I. Einleitung
Helmut Schmidt bezeichnete die Europäische Gemeinschaft einst als wirtschaftlichen Riesen, aber politischen Zwerg. Um aus diesem einen weltpolitisch handlungsfähigen Akteur zu machen, verständigten sich der damalige Bundeskanzler und der französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing Anfang der achtziger Jahre darauf, die bilaterale Zusammenarbeit auf den Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auszudehnen. Diese Kooperation sollte in einen Vertrag über eine deutsch-französische Militärallianz münden.
Der Plan, der an der Wahlniederlage Giscards im Mai 1981 scheiterte, stand ebenso wie die darauf folgenden Initiativen zur Wiederbelebung der Sicherheits- und Verteidigungskooperation ganz in der Tradition des Elysée-Vertrages von 1963. All diese Initiativen stießen jedoch dort an ihre Grenzen, wo sie mit der Logik des internationalen Systems kollidierten. So hatte Charles de Gaulle bereits in der ersten Hälfte der sechziger Jahre erfolglos versucht, seine europäische Konzeption durchzusetzen - ein Entwurf, der Westeuropa einen größeren Handlungsspielraum in der Weltpolitik eröffnen sollte und mit der Vision eines Europas der Vaterländer vom Atlantik bis zum Ural langfristig auf die Überwindung der europäischen und damit auch der deutschen Teilung zielte.
De Gaulles Konzept - dem sich auch seine Nachfolger zumindest bis zu einem gewissen Grad verpflichtet fühlten - scheiterte, weil es der bipolaren Struktur des Ost-West-Konflikts entgegenstand. In diesem Konflikt war Frankreich zugleich Konfliktpartei und Teil der Konfliktstruktur, die seinen sicherheits- und verteidigungspolitischen Spielraum bedingte und begrenzte. Daran änderte auch die unabhängige Nuklearstreitmacht nichts, die doch mit dem erklärten Ziel aufgebaut worden war, diese Struktur zu überwinden.
Für Deutschland stellte die französische Konzeption unter den bestehenden internationalen Bedingungen nie eine Alternative dar. Aufgrund der prekären weltpolitischen (Grenz-)Lage der Bundesrepublik war die Einbindung in die transatlantische Sicherheitsgemeinschaft stets das unumstrittene Ziel deutscher Politik. Dies bedeutete allerdings auch, dass für sie die Option der Nichtteilnahme an der gemeinsamen Verteidigung im NATO-Rahmen theoretisch wie praktisch ausgeschlossen blieb.
Mit dem weltpolitischen Umbruch zu Beginn der neunziger Jahre haben sich für Deutschland und Frankreich jedoch neue Handlungsspielräume eröffnet. Sie nutzten diese kontinuierlich für gemeinsame Initiativen zur Stärkung der sicherheits- und verteidigungspolitischen Eigenständigkeit Europas.
Ob mit diesem neuerlichen deutsch-französischen Vorstoß ein unumkehrbarer Prozess in Richtung auf eine dauerhafte europäische Zusammenarbeit eingeleitet worden ist, sei allerdings dahingestellt. Die Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 lässt jedenfalls Zweifel daran aufkommen: Der Krieg gegen den internationalen Terrorismus wird nationalstaatlich geführt - ohne Beteiligung der die Nationen überwölbenden Institutionen. Dies gilt für die NATO, die zwar bereits zwei Tage nach den Anschlägen den Bündnisfall ausrief, aber seither nur eine Nebenrolle spielt. Dies gilt ebenso und vor allem für die Europäische Union. Nicht die EU, sondern ihre Mitgliedstaaten beteiligen sich an der UN-Friedenstruppe für Afghanistan. Die viel gepriesenen EU-Krisenstreitkräfte sind noch nicht vorhanden. Ob sie jemals zum Einsatz gelangen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar.
Mit dem 11. September, der geradezu eine Renaissance des Nationalstaates zur Folge hatte, rückt ein Sachverhalt in den Blickpunkt, der in der Diskussion um die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU bisher nur wenig Beachtung gefunden hatte: Zwischen Deutschland und Frankreich besteht zwar mittlerweile Konsens über die Natur der sicherheitspolitischen Gefährdungen, denen Europa heute ausgesetzt ist.
Deutschland und Frankreich diskutieren gegenwärtig nur über die Instrumente und Institutionen, nicht aber über die Ziele einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Soll Europa künftig auf internationaler Ebene als Zivilmacht agieren, weil es aufgrund seiner spezifischen Gegebenheiten nicht zur traditionellen Großmacht taugt?
II. Die Europäische Union zwischen strategischer Eigenständigkeit und transatlantischer Einbindung
Weitgehend ungeklärt ist in beiden Ländern bislang die Frage, wie sich eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in die transatlantischen Strukturen einordnen lässt. So wiederholen französische Vertreter zwar stets gebetsmühlenartig, dass die NATO und damit das amerikanische Engagement für die Sicherheit Europas auch in Zukunft unverzichtbar bleibt.
1. Frankreich: Strategische Autonomie Europas
Von der NATO weitgehend unabhängige Strukturen sind aus französischer Sicht notwendig geworden, weil die Sicherheitsinteressen der USA und Europas mit dem Wegfall der gemeinsamen Bedrohung nicht mehr überall und zu jedem Zeitpunkt identisch sein müssen. Deshalb solle Europa allmählich in die Lage versetzt werden, seine sicherheitspolitischen Interessen eigenständig, notfalls auch ohne die Zustimmung der Vereinigten Staaten zu verfolgen.
Das Ziel einer eigenständigen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurde und wird in Paris jedoch zuerst und vor allem mit der Logik des europäischen Integrationsprozesses begründet. Die angestrebte Wirtschafts- und Währungsunion müsse notgedrungen ein Torso bleiben, wenn sie nicht auf lange Sicht um eine Politische Union - mit weit reichenden sicherheits- und verteidigungspolitischen Kompetenzen - ergänzt werde. So betonte Staatspräsident Jacques Chirac in einer Rede vor dem Institut des Hautes Etudes de Défense Nationale (IHEDN) im Mai 2000, dass Europa als Wertegemeinschaft und Weltmacht nur dann wahrgenommen werden könne, wenn es seine Werte und Interessen notfalls auch militärisch verteidige.
Die Herausbildung eines europäischen Machtpols heißt für Frankreich jedoch keineswegs Verzicht auf jegliches US-Engagement in Europa, sondern lediglich Herstellung von Symmetrie - einer Struktur also, in der für eine amerikanische Führungsposition kein Platz mehr ist und keiner der beiden Partner ohne Zustimmung des anderen auf die wichtigsten Fragen der internationalen Politik Einfluss nehmen soll.
Wie stark die Tendenz zu einem einseitigen Vorgehen in der US-Politik mittlerweile ausgeprägt ist, hat Frankreich im Verlauf des "Krieges gegen den Terror" schmerzlich erfahren müssen. So beklagten sich die militärischen Planer in Paris nicht nur über die mangelnde Abstimmung bei der Zielplanung der gemeinsamen Operation in Afghanistan.
Für die französische Politik der frühen neunziger Jahre war zunächst das Streben handlungsbestimmend gewesen, die Rolle der NATO und damit das europäische Engagement der Vereinigten Staaten drastisch einzuschränken. So hatte sich Paris energisch jeder Funktionsausweitung des Bündnisses widersetzt und entsprechende Entwicklungen zu konterkarieren versucht, indem es die Westeuropäische Union (WEU) systematisch als Konkurrenzinstitution förderte.
Diese latente Sorge hat inzwischen neue Nahrung erhalten: Weil Frankreich anders als Deutschland eine Beteiligung an einem möglichen Waffengang gegen den Irak nie ausgeschlossen hat, sorgte das kategorische "Nein" der Bundesregierung in Paris für erhebliche Irritationen. So kritisierte der neu gewählte Vorsitzende der bürgerlichen Union pour un Mouvement Populaire (UMP), Alain Juppé, Ende September 2002 in einer Rede vor der CDU/CSU-Fraktion, "dass das von Gerhard Schröder verteidigte Disengagement Europa und die Suche nach einer gemeinsamen Haltung auf der internationalen Bühne schwächt"
Angesichts derartiger "incertitudes allemandes" hatte Frankreich - aus der Not eine Tugend machend - seit Mitte der neunziger Jahre immer wieder nach Optionen gesucht, um die deutsch-französische Verteidigungskooperation in ihrer Bedeutung für die europäische Entwicklung zu relativieren. Zeitweilig rückte Großbritannien in den Blickpunkt.
Die französische Haltung in der jüngsten Irak-Krise belegt dies: Einseitige Initiativen, gestützt auf die traditionell guten Beziehungen Frankreichs zum arabischen Raum, hätten angesichts der unzureichenden machtpolitischen Fundierung nur wenig Aussicht auf Erfolg gehabt. Die Alternative, nämlich eine Europäisierung der französischen Politik, ist angesichts der bestehenden Kakophonie der EU-Mitglieder in Bezug auf den Nahen und Mittleren Osten ebenfalls wenig realistisch. Aus dieser Perspektive kann es nicht überraschen, dass die jüngste Irak-Resolution des UN-Sicherheitsrates in Paris nicht nur mit großer Genugtuung aufgenommen, sondern von politischen Beobachtern auch als ein "französisch-amerikanischer Sieg" gefeiert worden ist.
Der offenkundige proatlantische Kurswechsel Mitte der neunziger Jahre und die Zusammenarbeit mit Washington in der Irak-Frage bedeuten freilich nicht, dass Frankreich endgültig dem Ziel abgeschworen hätte, die Rolle der NATO und den Einfluss der USA in Europa zu relativieren. Nach wie vor steht der Aufbau einer weitgehenden strategischen Autonomie Europas unter Einschluss Deutschlands auf der sicherheitspolitischen Agenda Frankreichs. Dies haben alle Regierungen - seien sie bürgerlicher oder sozialistischer Couleur - in öffentlichen Erklärungen und schriftlichen Beiträgen immer wieder klar und deutlich dokumentiert.
Das Festhalten an eigenständigen europäischen Strukturen zeigt sich aber auch und vor allem an der seit Frühjahr 1997 stagnierenden Wiederannäherung Frankreichs an die Allianz und an der Ablehnung des von den USA favorisierten Konzepts der Combined Joint Task Forces (CJTF), das auf die Stärkung der militärischen Handlungsfähigkeit der europäischen Bündnispartner zielt. Damit sollen "trennbare, aber nicht getrennte militärische Fähigkeiten entstehen", die es der Europäischen Union erlauben, überall dort militärisch einzugreifen, wo die Vereinigten Staaten nicht handeln wollen oder können. Weil Frankreich bei einer konsequenten Realisierung des CJTF-Konzepts eine weitgehende Degradierung der EU zum Subunternehmer der NATO befürchtet, besteht es bis zum heutigen Tag hartnäckig auf einer echten europäischen Entscheidungsautonomie in allen Krisenfällen jenseits der kollektiven Verteidigung.
Daran ändert auch die Zustimmung zu der auf dem NATO-Gipfel Ende November 2002 in Prag beschlossenen Schnellen Eingreiftruppe nur wenig. Staatspräsident Chirac hat bei dem Treffen unmissverständlich klargestellt, dass "diese Truppe nach den Modalitäten entwickelt werden [muss, d. Verf.], die mit den Verpflichtungen, die einige von uns im Rahmen der Europäischen Union eingegangen sind, vereinbar sind. Die Bestandteile der Truppe sollten der EU oder der NATO ohne Ersteinsatzrecht zur Verfügung gestellt werden können. Wir haben auch klargemacht, dass wir uns an dieser Truppe beteiligen werden, wenn sie nach den Modalitäten entwickelt wird, die mit den Engagements der EU von Helsinki übereinstimmen, und wenn sie den Status unserer Kräfte gegenüber der integrierten Verteidigungsstruktur einhält"
In letzter Konsequenz läuft Frankreichs Forderung nach einer deutlich sichtbaren europäischen Eigenständigkeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik also auf eine Duplizierung von NATO- und EU-Strukturen und damit auf eine erhebliche Relativierung des Bündnisses und des amerikanischen Engagements in allen europäischen Sicherheitsangelegenheiten hinaus. Bislang konnte sich Frankreich mit dieser Position gegenüber dem deutschen Partner jedoch nicht durchsetzen.
2. Deutschland: Europäische Strukturen als Ergänzung zur NATO
Anders als Paris verbindet Berlin mit den Initiativen zur Stärkung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zunächst nur die mittelfristige Zielsetzung, europäische Handlungsfähigkeit zu ermöglichen, wenn dieses im transatlantischen Kontext nicht bzw. noch nicht möglich ist oder geboten erscheint. Aus dieser Perspektive wird die Stärkung der europäischen Eigenständigkeit nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zur NATO und zum amerikanischen Engagement in Europa verstanden.
Gleichwohl war auch die deutsche Sicherheitspolitik hinsichtlich einer strategischen Autonomie Europas in der Vergangenheit nicht frei von Widersprüchen: So hatte die unionsgeführte Bundesregierung mit der Unterschrift unter die Petersberger Erklärung vom 16. Juni 1992 die oben beschriebenen, eher begrenzten sicherheits- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen relativiert. Denn bei dem Petersberger Treffen wurde nicht zuletzt auf Drängen Frankreichs eine regionale Entgrenzung der militärischen Aktivitäten der WEU durchgesetzt und diese - zumindest auf deklaratorischer Ebene - der NATO im Hinblick auf die kollektive Verteidigung gleichgestellt.
Unter dem Eindruck des Kosovo-Krieges hat auch Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Rede vor der Nationalversammlung in Paris am 30. November 1999 das französische Konzept "Europe-puissance" für den Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausdrücklich begrüßt.
Ob dieses klare Bekenntnis für die deutsche Sicherheitspolitik "realpolitisch bestimmend werden kann"
III. Zur Bedeutung militärischer Macht in der deutschen und französischen Sicherheitspolitik
Die konzeptionellen Vorstellungen, die Deutschland und Frankreich in den vergangenen Jahren zur künftigen institutionellen Ausgestaltung der transatlantischen und europäischen Sicherheitspolitik entwickelt haben, finden ihre Entsprechung in den militärischen Planungen beider Länder - allerdings mit deutlich unterschiedlichem Akzent.
1. Frankreich: Globale Einsatzfähigkeit
Schon bald nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hatten die Verantwortlichen in Paris erkannt, dass militärische Operationen in Zukunft nicht im Bereich der kollektiven Verteidigung, sondern der Krisenintervention stattfinden würden. Die französische Militärpolitik hatte sich daher seit Beginn der neunziger Jahre konsequent an den Bedürfnissen des militärischen Krisenmanagements orientiert und die Modernisierung der konventionellen Streitkräfte vorangetrieben. Kern dieser Reformen war die bereits Mitte der achtziger Jahre eingeleitete Zweiteilung der französischen Landstreitkräfte in schwere Verbände für die Verteidigung Frankreichs und schnelle Eingreiftruppen für Kriseneinsätze innerhalb und außerhalb Europas; deren Auf- und Ausbau sollte eindeutig zu Lasten der Verteidigungskräfte gehen.
Mit seiner Entscheidung vom Februar 1996, eine neue Wehr- und Streitkräftestruktur einzuführen, hat Staatspräsident Chirac diese Überlegungen konsequent weiterentwickelt. Im Zentrum steht die Abschaffung der Wehrpflicht sowie die Absicht, die Streitkräfte in einer Größenordnung von 50 000 bis 60 000 Soldaten mit einer globalen Projektionsfähigkeit auszustatten. Damit sollen sie in die Lage versetzt werden, eine größere Intervention mit 30 000 Mann für die Dauer von bis zu einem Jahr ohne Verlängerung der Einsatzzeit oder bei nur geringfügiger Rotation (ca. 5 000 Mann) durchführen zu können. Darüber hinaus sollen zusätzlich 5 000 Soldaten für länger andauernde Missionen zur Verfügung stehen, was ein operatives Minimum von 15 000 Mann für derartige Einsätze erforderlich macht.
Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der angekündigten Reformen wurden allerdings sehr schnell deutlich: Zum einen hätte ein solcher Eingreifverband zu großen Teilen aus den nach dem Jahr 2002 noch verbliebenen Heeressoldaten gestellt und dafür ein Drittel der gesamten Heeresstärke reserviert werden müssen;
Dieser negative Trend hätte sich vermutlich im Jahr 2002 fortgesetzt. Unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September hat sich bei den politisch und militärisch Verantwortlichen in Paris jedoch sehr schnell die Auffassung durchgesetzt, dass auch die großen europäischen Staaten unmittelbar durch den internationalen Terrorismus bedroht sind. Entsprechend sieht die revidierte Programmplanung 2003 bis 2008 vor, dass die Streitkräfte kurzfristig die Fähigkeit zu operativen Schlägen in die Tiefe erlangen;
2. Deutschland: Zurückhaltung gegenüber militärischer Krisenreaktion
Demgegenüber wird der deutsche Beitrag für die militärische Krisenreaktion - allen Bemühungen und Ankündigungen der Bundesregierung zum Trotz - eher gering ausfallen. Nach Aussage des ehemaligen Generalinspekteurs Harald Kujat wird Deutschland mittelfristig allenfalls in der Lage sein, sich in einer Größenordnung von 10 000 Soldaten an entsprechenden Operationen zu beteiligen.
Die Konsequenzen dieser Unterfinanzierung betreffen nicht nur die Bundeswehr selbst, sondern haben auch unmittelbare Auswirkung auf die sicherheitspolitischen Ziele der EU. Denn für das beschlossene europäische Eingreifkorps müssen neben moderner Informationstechnik und ebensolchen Kommunikationsmitteln auch und vor allem Transportkapazitäten beschafft werden. Bundeskanzler Schröder hatte deshalb im Juni 2000 beim deutsch-französischen Gipfeltreffen in Mainz zugesagt, dass Deutschland 73 Flugzeuge des gemeinsamen Beschaffungsprojekts "Future Large Aircraft" bestellen wird. Noch im Januar 2002 hat der Bundestag trotz der bestehenden Haushaltsengpässe beschlossen, an dieser Zahl festzuhalten. In der Haushaltsdebatte am 5. Dezember 2002 verkündete jedoch Verteidigungsminister Peter Struck, dass die Anzahl der Transportflugzeuge vom Typ A 400M, welche die Bundeswehr bis 2008 erhalten soll, auf insgesamt 60 reduziert wird.
Die quantitative Beschränkung des deutschen Beitrags zum militärischen Krisenmanagement ist jedoch nicht ausschließlich auf budgetäre Zwänge zurückzuführen, sondern bis zu einem gewissen Grad - wie oben gesehen - auch politisch gewollt; die deutschen Reaktionen auf Chiracs Entscheidung für eine Berufsarmee machten dies deutlich. So hatte der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe erklärt, dass die Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik größer würden. Während Frankreich auf weltweite Kräfteprojektion setze, bleibe die Landes- und Bündnisverteidigung die zentrale Aufgabe der Bundeswehr.
Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat diese Position insbesondere in den vergangenen Monaten schrittweise aufgegeben und ihre Prioritäten zunehmend zugunsten des militärischen Krisenmanagements gesetzt.
Nicht zuletzt mit Blick auf die damals mangelnde innenpolitische Akzeptanz der Afghanistan-Operation hat die Bundesregierung daher in einer Protokollerklärung ihres Antrags vom 7. November 2001 ausdrücklich festgestellt, dass die "letztendliche Entscheidung über den konkreten Einsatz der bewaffneten deutschen Streitkräfte ausschließlich bei der Bundesregierung" liegen wird. Damit wird aber das zugunsten einer deutschen Beteiligung angeführte Argument der Bündnis- und Europafähigkeit Deutschlands bis zu einem gewissen Grad konterkariert. Denn "trotz prinzipieller Übereinstimmung werden sich die deutschen Interessen nicht in jedem Einzelfall mit den Interessen der Verbündeten und anderer Partner decken".
Dieses Problem ist mit der Entscheidung der Bundesregierung, deutsche Truppen zur Unterstützung der US-Operation in Afghanistan bereitzustellen, keinesfalls gelöst. Trotz der von Bundeskanzler Schröder erklärten "uneingeschränkten Solidarität" mit den USA werden in der deutschen Debatte um die Ereignisse des 11. September 2001 deutlich andere Akzente gesetzt als in den Vereinigten Staaten und auch in Frankreich. Während die Attacke auf das World Trade Center in Deutschland zuerst und vor allem als Terrorakt interpretiert wird, betonen amerikanische Beobachter vornehmlich die strategische Dimension: Die Anschläge werden als Teil einer weltweiten Auseinandersetzung zwischen fundamentalistischen Kräften und den USA sowie ihren Verbündeten gesehen, die auch gravierende Implikationen für die internationale Stabilität besitzt. Dass der Sinn militärischer Maßnahmen entsprechend unterschiedlich gewichtet wird, leuchtet unmittelbar ein.
Zudem wird die deutsche Politik - und zwar gleich welcher politischen Couleur der Regierung - ungeachtet der Beteiligung deutscher Streitkräfte am Kampf gegen den Terrorismus auch in Zukunft einer sicherheitspolitischen Kultur verpflichtet sein, die eher auf Prävention und diplomatische Konfliktregulierung setzt als auf militärische Mittel. Das kategorische "Nein" der Bundesregierung zu einem möglichen gemeinsamen Waffengang gegen den Irak belegt dies und ist eben nicht ausschließlich mit wahltaktischen Überlegungen von Bundeskanzler Schröder zu erklären. Eine solche Position birgt aber auch die Gefahr einer "Absage an unsere europäischen und atlantischen Überzeugungen, keine deutschen Alleingänge mehr zu beschreiten"
Wie diese offenkundige Diskrepanz zwischen dem Anspruch, die Mitwirkung an internationalen Militäreinsätzen unter nationalen Vorbehalt zu stellen, und der quasi bedingungslosen Einordnung in integrierte transatlantische oder europäische Militärstrukturen überwunden werden kann, ist derzeit noch nicht absehbar. Weil die multinationale Einbindung deutscher Streitkräfte für die Bundesrepublik auch und vor allem symbolischen Wert besitzt und sich nicht allein an militärisch-operativen Notwendigkeiten nach dem Ende des Ost-West-Konflikts orientiert, läuft die deutsche Sicherheitspolitik Gefahr, zum Verfall gerade der multilateralen Sicherheitsstrukturen beizutragen, derer sie zum Erhalt der eigenen Sicherheit so dringend bedarf.
IV. Schlussfolgerungen
Wie nimmt sich im Lichte dieser Analyse die eingangs gestellte Frage nach der Tragfähigkeit der Europäisierungstendenzen auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus? Kann von den jüngsten deutsch-französischen Initiativen ein wirklicher Impuls ausgehen, und können Deutschland und Frankreich auch in diesem höchst sensiblen Bereich eine europäische Führungsfunktion übernehmen? Diese Fragen lassen sich nicht mit einem klaren "Ja" oder "Nein" beantworten.
Dass sowohl Deutschland als auch Frankreich keine Alternative zu einer multilateralen Sicherheitskooperation sowie einer schrittweisen Übertragung von Souveränitätsrechten sehen und ein prinzipieller Konsens im Hinblick auf die veränderten außen- und sicherheitspolitischen Gefährdungen besteht, ist unbestritten. Entscheidend ist aber die Frage, was diese veränderten Risiken für die nationalen Sicherheitsinteressen in Deutschland und Frankreich bedeuten und welche Konsequenzen sie daraus auf konzeptioneller und operativer Ebene ziehen. Trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten besteht hierüber zwischen Deutschland und Frankreich ein tief greifender Dissens. Geographisch unterschiedlich gelagerte Sicherheitsinteressen und vor allem die uneinheitliche Bewertung der Legitimität von militärischer Macht werden sich aller Voraussicht nach als kritische Größen erweisen. Zwar können sich beide Länder in offiziellen Dokumenten sehr schnell darauf verständigen, dass Europa künftig in der internationalen Politik als Zivil- und Militärmacht auftreten und Konfliktprävention - in Form einer aktiven Stabilisierungspolitik und militärischen Krisenmanagements - die tragende Säule einer gemeinsamen Sicherheitsstrategie sein müsse. Auf die Frage, wie dabei das Mischungsverhältnis zwischen militärischen und nichtmilitärischen Elementen aussehen sollte, haben Berlin und Paris allerdings bisher keine überzeugende Antwort gefunden. Eine Sicherheitspolitik, die insbesondere in Deutschland (aber auch in Frankreich) an dem Ziel einer umfassenden internationalen Stabilität unter Einschluss militärischer Instrumente festhält, könnte zunehmend kollidieren "mit dem unkontrollierten Einbrechen demokratischer Öffentlichkeit in die Außenpolitik, was den demokratischen Regierungen das konsequente Durchhalten einer Perspektive immer schwieriger, wenn nicht gar unmöglich macht"
Aus dieser Perspektive wird die deutsch-französische Verteidigungskooperation ihre privilegierte Bedeutung für die weitere europäische Entwicklung vermutlich verlieren. Sie wird aber keinesfalls durch eine französisch-britische Zusammenarbeit ersetzt werden können, weil eben nur Deutschland und Frankreich in vollem Umfang am europäischen Einigungsprozess beteiligt sind.
Vor diesem Hintergrund ist selbst für eine Kerngruppe - bestehend aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien - ein weiter gehender Souveränitätsverzicht, der Europa aus seiner selbst verschuldeten sicherheitspolitischen Unmündigkeit herausführen könnte, nur schwer vorstellbar. Mehrheitsentscheidungen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden sich in absehbarer Zukunft nicht durchsetzen lassen. Die deutsch-französische Zusammenarbeit sollte sich daher künftig weniger darauf konzentrieren, die ESVP zu einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion weiterzuentwickeln. Diese ist ein Ziel, das allenfalls auf lange Sicht realisierbar erscheint. Beide Länder sollten vielmehr - wie in dem gemeinsamen Vorschlag an den Europäischen Konvent vorgesehen - ihre konkrete militärische und rüstungspolitische Zusammenarbeit verbessern. Hier liegt mittelfristig die wirkliche Chance für ein erfolgreiches deutsch-französisches Zusammenwirken im Dienste Europas. Die weiterführende Perspektive einer Europäischen Union, die sich auch sicherheitspolitisch in das Konzept der Multipolarisierung und kooperativen Balance gegenüber den Vereinigten Staaten einfügen soll, bleibt hingegen zwischen beiden Partnern umstritten. Mit Ausnahme Frankreichs ist sie derzeit in der europäischen Politik nicht handlungsbestimmend, und es spricht nur wenig dafür, dass sich dies - trotz aller gut gemeinten bilateralen Initiativen - in absehbarer Zeit ändern wird.