgesamt weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt, selbst bei gleicher beruflicher Qualifizierung.
Viele junge Frauen glauben, in Deutschland oder anderen westeuropäischen Ländern das Geld für eine Ausbildung verdienen zu können, die sie in ihrem Heimatland beginnen möchten. Außerdem befindet sich in den Köpfen vieler, vor allem junger Frauen ein als "Pretty-Women-Syndrom" umschriebenes Bild - der Traum von Glück und Reichtum. Frauen werden vorrangig als erotische Objekte dargestellt und wahrgenommen. Warum also nicht die Not zur Tugend machen - Sexarbeit erscheint hier als attraktiver Job.
Zu diesen Faktoren gesellt sich der Mythos von Westeuropa (oder auch Nordamerika). Entgegen vielen Annahmen geht es dabei - wie oben schon angedeutet - keineswegs nur um Wohlstand. Viele Frauen planen ein besseres Leben für sich und ihre Kinder. Sie möchten unabhängig und berufstätig sein, Karrieremöglichkeiten entsprechend ihrer Ausbildung wahrnehmen und wünschen sich insbesondere eine partnerschaftliche Beziehung oder Ehe. Das alles scheint aus ihrer Sicht in den Zielländern erreichbar und lebbar zu sein.
Angesichts der sozialen und ökonomischen Realitäten in Europa und der vorherrschenden Zuwanderungspolitik sind dies wirklichkeitsferne Träume, begegnen die reichen westeuropäischen Länder der Migrationsbewegung doch mit einer fortwährenden Verschärfung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen. Fehlende legale Einwanderungsmöglichkeiten nach Deutschland oder in andere westeuropäische Zielländer begünstigen die Arbeit von VermittlerInnen und MenschenhändlerInnen. Die Frauen sind auf diese angewiesen, etwa um das benötigte Visum, Ticket oder notwendige Informationen zu erhalten. Damit sind sie spezifischen Macht- und Gewaltverhältnissen ausgesetzt. Dass die Inanspruchnahme von VermittlerInnen notwendig ist, erklärt sich zum einen aus den ausländerrechtlichen Bestimmungen in den jeweiligen Zielländer und zum anderen aus der Unkenntnis der Frauen über die Gesellschaften der Zielländer.
Auf dem Weg in das Zielland stehen Migrantinnen zudem vor besonderen Hürden. Zwar müssen ihre Landsmänner auch die Unterstützung und Hilfe von VermittlerInnen u.a. in Anspruch nehmen, aber die Frauen verfügen in der Regel über geringere finanzielle Ressourcen als diese. So bezahlen sie diese "Vermittlungen" auch mit sexuellen Dienstleistungen - oder sie nehmen hohe Kredite auf.
Die Frauen entscheiden sich für den Schritt in die Fremde und kommen ins Zielland mit der Hoffnung auf ein gutes oder überhaupt ein Einkommen; sie hoffen, dort eine gute Ehe führen und die Zukunft für sich und vor allem für ihre Familien sichern zu können. Die weiblichen Familienmitglieder sind sich ihrer Verantwortung in diesem Gefüge nur zu bewusst.
Die entscheidenden Grundlagen für die Migration oder genauer die Arbeitsmigration der Frauen liegen folglich in
- der Situation im Heimatland;
- der steigenden Verantwortung der Frauen für das wirtschaftliche Überleben ihrer Familien;
- den Möglichkeiten, die sich in den reichen westeuropäischen Ländern bieten und
- der Nachfrage nach billigen weiblichen Arbeitskräften in den Metropolen.
Letztendlich ausschlaggebend dafür, sich für die Arbeitsmigration zu entscheiden, sind jedoch der persönliche Mut und die Risikobereitschaft der einzelnen Frau.
Die Situation im Zielland
Die Frauen reisen normalerweise als Touristinnen nach Deutschland ein. Eine Touristin erhält automatisch ein Visum für drei Monate, das ihr grundsätzlich nicht gestattet, eine Arbeit aufzunehmen.
Dieser Status verwehrt ihnen den Zugang zu medizinischer Versorgung, ihren Kindern die Schulbildung, zwingt sie häufig, unter ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie müssen jederzeit damit rechnen, den Arbeitsplatz zu verlieren. Wird ihnen der Lohn nicht ausgezahlt, gibt es kaum Möglichkeiten, diesen einzufordern. Die Suche nach einer Wohnung gestaltet sich schwierig, oft müssen horrende Mieten für äußerst beengte und heruntergekommene Unterkünfte bezahlt werden. Die betreffenden Menschen leben in der ständigen Angst, in eine Polizeikontrolle zu geraten. Diese hätte die Ausweisung oder Abschiebung zur Folge, häufig verbunden mit einer Geld- oder Haftstrafe. Das Leben in der Illegalität mit all den Ängsten, Versorgungsengpässen bis hin zu existenziellen Nöten stellt eine große psychische Belastung dar und erfordert viel Mut und Stärke.
Illegalisierung fördert die Erpressbarkeit und damit Ausbeutung und Gewalt. Frauen sehen sich hier zusätzlich noch von sexualisierter Gewalt bedroht. Wird diese vom Arbeitgeber ausgeübt, haben sie kaum Möglichkeiten, diesen anzuzeigen.
Millionen von Frauen verdienen den Lebensunterhalt für ihre Familien und sich selbst im informellen Sektor. Hierunter fallen die Prostitution und das Vergnügungsgewerbe, die Beschäftigung als Hausangestellte, Kindermädchen und Altenpflegerin. Dies sind gleichzeitig aber auch die Bereiche, die nicht durch Arbeitsgesetze und -verordnungen geregelt und geschützt sind. In diesen informellen und ungeregelten Arbeitsmärkten sind ausbeuterische bis zwangsarbeitsähnliche Methoden bis hin zum Frauenhandel anzutreffen. Aufgrund ihres oft unklaren bis illegalen Aufenthaltsstatus sind die Frauen der Willkür von Arbeitgebern, Hausherren, Bordellbetreibern, staatlichen Organen und von Ehemännern, die sie hier geheiratet haben, ausgesetzt. Ein Aufenthaltsstatus, der für mindestens zwei Jahre an den des Ehemanns geknüpft ist, kann eine unerträgliche Abhängigkeit von diesem bedeuten.
Migrantinnen werden häufig - unabhängig davon, in welchen Berufssparten sie arbeiten, ganz gleich, ob sie hier studieren oder eine Liebesheirat miteinem Deutschen eingegangen sind - als "gekaufte" Frau oder Prostituierte angesehen. Eine solche Stigmatisierung ist aber auch dann, wenn eine Frau als Prostituierte arbeitet oder über eine Heiratsvermittlung nach Deutschland gekommen ist, ungerechtfertigt und diskriminierend.
Fast alle westeuropäischen Staaten verwehren sich dagegen, Einwanderungsländer zu sein. Damit wird die Möglichkeit, legal einzuwandern, reduziert, die Arbeitsmigration aus Nicht-EU-Staaten stark eingeschränkt. Die Reduzierung der Einwanderung auf der einen Seite und die gleichzeitige Nachfrage nach Arbeitskräften im informellen Sektor auf der anderen offenbart einen eklatanten Widerspruch zwischen der offiziellen Politik der Zielländer und den tagtäglichen Praktiken in der Prostitution, aber auch im Hausangestellten- und Pflegesektor etc.
Diesen Widerspruch machen sich HändlerInnen und VermittlerInnen jeglicher Art zunutze. Der halb legale Charakter dieser Tätigkeiten schafft - in Verbindung mit dem Nichtvorhandensein arbeitsrechtlicher Normen und Standards in diesen Sektoren - die Bedingungen für ausbeuterische Vermittlungspraktiken und Arbeitsbedingungen. Hier lassen sich beachtliche Profite erzielen, von denen die Arbeitsmigrantinnen den geringsten Teil erhalten. Dessen ungeachtet stellen die Geldüberweisungen der Frauen in ihre Heimatländer beträchtliche Deviseneinnahmen für die betreffenden Länder dar; gleichzeitig sind ihre Familien oft auf Jahre davon abhängig, und nicht zuletzt ist die Arbeit von Migrantinnen auch ein wesentlicher Beitrag für die Ökonomie der Zielländer.
Zur Situation illegalisierter Sexarbeiterinnen
Die Prostitution gilt als ein Arbeitsbereich, in dem potenziell schnell und viel Geld zu verdienen ist - eine Hoffnung, die sich allerdings für viele Frauen nicht erfüllt. Über die Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten im deutschen Sexgewerbe sind viele Frauen schlecht oder gar nicht informiert, auch wenn ihnen vor der Einreise bekannt war, dass sie hier als Prostituierte arbeiten würden. Horrende Ausgaben relativieren sehr schnell die vermeintlich hohen Einnahmen. Aufgrund des rechtlosen Status vieler Frauen ist es für Bordellbetreiber, diverse Rechtanwälte, so genannte VermittlerInnen u.a. leicht, die großen Gewinne abzuschöpfen.
Die illegal in der Prostitution arbeitenden Frauen stehen unter enormem Druck, leben in ständiger Angst vor einer Polizeikontrolle bzw. Razzia. Razzien werden von verschiedenen Behörden angeordnet und unterschiedlich begründet - von der Finanzbehörde zwecks Steuerfahndung, der Ausländerbehörde zwecks Suche nach illegal Eingereisten und der Kriminalpolizei aufgrund des Verdachts des Menschenhandels oder anderer Straftaten wie illegaler Waffen- oder Drogenhandel. Auch Anzeigen von Dritten, z.B. von unzufriedenen Kunden oder Kolleginnen, führen zu Kontrollen.
Eine Polizeikontrolle geht für die Prostituierte häufig mit einer diskriminierenden Behandlung einher, alles wird durchsucht - das geht bis hin zur Leibesvisitation -, das Geld wird beschlagnahmt, die Frau erkennungsdienstlich behandelt und danach ausgewiesen oder abgeschoben. Sofern noch Schulden durch die hohe Vermittlungsgebühr abzuzahlen sind, ist das besonders dramatisch.
Werden Migrantinnen ohne eine Arbeitserlaubnis von der Polizei bei einer Erwerbstätigkeit angetroffen oder gar festgenommen, führt dies zwangsläufig zu einer Ausweisung mit Wiedereinreiseverbot.
Frauenhandel
Frauenhandel ist eine extreme Form des Missbrauchs innerhalb der Migration von Frauen. Dazu kann es sowohl während des Prozesses der Anwerbung und Reise als auch im Zielland selbst kommen.
Unter Frauenhandel wird heute in Deutschland - entgegen der bisher engen juristischen Definition des Menschenhandels - nicht nur der Handel in die Prostitution, sondern auch der Handel in die Ehe oder in andere ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gefasst. Frauenhandel ist gegeben, wenn Frauen mittels Täuschung, Drohungen oder Gewaltanwendung angeworben und im Zielland zur Aufnahme und Fortsetzung von Dienstleistungen und Tätigkeiten gebracht oder gezwungen werden, die ausbeuterisch oder sklavenähnlich sind, d.h. ihre Menschenrechte verletzen.
Zur Erfüllung des Tatbestands Frauenhandel sind als Kernelemente die Nötigung, der Zwang und die Täuschung notwendig. Der Zwang kann verschiedene Formen annehmen. Er kann durch direkte physische Gewalt oder durch Androhung derselben, Erpressung, unrechtmäßiges Einbehalten von Dokumenten und verdientem Geld, Raub, Isolation und Betrug ausgeübt werden. Auch das Ausnutzen einer hilflosen Lage, der Autoritätsmissbrauch und die Schuldknechtschaft sind Formen des Zwangs.
Es gibt also viele Möglichkeiten, sich des Gehorsams der Frauen zu versichern. Vor allem aber sind es die Schulden, die getilgt werden müssen, und die Drohungen, dass ihren Kindern oder ihrer Familie zu Hause Leid zugefügt werde. Außerdem befinden sich die Frauen gesetzwidrig an ihrem Aufenthaltsort, was bedeutet, dass sie sich durch jeden Kontakt mit den Behörden der Gefahr einer Abschiebung aussetzen.
Es gibt also nachvollziehbare Gründe, warum Frauen ihr Schicksal hinnehmen und keine Anzeige erstatten: Sie haben kein Aufenthaltsrecht in Deutschland, das ihnen einen besseren Schutz garantieren würde. Sie fürchten Racheakte gegen sich selbst und ihre Familien, und sie haben kein Vertrauen in den Polizei- und Justizapparat.
Die Opfer von Menschenhandel müssen meist nach den richterlichen Vernehmungen, seltener nach dem Prozess, das Land verlassen, oder sie werden ausgewiesen und abgeschoben. In manchen Bundesländern werden sie sofort in Abschiebehaft genommen und abgeschoben, sobald sie für die Strafverfolgungsbehörden nicht mehr von Interesse sind.
Viele Frauen fürchten bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsländer Repressalien seitens der FrauenhändlerInnen. Im Falle von Menschenhandel und/oder Zwangsprostitution sind der Hilfe für die Opfer klare Grenzen gesetzt. Die Notwendigkeit von begleitenden ausländerrechtlichen, arbeitsrechtlichen und sozialen Maßnahmen bleibt ausgeblendet und wird kaum diskutiert. Den Frauen wird z.B. - wenn eine Verfolgung im Heimatland zu erwarten ist - nur in den seltensten Fällen ein Bleiberecht aus humanitären Gründen oder zumindest eine Aufenthaltsbefugnis gewährt. Schadensersatz- oder Schmerzensgeldforderungen sind unüblich, obwohl die Frauen damit unter Umständen ihre Schulden bezahlen und sich eine Existenz in ihrem Heimatland aufbauen könnten.
Mit den Schulden, die sie möglicherweise noch haben, mit ihrer Verantwortung und ihren Verpflichtungen gegenüber der Familie und mit ihren Ängsten bezüglich möglicher zu erwartender Racheaktionen zu Hause oder Drohungen müssen sie alleine fertig werden.
Hinzu kommt, dass den Frauen, wenn sie nicht dem Stereotyp eines naiven, unschuldigen, zur Prostitution tückisch verführten Opfers entsprechen, insgesamt - auch von Polizisten, Anklägern und Richtern - wenig Sympathie entgegengebracht wird. Bei Frauen, die schon vorher als Prostituierte gearbeitet haben oder vorhaben, als solche weiterzuarbeiten, oder sich auf ihre eigene Weise wehren, schlägt Mitgefühl nicht selten in Gleichgültigkeit oder gar unverhohlene Ablehnung um.
Bei der Entwicklung eines Verfahrens zur Bekämpfung des Frauenhandels muss man sich grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass es sich hier um Frauen handelt, die viele Gründe haben, sich zu fürchten, und unter starkem Druck stehen. Sie befinden sich in einer überaus schwierigen Situation und haben gelernt, unter unvorhersehbaren und ungewissen Bedingungen zu überleben.
Obwohl eine Abschiebung, selbst eine Rückkehr nach einer Aussage vor Gericht auf den ersten Blick als eine Befreiung aus unerträglichen Machtverhältnissen erscheinen könnte, ist die Realität oft komplizierter. Die Mehrzahl der Frauen hält die Abschiebung oder Rückkehr ungeachtet ihrer schwierigen Situation für eine noch schlimmere Perspektive als das Leben in der Illegalität. Die Frauen versuchen zu überleben, in der Hoffnung, dass es ihnen irgendwann gelingen wird, ihren ursprünglichen Traum zu verwirklichen. Sie sind auf die Angebote der AnwerberInnen ja nur deshalb eingegangen, weil sie sich mit der Situation zu Hause nicht abfinden können.
Wenn sie abgeschoben werden oder nach einer Aussage vor Gericht zurückkehren, kommen sie mit leeren Händen und ohne Geld nach Hause zurück, meist noch mit Schulden, die zu tilgen sie nie imstande sein werden - und meist ohne eine wirkliche Zukunftsperspektive.
Zusammenfassung
Menschen, die sich ohne Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in Deutschland aufhalten und sich auf dem Arbeitsmarkt anbieten, werden in der Regel schlecht bezahlt und schlecht behandelt. Die Gewinne, die von Unternehmern, Arbeitgebern, Bordellbetreibern und Vermittlern erzielt werden, sind ungeachtet hoher Geld- oder anderer Strafen lohnend. Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten, sind, da sie billig sind, aus ökonomischer Sicht interessant und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch gewollt. Sie werden gebraucht.
Solange es keine entsprechenden ausländerrechtlichen Änderungen, arbeitsrechtlichen Regelungen und soziale Maßnahmen gibt, ist den Frauen aus den Ländern Osteuropas, die in Deutschland als Prostituierte arbeiten, der Weg zu einer Arbeitserlaubnis versperrt. Sietske Altink von der Stiftung gegen Frauenhandel in Utrecht/Niederlande charakterisiert den "Frauenhandel" als einen Missbrauch im Prozess der Migration.
Die Lage der Frauen lässt sich insgesamt nur dadurch verbessern, dass die Interessen der betreffenden Frauen in den Blick genommen werden. Die Strategien zur Unterstützung der Frauen (insbesondere auch derjenigen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind) sollten sich darauf konzentrieren, deren Fähigkeit zu stärken, sich in den verschiedenen Stadien des Migrationsprozesses eigenständig entscheiden und gegebenenfalls wehren zu können. So gelingt es den Frauen vielleicht besser, die Kontrolle über ihr Leben zu behalten oder auch zurückzugewinnen. Langfristig benötigen sie reale wirtschaftliche und soziale Alternativen.
Voraussetzung dafür sind vollständige Anerkennung der Prostitution als Arbeit sowie die Einführung arbeitsrechtlicher Mindeststandards. Daraus und darauf können Arbeits- und Aufenthaltsrechte für die Frauen, die hier diesen Arbeiten nachgehen wollen, resultieren bzw. fußen. Die Frauen könnten sich versichern, sie würden Steuern zahlen und könnten gegebenenfalls Anzeige gegen VermittlerInnen, ArbeitgeberInnen, BordellbetreiberInnen und gewalttätige Kunden erstatten - ohne Angst vor Ausweisungen zu haben. Sie wären unabhängiger und somit weniger ausbeutbar. Der Handel mit Frauen würde aus der Grauzone herausgeholt, seine Strukturen wären mithin leichter zu durchschauen. Schließlich müsste - jenseits ideologischer Grenzlinien - über klare Zuwanderungsregelungen sowie über die Formen und die Höhe der Entlohnungen inklusive sozialer Versicherungen nachgedacht und diskutiert werden. Insgesamt bleibt zu hoffen, dass sich ein besserer Umgang mit und eine Entkriminalisierung der Frauen durchsetzt.
Internetverweise der Autorin:
agisra Köln: Externer Link: https://www.e-migrantinnen.de
Bundesweiter KOK: Externer Link: https://www.kok-potsdam.de
Ban Ying: Externer Link: https://www.ban-ying.de
Context: Externer Link: https://www.context-cps.de
Terre des Femmes: Externer Link: https://www.terre-des-femmes.de