I. Zwischen Instabilität und Integration
Auf den ersten Blick fällt es nicht schwer, die jüngsten Entwicklungen auf dem Balkan als Siegeszug Europas darzustellen. Seit dem Ende des Kosovo-Krieges konnten gewalttätige Eskalationen größeren Ausmaßes verhindert werden - wenn auch manchmal in letzter Minute wie bei den Übergriffen von Albanern im südserbischen Presevo-Tal oder der Konfrontation zwischen slawischen und albanischen Mazedoniern im Frühjahr 2001. Auch in den beiden UN-Protektoraten Kosovo und Bosnien-Herzegowina ist eine gewisse Stabilisierung eingetreten. Der Wiederaufbau nach den zerstörerischen Kriegen wurde weitgehend abgeschlossen, und erste Anzeichen für eine wirtschaftliche Kehrtwende sind erkennbar. Während das Regime von Franjo Tudjman in Zagreb und vor allem die Diktatur von Slobodan Miloevic' in Belgrad eine regionale Kooperation auf dem Balkan oder gar eine Integration in die Europäische Union (EU) noch verhinderten, regiert heute in jedem der fünf Staaten des Westbalkans - Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien und die neue Union "Serbien-Montenegro" - sowie in der "staatsähnlichen Entität" Kosovo eine demokratisch gewählte, pro-europäische Reformregierung. Die verschiedensten Formen der regionalen Kooperation (vom Freihandelsabkommen bis zur Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich), die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren, nehmen jetzt Gestalt an. Mit Mazedonien und Kroatien hat die EU bereits ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) geschlossen; dieses ebnet den Weg zum Beitrittsgesuch. So hat Kroatien am 18. Februar 2003 den Kandidatenstatus beantragt. Obwohl die Erfolgsbilanz beachtlich ist, werden die nächsten Jahre sowohl für die Länder der Region als auch für die Union eine große Herausforderung darstellen.
Nicht erst mit dem 11. September 2001 und der Neuorientierung der US-Außen- und Sicherheitspolitik ist die Stabilisierung des Westbalkans eine vorwiegend europäische Aufgabe. Während die EU-15 als Handelspartner und Geberländer im Rahmen der verschiedenen Wiederaufbau- und Reformprogramme seit längerem eine entscheidende Rolle spielen,
Im Frühjahr 1999 überarbeitete die EU in diesem Sinne die geplanten "Assoziierungsabkommen", welche die bestehenden Handels- und Wirtschaftskooperationsabkommen ersetzen und - ähnlich wie bei den Mittelmeeranrainern - eine spezielle Partnerschaft ohne Beitrittsperspektive anbieten sollten. Aus bloßen Assoziierungs- wurden im Mai 1999 die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Beitrittsperspektive. Diese sind eingebunden in einen umfassenderen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP), der die Länder der Region stabilisieren und an die EU heranführen bzw. auf den Beitrittsprozess vorbereiten soll. Die ersten, mit Mazedonien und Kroatien geschlossenen Abkommen markierten den Paradigmenwechsel der EU von der Stabilisierung hin zur Integration: Nicht weil es die strengen Wirtschafts- und Demokratiekriterien erfüllte, konnte Mazedonien im April 2001 das erste SAA unterzeichnen; vielmehr wollten die Europäer das einzige Land der Region, in dem ein multiethnisches Zusammenleben zu funktionieren schien, konsolidieren. Weniger umstritten war im November 2001 die Entscheidung für Kroatien, das den anderen Balkanländern im Reformprozess weit voraus.
Die großen Geberkonferenzen in Brüssel (März 2000) und Bukarest (Oktober 2001), bei denen Stabilisierung, regionale Kooperation und Wiederaufbau als wichtigste Ziele benannt wurden, fanden noch im Rahmen des Stabilitätspaktes statt. Die erste Regionalkonferenz in Zagreb im November 2000 betonte aber bereits - symbolisiert nicht zuletzt durch die Ortswahl - die Konditionalität der EU-Integration vor der Regionalität des Stabilitätspaktes. Seitdem haben der SAP und das CARDS-Hilfsprogramm
Eine kritische Bilanz der jüngsten Entwicklungen auf dem Balkan - gemessen an den Anforderungen der europäischen Integration im 21. Jahrhundert - ergibt aber ein pessimistisches Bild. Die Implementierung der durch internationale Vermittler ausgehandelten Vereinbarungen - das Ohrid-Abkommen zwischen Slawen und Albanern in Mazedonien vom August 2001 oder das Belgrader Abkommen zwischen Serbien und Montenegro vom März 2002 - erfolgte ebenso zäh und unwillig wie die Herstellung politischer Handlungsfähigkeit im multiethnischen Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina. Auch vier bzw. sieben Jahre nach dem Friedensschluss sind dort internationale Polizei- und Militäreinheiten erforderlich, um Sicherheit für ethnische Minderheiten zu gewährleisten. Die Rückkehr der Flüchtlinge kommt nur schleppend voran. Während die makroökonomischen Indizes für einzelne Länder eine Besserung ankündigen, sind gerade die Brennpunkte der Instabilität - Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien - zunehmend abhängig von internationaler Hilfe; zugleich nehmen jedoch Korruption und organisierte Kriminalität auf Kosten Europas zu. Parteipolitische Rivalitäten haben sowohl den Reformprozess in Belgrad seit dem Sturz von Miloevic' als auch die Bildung der ersten kosovarischen Regierung vor einem Jahr blockiert - Eigenverantwortung bleibt ein Fremdwort. Die zahlreichen Wahlen Ende 2002 haben deutlich gemacht, wie schnell sich das heutige "window of opportunity" für Reform, Demokratie und Kooperation wieder schließen könnte: Außer in Montenegro lag die Wahlbeteiligung überall nur knapp über 50 Prozent - in der BR Jugoslawien sogar darunter. Zudem bestimmten Unzufriedenheit und Ungeduld das Abstimmungsverhalten: Extremistische Politiker konnten überraschende Zugewinne verzeichnen, keine Reformkoalition wurde im Amt bestätigt. Das Gesamtbild ist somit von Stillstand geprägt: Ein Rückfall in die alten Konflikte und Nationalismen ist zwar nicht zu befürchten, aber eine zielgerichtete Dynamik für regionale Kooperation und EU-Integration ist ebenso wenig zu spüren.
Die gebotene europäische Perspektive für die Region ist Lösung und Problem zugleich. Während auf dem Balkan neue Schwierigkeiten an die Stelle der alten rücken, bewegt sich die vorwärts: Der Verfassungskonvent wird im Mai Vorschläge zur Vertiefung der Integration unterbreiten, und mit dem Kopenhagener Gipfel vom Dezember 2002 ist die Erweiterung von 15 auf 25 Mitglieder im Jahr 2004 festgeschrieben. Was vor fünf Jahren undenkbar gewesen wäre, ist jetzt Realität: Alle Länder Südosteuropas haben eine Beitrittsperspektive oder befinden sich bereits in Verhandlungen mit der EU (Rumänien und Bulgarien). Mit der Entscheidung von Kopenhagen ist zwar ganz Südosteuropa in die gedachte "finalité"
Ein Gleichgewicht zwischen der Regionalität des Stabilitätspaktes und der Konditionalität der EU-Assoziierung ist ebenso erforderlich wie eine Balance zwischen dem Export von Stabilität in die Balkanregion und dem Import von Instabilität in die EU, zwischen Vorreitern und Nachzüglern sowie zwischen regionaler und europäischer Verantwortung. Die europäische Integration ist der archimedische Punkt der Entwicklung des Balkans,
II. Europäische Integration: Lösung und Problem zugleich
Trotz der offenkundigen Unterschiede zwischen den beiden Regionen ist das Modell der EU-Osterweiterung das einzig Erfolg versprechende für Südosteuropa. Die Herausforderung liegt in der Entwicklung von Instrumenten und Strategien, die den Assoziierungs- und Beitrittsprozess flankieren und damit den Eigenheiten der Region gerecht werden. Außerdem ist Zeit ein entscheidender Faktor: Die Anziehungskraft der EU sollte als Hebel zur Beschleunigung von Reformprozessen genutzt werden, ohne dass gerade die strukturschwächsten und instabilsten Länder durch Tempo und Anforderungen ausgegrenzt werden.
In Südosteuropa und insbesondere auf dem Westbalkan geht die Transformation zu pluralistischer Demokratie und Marktwirtschaft weitgehend mit der Perspektive einer EU-Integration einher. Die Verschränkungen zwischen diesen Entwicklungen sind hier von Anfang an bestimmender. Die Ausgangslage in Südosteuropa stellt sich anders dar als die Situation in Ostmitteleuropa, aufgrund deren der Europäische Rat in Kopenhagen 1993 die Beitrittskriterien festlegte. Manche Unterschiede sind struktureller Art, andere Folgen der Konflikte in den neunziger Jahren.
Modernisierung und Transformation: Ein erstes Defizit betrifft die funktionale Schwäche der Staaten, ungeachtet ihrer Ansprüche bezüglich Souveränität und Nationalstaatlichkeit. Hinzu kommt die wenig entwickelte Zivilgesellschaft, die eng verbunden ist mit der exzessiven Verflechtung politischer und wirtschaftlicher Macht vor dem Zweiten Weltkrieg sowie der Konsolidierung eines Nationalstaates ohne breiten Mittelstand. Das EU-Engagement im Rahmen der SAA konzentriert sich bislang eher auf Garantien für eine Nichteinmischung des Staates in zivilgesellschaftliche "Freizonen" als auf die gezielte Stärkung der Zivilgesellschaft. Der Rückstand in der wirtschaftlichen Modernisierung reicht zudem teilweise weit in die Geschichte zurück: Für einzelne Staaten und Entitäten ist der Begriff "wirtschaftlicher Wiederaufbau" irreführend, da diese Volkswirtschaften die "take-off"-Phase im Modernisierungsprozess noch gar nicht erreicht haben.
Sicherheit und ethnische Konflikte: Ein weiterer Unterschied zwischen Ostmittel- und Südosteuropa besteht in der zehnjährigen, beständigen Transformation einerseits und der von Konflikten und Instabilität geprägten Entwicklung in weiten Teilen des Balkans andererseits. Auch heute beschäftigen das Erbe der Konflikte und die Risiken neuer Gewalt die politische Auseinandersetzung in und über die Region und binden erhebliche Ressourcen. Die EU muss die schwächsten Staaten der Region im Umgang mit den endemischen Krisen unterstützen, da diese zum Scheitern von Reformansätzen, zu Scheinreformen oder Formen von "state capture" führen können. Bislang hat sie die Vordringlichkeit umfassender Strategien und Instrumentarien für die direkten Konfliktfolgen unterschätzt. Eine Kernfrage betrifft die Rückkehr von Flüchtlingen, heute eines der Haupthemmnisse für die Versöhnung zwischen ethnischen und religiösen Gemeinschaften, sowie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung.
Rumänien und Bulgarien gehören als EU-Beitrittsländer grundsätzlich nicht zur Problemregion "Balkan". In Kopenhagen wurde den beiden Nachzüglern der Osterweiterung eigens Unterstützung versprochen, damit sie das selbst gesteckte Ziel - einen EU-Beitritt im Jahre 2007 - erreichen können. Es ist jedoch kein Zufall, dass der Europäische Rat in Kopenhagen es im Dezember 2002 vermieden hat, eine feste zeitliche Zusage zu machen.
Heterogenität der Region: Ein weiterer Nachteil gegenüber Ostmitteleuropa ist die Heterogenität der Entwicklungen auf dem Balkan. Manche Länder haben günstigere Voraussetzungen für Verwaltungs- und Wirtschaftsreformen als andere. Für einige Staaten dürfte der Weg zur EU-Mitgliedschaft relativ überschaubar und geradlinig sein. Andere Länder und staatsähnliche Entitäten sehen sich dagegen wesentlich größeren Erblasten aus den Konflikten der neunziger Jahre sowie schier unüberwindbaren Modernisierungsrückständen und institutionellen Schwächen gegenüber. Diese Unterschiede sind in der kleinen Balkanregion weitaus bedeutsamer als jene zwischen den Vorreitern und Nachzüglern der Transformation in Ostmitteleuropa. Gerade in den Ländern, in denen der Modernisierungsprozess weiter fortgeschritten ist, erweist sich das Engagement für regionale Kooperation als weniger ausgeprägt. Für die Balkanländer ist diese jedoch ein Muss.
Um zu vermeiden, dass die EU zum Gefangenen ihrer eigenen Heranführungsversprechen für diese instabile Region wird, erfordert es eine strikte, aber faire Konditionalität mit Anreizen und Sanktionen. Dabei sollten die Entwicklungen vor Ort reflektiert werden - ohne den Eindruck zu erwecken, das Generieren von Stabilitätsrisiken sei erfolgversprechender als ein konsequenter Reformkurs. Die Zusage der EU ist unwiderruflich, aber das Verstreichen von Zeit an sich kann das Erfüllen der Beitrittsbedingungen weder ersetzen noch diese aufweichen. Letztlich bestimmen politischer Wille und Engagement der regionalen Politiker den Erfolg der europäischen Gesamtstrategie für den Balkan.
III. Regionale Kooperation: von der Stabilisierung zur Integration
Im Kielwasser des Stabilitätspaktes sind eine ganze Reihe von neuen Institutionen und Zusammenschlüssen entstanden, die sich der Regionalkooperation und der Stärkung der Eigenverantwortlichkeit widmen.
Sowohl die Politik als auch die Öffentlichkeit in den Balkanländern neigt dazu, die "Direktive" von EU und Stabilitätspakt für regionale Kooperation als rhetorischen Trick oder Verzögerungstaktik zu (miss-)verstehen. Mancherorts ist die Befürchtung weit verbreitet, Brüssel könnte den Westbalkan als Gruppe betrachten und das Tempo der Integration vom langsamsten Kandidaten abhängig machen.
Funktionale Formen der Zusammenarbeit werden keine negativen Auswirkungen auf die EU-Integration haben - auch wenn die positiven Effekte von Land zu Land unterschiedlich sein können. Lokale grenzüberschreitende Kooperation und zivilgesellschaftliche Netzwerke tragen zu einer Entmythologisierung ethnischer Vorurteile und einer graduellen Normalisierung der Beziehungen bei. Noch direkter dürfte sich die Zusammenarbeit auf das Wirtschaftswachstum auswirken: In einer Region von Klein- und Kleinststaaten sind diese förmlich gezwungen, auf "economies of scale" zu setzen und damit für Produzenten und Investoren einen Markt mit 25 oder gar 50 Millionen Abnehmern zu schaffen. Dazu sollten nach und nach die Barrieren für den Verkehr von Personen, Gütern und Kapital fallen. Die Tatsache, dass die meisten Länder vorwiegend mit der EU handeln, ändert nichts an dieser Priorität. Einheitliche Tarifsysteme und Grenzregime wären ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Transportinfrastruktur, Energienetzwerke und Tourismus sind von sich aus regional angelegt. Die meisten Formen der regionalen Kooperation sind sinnvoll und effektiv - ungeachtet der Frage, ob und wann ein Beitritt zur EU erfolgt.
In der Perspektive der EU-Integration als dominanter Rahmen für den Balkan muss eine neue Kongruenz aus mulilateraler regionaler Kooperation und bilateraler EU-Assoziierung entworfen und implementiert werden, um eine Synchronie der Zeitpläne und eine Komplementarität der Strategien sicherzustellen. Der Stabilitätspakt kann - wie oben gesehen - nur einer von mehreren Schritten sein, wenn auch ein wichtiger.
Die bilateralen Beziehungen im Rahmen der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen sind offenkundig ungeeignet, um regionale Kooperation zu fördern. Somit sind auch nur zehn Prozent des CARDS-Budgets, das vor allem für die Bereiche Wirtschaft, Infrastruktur und Verwaltung vorgesehen ist, für regionale Projekte reserviert. Diese Hilfe ist wiederum vorwiegend für Infrastruktur und Grenzsicherung gedacht.
IV. Den Balkan integrieren: eine europäische und eine regionale Verantwortung
Nach der Osterweiterung im Jahre 2004 werden die Dilemmata von Regionalität, Konditionalität, Instabilität und Heterogenität in Südosteuropa mit aller Kraft durchschlagen. Der Konditionalitätsansatz des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses belohnt - in Form von mehr Unterstützung und Ressourcen - Transformationsfortschritte und die Anpassung an die EU nach dem Prinzip der strengen Bilateralität. Dagegen fördert der Regionalansatz des Stabilitätspaktes die Staaten und staatsähnlichen Entitäten mit dem größten Unterstützungsbedarf anstelle der erfolgreichsten Staaten. Dies geschieht mit minimaler Konditionalität, um einen Nachholprozess und eine regionale Angleichung anzustoßen. Der Stabilitätspakt und andere regionale Initiativen haben die Reformen und den Wiederaufbau in der gesamten Region gewiss beschleunigt, aber im Jahr 2004 werden die durch die unterschiedliche Ausgangslage verursachten Disparitäten der Länder nicht zuletzt durch die konditionierte Unterstützung der EU eher größer als kleiner geworden sein.
Nicht weniger vertrackt sind die institutionellen Dilemmata der EU selbst. Die Vereinigung der Kompetenzen von Javier Solana als dem beim Rat angesiedelten Hohen Repräsentanten für Krisenmanagement und von Chris Patten als EU-Kommissar für den Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess wird nicht zuletzt im Rahmen des Konvents erörtert - dabei würde der Status quo eine Zusammenlegung der Zuständigkeiten für die Osterweiterung und den SAP im Jahre 2004 nahe legen. Einerseits befinden sich die sieben Länder der Region in unterschiedlichen Beziehungen zur EU, andererseits sind sie alle vorerst von der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Die geballte Expertise beim Thema Osterweiterung und gegebenenfalls verbleibende Vorbeitrittshilfen (PHARE, ISPA, SAPARD)
Eine Kluft droht aber nicht nur zwischen den Ländern, die bereits 2004 beitreten, und Rumänien sowie Bulgarien, sondern auch zwischen diesen beiden (sowie ggf. Kroatien) und den Staaten des Westbalkans. Läge die Zuständigkeit für die Verhandlungen mit den beiden Beitrittskandidaten sowie für den Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess in einer Hand, könnte z.B. Kroatien als das am weitesten fortgeschrittene SAP-Land von den Instrumenten der EU für die Erweiterung profitieren, während bei Nachzüglern wie Mazedonien, Kosovo oder Bosnien-Herzegowina im Rahmen des SAP Abstufungen mit niedrigeren Eingangskriterien gelten würden. So ließen sich die Reformanstrengungen der Region unterstützen. Zudem könnte verhindert werden, dass gerade die südliche Hälfte des Westbalkans - die Subregion mit dem höheren Konfliktpotential, den ungelösten Souveränitätsfragen und dem niedrigeren Potential für Wirtschaftsentwicklung - nach 2004 bzw. 2007 weiterhin von dem dann marginalisierten regionalen Kooperationsprozess abhängig bliebe. Europa kann es sich nicht leisten, dass bestimmte Länder oder Entitäten im Zuge des europäischen Einigungsprozesses durch das Raster fallen. Diese würden zu einem Herd der Instabilität in einem sich integrierenden Europa. Interregionale Kooperation und die Einbeziehung der Region in die europäische Zusammenarbeit müssen daher den linearen Assoziierungs- und Beitrittsprozess nach dem Modell der Osterweiterung begleiten.
Ingesamt sollte die Europäische Union ihr Engagement für die Region fortsetzen, ohne jedoch dem vermeintlichen Druck der anvisierten Zeitpläne oder den - aus Frustration und Ungeduld resultierenden - Stabilitätsrisiken nachzugeben. Angesichts dieser Dilemmata auf regionaler und europäischer Ebene ist es eine positive Koinzidenz, dass im Jahr 2003 die beiden EU-Staaten mit der größten Affinität zu Südosteuropa - Griechenland und Italien - die Ratspräsidentschaft innehaben. Athen hat bereits ein verstärktes Engagement für die Nachbarregion angekündigt