Einleitung
"Kluge Verbraucherpolitik sucht die Balance zwischen staatlichen Regulierungen zum Schutz der Verbraucher und der Aktivierung der Konsumenten. In einer Wirtschaftsordnung, die neben eigener Wachstumsdynamik auch den Zwängen gemeinsamer Standards im Binnenmarkt sowie eines Welthandelsabkommens ausgesetzt ist, haben staatliche Allmachtsvorstellungen keinen Platz."
Während Verbraucherpolitik es sich u.a. durch die Instrumente der Gesetzgebung, durch behördliche Kontrolle und Überwachung zur Aufgabe machen muss, für den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher
In einer Gesellschaft, die zunehmend von Marktprozessen gesteuert wird und in der sich technologischer und soziologischer Wandel beschleunigen, ist das Management des privaten Haushalts und des täglichen Lebens keineswegs so einfach und banal, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Verbraucher sind durch die vielen Facetten der Alltagsgestaltung sowie des allmählichen Rückzugs des Staates aus der Daseinsfürsorge mit den unterschiedlichsten Anforderungen konfrontiert. Für deren Bewältigung vermittelt ihnen heute die Schule bei weitem nicht alle erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen.
Viele Regelungen, wie zum Beispiel das im Bundesrat abgewiesene Verbraucherinformationsgesetz (das allerdings wieder auf den Weg gebracht werden soll), das Bio-Siegel oder die Rentenreform, die so genannte "Riester-Rente", können nicht richtig greifen, wenn sie nicht genutzt werden. Nur der gebildete, entscheidungs- und handlungsbereite Verbraucher ist dazu in der Lage. Darüber hinaus ist Bildung die Voraussetzung für einen vorsorgenden Verbraucherschutz. Nur der informierte Verbraucher ist fähig, seine Konsumentenrolle aktiv und verantwortlich wahrzunehmen und somit sich selbst und die Gesellschaft vor den negativen Auswirkungen des Konsums zu schützen.
In den folgenden Kapiteln werden wir Überlegungen anstellen, wie Bildung für Verbraucher verknüpft ist mit dem Ziel eines vorsorgenden Verbraucherschutzes und dem Konzept des Nachhaltigen Konsums und welche Vorstellungen über Bildungspolitik und Curriculumentwicklung daraus abzuleiten sind.
I. Vorsorgender Verbraucherschutz
Eines der Leitbilder moderner Verbraucherpolitik ist die Vorsorge, d.h. die Vermeidung von Nachteilen des Konsums für die Verbraucher und hinsichtlich der Erreichung akzeptierter kollektiver gesellschaftlicher Ziele.
Der Auftrag zu einem vorsorgenden Verbraucherschutz richtet sich an alle beteiligten Akteure: die Politik, die anbietende Wirtschaft, die Verbraucherorganisationen und die einzelnen Verbraucher:
- Die Politik muss die Rahmenbedingungen für einen vorsorgenden Verbraucherschutz gestalten. Zu den Rahmenbedingungen gehören u.a. wirksame Instrumente zur Garantie eines fairen Wettbewerbs sowie zur Sicherung der Transparenz des Anbieterverhaltens etwa in Form eines Verbraucherinformationsgesetzes. Es gehört hierzu insbesondere die Gestaltung einer Bildungspolitik, die es den Verbrauchern ermöglicht, als mündige Konsumenten im Marktprozess zu agieren.
- Die Rolle der Wirtschaft ist es, Entscheidungen über Investitionen, Produktwahl und Produktionsstandorte in einer langfristigen unternehmerischen Perspektive zu treffen, wirksame Eigenkontrollen durchzuführen sowie die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von Kennzeichnungen und Informationen sowie die Wahrhaftigkeit in der Werbung sicherzustellen.
- Verbraucherorganisationen haben eine doppelte Aufgabe: Sie wirken auf den politischen Prozess ein und kontrollieren die Wirtschaftsakteure z.B. durch die Wahrnehmung kollektiver Klagerechte. Sie helfen den Verbrauchern durch Beratung und die Vermittlung von Information, sich gegen unseriöse Anbieter zu wehren und als souveräne Marktteilnehmer aufzutreten.
- Die Verbraucher schließlich müssen erkennen, dass sich aus ihren Rechten auch Pflichten ergeben. Sie sind gefordert, die Folgen ihrer Konsumentscheidungen zu bedenken. Dies sind - auf der Makroebene - ökologische und soziale Folgen, die sich aus den Produktionsbedingungen von Gütern ergeben, aber auch - auf der Mikroebene - Folgen für das private Budget und die eigene Gesundheit.
Vorsorgender Verbraucherschutz bedeutet also für alle Akteure die Übernahme von Verantwortung für die Bewahrung bzw. Wiederherstellung einer intakten Um- und Mitwelt im unmittelbar privaten und im gesellschaftlichen Sinne. Dabei ist das Handeln der privaten Haushalte immer auch beeinflusst durch politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die fördernd oder einschränkend wirken können, umgekehrt kann das Verhalten der Verbraucher rückwirken auf Politik und anbietende Wirtschaft.
II. Nachhaltige Entwicklung und Nachhaltiger Konsum
Bereits 1987 forderte der Brundtland-Bericht
Nachhaltige Entwicklung steht für eine Verbindung von ökonomischer Beständigkeit, dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. Diese drei Aspekte können nicht voneinander getrennt oder gar gegeneinander ausgespielt werden.
Die Ökonomie muss sich z.B. durch die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien und effizienterer Produktionsverfahren dem Globalisierungs- und internationalen Konkurrenzdruck stellen und Alternativen entwickeln, die ökologisch und sozial verträglich sind. Im Interesse des Erhalts der natürlichen Lebensgrundlagen müssen Schadstoffeinträge und Ressourcenverbrauch so reduziert werden, dass weder die ökonomische Handlungsfähigkeit leidet noch soziale Härten - z.B. mehr Arbeitslosigkeit - entstehen. Bei dem sozialen Auftrag geht es um die Bewahrung der gesellschaftlichen und politischen Stabilität in den Industrieländern und darum, eine globale soziale Gerechtigkeit so zu erreichen, dass auch bei zunehmender Weltbevölkerung und Verstädterung die Umweltbelastungen sinken und sich die Länder der "Dritten Welt" entwickeln können.
Diese drei Dimensionen der Nachhaltigkeit sichern zugleich die Grundlagen für eine gedeihliche Volkswirtschaft. Sie sichern den langfristigen Erhalt der Basis für jede Produktion und jeden Konsum. Sie sorgen für gesellschaftliche Stabilität, etwa durch gerechte Löhne und humane Arbeitsplätze, für Gerechtigkeit zwischen den Generationen und zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Sie regen Innovationen in der Produktentwicklung und beim Angebot neuer Dienstleistungen an und ermöglichen damit Vorteile im internationalen Wettbewerb. Sie erhalten die Umwelt und schonen die natürlichen Ressourcen.
Die Verantwortung, das Konzept Nachhaltiger Entwicklung mit zu tragen und mit zu gestalten, darf nicht allein an Politik und Wirtschaft adressiert werden. Vielmehr ist dies ein Leitbild, welches das Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Akteure erfordert, um mit Erfolg realisiert werden zu können. Mithin sind auch die Verbraucher in der Pflicht, ihr Konsumverhalten an Nachhaltigkeitskriterien auszurichten. Konsum ist nicht nur individuelle Bedürfnisbefriedigung, sondern hat vielfältige ökologische und soziale Folgewirkungen. Damit kommt allen Konsumenten hinsichtlich ihres Nachfrageverhaltens und Lebensstils eine zentrale Rolle für die Nachhaltige Entwicklung zu.
III. Anforderungen an die Alltagsgestaltung
Die angemessene Bewältigung und Gestaltung des Alltags in Haushalt und Familie erfordert eine Fülle unterschiedlichster Kompetenzen, die aktiv eingesetzt werden müssen und eng mit den veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten verknüpft sind:
- Die Pluralisierung der Lebens- und Erwerbsformen erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Bereitschaft, sich immer wieder neu in Haushalt und Beruf zu positionieren.
- Die Veränderung der Familienstrukturen hat Auswirkungen auf grundlegende Fragen der Existenzsicherung wie die Art der Ernährung und die Sorge für die Gesundheit.
- Die Wandlung der Märkte durch Globalisierung, Virtualisierung und Deregulierung sowie der Rückzug des Sozialstaats haben ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Haushalte. Nicht nur ist Mobilität am und für den Arbeitsplatz erforderlich, sondern auch die Beherrschung des Internets, sei es um einzukaufen, Reisen zu buchen oder zur Informationsbeschaffung.
- Privates Finanzmanagement ist ebenso notwendig wie kompliziert, ob es um die beste Anlageform der Ersparnisse geht oder um die private Altersvorsorge.
- Normenkonflikte und damit veränderte Verhaltensforderungen erwachsen aus sich überlagernden Werten. So kann etwa der Wunsch nach Individualität und Selbstverwirklichung mit sozial-ethischen und ökologischen Werten bei Produktion und Konsum kollidieren. Eine Fernreise z.B. dient möglicherweise der Persönlichkeitsentwicklung, kann jedoch den Erfordernissen eines sozial und ökologisch verträglichen Tourismus zuwiderlaufen. Wichtig bei solchen Wertekonflikten ist, dass der einzelne Verbraucher sie zu seiner Sache macht. Er kann die Bejahung von Werten, die kollektiven Zielen dienen, nicht anderen Akteuren überlassen. Vielmehr kann er über seinen Beitrag durch Reflexion seines individuellen Lebensstils, seiner ökonomischen Ressourcen und der Gestaltung des Alltags selbst entscheiden.
- Schließlich generieren die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien neue Verhaltensweisen bei der Beschaffung von Informationen, aber auch im Sozialverhalten und in der Kontaktaufnahme. Der Trend - wenn auch im Moment ein wenig verlangsamt - geht hin zur verstärkten Nutzung des Internets, ob bei E-Commerce und Onlinebanking, bei der Beschaffung von Gütern oder bei den neuen Formen von virtueller Kommunikation. Hier muss durch die Vermittlung entsprechenden Grundwissens über Handhabung, Chancen und Risiken die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen gesichert werden.
Kurz - und mit Ernst Bloch gesprochen -: "Das Leben ist interdisziplinär", und damit natürlich auch der Alltag.
Haushalte müssen in der Lage sein, auf die Veränderungen und Anforderungen ihrer Lebenswelt selbstbestimmt zu reagieren, und sollten durch Bildungsangebote dabei unterstützt werden. Das Verhaltens- und Kenntnisrepertoire zur Bewältigung der Alltagsanforderungen hinsichtlich des persönlichen Haushalts- und Finanzmanagements ist defizitär: Viele Menschen sind z.B. nicht in der Lage, fundiert die Haushaltseinnahmen und -ausgaben aufeinander abzustimmen oder Versicherungsverträge zu durchschauen und sich angemessen zu versichern. Die Anzahl der verschuldeten Haushalte nimmt zu. Die Zahl der zurzeit überschuldeten Haushalte wird auf ca. 2,7 Millionen geschätzt.
Hinsichtlich einer wirksamen Problemlösung bewegen wir uns in einer Art gesellschaftlichen Vakuums: Der Umgang mit Geld, Haushaltsführung und Konsumverhalten sind keine Themen, über die "man" als zentrale Handlungsansätze spricht, und auch in der schulischen Allgemeinbildung stehen sie nicht im Mittelpunkt des Bildungsauftrags.
Es ist ein erklärtes Ziel des Bildungssystems, nicht nur den bekannten Fächerkanon zu bearbeiten, sondern ebenso Fähigkeiten wie Informationsbeschaffung und -bewertung, Lernbereitschaft und Flexibilität zu vermitteln, die ihrerseits wieder die Alltagsbewältigung erleichtern. Diese im Kontext allgemeiner Bildungsbemühungen stehenden Ziele gilt es aufzunehmen und mit verbraucherrelevanten Inhalten zu füllen. Dazu sollte die Leitidee der aktuellen bildungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussion, das Konzept der "fächerübergreifenden Problemlösekompetenzen", aufgegriffen werden. Zielführend ist hier die Definition der PISA-Studie von Problemlösen als "zielorientiertes Denken und Handeln in Situationen, für deren Bewältigung keine Routinen verfügbar sind".
IV. Bildung für Haushalt und Konsum
Im Folgenden werden wir näher erläutern, was unter Bildung für Haushalt und Konsum zu verstehen und mit welchen Zielen sie zu verknüpfen ist.
Spätestens seit Herbert Spencer, dem englischen Philosophen und Sozialwissenschaftler, wissen wir: "Das große Ziel der Bildung ist nicht Wissen, sondern Handeln." Wie jede Form von Bildung ist auch Verbraucherbildung zum Teil Reflex auf gesellschaftliche Veränderungen und veränderte gesellschaftliche Werte. So stellte z.B. der zunehmende Stellenwert der Ökologie in der öffentlichen Diskussion in den siebziger und achtziger Jahren einen tief greifenden Paradigmenwechsel in der Verbraucherbildung dar und verschob ihren Schwerpunkt von ökonomischen Fragestellungen hin zu mehr ökologischer und sozialer Verantwortlichkeit. Dem ging in den siebziger Jahren eine intensiv geführte verbraucherpolitische Diskussion voraus, deren Ergebnis eine politisch und rechtlich gestärkte Position der Verbraucher und der Verbraucherorganisationen war und die ihrerseits positiv auf die Bildungsbemühungen für Konsumenten zurückwirkte. Als ein Ergebnis dieser Debatte veröffentlichten die Stiftung Verbraucherinstitut und die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bereits 1984 einen Lernzielkatalog zur schulischen Verbraucherbildung, der die generellen Lernziele "kritisches Bewusstsein, soziale Verantwortlichkeit, ökologische Verantwortlichkeit" verbunden mit der "Bereitschaft zum Handeln" formulierte. Ein an diesen Kriterien ausgerichtetes Konsumverhalten wurde als "qualitativer Konsum" bezeichnet und deckt sich in vielen Punkten mit dem heute so genannten Nachhaltigen Konsum.
Durch die abnehmende Handlungsautonomie des Staates und seine begrenzte Fähigkeit, für die Verfolgung kollektiver Ziele und Werte zu sorgen, durch die Auswirkungen der Globalisierung auf den individuellen Konsum, die vermehrte Wahlfreiheit der Konsumenten aufgrund der Deregulierung der Märkte und durch die Notwendigkeit zu mehr Eigenverantwortung z.B. in der Alters- und Gesundheitsvorsorge erhält die Konsumentensouveränität heute einen noch höheren Stellenwert, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Aber diese Veränderungen mit ihren vielfältigen Auswirkungen auf das persönliche Leben bleiben für den Einzelnen eher abstrakt, und der eigene Beitrag bleibt unklar. Die Folge ist nicht selten ein subjektives Unsicherheits- und Ohnmachtgefühl. Um von der Unsicherheit und Ohnmacht zur "Bereitschaft zum Handeln" zu kommen, ist Bildung notwendig. Sie muss helfen, eine Brücke zu schlagen zwischen globalen Herausforderungen, gesellschaftlichen Aufgaben im eigenen Land und der persönlichen Lebenssituation der Einzelnen.
Bildungsangebote sollten nicht nur gesellschaftliche Veränderungen verständlich machen, sie müssen auch Erkenntnisse über den eigenen Beitrag an solchen Prozessen vermitteln. Schüler müssen darüber hinaus darauf vorbereitet werden, mit plötzlich auftauchenden Risiken umzugehen, um diese möglichst eigenverantwortlich bewältigen zu können. Als Leitbild steht hier der ethisch verantwortlich handelnde Verbraucher, der zwar als Einzelner ein Recht auf Schutz hat und die Möglichkeit zur Gegenwehr haben muss, sich aber der Konsequenzen seiner Konsumentscheidungen bewusst ist und damit auch Mitverantwortung übernimmt für künftige soziale und ökologische Entwicklungen, ob sie nun globaler oder lokaler Natur sind.
Daraus ergeben sich Veränderungen im Konsumverhalten und in der Alltagsgestaltung, die alte Gewohnheiten der Beschaffung, Nutzung, des Verbrauchs und der Entsorgung von Waren außer Kraft setzen; diese müssen durch neue, nachhaltige Verhaltensweisen ersetzt werden.
Es ist ein hoher Anspruch, der hier an die Verbraucher gerichtet wird. Er zeichnet - wie alle Leitbilder - das ideale Ergebnis eines Lernprozesses, das nicht eben realitätsnah erscheint, genauso wenig wie ehemals das Leitbild des "homo oeconomicus", der seine Konsumhandlungen allein nach der individuellen Nutzenmaximierung ausrichten sollte. Bei der Gestaltung des Lernprozesses, der zu einer Annäherung an das Leitbild führen soll, ist zu berücksichtigen, dass Konsum- und andere Alltagsentscheidungen immer auch soziale und psychische Implikationen haben. Häufig sind es nicht reflektierte Routinen oder auch Verhaltensweisen aufgrund von Familientraditionen. Dieser persönliche Hintergrund muss in der Bildung für Verbraucher berücksichtigt werden, um den Schritten in Richtung Verantwortlichkeit eine solide Basis zu geben.
Die in der Verbraucherbildung zu vermittelnden Voraussetzungen für verantwortliche Konsumentscheidungen lassen sich in vier Punkten zusammenfassen:
- Konsumenten verfügen über problembezogenes Wissen und kennen mögliche Verhaltensalternativen; sie sind in der Lage, sich Informationen zu beschaffen und diese auszuwerten.
- Sie haben entsprechende Werte, Einstellungen und Haltungen für sich akzeptiert.
- Sie reagieren angemessen auf materielle oder immaterielle Verhaltensanreize, d.h., sie sind sich des individuellen Zusatznutzens einer Entscheidung bewusst.
- Schließlich haben sie die Möglichkeit, Auswirkungen ihres neuen Verhaltens zu erproben und wahrzunehmen.
V. Der Beitrag der Schulen
Es muss im Interesse einer Gesellschaft liegen, die Menschen zur individuell und gesellschaftlich verantwortlichen Gestaltung des Alltags zu befähigen, und damit ist es Sache der Schulen, dies zu unterstützen. Bildungsangebote für Haushalt und Konsum sind in den Bundesländern und dort wieder in den verschiedenen Schultypen unterschiedlich verortet und repräsentiert. Sie finden sich z.B. wieder in den Fächern Arbeitslehre, Sozialkunde, Hauswirtschaft. Diese wiederum variieren nach Stundenzahl und in ihren Curricula.
Ebenso wie Verbraucherpolitik eine Querschnittsaufgabe ist, umfasst die Bildung für Verbraucher ein breites Themenspektrum. Deshalb läge es nahe, diese in die Curricula der bereits etablierten Schulfächer zu integrieren. Für diese Lösung sprechen gewichtige Argumente: Der Fächerkanon bliebe unverändert, jedes Schulfach könnte aus der Verbraucherperspektive betrachtet werden, und eine interdisziplinäre Bearbeitung trüge der Tatsache Rechnung, dass das Thema Konsum nicht eindimensional betrachtet werden kann, sondern Auswirkungen auf viele Bereiche hat. Obwohl Verbraucherthemen in den Curricula der oben genannten Fächer enthalten sind, ist in der Praxis ihre ausreichende Bearbeitung häufig nicht gewährleistet. Verbraucherthemen werden bei der Integration in verschiedene Fächer nicht selten zugunsten von für wichtiger gehaltenen Inhalten beim Lernpensum vernachlässigt.
Der andere Weg ist die Schaffung eines eigenen Schulfachs oder Lernfeldes. Von verschiedenen Seiten wird derzeit vorgeschlagen, ein Fach "Wirtschaft" an den Schulen einzuführen.
Eine entsprechende Initiative der Bertelsmann Stiftung wendet sich z.B. als Weiterbildungsangebot an Lehrende der Sekundarstufe II und wird auf einer Lernplattform im Internet bereitgestellt.
Zu kurz kommen bei diesen Initiativen Inhalte, die sich auf die Anforderungen an die Alltagsbewältigung sowie die Beschreibung der Rolle privater Haushalte und ihrer Leistungen für die Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft beziehen. Dies gilt neben den Anforderungen an das Konsumverhalten beispielsweise für Fragen der Kindererziehung oder des Engagements in Vereinen und Verbänden. Zu wenig im Blick der Bildung ist hier generell der private Haushalt als Produzent von Humankapital und kollektiven Gütern.
Wir wollen hier ebenfalls für die Einführung eines Schulfaches "Wirtschaft" plädieren, dabei jedoch Lehrinhalte, welche die Fähigkeit zur Alltagsbewältigung betreffen, stärker berücksichtigt wissen. Generell deckt ein solches Fach "Wirtschaft" ein breites Themenspektrum ab. Es muss interdisziplinär angelegt sein und Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft primär aus einer Haushalts- und Verbraucherperspektive bearbeiten. Neben den oben erwähnten Inhalten sollte ein Fach "Wirtschaft" folgende Schwerpunktthemen behandeln:
- Rolle und Bedeutung der Haushalte und Familien als verantwortliche Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft;
- Fragen der ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimensionen des täglichen Konsums von Gütern und Dienstleistungen;
- Grundlagen über die Funktionsweisen globaler Finanz- und Konsumgütermärkte;
- Wissen über das Verhältnis von Kosten und Preisen, d.h. über das Problem der Externalisierung sozialer und ökologischer Kosten des Konsums;
- finanzielle Allgemeinbildung, die über Finanzdienstleistungen informiert, an der eigenen Lebenswelt ansetzt und situationsbezogen vorgeht;
- Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung als übergreifende regulative Idee, die eine Klammer darstellt, um die Notwendigkeit und den Beitrag individueller Konsumentscheidungen zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in einer langfristigen Perspektive zu verdeutlichen.
Ein solches Fach "Wirtschaft" sollte in allen Schultypen der Sekundarstufen I und II eingeführt werden. In der Grundschule wären im Rahmen des Sachunterrichts erste Grundkenntnisse zu vermitteln. Um zu verhindern, dass das Fach "Wirtschaft" zu einem wirtschaftswissenschaftlichen Propädeutikum ohne konkreten Bezug zum täglichen Leben wird, sollten die Inhalte sich immer an den Erfahrungen und an der Lebenswirklichkeit der Schüler orientieren.
Gerhard de Haan hat in seinem Aufsatz "Die Kernthemen der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung"
So wie wir junge Menschen im Rahmen der politischen Bildung zu Staatsbürgern erziehen wollen, müssen wir sie heute auch schulen, damit sie in einem von der Politik nur noch eingeschränkt zu steuernden Markt zu verantwortlich handelnden Marktteilnehmern werden. Sie müssen durch Bildung befähigt werden, sowohl ihren eigenen Alltag selbstbestimmt und ihrer spezifischen Situation angepasst zu gestalten als auch sich produktiv und konstruktiv in gesellschaftliche Veränderungsprozesse einzubringen.
VI. Fazit
Um vorsorgenden Verbraucherschutz zu verwirklichen, der ohne verantwortliche Konsumenten nicht erreichbar sein wird, brauchen wir ein Schulfach "Wirtschaft". Es sollte die Leistungen aller am Marktprozess beteiligten Akteure sowie die weltweiten Zusammenhänge erklären. Ausgangs- und Mittelpunkt eines Curriculums und Bildungskanons sollte der private Haushalt und das Individuum im Sinne von Verbraucherbildung sein. Notwendig ist hierfür eine pädagogische Konzeption, die es ermöglicht, Wissensvermittlung mit der Erfahrungswelt der Schüler und ihren künftigen Aufgaben als Konsumenten, Gründer von Familien und Verantwortliche für das Management eines privaten Haushalts und die Gestaltung ihres Lebensalltags zu verknüpfen.
Internetverweise der Autorinnen:
Externer Link: https://www.vzbv.de