Einleitung
Seit einiger Zeit bedient sich die EU eines Instruments mittelbarer Politikabstimmung, bei dem auf Ratsebene Ziele formuliert werden, deren nationalstaatliche Erreichung dann durch ein zumeist indikatorengestütztes transnationales Monitoring gegenseitig überwacht wird.
Im Folgenden sollen Charakteristika sowie Anwendungsbereiche der MOK dargestellt werden. Ferner wird die Entstehung dieser Methode im Kontext der europäischen Arbeitsmarktpolitik der neunziger Jahre nachgezeichnet, wobei auch auf die weiter zurückliegenden historischen Wurzeln dieser Art des Politikmanagements verwiesen werden soll. Aus bundesdeutscher Sicht ist zudem von besonderer Brisanz, was die MOK für die Beteiligungsmöglichkeiten der Länder in EU-Angelegenheiten bedeutet und wie man dort auf diese neue Form supranationaler Politikgestaltung reagiert.
I. Vom Weißbuch "Beschäftigung" zum Gipfel von Lissabon
Die MOK findet de facto in immer mehr Politikbereichen Anwendung. Im Grunde verständigt man sich im Rat auf mitunter recht detaillierte Politikziele, die in einem vorgegebenen Zeitraum erreicht werden sollen. Die Kommission berichtet sodann periodisch auf der Grundlage nationaler Daten über die Einhaltung dieser "Selbstverpflichtungen". Sanktionen bei Nichterfüllung sind in den meisten Fällen nicht vorgesehen. Ihre verblüffende Dynamik schöpft die MOK aus dem psychologischen Element der gegenseitigen Zielerreichungsüberprüfung durch die Ratsmitglieder. Den europäischen Partnern scheint es ganz einfach unangenehm, ihr Land beim "Benchmarking" im Leistungsvergleich im unteren Drittel einer Rangliste zu sehen.
Die MOK wurde im Kontext der Initiativen zur Europäischen Beschäftigungsstrategie in den neunziger Jahren entwickelt. Als Ausgangspunkt ist das "Weißbuch Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" aus dem Jahre 1993 der Europäischen Kommission zu sehen, das auch als das Vermächtnis des damaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors gilt. Delors wollte damit an den Erfolg des Weißbuchs, mit dem Mitte der achtziger Jahre das Binnenmarktprogramm auf den Weg gebracht wurde, anknüpfen. Ganz anders als damals war die Europäische Union Anfang der neunziger Jahre integrationspolitisch aber schon längst wieder in der Defensive. Der Maastrichter Ratifikationsprozess war durch die dänische Ablehnung ins Stocken geraten, und die europaweit steigende Arbeitslosigkeit ließ die Frage aufkommen, warum der strikte monetäre Stabilitätsfokus der Union nicht durch wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen auf europäischer Ebene ergänzt werde.
Hier setzte Delors Weißbuch an. Allerdings gab es auf der Ebene der Union keine Handhabe, tatsächlich koordinierend auf Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitiken der Mitgliedstaaten einzuwirken. Angesichts der machtpolitischen Verhältnisse innerhalb der Union, in der zu dieser Zeit überwiegend konservative Parteien Regierungsverantwortung trugen, war eine entsprechende Übertragung von Kompetenzen auf die supranationale Ebene in naher Zukunft realistischerweise auch nicht zu erwarten. Daher musste sich das Weißbuch notgedrungen auf eine "klare Analyse der Stärken und Schwächen der europäischen Ökonomien"
Mit dem weiteren Ansteigen der Arbeitslosigkeit wuchs allerdings auch der Handlungsdruck auf die Regierungen, und einmal auf der europäischen Tagesordnung war der "gemeinsame Kampf" gegen die Arbeitslosigkeit nicht mehr ohne weiteres "renationalisierbar" - zumal das Weißbuch keine Harmonisierung einforderte, sondern konkrete Politikvorschläge machte, wie die Arbeitslosigkeit am besten zu bekämpfen sei.
Auf dem folgenden Europäischen Rat in Essen waren die Diskussionen so weit fortgeschritten, dass insgesamt fünf Prioritäten nationaler Beschäftigungspolitik formuliert wurden.
Diese Vorgaben wurden auf dem Luxemburger Gipfel im Dezember 1997 zunächst noch etwas präzisiert.
II. MOK und ihre historische Wurzeln
Angesichts der Dynamik, die von MOK ausgeht, erstaunt es nicht, dass sich die akademische Forschung diesem Phänomen intensiv zuwendet.
Diese Evaluierungskultur blieb aber während der kommenden Jahre auf den angelsächsischen Raum begrenzt und hat sich erst im Laufe der achtziger Jahre über internationale Organisationen wie die Weltbank und die OECD auch in Kontinentaleuropa etablieren können.
Nachdem also die Europäische Union in der Post-Maastricht-Phase politisch immer mehr unter Druck geriet, wuchsen gleichzeitig insbesondere innerhalb der Kommission die Bemühungen, Zielerfüllung und Effizienz der Gemeinschaftsprogramme durch Evaluierungen wissenschaftlich oder bürokratisch zu belegen.
Das ist ohne Zweifel ein schwerfälliger und aus europäischer Perspektive risikoreicher Ablauf, bei dem die Programmverantwortung sogar zumeist auf der Gemeinschaftsebene lastet. Bei der MOK werden ganz im Sinne der Maxime der "Output-Steuerung" die Programmziele gemeinsam festgelegt, den Mitgliedstaaten die Ausarbeitung des Weges dorthin aber grundsätzlich freigestellt. Die Partner verpflichten sich allerdings, die notwendigen Daten, die für das europaweite Monitoring notwendig sind, kontinuierlich zu liefern. Da diese Messzahlen zuvor verbindlich festgelegt werden, ist es genau diese Vergleichsübung, das so genannte Benchmarking, das die einzelnen Regierungen motiviert, innerhalb einer gewissen Bandbreite in die gleiche Richtung zu gehen bzw. auf "ein gemeinsames Ziel" hinzuarbeiten. Notorische Schwachstellen bei der Umsetzung von Politikprogrammen im europäischen Mehrebenensystem, insbesondere bei der Umsetzung und Implementationskontrolle, können damit neutralisiert werden - zumal die Ressourcenverantwortung ganz in der Handlungsautonomie des einzelnen Mitgliedstaates bleibt. Kein "goldener Zügel" supranationaler Finanzierung nationaler Projekte wird zur Erreichung einer europäischen Konvergenz benötigt. Dennoch bewegen sich die Mitgliedstaaten auf ein gemeinsam definiertes Ziel zu.
Zentrale Steuerung ist also machbar, wenn auch im Zentrum der Gemeinschaftswille der Regierungen der Mitgliedstaaten steht. Wer allerdings nicht mit am europäischen Tisch sitzt, und das mögen das Europäische Parlament, nationale Parlamente, Regionen oder auch sonstige gesellschaftliche Interessengruppen sein, der muss die so zustande gekommenen Entschlüsse als zentralistische Vorgaben empfinden, an deren Entstehung er nicht oder nur unzureichend beteiligt wurde.
III. MOK in der EU-Praxis
In Lissabon wurde MOK als ein systematischer Vergleich nationaler Initiativen in Verbindung mit den entsprechenden Kommissionsinitiativen definiert.
Die verschiedenen MOK, die derzeit im Kontext europäischer Initiativen Anwendung finden, können grundlegend in MOK mit oder ohne Leitlinienprozess unterschieden werden. Wie oben geschildert, wurde der Leitlinienprozess im Kontext der europäischen Beschäftigungsinitiativen zwischen Maastricht und Luxemburg geprägt. Er wurde dann durch den Amsterdamer Vertrag in Artikel 128 EG-Vertrag fixiert. Demnach prüft der Europäische Rat anhand eines Jahresberichts des Rates die Beschäftigungssituation in der Gemeinschaft und nimmt hierzu Schlussfolgerungen an. Anhand dieser Schlussfolgerungen legt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments, des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen mit qualifizierter Mehrheit Leitlinien fest, welche die Mitgliedstaaten in ihrer Beschäftigungspolitik zu berücksichtigen haben. Die Mitgliedstaaten berichten über die Maßnahmen, die sie hierzu ergreifen. Der Rat prüft diese Berichte und kann auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit Empfehlungen an diese richten, ihre Politik zu ändern. Rat und Kommission erstellen auf Basis der Ergebnisse dieser Berichte und deren Prüfung einen gemeinsamen Jahresbericht an den Europäischen Rat, und der Zyklus kann von neuem beginnen.
MOK hat also im Rahmen der Beschäftigungspolitik eine belastbare Rechtsgrundlage. Problematisch wird es allerdings, wenn über die eigentliche Beschäftigungspolitik hinaus den Mitgliedstaaten weitere Vorgaben gemacht werden. MOK mit Leitlinienprozess, aber ohne entsprechende Vertragsgrundlagen gibt es beispielsweise bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung
MOK wird aber auch ohne einen umfassenden Leitlinienprozess angewandt, so beim Arbeitsschutz,
IV. MOK und die deutschen Länder
Die MOK trifft in den Mitgliedstaaten der EU keineswegs auf ein ungeteiltes positives Echo. In der Bundesrepublik äußerte sich vor allem der Bundesrat dann kritisch zur MOK, wenn diese im Zusammenhang mit einem Leitlinienprozess - wohlgemerkt außerhalb der Europäischen Beschäftigungspolitik - stand. Dabei wird in allen Bundesratsentschließungen die Notwendigkeit eines Austauschs von Informationen und Erfahrungen zwischen den Mitgliedstaaten begrüßt, sofern es darum geht, Probleme von europäischer Dimension zu lösen.
So forderte der Bundesrat bereits 1995 in seiner Entschließung zur Vorbereitung der Regierungskonferenz eine klarere Kompetenzabgrenzung: "Ziel muss eine stärkere Durchsetzung der Subsidiarität als Regel für die Verteilung und für die Ausübung von Kompetenzen sein."
Der europäische Integrationsprozess vollzog sich schon vor der Anwendung der MOK ungeachtet der Frage, ob Hoheitsrechtsübertragungen Kompetenzbereiche des Gesamtstaates oder auch solche regionaler Untergliederungen betrafen.
V. MOK und die Zukunft der EU
Die MOK ist Ausdruck eines steigenden Bedarfs an flexiblen Gestaltungsprozeduren auf europäischer Ebene, die ein Höchstmaß an Effizienz mit größtmöglicher Schonung nationaler Handlungsautonomie verbinden wollen.
Auch der gegenwärtig tagende Konvent zur Zukunft der Union will MOK in die künftige Verfassung aufnehmen. MOK wird von der Mehrheit als "gegenseitiges Feedback für die Planung, Prüfung, den Vergleich und die Anpassung der (Sozial-)Politik der EU-Mitgliedstaaten auf der Grundlage gemeinsamer Ziele"
Das ändert aber nichts daran, dass die MOK als "sanfte Art gemeinschaftlicher Politikgestaltung" kurzfristig zu einer nach klassischem Verständnis demokratietheoretisch bedenklichen Ausweitung horizontaler Verflechtungsstrukturen führen wird. Wie aus der Entwicklung des deutschen Föderalismus hinlänglich bekannt, führt dies unter Legitimationsgesichtspunkten zu einer weiteren Verlagerung der Politikgestaltungskompetenz auf die Exekutive. Parlamente und regionale Gliederungen verlieren - gerade weil auf Lernprozesse außerhalb der Verträge abgestellt wird - weiter an Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltungsbedingungen europäischer Politik, die sie aber nach wie vor ausführen und im Falle der Bundesrepublik auch gegenüber ihren Bürgern verantworten müssen. Mit anderen Worten: Wer nicht unmittelbar am Ratstisch sitzt und die Gelegenheit hat, Entscheidungen dort mitzuformen, wird sich der Erosion seiner Gestaltungsmacht mittel- und langfristig kaum entziehen können. Die dahinter zum Vorschein kommende Tendenz zur Zentralisierung von EU-Politikgestaltung ist aber nicht die eines gewaltengeteilten europäischen Superstaates, sondern die der fusionierten Exekutiven, wobei der Kommission als Exekutive der Union eine besondere Rolle zufällt. Erhöhung der Transparenz, Abbau des demokratischen Defizits und Öffnung der Union für politische Deliberation werden auf diese Weise sicherlich nicht befördert. MOK ist vielmehr ein technokratisches Instrument zur gemeinsamen Produktion von Politikprogrammen und wird vornehmlich über vorzuweisende Politikergebnisse legitimiert. Da es sehr unwahrscheinlich ist, dass MOK ihre Anziehungskraft auf die Europapolitiker in nächster Zeit verlieren wird, sind nun dringend die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten über den Einsatz dieses Instrumentes zu erhöhen.