Einleitung
Kaum hatte die Europäische Union (EU) auf dem Kopenhagener Gipfel im Dezember 2002 den Beitritt von zehn Ländern beschlossen
Bei den Hilfen der Europäer für die Balkanländer sind zwei Zielsetzungen zu unterscheiden: zum einen der Wiederaufbau und die Stabilisierung, zum anderen die Modernisierung und Heranführung an die EU. War für die Balkanregion bislang der erste Ansatz maßgeblich, so mehren sich die Anzeichen, dass die Union - wie im Falle der Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien - künftig den zweiten Weg wählen will. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden drei Fragen erörtert: Mit welchen Instrumenten hat die EU versucht, die Stabilisierung und Modernisierung
I. Die Politik der EU
Den Balkanstaaten war ein ähnlich erfolgreicher Weg in die EU wie im Falle Polens, Ungarns und der übrigen Länder der aktuellen Erweiterungsrunde verstellt. Friedenssicherung und Stabilisierung standen zunächst im Vordergrund der internationalen Bemühungen, bevor die EU sich - mit bis zu zehnjähriger "Verspätung" - an die Aufgabe der Modernisierung machen und die Integrationsperspektive eine positive Wirkung auf die Region entfalten konnte. Verglichen mit den mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsländern sind die Balkanstaaten von folgenden Merkmalen gekennzeichnet: verzögerte Transformation, strukturelle Defizite der Modernisierung, massive Produktionseinbrüche, Auflösung von Markteinheiten, schwache Staaten, politische Instabilität und hohe Volatilität der Wähler, ethnische Fragmentierung sowie Defizite im Bereich Sicherheit.
Bei den Bemühungen zur Stabilisierung und Modernisierung der Region sind zwei Ländergruppen zu unterscheiden, bei denen die EU von unterschiedlichen Instrumenten Gebrauch gemacht hat: Bulgarien und Rumänien, die bereits den Status von EU-Beitrittskandidaten haben, sowie die fünf Länder des westlichen Balkans.
Erstens: Die Beitrittskandidaten Bulgarien und Rumänien sollen mit Hilfe der Programme PHARE, ISPA und SAPARD an die Union herangeführt werden. Daneben vergibt die EU Mittel für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, und die Europäische Investitionsbank (EIB) stellt Darlehen zu günstigen Konditionen zur Verfügung. Die Programme zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:
- PHARE (Poland and Hungary Assistance for the Restructuring of the Economy) war 1989 zunächst auf Polen und Ungarn beschränkt, ist aber später auf alle EU-Beitrittskandidaten (und auf Albanien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien) ausgedehnt worden.
- ISPA (Instrument for Structural Policies for Pre-Accession) soll auf die Inanspruchnahme der EU-Strukturfonds nach erfolgtem Beitritt vorbereiten.
- SAPARD (Special Accession Programme for Agriculture and Rural Development) unterstützt die Beitrittsländer bei der strukturellen Anpassung ihrer Landwirtschaften und ländlichen Gebiete an die Besonderheiten der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU.
Tabelle 1 zeigt, dass Bulgarien von 1992 bis 2002 über 1,351 Milliarden Euro an PHARE-Mitteln erhalten hat, das bevölkerungsreichere Rumänien 1,976 Milliarden Euro. Rechnet man die erst seit dem Jahr 2000 bzw. 2001 gezahlten ISPA- und SAPARD-Mittel hinzu, zahlte die EU an Bulgarien insgesamt bis zu 1,802 Milliarden Euro. Rumänien erhielt bis zu 3,058 Milliarden Euro, um sich auf den EU-Beitritt vorzubereiten. Nimmt man das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Empfängerländer als Vergleichsmaßstab, hat die EU 2001 im Falle Bulgariens 1,79 % und im Falle Rumäniens 1,57 % des BIP an Finanzhilfe überwiesen. Zum Vergleich: Bei Spanien belief sich der BIP-Anteil der Strukturfonds-Mittel von 1989 bis 1999 durchschnittlich auf 1,5 %, bei Portugal und Griechenland auf je 3,5 %.
Zweitens: Bei den übrigen fünf Balkanländern ist das Instrumentarium zur Heranführung an die EU insbesondere nach dem Kosovo-Krieg von 1999 ausgebaut worden.
Kernelement des SAP ist die langfristige vertragliche Bindung zwischen der EU und den Balkanländern; die Assoziationsverhältnisse sollen perspektivisch auf einen Beitritt zur Union vorbereiten durch die Öffnung des EU-Marktes für Produkte der Balkanländer (Handelspräferenzen),
Bislang hat die EU Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Mazedonien und Kroatien unterzeichnet.
Über ECHO, eine Abteilung der Kommission für humanitäre Hilfe, hat die EU auch für den Balkan erhebliche Mittel bereitgestellt, um Notlagen zu lindern (vgl. Tabelle 2). Im Falle der BR Jugoslawien war die Wiederaufbauhilfe nicht wie bei den anderen Ländern der Region möglich; dem standen die undemokratischen Verhältnisse entgegen. Bis 1999 leistete die EU daher im Rahmen von OBNOVA lediglich an Montenegro und Kosovo Hilfe. In Serbien konnte die EU bis zum Regimewechsel im Oktober 2000 nur folgende Maßnahmen finanzieren: Unterstützung der Zivilgesellschaft, Energielieferungen und Unterstützung von Schulen in demokratisch regierten Kommunen.
II. Exkurs: Erfahrungen mit der EG-Süderweiterung
Um die Auswirkungen einer Integration weniger wettbewerbsfähiger Volkswirtschaften in die EU einzuschätzen, kann in begrenztem Maße auf die Erfahrungen der Süderweiterung 1981 (Griechenland) und 1986 (Spanien und Portugal) zurückgegriffen werden. Dem Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) ist im Falle Griechenlands die Assoziation mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1962 vorangegangen, verbunden mit mehrjährigen Finanzprotokollen. Im Falle Spaniens und Portugals war eine allmähliche Heranführung an die EG wegen der politischen Verhältnisse unmöglich.
Die volkswirtschaftlichen Effekte des EG-Beitritts lassen sich im Falle der drei Länder wie folgt zusammenfassen:
- Die Volkswirtschaften der Beitrittsländer werden belastet, weil die Zollunion in der Regel Exporte von Altmitgliedern in die neuen Mitgliedstaaten begünstigt. Die Handelsbilanzen der südeuropäischen Länder haben sich durchweg verschlechtert.
- Die Beitrittsländer ziehen Nutzen aus den Finanzzuweisungen der EU (bes. Agrar- und Strukturpolitik). Griechenland, Spanien und Portugal haben sich zu Nettoempfängern der EU entwickelt, d.h., sie zahlen weniger in den EU-Haushalt ein, als sie erhalten. So kamen 1990 auf jeden Griechen 247 ECU, auf jeden Portugiesen 58 und auf jeden Spanier 44 ECU.
- Die EU-Finanztransfers können ökonomisch als Kompensation für die Liberalisierungskosten verstanden werden, die den Ländern durch den Beitritt entstanden sind. Im Falle Griechenlands, Portugals und Spaniens entsprachen diese etwa den Transferleistungen.
- Niedrige Lohnkosten in den weniger entwickelten Ländern ziehen keineswegs automatisch Kapitalanleger aus dem Ausland an. Der Umfang ausländischer Investitionen, die zur Verbesserung der Produktivität und Technologie sowie zur Schaffung moderner Industrien und Arbeitsplätze beitragen, hängt von der jeweiligen Standortqualität ab. Bei Portugal und Spanien entwickelten sich die Auslandsinvestitionen positiv, während Griechenland keine vergleichbare Dynamik verzeichnete. Der Grund lag in dem sehr unterschiedlichen Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung.
- Gemessen an den üblichen makroökonomischen Indikatoren wie Wirtschaftswachstum, Inflation, Investitionsneigung, Leistungsbilanzsaldo und Arbeitslosigkeit hat sich die Wirtschaft in den südeuropäischen Ländern sehr uneinheitlich entwickelt. In Griechenland war die Bilanz (insbesondere in den achtziger Jahren) im Gegensatz zu Portugal und Spanien sehr bescheiden. In Spanien erwies sich lediglich die Arbeitslosigkeit als Dauerproblem.
- Die Divergenzen lassen sich mit der nationalen Wirtschafts- und Modernisierungspolitik erklären: In Griechenland hatte man in den achtziger Jahren (vorwiegend aus wahltaktischen Gründen) auf Etatismus und Verteilungspolitik gesetzt und war damit gescheitert. Die Regierung scheute die politischen Kosten, die mit der Modernisierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit verbunden sind. Spanien und Portugal hatten dagegen keine nachfrageorientierte Politik betrieben und die Modernisierungspolitik auf die gegebenen binnen- und außenwirtschaftlichen Zwänge ausgerichtet. Die Staatsinterventionen wurden zurückgefahren und unrentable Betriebe stillgelegt; der Arbeitsmarkt wurde flexibilisiert. Die Anpassungskosten im Zuge des EG-Beitritts konnten - anders als in Griechenland - relativ schnell kompensiert werden.
Als wichtigste Erkenntnis ist mithin festzuhalten: Einerseits entscheidet letztlich die nationale Modernisierungspolitik darüber, wie ein Land die mit dem EG-Beitritt verbundenen Anpassungskosten bewältigt. Die nationale Eigenverantwortung ist für Erfolg oder Misserfolg der Modernisierung entscheidend. Je größer der nationale Konsens in der Europapolitik ist, desto besser sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Einbindung in die EU. Andererseits ist hervorzuheben, dass auch die eher bescheidenen Ergebnisse in Griechenland nicht mit einer ernsthaften Erschütterung des politischen Systems einhergegangen sind. Die Demokratisierung der drei südeuropäischen Länder hat mit der Integrationsperspektive große Fortschritte gemacht. Dazu haben auch die Finanztransfers aus Brüssel beigetragen.
III. Die Balkanländer zwischen Hilfe und Eigenverantwortung
Wie stellt sich die vorläufige Bilanz des Wiederaufbaus, der Stabilisierung und der Modernisierung dar? Als Bulgarien 1997 - ausgerechnet während einer schweren Wirtschaftskrise - seinen Antrag auf Beitritt zur EU stellte, fehlte es nach Ansicht der Europäischen Kommission an einer marktwirtschaftlich orientierten Politik. Vier Jahre später betonte diese jedoch in ihrem Regelmäßigen Bericht von 2001, dass Bulgarien bald über eine funktionierende Marktwirtschaft verfügen und damit "mittelfristig" dem Wettbewerbsdruck der EU standhalten werde. Nachdem das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 1997 um 5,6 % zurückgegangen war, konnte Bulgariens Wirtschaft Zuwächse von 5,4 % (2000) und 4,0 % (2001) verzeichnen.
Rumänien hat seit dem Antrag auf EU-Beitritt eine diskontinuierliche Entwicklung genommen. 1997 hatte die Kommission dem Land noch "beträchtliche Fortschritte beim Aufbau einer Marktwirtschaft" attestiert. 2001 mahnte sie Rumänien, den Reformkurs beizubehalten. Allenfalls "mittelfristig" kann das Land dem Wettbewerbsdruck der EU standhalten. Rumänien hat erst verspätet, 1997, zentrale Maßnahmen in den Bereichen Liberalisierung und Unternehmensreform eingeleitet. Bei der Arbeitslosigkeit ist es zwar mit einer Quote von 6,6 % (2001) deutlich besser gestellt als Bulgarien. Doch dies ist lediglich auf die unzureichenden Umstrukturierungsmaßnahmen zurückzuführen.
Für die Staaten des westlichen Balkans war das Ende des Kosovo-Krieges ein entscheidender Wendepunkt. Die allgemeine Stabilisierung sowie die Einbeziehung des westlichen Balkans in den Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess haben in vielen Fällen positive Entwicklungen begünstigt. Das Wirtschaftswachstum nimmt nach dem Einbruch von 1999 wieder zu und übertrifft die Wachstumsraten der Weltwirtschaft (vgl. Tabelle 3). Die Inflation verlangsamt sich deutlich. Das Handelsbilanzdefizit mit der EU weist fast kontinuierlich steigende Tendenz auf. Insbesondere die Importe sind in den Jahren 2000 und 2001 angestiegen. Dies ist umso bemerkenswerter, als die EU den Balkanländern mittlerweile weitgehend freien Zugang zu ihrem Markt bietet. Im Vergleich mit den ost- und mittelosteuropäischen Ländern bleibt die Dynamik des Außenhandels bei den Staaten des westlichen Balkans zurück. Seit Mitte der neunziger Jahre steigen die Importe in deutlich stärkerem Maße als die Exporte an.
Die Annäherung an die EU scheint die Erfahrung der EG-Süderweiterung zu wiederholen: Einerseits findet eine Handelsumlenkung auf den europäischen Markt statt. Andererseits können trotz der Öffnung des eigenen Marktes gerade die EU-Anbieter ihre Exporte in die weniger entwickelten Länder ausweiten.
Ein Vergleich der Länder des westlichen Balkans zeigt voneinander abweichende Tendenzen: In Albanien hat die Energiekrise des Jahres 2000 das wirtschaftliche Wachstum deutlich verlangsamt. Betrug dieses 1998 noch 8,0 %, so lauten die Schätzungen für 2002 auf 4,5 %. Die Inflation ist im gleichen Zeitraum von 20,9 % auf 5,3 % gesunken. Die Arbeitslosigkeit beträgt aktuell 14,2 %. Das Handelsbilanzdefizit erreichte 2001 den beträchtlichen Wert von 25 % des BIP und dies, obwohl die EU seit September 2000 für die meisten Waren einen zollfreien Marktzugang gewährt - ausgenommen sind lediglich bestimmte Textil- und Landwirtschaftsprodukte. Der Außenhandel Albaniens konzentriert sich mittlerweile in bemerkenswerter Weise auf die EU: 90 % der Exporte gehen dorthin, 75 % der Importe kommen von dort. Die Strukturreformen kommen nur langsam voran. Über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen soll 2003 verhandelt werden.
Bosnien-Herzegowina ist auch gut sieben Jahre nach Ende des Kriegs noch immer in besonderem Maße von ausländischer Hilfe abhängig. Für die so dringend benötigten privaten Auslandsinvestoren stellt es keinen attraktiven Standort dar. Das Wirtschaftswachstum gründet sich bislang auf den Wiederaufbau und die Auslandshilfe; eine sich selbst tragende wirtschaftliche Dynamik konnte sich nicht entfalten. Betrug das Wirtschaftswachstum 1998 noch 9,9 %, wird es 2002 nur noch auf 2,5 % geschätzt. Die Inflation ist aktuell in der Republika Srpska mit 4,4 % höher als in der Föderation (1,5 %), die Arbeitslosenquote liegt mit 41 % besonders hoch. Obwohl die EU seit 2000 ihren Markt für die meisten Produkte geöffnet hat, gehen nur 45 % der Exporte dorthin und kommen 30 % der Importe aus der EU. Eine Erklärung liegt z.T. darin, dass die Föderation dem Verbraucherschutz der EU nicht entspricht. Strukturreformen wie die Privatisierung kommen kaum voran. Eine Machbarkeitsstudie der Kommission soll prüfen, wann sich das Land für ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen qualifiziert. Nach den Wahlen vom 5. Oktober 2002 deutet wenig darauf hin, dass die politischen Voraussetzungen zur Besserung der sozioökonomischen Lage geschaffen worden sind: Bei einer denkbar niedrigen Wahlbeteiligung von 54 % konnten sich die nationalistischen Parteien behaupten.
Kroatien präsentiert sich unter den Ländern des westlichen Balkans mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 5 000 Euro als relativ reiches Land. Wegen der labilen politischen Verhältnisse konnte es bislang die notwendigen Strukturreformen nur in begrenztem Umfang voranbringen. Das betrifft vor allem den Arbeitsmarkt und die öffentlichen Unternehmen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit hat darunter gelitten. Die EU ist Kroatiens wichtigster Außenhandelspartner, 55 % der Im- und Exporte werden hier abgewickelt. 2001 hat sich das Handelsbilanzdefizit gegenüber dem Vorjahr von 17,4 % auf 21,0 % des BIP erhöht. Da Reformen ausgeblieben sind, ist das Land für ausländische Investoren nicht attraktiv; diese steuerten 2001 7,0 % zum BIP bei. Seit dem Tiefpunkt von 1999 (-0,4 %) hat sich das Wirtschaftswachstum wieder erholt, 2001 betrug es 3,8 %. Nach dem Regierungswechsel und der Ablösung von Franjo Tudjman verbesserten sich die Beziehungen zur EU deutlich. Allerdings ratifizierten Großbritannien und die Niederlande das im Oktober 2001 unterzeichnete Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen nicht, weil Kroatien die Auslieferung von Generalstabschef Janko Bobetko an das Haager Kriegsverbrechertribunal verweigert.
Die vormalige Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) hat sich erst seit dem politischen Wechsel im Oktober 2000 auf den Weg struktureller Reformen begeben und sich damit auch finanzielle Unterstützung gesichert. In den beiden zurückliegenden Jahren kam es vor allem darauf an, die makroökonomische Stabilität zu sichern. Die Inflation, die 2001 noch 91,0 % betrug, konnte im vergangenen Jahr auf 20,0 % gesenkt werden, befindet sich aber immer noch auf hohem Niveau. Seit 2000 bewegt sich das Wirtschaftswachstum zwischen 4,0 % und 5,5 %. Die Arbeitslosenquote beträgt 29,0 %. Das Handelsbilanzdefizit ist mit einem Anteil von 25,8 % des BIP recht hoch. Die von der EU eingeräumten Handelspräferenzen haben sich noch nicht exportsteigernd ausgewirkt. Ausländisches Kapital findet erst seit 2001 den Weg nach Jugoslawien; die Investitionen beliefen sich 2002 auf 570 Millionen Euro (4,4 % des BIP). Die Normalisierung der Beziehungen zur EU ermöglichte es dieser, eine weitere Fragmentierung auf dem Balkan zu verhindern: Am 14. März 2002 haben die Regierungen Serbiens und Montenegros - unter Vermittlung des Hohen Repräsentanten der EU, Javier Solana - das "Belgrad-Abkommen" unterzeichnet, in dem sie sich weiter auf den Erhalt der Föderation und des gemeinsamen Marktes verpflichteten.
Das Kosovo ist noch immer vorwiegend von ausländischer Hilfe abhängig. 2001 betrug die externe Budgethilfe 76 Millionen Euro. Erst allmählich vollzieht sich der Wandel vom Kleinhandel zur Produktion. Das wirtschaftliche Wachstum wird auf 7,0 % geschätzt, die Arbeitslosigkeit beträgt rund 50 %. Die Inflation wurde 2002 von 11,3 % im Vorjahr auf 6,5 % gedrückt. Unter diesen Umständen ist das Handelsbilanzdefizit mit 50,2 % des BIP extrem hoch. Auslandsinvestitionen haben 2002 nur den Wert von 10 Millionen Euro erreicht. Gerade das Kosovo steht vor der Aufgabe, sich angesichts der zurückgehenden Auslandshilfe eigene Finanzmittel zu erschließen. Der Etablierung des Rechtsstaats und der Umsetzung von Gesetzen kommt dabei besondere Bedeutung zu.
Mazedonien, das seine Unabhängigkeit 1991 gewann und in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung aufwies, hat sich in den vergangenen zwölf Monaten erst langsam von den bürgerkriegsähnlichen Zusammenstößen zwischen slawischen und albanischen Bevölkerungsgruppen im Jahr 2001 erholt. Das ökonomische Wachstum - in den Vorjahren stets bei ca. 3-4 % - fiel 2001 auf -4,1 % und betrug auch 2002 nur magere 0,5 %. Die Inflationsrate hat sich seit 2000 verschlechtert (5,8 %), dürfte aber 2002 wieder auf 3,0 % zurückgegangen sein. Die Arbeitslosigkeit erreichte 2002 eine Quote von 30,5 %. Die Haushaltslage hat sich durch die Erhöhung der Sicherheitsausgaben (Militär, Polizei) verschlechtert. Das Haushaltdefizit belief sich 2002 auf 4,7 %, die Auslandsschulden auf 42,5 % des BIP. Für die im September 2002 neu gewählte Regierung steht daher der Abschluss eines Stand-by-Abkommens mit dem Internationalen Währungsfonds obenan.
IV. Gemischte Bilanz der Wiederaufbau- und Modernisierungspolitik
Zieht man eine Bilanz der Wiederaufbau- und Modernisierungspolitik der EU auf dem Balkan, fällt das Ergebnis durchaus gemischt aus: Die Kandidaten Bulgarien und Rumänien weisen trotz der nicht unerheblichen Hilfen noch immer gravierende Rückstände bei der Vorbereitung auf den Beitritt auf. Bei den Nachfolgestaaten Jugoslawiens ging es nach den kriegerischen Auseinandersetzungen und Zerstörungen zunächst um die Stabilisierung und Befriedung der politischen Lage sowie den ökonomischen Wiederaufbau. Die internationalen Geber, darunter auch die EU, planen ein Auslaufen der Finanzmittel. Die Frage ist, was an die Stelle der Wiederaufbauhilfe treten soll. Können die bisherigen Empfängerländer auf Unterstützung von außen verzichten, oder sollte die bisherige Hilfe neu strukturiert werden?
Am Beispiel Bulgariens hat sich bestätigt, dass die Modernisierungschancen von der nationalen Reformpolitik abhängen; externe Hilfe kann diese nicht ersetzen. Erst nach einem politischen Kurswechsel konnte das Land - wenn auch insgesamt bescheidene - Fortschritte erzielen. Im Falle Rumäniens sind die Folgen der verspäteten Reformpolitik noch immer spürbar. Wegen der politischen und sozialen Kosten wurden durchgreifende Reformen - wie in Bulgarien - nur sehr zögerlich angegangen. In beiden Ländern funktioniert die EU-Hilfe faktisch als Mittel zum Zahlungsbilanzausgleich, der wegen der gestiegenen Importe aus den EU-Ländern erforderlich ist.
Die finanzielle Unterstützung der EU für den westlichen Balkan hat sich bislang vorwiegend auf den Wiederaufbau und die Stabilisierung konzentriert. Die Europäer müssen über eine Neuorientierung der Hilfe nachdenken. Dies gilt umso mehr, als diese derzeit oftmals lediglich die Einkommen im öffentlichen Dienst und den Konsum finanziert, statt Investitionen und eine Verbesserung der produktionsorientierten Infrastruktur anzuregen. Zur Verbesserung der Lage wurde vorgeschlagen, den Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess durch eine Politik der wirtschaftlichen und sozialen Kohäsion zu ergänzen.
- Gegen eine Fortführung der derzeitigen EU-Strukturpolitik sprechen viele Argumente.
- Gegen die Fortsetzung der Politik spricht auch die begrenzte Absorptionsfähigkeit. Das 1999 geschaffene Programm ISPA sollte die Übertragung der EU-Strukturpolitik auf die derzeitigen Beitrittsländer vorbereiten. Die Regelmäßigen Berichte der Kommission belegen jedoch deren Schwierigkeiten, die ihnen zugewiesenen EU-Mittel in Projekten zu binden. So mache die Umsetzung von ISPA-Projekten in Bulgarien "nur langsame Fortschritte" und die Kapazitäten der durchführenden Stellen seien begrenzt.
- Eine letzte Frage stellt sich: Wer soll eigentlich die zusätzlichen Leistungen der EU finanzieren? Wie die Debatten um die Osterweiterung gezeigt haben, wäre zwar nicht die Finanzkraft der Union, wohl aber der politische Wille der Mitgliedstaaten überfordert, sollten die Finanzmittel der Kohäsionspolitik weiter aufgestockt werden.
Auch wenn es durchaus plausibel ist, dass die EU ihre Hilfe für den Balkan vom Wiederaufbau hin zur Modernisierung und Heranführung an den europäischen Integrationsprozess umsteuern muss, sollte die Übertragung aktueller EU-Politiken auf den Balkan gleichwohl behutsam erfolgen. Weder die Empfänger künftiger EU-Finanztransfers noch die Europäische Union selbst dürfen überfordert werden. Nur unter diesen Bedingungen kann diese als Solidargemeinschaft überleben. Für die Länder des westlichen Balkans sollten daher spezifische Unterstützungsprogramme entwickelt werden, die einerseits dem Bedarf an Investitionsförderung und Infrastrukturaufbau stärker gerecht werden, die es andererseits aber der EU nicht unnötig erschweren, ihre bisherigen Förderpolitiken kritisch zu prüfen und zu reformieren.
Wenn es der Europäischen Union gelingt, ihre Finanztransfers auf die bedürftigsten Staaten, Regionen und Personengruppen zu konzentrieren, wird sie auch für den westlichen Balkan ein stärkerer Partner sein.