Einleitung
Ist der Staat machtlos gegenüber Globalisierung? Hat Globalisierung positive oder negative Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Wohlstand? In der öffentlichen Debatte gehen die Ansichten zu diesen Fragen weit auseinander. Auch im Abschlussbericht der Enquete-Kommission des Bundestages zum Thema "Globalisierung der Weltwirtschaft" konnte wenig Gemeinsamkeit erreicht werden. Die Antworten blieben parteipolitisch geprägt, dem Mehrheitsvotum stehen mehrere Minderheitenvoten gegenüber: Auf der einen Seite wird vor der Macht großer Konzerne gewarnt, die den Spielraum von Staaten einengen würde. Auf der anderen Seite werden wachsender Wohlstand, stärkerer Wettbewerb und die Schaffung neuer Arbeitsplätze mit der Globalisierung verbunden.
Die politikwissenschaftliche Diskussion über Globalisierung ist von zwei Positionen geprägt: Eine Gruppe von Autoren argumentiert, dass der Staat durch Globalisierung geschwächt sei, da seine Handlungsfähigkeit territorial beschränkt ist, während sich die Akteure der Globalisierung grenzüberschreitend bewegen und sich somit dem Zugriff des Staates heute leichter entziehen könnten. Susan Strange etwa konstatiert einen "Retreat of the State" und spricht transnationalen Unternehmen die Fähigkeit zu, in wachsendem Ausmaß eine "parallel authority alongside governments in matters of economic management" auszuüben. Kenichi Ohmae geht mit dem Titel seines Buches "The End of the Nation State" noch weiter und proklamiert die Selbstauflösung des Staates durch die Entwicklung regionaler Ökonomien. Michael Zürn zufolge ist der Staat aufgrund der "De-Nationalisierung" von Wirtschaft und Gesellschaft in seiner Zielerreichung defizitär geworden; Regieren sei "jenseits des Nationalstaates" nötig. Veränderungen in der Wirtschaftspolitik werden von Birgit Mahnkopf als Instrumentalisierung des Staates durch globale Marktkräfte interpretiert, die sich als "Entbündeln von Staatsaufgaben auch als Selbstentmachtung der Politik" beschreiben ließe.
Allerdings hält eine Reihe von Autoren diese Thesen über die Wirkungen von Globalisierung für übertrieben und sieht den Staat nach wie vor politisch gestaltungsfähig. Robert Wade widerspricht dem Argument von der De-Nationalisierung der Ökonomie: "Reports of the death of the national economy are greatly exaggerated". Der "Economist" untermauert seine Beobachtung "Big Government is Still in Charge" mit einer Fülle von Belegen über weiterhin vorhandene staatliche Regulierungsfähigkeit und den ungeschmälerten Staatsanteil am Sozialprodukt, die keineswegs auf ein Ende des Nationalstaates hindeuten. Autoren wie Layna Mosley sehen den Staat zwar durch globale Finanzmärkte unter Druck gesetzt, stabilitäts- und weltmarktorientierte Politik zu betreiben, konstatieren aber Autonomie in anderen Bereichen wie etwa bei der Verwendung des Budgets. Linda Weiss schlussfolgert nach der Untersuchung einer Reihe von Fallstudien, dass Globalisierung staatliches Engagement für den gesellschaftlichen Wandel noch wichtiger gemacht und daher nationale Institutionen sogar gestärkt habe.
Empirisch stellt Globalisierung insofern eine neue Herausforderung an den Staat dar, als sie nationale Regierungen unter Druck setzt, ihre Politik den Gewinnerwartungen globaler Märkte anzupassen, um mobile Ressourcen im Land zu halten bzw. neue anzuziehen.
Für das Gemeinschaftsinteresse an ökonomischer Prosperität impliziert Globalisierung einen Wandel der Handlungsbedingungen für Regierungen durch eine Veränderung der Kosten und der Anreize für bestimmte wirtschaftspolitische Strategien. Der zum Machterhalt wichtige ökonomische Erfolg einer Regierung ist zunehmend auch von der Beteiligung des Landes an der Dynamik globalen Wirtschaftens abhängig. Binnenorientierte und interventionistische Politik erzielt hier suboptimale Resultate im Vergleich zu weltmarktorientierten Ansätzen, da sie den gestiegenen globalen Wettbewerb nicht berücksichtigt. Grundlegend zeigt sich dieser Zusammenhang darin, dass diejenigen Länder, die am stärksten in die Weltwirtschaft integriert sind, auch die wohlhabendsten sind - die Industrieländer. Im Gegenzug weist diejenige Staatengruppe geringes Wachstum und weniger Wohlstand auf, die sich nur wenig dem Welthandel geöffnet hat.
Welchen Einfluss hat Globalisierung auf staatliche Handlungsoptionen? Wie kann die Politik Globalisierung gestalten und nutzen? Das Kernargument dieses Beitrags ist, dass der Staat durch Globalisierung nicht geschwächt wird, sondern veränderten privaten Interessenlagen und politischen Rahmenbedingungen gegenübersteht, die bestimmte wirtschaftspolitische Optionen erleichtern und andere erschweren. Grundsätzlich wird hier argumentiert, dass Globalisierung eine Chance für Innovation und Wachstum bietet. Diese kann von Staat und Gesellschaft durch Liberalisierung genutzt werden und sollte auf nationaler Ebene durch Unterstützung für diejenigen begleitet werden, die sich dem Strukturwandel anpassen müssen.
Dieser Beitrag widmet sich den zentralen Aspekten weltwirtschaftlicher Globalisierung in sieben Schritten. Ziel ist es, auf der Grundlage des Forschungsstandes, theoretischer Konzepte und empirischer Belege differenzierende Antworten auf folgende Fragen zu geben: (1) Wie groß ist der Anpassungsdruck der Globalisierung? (2) Ist der Staat durch Globalisierung geschwächt? (3) Wie betrifft Globalisierung gesellschaftliche Interessengruppen? (4) Welche Vor- und Nachteile bringen außenwirtschaftliche Liberalisierungen? (5) Wie wirkt Globalisierung auf Entwicklungsländer? (6) Warum sind politische Institutionen wichtig? (7) Was kann Global Governance bei der Steuerung der Weltwirtschaft leisten?
I. Konvergenz versus Divergenz?
Weltwirtschaftliche Globalisierung besteht aus globalen Finanzmärkten, grenzüberschreitenden Direktinvestitionen in Produktion und aus internationalem Handel. Alle drei Bereiche verkörpern die zunehmende Mobilität und das gewachsene Volumen grenzüberschreitender ökonomischer Aktivitäten. "Global" bedeutet aber nicht, dass der Prozess der Globalisierung tatsächlich alle Länder einschließt, sondern dass Kapital, Produktion und Handel alle Länder betreffen können und werden, wenn sie attraktive Bedingungen für transnational mobile Ressourcen bieten. Globalisierung ist genau genommen bisher überwiegend ein Phänomen der OECD-Welt, d. h. der Industrieländer und einiger Schwellenländer, die wie Mexiko und Südkorea im letzten Jahrzehnt in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgenommen wurden. Globale Märkte erstrecken sich aber zunehmend und potenziell auf alle Länder. Daher übt Globalisierung kompetitiven Druck auf Firmen und auf Staaten aus: Erstens müssen sich Firmen dem globalen Wettbewerb anpassen, wenn sie auf dem Weltmarkt konkurrieren wollen, in den ihre Heimatmärkte in wachsendem Ausmaß integriert sind. Zweitens konkurrieren aber auch Staaten zunehmend als Standorte für Investition und Produktion. Da Globalisierung den grenzüberschreitenden Abzug und Zufluss von Ressourcen erleichtert, steigen die Anreize für Regierungen, ihre Wirtschaftspolitik den Erwartungen globaler Märkte anzupassen, um an der Wachstumsdynamik globalen Wirtschaftens zu partizipieren.
Mit dem Ziel der Förderung des Wachstums haben Staaten diesen Globalisierungsprozess seit den siebziger Jahren durch die Liberalisierung von Handel und Kapitalverkehr gefördert. Seitdem konkurrieren sie zunehmend auf dem Weltmarkt der Standortvorteile. Die Frage ist nun, inwieweit der Wettbewerbsdruck der Globalisierung - gewollt oder ungewollt - zu einer Angleichung wirtschaftspolitischer Prämissen führt. Denn aus den skizzierten Wirkungen von Globalisierung folgt konsequenterweise die Konvergenz-These: Um die Wettbewerbsanreize des Weltmarktes zu nutzen, führen Regierungen marktliberale Reformen durch und nähern damit ihre Wirtschaftspolitiken auf ein ähnliches Muster hin an.
Gleichzeitig scheint aber innerhalb der Tendenz zur Konvergenz um eine marktliberale Neuausrichtung von Politik auch ein erheblicher Spielraum für Divergenz zu bestehen. Vergleicht man etwa die Staaten Westeuropas, so lassen sich unschwer deutliche Unterschiede in der Arbeitsmarkt-, Steuer- wie Wohlfahrtspolitik ausmachen: Während Großbritannien liberal-wettbewerbsorientiert ist und die Niederlande wie Dänemark ihre Wohlfahrtssysteme grundlegend umbauten, entschied sich die Bundesrepublik bisher im Wesentlichen für eine Beibehaltung ihres wirtschafts- und sozialpolitischen Kurses. Ein Vergleich der US-amerikanischen Politik mit derjenigen kontinentaleuropäischer Staaten verdeutlicht ebenfalls den anhaltenden nationalen Handlungsspielraum im Zeitalter der Globalisierung.
Ursächlich für die nach wie vor großen Unterschiede in der Wirtschafts- und Sozialpolitik und in den Antworten auf Globalisierung sind ganz entscheidend die Prägungen nationaler Gesellschaften. Besonders relevant scheinen hier sozioökonomische Institutionen und Normen zu sein. Wenn beispielsweise Gewerkschaften und Unternehmerverbände über einen politisch institutionalisierten Einfluss auf Regierungsentscheidungen verfügen, dann setzt sich eher das Interesse dieser Organisationen an einer Besitzstandswahrung durch als das Interesse etwa von Arbeitslosen an einer Reform. Gesellschaftliche Normen haben ebenfalls einen starken Einfluss auf die Art der Antwort auf Globalisierung: Wenn "Solidarität" vor "Leistung" rangiert, dann können Not leidende Firmen eher mit Subventionen rechnen als mit dem Druck, sich neuen Gegebenheiten anzupassen. Interessant ist hier, dass Dänemark und die Niederlande einschneidende Reformen etwa des Arbeitsmarktes mit einer Neudefinition der Norm "Solidarität" durch Hinzufügung der Norm "Gegenseitigkeit" erreicht haben: Die Empfänger gesellschaftlicher Solidarität, d. h. finanzieller Hilfen, sind heute stärker zur Solidarität mit der Gesellschaft in Form von Sozialarbeit, Mobilität und geringeren Ansprüchen verpflichtet. Die Unterschiede gesellschaftlicher Normen und Institutionen können nationale Divergenzen gegenüber weltwirtschaftlicher Globalisierung entscheidend miterklären.
II. Ist der Staat geschwächt?
Ein häufiges Argument in der Globalisierungsdebatte sieht den Staat in seiner Funktionsfähigkeit geschwächt. Durch den stärkeren Wettbewerbsdruck müsse der Staat erstens Steuern und somit Leistungen im Wohlfahrtssystem verringern und zweitens Sozial- und Umweltstandards abbauen. Beide Thesen lassen sich mittlerweile empirisch widerlegen. Hinsichtlich des Zugriffs auf die finanziellen Ressourcen der Gesellschaft hat sich der Anteil des Staates in den letzten Jahrzehnten nicht nur nicht verringert, sondern sogar erhöht: Unter den Staaten der G 7 fiel der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt (BSP) zwischen 1990 und 2000 nur in Japan, während er in allen anderen Staaten anstieg.
Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes ist nicht der Umfang staatlicher Einnahmen und Ausgaben, sondern deren Qualität. Es geht nicht um die Frage nach "mehr" oder "weniger" Staat, sondern um einen "anderen" Staat. Die Reformen der Wohlfahrtssysteme in Schweden, den Niederlanden und Dänemark sind gute Beispiele dafür, wie Wohlfahrt und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen sind.
Der zweite Teil der These vom geschwächten Staat lässt sich ebenfalls empirisch nicht bestätigen: Infolge zunehmender Außenhandelsverflechtung kam es nicht zu einem Abbau von Umwelt- und Sozialstandards in Industrieländern.
Der Staat ist demnach nicht per se geschwächt. Vielmehr verändert Globalisierung die Rahmenbedingungen für wirtschaftspolitische Optionen, indem sie über den stärkeren Wettbewerb um mobile Ressourcen die Anreize für marktliberale Reformen und die Kosten für interventionistische Politik erhöht. Insofern wird die Autonomie von Regierungen eingeschränkt, eine Politik zu verfolgen, die die Erwartungen globaler Märkte ignoriert. Dies ist allerdings nicht gleichbedeutend mit der Schwächung grundlegender Staatsfunktionen wie der Gewährleistung von Wachstum und Wohlstand. Nur wenn man den Staat ausschließlich als interventionistischen, etwa neokeynesianischen Staat definiert, ist die These von der Schwächung aufrechtzuerhalten: Grenzüberschreitende Mobilität schränkt in der Tat die Wirksamkeit von deficit spending ein und erhöht die Standortnachteile von Intervention und rigider Regulierung.
Trotz gegenteiliger Indizien ist das Argument, Globalisierung "zwinge" den Staat zu Reformschritten, auch bei Regierungen beliebt. Außenwirtschaftlicher Druck als Begründung für politische Maßnahmen taucht nicht nur bei Schritten auf, mit denen die Anreize von Globalisierung besser genutzt werden sollen. Vielmehr ist diese Argumentation auch bei der Begründung von Reformnotwendigkeiten populär, die nicht auf Globalisierung zurückzuführen sind. In Deutschland wäre etwa eine Verringerung der Subventionen für die "Sunset-Sektoren" Werften und Kohle sowie für die Landwirtschaft auch ohne Globalisierung im Interesse der Gesellschaft. Gleiches gilt für eine Umstellung der Rentenversicherung. Der Druck zur allgemeinen Verringerung von Steuern entsteht möglicherweise auch nicht vornehmlich durch Globalisierung - wie die skandinavischen Länder zeigen -, sondern scheint oftmals eher auf einen Wandel des Wählerwillens in europäischen Wohlfahrtsstaaten - "weniger Staat, mehr individuelle Freiräume" - zurückzugehen.
Wenn die Politik gegenüber denjenigen, die ihre Privilegien (staatliche Leistungen oder Schutz) durch Reformen geschmälert sehen, mit externen Zwängen argumentiert, dann gewinnt sie kurzfristig eine "Entschuldigung". Allerdings kommt diese Exkulpation als politischer Bumerang wieder zurück, weil sie außenwirtschaftliche Öffnung als negativ darstellt und es künftig für Regierungen schwer macht, die Vorteile von Globalisierung glaubwürdig zu präsentieren. Wenn Regierungen verbal ihre Verantwortung auf - als unerwünscht apostrophierte - außenwirtschaftliche Faktoren transferieren, dann können sie Globalisierung später nur unter erschwerten Umständen als Chance darstellen und entsprechend Reformen begründen. Das Spiel mit der Exkulpation umstrittener Maßnahmen durch externen Druck findet sich in Europa auch im Hinweis auf die Zwänge aus "Brüssel" und in vielen Entwicklungsländern im Verweis auf den Internationalen Währungsfonds als Verantwortliche für langfristig zwar positive, kurzfristig aber für einige Gruppen negative Maßnahmen.
In der Handelspolitik ist diese Vorgehensweise für die gesamtgesellschaftlichen Interessen besonders problematisch: Importe werden oft als schädlich hingestellt, wenn sie billiger sind als einheimische Waren. Dabei wird meist unterschlagen, dass solche Importe als Konsumgüter den Lebensstandard erhöhen bzw. als Vorprodukte die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Standortes stärken. Die jüngst von den USA eingeführten Importbeschränkungen für Stahl verteuern die Produktion etwa für PKW und verhindern Effizienzsteigerungen der heimischen Stahlindustrie. Die kurzfristige Sicherung von Stahlarbeitsplätzen in den USA geht dabei auf Kosten der US-Konsumenten und bedroht Jobs beispielsweise in der Automobilindustrie.
III. Interessengruppen
Eine wichtige Ursache für die Kontroversen über die Auswirkungen der Globalisierung liegt in der unterschiedlichen Betroffenheit einzelner gesellschaftlicher Gruppen. Wie bei jeder neuen wirtschaftlichen Entwicklung bewirkt Globalisierung ökonomischen Strukturwandel und erzeugt damit "Gewinner" und "Verlierer". Die Frage ist daher: Wer ist wie von der Entwicklung globaler Märkte betroffen? Mit der Zunahme des Außenhandelsanteils an der gesamten Wirtschaftsleistung steigt auch der Anteil derjenigen Arbeitnehmer und Kapitalgeber, deren Jobs bzw. Gewinne von der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt abhängen. In Deutschland wurden 1999 rund 30 Prozent des BSP im Export erwirtschaftet, in den Niederlanden 60 Prozent und in den USA 10 Prozent.
Anders gelagert ist dagegen das Interesse der Gruppe der Hersteller nicht international konkurrenzfähiger Produkte.
Die genauere Betrachtung des Einflusses von Globalisierung auf Interessengruppen führt teilweise zu einer Neubewertung des Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Gegensatzes und zeigt, dass es eigentlich keine "internationalen" Handelskonflikte gibt. Was oftmals nach zwischenstaatlichen Meinungsunterschieden aussieht, sind tatsächlich innenpolitische Interessenkonflikte. Nicht nationale Interessen im Sinne gesamtgesellschaftlicher Interessen stoßen aufeinander, sondern Einzelinteressen, die das Gehör der jeweiligen Regierung finden. Die Verlierer liberalisierungsbedingten Strukturwandels versuchen ihre Anpassungskosten zu verringern, indem sie außenwirtschaftlichen Schutz fordern.
Der Schutz einzelner Produzenten ist aber nicht nur gesamtwirtschaftlich problematisch, sondern verliert durch internationale Arbeitsteilung auch zunehmend an Wirksamkeit: Wenn die Einzelteile eines Produktes aus verschiedenen Ländern kommen, dann entsteht durch neue Handelsbarrieren möglicherweise auch für die "einheimischen" Hersteller mehr Schaden als Nutzen. Protektionismus zeigt selbst kurzfristig nicht die gewünschte Wirkung auf lokale Arbeitsplätze bzw. Gewinne, wenn die betreffenden Unternehmen wesentliche Teile der Produktion im Ausland abwickeln oder als Importe beziehen. Präsident Clinton's späterer Arbeitsminister Robert Reich fragte bereits 1990: "Who is Us?":
IV. Freihandel und Anpassungshilfe
Eines der Kernthemen der Globalisierungsdebatte ist die Frage nach den Vor- und Nachteilen wirtschaftlicher Liberalisierung, vor allem des Freihandels. Gesamtwirtschaftlich wirkt Freihandel positiv, da er über Wettbewerb, Mobilität und Innovation einen effizienteren Einsatz von Ressourcen ermöglicht und somit die Produktion von Waren wie Dienstleistungen dort erlauben würde, wo sie am günstigsten hergestellt werden können.
Diese positiven Wirkungen von Freihandel treten bei regionaler Wirtschaftsintegration und bei globaler Liberalisierung auf. Allerdings machen sich die positiven Folgen nur langfristig und gesamtwirtschaftlich bemerkbar, während die Anpassungskosten kurzfristig und sektorspezifisch zu spüren sind. Daher ist der Widerstand derjenigen, die Anpassungskosten zu tragen haben, schneller und direkter als die Unterstützung der Allgemeinheit für Liberalisierungen. Dies ist ein Kerndilemma der aktuellen Wirtschaftspolitik in vielen Industrieländern. Um kurzfristige Lobbyinteressen aus wahltaktischen Erwägungen zu befriedigen, greifen Regierungen immer wieder auf protektionistische Maßnahmen und Subventionen zurück, anstatt langfristig sinnvolle Liberalisierung zu fördern. Die Auflösung dieses Dilemmas liegt in der Feinabstimmung zwischen Liberalisierung und Wohlfahrtsstaat, die sich nicht nur nicht widersprechen, sondern auch wechselseitig befördern können. Wenn wohlfahrtsstaatliche Leistungen gezielt und für Empfänger verpflichtend auf eine Abfederung von Anpassungskosten - etwa durch Umschulung und Förderung von Mobilität - ausgerichtet werden, dann kann Handelsliberalisierung auch für Beschäftigte nicht wettbewerbsfähiger Firmen mittelfristig eine Chance sein.
V. Chancen für Entwicklungsländer?
Auf Entwicklungsländer wirkt Globalisierung im Prinzip nicht anders als auf Industrieländer und kann somit dieselben Wachstumsimpulse wie Anpassungskosten auslösen. Insgesamt konnten die Entwicklungsländer in den Dekaden der Globalisierung - also seit den siebziger Jahren - sowohl ihren Anteil am Welthandel wie auch ihr reales Pro-Kopf-Einkommen vergrößern.
Empirisch lässt sich festhalten, dass diejenigen Entwicklungsländer, die sich am stärksten am Welthandel beteiligt haben, auch diejenigen waren, die am stärksten gewachsen sind.
Entwicklungsländer können von Freihandel und Investitionen profitieren, gehen aber ein erhebliches Risiko ein, wenn sie sich in die globalen Finanzmärkte integrieren. Wie die Krisen in Mexiko 1994/95, in Asien 1997/98 und gegenwärtig in Argentinien zeigen, kann global mobiles Kapital sehr schnell abgezogen werden, wenn die Anleger mit der Wirtschaftspolitik eines Landes unzufrieden sind. Eine überbewertete Währung, Vetternwirtschaft oder wachsende Budgetdefizite haben auch in erfolgreichen Ländern wie Mexiko und Thailand zu einem massiven Abzug ausländischen und inländischen Kapitals geführt und schwere Wirtschaftskrisen ausgelöst. Dieses Risiko betrifft spekulatives Börsen-Kapital und "falsche" Wirtschaftspolitik. Es kann verringert werden (1) durch stabile, transparente und marktwirtschaftliche Politik, (2) durch eine Spekulationssteuer ("Tobin Tax"), mit der dann allerdings insgesamt weniger Kapital angezogen wird, und (3) durch Konzentration auf die Anziehung von Direktinvestitionen. Letztere sind zwar schwerer zu erhalten, da langfristig rentable und berechenbare Bedingungen nötig sind, aber auch entwicklungspolitisch sinnvoller: Direktinvestitionen etwa transnationaler Unternehmen fließen in die Produktion, schaffen Arbeitsplätze, sorgen für technologische Entwicklung und können in Form von Fabrikgebäuden und Maschinen auch im Zeitalter von Cyberspace nicht so schnell den Standort wechseln wie Börsenkapital.
In den Nord-Süd-Beziehungen würde ein Ausbau der Anpassungshilfen etwa der Weltbank weitere Liberalisierung in Entwicklungsländern fördern. Allerdings muss diese Unterstützung an good governance-Konditionen für eine konsistente Politik der sozialen Marktwirtschaft und für Demokratie gekoppelt werden, damit Wachstum und finanzielle Unterstützung nicht in der Privilegierung einzelner Gruppen verpuffen.
VI. Komparative Institutionenvorteile
Bei der Diskussion der Interessen einzelner gesellschaftlicher Gruppen ist deutlich geworden, dass sich aufgrund der stärkeren Integration nationaler Ökonomien in die Weltwirtschaft und dem daraus folgenden Wettbewerb interne Interessenlagen verschieben und dass die Anreize für Regierungen steigen, ihre Wirtschaftspolitik auf den Weltmarkt auszurichten. Dabei ist es, wie gezeigt, sinnvoll, sich auf die jeweiligen komparativen Kostenvorteile durch handelspolitische Öffnung zu spezialisieren und die "Verlierer" des Strukturwandels mit Anpassungshilfen zu entschädigen. Komparative Vorteile bzw. Nachteile eines Standortes liegen aber nicht nur in unveränderbaren Ressourcen (Rohstoffe, geographische Lage etc.) sowie in gewachsenen ökonomischen Strukturen (Industrie, Landwirtschaft etc.), sondern sind zum großen Teil Ergebnisse der jeweiligen politischen Rahmenbedingungen. Diese institutionelle Dimension reicht von politischer Stabilität und Rechtssicherheit über die Organisation des Beziehungsdreiecks zwischen Staat, Gewerkschaften und Arbeitgebern bis hin zu Ausbildung und Transferzahlungen im Wohlfahrtssystem.
Beispielsweise können die duale Ausbildung (Lehre), die niedrige Streikhäufigkeit und das staatliche Kreditwesen (etwa Landesbanken) komparative institutionelle Vorteile für Deutschland sein. Im Fall Großbritanniens und der USA liegen institutionelle Vorteile etwa in der Fähigkeit von Firmen, durch Zugang zu venture capital (Risikokapital) und durch die Flexibilität des Arbeitsmarktes sowohl Innovation wie Marktanpassung schneller zu bewerkstelligen. In Bezug auf die Industrieländer haben Peter A. Hall und David Soskice gezeigt, dass beide institutionellen Muster, die " coordinated market economies" und die "liberal market economies", in den letzten Jahrzehnten breiten Wohlstand erreichen konnten.
Bezüglich der wirtschaftspolitischen Integration eines Landes in den Weltmarkt sollten sowohl die Anreize von Globalisierung durch stärkere Außenöffnung genutzt als auch die Effizienz der jeweiligen institutionellen Vorteile verbessert werden. Die Aufgabe für die Politik besteht darin, diejenigen institutionellen Rahmenbedingungen zu identifizieren und zu verbessern, die dem eigenen Land einen Vorteil im globalen Wettbewerb erlauben. Wenn etwa Deutschland im Vergleich zu den USA einen stärkeren Vorteil (bzw. einen weniger starken Nachteil) beispielsweise im Bereich Bildung hat als bei der Lohnhöhe, dann sollte es sich auf die Verbesserung des Bildungswesens spezialisieren und nicht den Versuch unternehmen, mit den USA durch niedrigere Löhne zu konkurrieren. Ökonomisch wie gesellschaftspolitisch unsinnig ist es dagegen, beispielsweise dem Kohlesektor Erhaltungs- statt Anpassungssubventionen zu zahlen und zugleich Bildungsmängel festzustellen, ohne Investitionen in Schulen und Universitäten vorzunehmen.
Die Relevanz politischer Rahmenbedingungen für globale Wettbewerbsfähigkeit impliziert nicht, dass diese unveränderbar sein sollten. Vielmehr müssen diejenigen Bedingungen verbessert werden, die tatsächlich komparativen Vorteilen entsprechen, und jene reformiert werden, die einer Mehrung gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes entgegenstehen. Dabei ist die kontinentaleuropäische Konsenskultur nur dann im Interesse der Bevölkerung, wenn sie die Gestaltung von Strukturwandel ermöglicht und nicht blockiert. Mit den Worten von Ralf Dahrendorf: "Es könnte sein, dass der Konsens heute nicht mehr der richtige Weg ist und dass ein Politiker auch mal ein Zeichen setzen muss. Er muss auch einmal etwas entscheiden, ohne sich nach allen Seiten abzusichern."
Diese generelle Aufgabe für die Politik wird durch Globalisierung noch dringender, da ökonomische Prosperität in zunehmendem Ausmaß von der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt abhängt. Dies gilt auch ganz direkt für die Ressourcenausstattung des Staates, das Steueraufkommen, das bei wachsender Außenhandelsverflechtung vermehrt auf globalen Märkten erwirtschaftet wird. Mit einer politischen Abschottung von diesen Märkten würde sich die Regierung unmittelbar die Einnahmen kürzen.
VII. Fazit und Global Economic Governance
Globalisierung schwächt den Staat nicht per se, sondern erlaubt divergierende Antworten auf grenzüberschreitenden Wettbewerb, betrifft Interessengruppen sehr unterschiedlich, bietet die Chance für Wohlstandsgewinne und führt Staaten in Konkurrenz auf dem Weltmarkt der Standortvorteile. Für die Handlungsoptionen der Regierungen bedeuten die höhere Mobilität und das größere Volumen grenzüberschreitender ökonomischer Aktivitäten sowohl größere Anreize für Liberalisierung als auch höhere Kosten für eine Politik, welche die Anforderungen des Weltmarkts ignoriert. Mit dem steigenden Anteil grenzüberschreitenden Wirtschaftens am Bruttosozialprodukt verstärken sich transnationale Interessen, die wohlgemerkt nicht nur extern sind, sondern diejenigen internen Sektoren einschließen, deren Existenz vom Weltmarkt abhängt. Eine merkantilistische Bevorzugung "nationaler" Produzenten wird in dem Ausmaß absurd, in dem durch Handel und globale Arbeitsteilung die Unterscheidung zwischen "intern" und "extern" verschwimmt.
Das Dilemma für nationale Wirtschaftspolitik besteht in der Möglichkeit, kurzfristig Sympathien einzelner Wählergruppen durch Protektionismus oder Subventionen zu gewinnen, damit aber das langfristige gesamtwirtschaftliche Interesse an globaler Wettbewerbsfähigkeit zu schädigen. Aus diesem Dilemma können sich Regierungen auf drei Wegen befreien: Erstens können sie die Bevölkerung vom Sinn außenwirtschaftlicher Offenheit überzeugen. Zweitens können sie die Träger der Anpassungskosten des Strukturwandels entschädigen bzw. mit gezielten Investitionen in komparativ wie institutionell leistungsfähige Bereiche integrieren. Drittens können Regierungen sich durch Selbstbindung an multilaterale Abkommen - etwa in der EU und der WTO - dem politischen Zugriff von Lobbygruppen entziehen. Wenn die Regierung nicht mehr auf Protektionismus zurückgreifen kann, dann ist Einzelinteressen der Anspruch auf Änderung der Politik entzogen. Multilaterale Selbstbindung sollte aber ohne die verbale Übertragung der politischen Verantwortung auf internationale Organisationen oder Globalisierung geschehen, da sie ansonsten dem zuerst genannten Weg - der Überzeugungsarbeit - zuwiderläuft. Schließlich sollten sich die heutigen Regierungen daran erinnern, warum ihre Vorgänger Handelsliberalisierungen und damit auch den nationalen Strukturwandel in den vergangenen Jahrzehnten vorangetrieben haben - um nationalen wie weltwirtschaftlichen Wohlstand zu stimulieren. Mit Erfolg übrigens!
Im Mittelpunkt der Gestaltung von Globalisierung steht aber nicht nur der nach wie vor leistungsfähige Nationalstaat, sondern zunehmend auch die multilaterale Ebene: Zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei "Global Economic Governance" kann sowohl die Wachstumsdynamik der Globalisierung fördern als auch ihre Risiken in einen internationalen Ordnungsrahmen einbetten.
Mit einer Reform internationaler Organisationen wie des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank können Staaten die Weltwirtschaft stabilisieren.