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Kunst und Kultur im Wohlfahrtsstaat | Kultur | bpb.de

Kultur Editorial Zum Funktionswandel des Kulturjournalismus in der Mediengesellschaft Künste und kulturelle Bildung als Kraftfelder der Kulturpolitik Kulturpolitik in Zeiten der Globalisierung Kunst und Kultur im Wohlfahrtsstaat Soziokultur in Ostdeutschland Kulturelle Standortbestimmung Europas

Kunst und Kultur im Wohlfahrtsstaat

Michael Opielka

/ 21 Minuten zu lesen

Kultur ist eine wohlfahrtsstaatliche Investition. Ohne dieses "öffentliche Gut" fehlte der Industriegesellschaft das kreative Fundament. Der Staat darf die Kultur daher nicht allein den Marktgesetzen überlassen.

Einleitung

Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen Probiert ein jeder was er mag; Drum schonet mir an diesem Tag Prospekte nicht und nicht Maschinen.

J. W. v. Goethe, Faust, Vorspiel

Der Zusammenhang von Kunst und Geld war nicht nur dem Theaterdirektor in Goethes "Faust", er ist jedem Künstler geläufig. Nur, wer zahlt? Soll dies "der Staat" sein und, wenn ja, in welchem Umfang? Man kann nicht sagen, dass die Frage nach der Begründung von Staatsgeldern für Kunst und Kultur bislang theoretisch geklärt wäre. Dabei existieren zwei Denkfiguren, die entschiedener und mit Erfolg auf die Begründung von Kulturpolitik angewendet werden könnten: das Verhältnis von öffentlichen und privaten Gütern einerseits, von investiven und konsumtiven (Staats-)Ausgaben andererseits. Beide Verhältnisbestimmungen sind in der gegenwärtigen kulturpolitischen Diskussion im Fluss. Wenn man sie genauer untersucht, dann wird nicht nur die Ästhetisierung unserer Wirklichkeit, sondern auch die wohlfahrtsstaatliche Bestimmung von Kunst und Kultur deutlich. Letztere ist natürlich nicht unproblematisch, und deshalb soll ein Weg skizziert werden, der den Wohlfahrtsstaat als Kulturstaat in die Verantwortung nimmt und zugleich einen Beitrag zur Entstaatlichung leistet, um die Individualität der Kunst und die Gemeinschaftsbildung der Kultur zu gewährleisten.

I. Öffentliche Güter und wohlfahrtsstaatliche Investitionen

Kunst und Kultur als öffentliches Gut zu betrachten kann sich auf die Verfassung berufen. Die Freiheit der Kunst in Art.5 (3) des Grundgesetzes ist zwar in liberaler Tradition negativ gefasst, wurde in der verfassungsrechtlichen Diskussion jedoch zunehmend positiv als staatliche Gewährleistung der Freiheit interpretiert - bis hin zur Formulierung im Einigungsvertrag Art.35 (1), wonach Deutschland ein "Kulturstaat" sei. Öffentliche Güter unterscheiden sich von privaten dadurch, dass sie allen Bürgern zugänglich sein sollen; ferner, so wird oft argumentiert, dass sie nicht oder jedenfalls nicht in der Qualität erbracht würden, wenn man sie allein dem marktwirtschaftlichen Verkehr überließe. Das erste Argument des gleichen Zugangs ist letztlich ein sozialpolitisches; es resultiert aus dem Gerechtigkeitsziel der Gleichheit. Die neoliberale Hegemonie der letzten Jahrzehnte hat Gleichheit als eines von mehreren Zielen der Politik zwar diskreditiert. Demokraten müssen das aber nicht hinnehmen. Schwieriger zu begegnen ist freilich dem zweiten Argument: Würden Kunst und Kultur ihre Qualität verlieren, wenn sie allein über den Markt zu Geld kommen müssten?

Die Befürworter eines öffentlichen Kulturauftrags können der neoliberalen Marktideologie entgegenhalten, dass die marktlichen Kunstprodukte - wie das private Fernsehen, das Kommerzkino, die Bestsellerkultur - oft mangelhaft sind. Andererseits gehört zu einer demokratischen Gesellschaft konstitutiv die individuelle Handlungsautonomie, die Chance, in einer Pluralität von Kulturangeboten zu wählen, die durch öffentliche, das heißt staatliche Entscheidungen nur begrenzt vorstrukturiert sein darf. Die soziologische Steuerungstheorie hat deshalb schon lange eine Dreigliederung von Markt, Staat und Gemeinschaft favorisiert: Neben die öffentliche (staatliche) und die private (marktliche) Güterproduktion tritt seit je eine Produktionsform, die als intermediäre, gemischte oder eben gemeinschaftliche bezeichnet werden kann: Stiftungen, Verbände, Vereine und Netzwerke - also Formen, in denen Individuen allein oder im Zusammenschluss mit anderen ohne (marktliche) Profit- und (staatliche) Herrschaftsinteressen tätig werden.

Amitai Etzioni hat auf die Effektivitätsvorteile gemeinschaftlicher Non-Profit-Organisationen gegenüber staatlicher und marktlicher Organisation auch im Kulturbereich hingewiesen. Diese Gemeinschaftsformen bilden so etwas wie eine Synthese von öffentlicher und privater Güterproduktion. Sie scheinen, zumindest theoretisch, einen Königsweg gerade für Kunst und Kultur anzubieten - denn sie berücksichtigen in ihrer Sozialgestalt das wesenhaft Individuelle und Dialogische der Kunst. Verfehlt wäre jedoch, die staatliche und marktliche Form abzulehnen. Die marktliche hat ihre hier nicht weiter zu erörternden Vorteile. Für die staatliche Aufgabenübernahme spricht in einer Demokratie der republikanische Gemeinschaftscharakter des Staates und seiner Gliedskörperschaften, vor allem der Kommunen. Kurz: Die theoretische Reflektion führt zu einem subsidiären Pluralismus der Steuerungsformen.

Betrachten wir die zweite Polarität: das Verhältnis von investiven und konsumtiven Ausgaben. Üblicherweise werden Ausgaben für Kunst und Kultur als konsumtive Ausgaben gefasst, nur die erforderlichen Bauten und Geräte gelten als investiv. Man könnte diese ökonomische Sichtweise zumindest gedanklich umkehren, denn ihr liegt eine materialistische Sicht der Wirklichkeit zugrunde. Investitionen in materielle Güter und selbst in monetäre Größen (wie Aktien oder Unternehmensanteile) werden hier als das eigentlich Wesentliche betrachtet. Demgegenüber würde eine eher geisteswissenschaftliche Sicht der Wirklichkeit auf eine Wertschöpfungsrechnung abheben, wie sie unterdessen in der Rechnungslegung großer Unternehmen üblich wird. In gesamtgesellschaftlicher Perspektive heißt das, dass sowohl die Einkommen der Erwerbstätigen wie die Ausgaben für Kunst und Kultur (oder Bildung) keine konsumtiven "Unkosten" bilden, sondern Wertschöpfungsverwendung, Ertragsanteile. Mit ihnen wird in Menschen investiert, in ihre künftigen Möglichkeiten, in ihre Kreativität. Man könnte es auch so formulieren: Erst eine Synthese der klassischen Ökonomensicht und einer erweiterten Wertschöpfungsperspektive wird der gesellschaftlichen Bedeutung von Kunst und Kultur gerecht.

Diese theoretischen Überlegungen haben weitreichende praktische Folgen. Sie ändern vor allem den Blick auf den Wohlfahrtsstaat, auf die gesellschaftliche Absicherung auch von Kunst und Kultur. In den letzten Jahren kommt kaum eine öffentliche Diskussion mit Kunstschaffenden ohne die Klage aus, die öffentliche Hand würde sich aus der Kulturfinanzierung zurückziehen. Man befürchtet ein "Theatersterben", die "freie Kulturszene" werde "ausgeblutet", die international einzigartige Kulturlandschaft Deutschlands sei gefährdet. International ungewöhnlich ist freilich nicht nur die für Flächenstaaten höchste Museums-, Theater- oder Berufsorchesterdichte pro Einwohner, sondern auch die Finanzierung von Kunst und Kultur in Deutschland. Fast 90 Prozent der Ausgaben der Stadt- und Staatstheater mit ihren jährlich mehr als 22 Millionen Besuchern werden durch die öffentlichen Haushalte bestritten, auch die 4570 Museen mit ihren 96,2 Millionen Besuchern im Jahr 1999 werden überwiegend aus Staatsmitteln alimentiert. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (November 2001) verausgabten die öffentlichen Haushalte 1999 für Kunst und Kultur 6,892 Milliarden Euro (davon 2,875 Mrd. für Theater, Berufsorchester und -chöre, 1,050 Mrd. für Museen, Sammlungen und Ausstellungen und allein 479 Mio. für die Verwaltung der Kultur).

Das im Modellprojekt SAKUSDAT ("Sächsische Kulturstatistik Datenbank") entwickelte neue Abgrenzungskonzept staatlich/kommunaler Kulturfinanzierung, das zusätzlich zu den vom Statistischen Bundesamt aufgrund der Bund-Länder-Kommission getroffenen Abgrenzungen unter anderem die Ausgaben für Kunsthochschulen oder das Bibliothekswesen einbezieht, sieht die öffentlichen Kulturausgaben in Jahr 2000 sogar bei ca. 7,95 Mrd. Euro. Der Arbeitskreis Kulturstatistik e.V. berechnete, dass diese Ausgaben aufgrund der im Grundgesetz gewollten Länderhoheit in der Kulturpolitik vor allem von den Ländern (47 Prozent) und den Kommunen (46 Prozent) getragen werden, der Bund konzentriert seine Mittel (sieben Prozent) bislang vor allem auf "Leuchttürme" nationaler Bedeutung, wie die neue "Bundeskulturstiftung" oder die Berliner Museumsinseln. Gemessen an den Gesamtausgaben der öffentlichen Haushalte belaufen sich die Kulturausgaben freilich auf unter 1,3 Prozent, mit zudem sinkender Tendenz seit Anfang der neunziger Jahre. Dieser Rückgang, der in einigen Kommunen durchaus dramatisch ausfällt, ist wohl der Grund für jene Klagen über den Rückzug der Gesellschaft aus der Kulturfinanzierung. Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst, die angesichts eher niedriger Gehälter in deutschen Stadttheatern berechtigt erscheinen, gefährden unterdessen die Theaterkultur.

II. Kulturpolitik als Sozialpolitik

Kunst und Kultur scheinen im Wohlfahrtsstaat Deutschland insoweit eine eigentümlich schillernde Rolle zu spielen: Im internationalen Vergleich erscheinen sie als relativ hoch subventioniert, doch aus Sicht der Kulturaktiven bedroht. Kunst und Kultur unter dem Blickwinkel wohlfahrtsstaatlicher Politik zu betrachten ist freilich in Deutschland noch kaum üblich. Während in den angelsächsischen Ländern die Bildungspolitik seit jeher der Sozialpolitik zugerechnet wird, insoweit sie für Chancengleichheit der Bürger sorgen soll, hat sich in Deutschland ein eher lohnarbeitszentriertes und damit wirtschaftsbezogenes Konzept von Sozialpolitik gehalten. Politikfelder wie die Bildungs- und Kulturpolitik (sowie die Religionspolitik) wurden als "Kultuspolitik" demgegenüber staatsnah und das heißt auch in staatlichen Institutionen verfasst. Die Länderhoheit sollte vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Erfahrung zentralstaatliche Interventionen behindern, eine Staatsferne der Kultur war in Deutschland im 20.Jahrhundert von den Eliten freilich nie beabsichtigt.

Als das erstarkende Bürgertum die wirtschaftliche Trägerschaft der Theater- und Opernhäuser im Übergang vom 19. zum 20.Jahrhundert von den fürstlichen Höfen übernahm, geschah dies im Bewusstsein, dass die kommunalen Haushalte von ihm finanziert und durch seine Vertreter kontrolliert wurden. Erst in der Weimarer Republik und vor allem in der Bundesrepublik sowie, parallel, in der DDR wurde die Finanzierung und Trägerschaft von Theatern und anderen Institutionen der "Hochkultur" zu einer politischen Frage auch für die breiten Massen. Erst damit wurden Kunst und Kultur faktisch zu einem sozialpolitischen Thema. Während in der DDR dieser Zusammenhang (naturgemäß nicht ohne Herrschaftsinteressen der Parteikader) von Anfang an bewusst war, bedurfte es der sozialdemokratischen Regierungsübernahme der siebziger Jahre, um den sozialpolitischen Charakter der Kulturpolitik zu betonen. Hermann Glaser sprach damals vom "Bürgerrecht Kultur", Hilmar Hoffmann forderte "Kultur für alle". Die "Neue Kulturpolitik" wurde zum Bestandteil eines wohlfahrtsstaatlichen Programms ("Demokratisierung der Kultur", "kulturelle Demokratie").

Die sozialpolitische Begründung von Kultur erweiterte unter den Bedingungen eines teils explosiven Wirtschaftswachstums das bürgerlich verankerte, staatlich getragene Kunstsystem - Theater, Museen, Orchesterwesen, Kunsthochschulen. Hinzu kam im Aufgreifen neuer Initiativen "freier" und "alternativer" Kultur der Post-68-Epoche ein breites Spektrum an soziokulturellen Projekten, die nun ebenfalls mit öffentlichen Mitteln rechnen konnten - zumal sich mit den "Grünen" eine Partei formiert hatte, die als politische Lobby dieses Kultursegments auftrat. Unter der Signatur von "Breitenkultur" und von "niedrigschwelligen Angeboten" zwischen Sozialarbeit und Kunst kam die staatliche Kulturförderung auch mehr oder weniger gesellschaftskritischen Institutionen zugute. Freilich war diese Förderung prekär. Die Staatsferne der "Soziokultur" führte schon seit Mitte der achtziger Jahre zu einem ständigen Kampf um Haushaltsmittel. Anders als bei ausdrücklich kommerziellen Kulturangeboten - Operettenbühnen, Tourneetheater, Pop- oder Volksmusik - liegt beispielsweise bei Soziokulturellen Zentren die Eigenfinanzierungsquote mit 45 Prozent noch immer so niedrig, dass Staatsmittel ("Staatsknete") unverzichtbar erscheinen.

Die "freie" Kunstszene wird häufig als ein Innovationspool für die Institutionen der "Hochkultur" und auch dadurch als öffentlich förderwürdig gewertet. Diese Legitimation von Staatsmitteln für nichtstaatliche und nichtkommerzielle Kulturinitiativen und -institutionen (überspitzt formuliert: als die "Jusos der Hochkultur", als großflächige Lehrlingswerkstatt) ist natürlich nicht unumstritten. Die früheren Postulate einer eigenständigen Ästhetik sind heute, nicht zuletzt aufgrund der "Fahrstuhleffekte" in die "etablierten" Kultureinrichtungen, einem pragmatischen Pluralismus gewichen. Nachwuchsförderung und ästhetische Breite können im politischen Verteilungskampf um Ressourcen allerdings nur dann als Argumente genügen, wenn das klassische Medium der Politik hinzutritt: die Macht und ihre Mobilisierung. Nun ist Macht offensichtlich ein ganz kunstfernes Argument - und damit werden neue Probleme generiert, im demokratischen Wohlfahrtsstaat zudem Probleme, die noch kaum richtig wahrgenommen und reflektiert erscheinen.

III. Von der Ästhetik der Macht zur Sozialästhetik

Der Politologe Klaus von Beyme hat in seiner Studie "Die Kunst der Macht und die Gegenmacht der Kunst" zwischen "Stil" als Formprinzip der Kunst und "Macht" als Formprinzip der Politik unterschieden. Zur entscheidenden Frage für die Qualität von Kunst im Spannungsbereich der Politik (und Wirtschaft) wird dann, ob es der Kunst gelingt, ihre eigene Logik zur Geltung zu bringen. Unter den Bedingungen feudaler Herrschaft gelang dies, folgt man dem heutigen Stand kunst- und kulturhistorischer Forschung, erstaunlicherweise und wohl auch deshalb, weil fürstliches Mäzenatentum in der Regel mit Kunstsinn und kurzen Entscheidungswegen einherging. Diktaturen - ob nationalsozialistischer, kommunistischer oder sonstiger Ideologie - verspürten das Bedürfnis nach unmittelbarer politischer Ikonographie, unterwarfen Kunst und Kultur dem Machtzweck. Der demokratische Wohlfahrtsstaat kennt demgegenüber, so von Beyme, zumindest vier Modelle der Kunstförderung: (a) das zentralistische Modell unter Regie eines Kulturministeriums (z. B. Frankreich); (b) das dezentrale Modell regionaler und funktionaler Akteure (z. B. Deutschland); (c) das parastaatliche Modell der Steuerung mit autonomen Akteuren, insbesondere Stiftungen und Sponsoring der Wirtschaft (vor allem USA, Großbritannien) und (d) die staatliche Kunstregie, die zumal aus Diktaturen bekannt ist, jedoch auch in ausgebauten Wohlfahrtsstaaten vorkommt (z. B. während des New Deal in den USA oder in Skandinavien).

In der Realität vermischen sich diese Idealtypen, und in Zeiten gesellschaftlicher Dynamisierung, wie gegenwärtig, werden die Gewichte neu justiert. Es ist deshalb kein Zufall, dass das vereinte und an der Schwelle in die europäische Interation stehende Deutschland, zudem unter rot- grüner Regierung, mit der "Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien" zumindest ein "kleines" Bundeskulturministerium einführte und zugleich das Stiftungswesen ausweiten möchte. Die kulturpolitische Staatsmacht wird unter den Bedingungen rasanten Wandels amorph, Verantwortungen werden abgeworfen.

Doch neue Verantwortungen und Ressourcen für die Kunst entstehen nicht von allein. Die Omnipräsenz kultureller Produkte in den sich vermassenden Medien, in Kulturevents und Sponsoringstrategien fördert zwar eine Menge handwerklichen Geschicks im Kulturbereich. Doch ob die Breite der Kunstproduktion auch künstlerische Qualität ermöglicht, ist nicht nur in der Sozio- und "freien" Kultur eine offene Frage. Sicher ist allein, dass der Staat als Kulturförderer zunehmend von der Kultur- und Medienwirtschaft überflügelt wird. Der unterdessen vierte "Kulturwirtschaftsbericht" des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) verweist auf eine boomende Branche: "Kulturwirtschaft umfasst alle Wirtschaftsbetriebe und Selbstständigen, die zur Vorbereitung, Schaffung, Kulturvermittlung und/oder medialer Verbreitung Leistungen erbringen oder dafür Produkte herstellen und veräußern." Während die Umsätze der NRW-Gesamtwirtschaft zwischen 1980 und 1996 um 206 Prozent stiegen, weist die NRW-Kulturwirtschaft "im engeren Sinne" für denselben Zeitraum eine Umsatzentwicklung von 314 Prozent auf. Auch die Europäische Kommission kam schon Mitte der neunziger Jahre zu dem Ergebnis, dass dieser Wirtschaftssektor "einen vorderen Rang in den als ,Arbeitsplatzpotentiale` anerkannten Sektoren einnimmt".

Immerhin 642000 Erwerbstätige verzeichnet der Mikrozensus im Jahr 2000 im Kultursektor (einschließlich des Verlagsgewerbes), mit einer Steigerung von 21 Prozent seit 1995, während der allgemeine Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen in diesem Zeitraum nur bei 1,5 Prozent lag. Kennzeichnend ist der mit 20 Prozent doppelt so hohe Selbstständigenanteil gegenüber der Gesamtwirtschaft. Der Gesamtumsatz der Kulturwirtschaft belief sich nach der Umsatzsteuerstatistik im Jahr 1999 auf über 70 Mrd. Euro, derjenige der Kulturwirtschaft im engeren Sinne auf immerhin 40,8 Mrd. Euro. So betrachtet erscheint der Staatsanteil an der Kulturproduktion mit etwa 19 Prozent letzterer Summe - unter dem Vorbehalt, dass diese Staatsquote anders abgegrenzt wird - bescheidener. Der Vorbehalt ist allerdings wichtig, denn eine einigermaßen präzise politisch-ökonomische Kulturstatistik existiert in Deutschland nicht.

Verbirgt sich hinter dieser Entwicklung womöglich jener in die Gesellschaft "erweiterte Kunstbegriff", den Joseph Beuys einst beobachtete und förderte? Trägt die spezifisch deutsche Mischung von Kultur- und Wohlfahrtsstaat mit einer expansiven Kulturwirtschaft zu einer Ästhetisierung der Gesellschaft bei? Beuys' Forderung: "Nichts für mich, sondern alles für die anderen" und seine Maxime: "Freiheit ist ja das größte Gesetz in sich" scheinen vorderhand weder mit einer kapitalistischen Marktlogik noch mit einem Kulturwohlfahrtsstaat vereinbar. Sein bekanntes Diktum "Kunst = Kapital", verbunden mit seiner Paraphrase eines Satzes von Rudolf Steiner: "Jeder Mensch ist ein Künstler", verweisen gleichwohl auf Möglichkeiten, die unter den Bedingungen eines subsidiären Wohlfahrtsstaates durchaus beobachtet werden können.

In Deutschland wurden die Grundlagen dafür früh gelegt - man erinnere sich nur an Immanuel Kants Erkenntnisse über die Notwendigkeit eines ästhetischen Sinnes namens "Gemeinsinn", wie er für "die allgemeine Mitteilbarkeit eines Gefühls" erforderlich sei ("Kritik der Urteilskraft", §21, B66). Wolfgang Welsch hat für die gegenwärtige Moderne eine "Protoästhetik" ausgemacht, eine "ästhetikartige Verfassung der Wirklichkeit". Natürlich könnte man einwenden, dass die Ästhetisierung der Grundlagen des Denkens und des Handelns, die ihren Ausdruck auch in einem Boom der Kulturwissenschaften findet, mit Verflachung einhergeht. Kulturpessimistische Verfallsdiagnosen begnügen sich jedoch eher mit selektiven Beobachtungen, ihr empirischer Nachweis fehlt. Kunst und Kultur mussten stets für ihre Logik kämpfen.

IV. Kulturpolitik als soziale Investition

So bleibt die Frage an die Politik, die unter den Bedingungen der Globalisierung mittlerweile nicht allein im Bereich von Kunst und Kultur als brennend erlebt wird: Kann Politik die Eigenständigkeit derjenigen Subsysteme der Gesellschaft sichern, die gegenüber der Macht der großen Systeme, vor allem der Wirtschaft, Schutz brauchen? Die Perspektive wird damit weit. Seit einigen Jahren werden in den Sozialwissenschaften unter den Signaturen "Sozialkapital", "kulturelles Kapital", "Lebenswelt", "Kommunitarismus" oder "Gemeinschaft" jene Ressourcen und Milieus zum Thema, die zugleich die Voraussetzungen der kapitalistischen Ökonomie und des demokratischen Wohlfahrtsstaates bilden. Jene sind durch beide gefährdet, begründen aber, geradezu in einem dialektischen Verhältnis, zugleich deren Existenz. Die Grundwerte der Moderne - Gleichheit, Freiheit, Solidarität - sind gekoppelt an Gerechtigkeitswerte, deren Wurzeln in gemeinschaftlichen Traditionen und geistigen Strömen entdeckt werden. Politik als in Recht institutionalisierte Macht birgt im demokratischen Wohlfahrtsstaat des 21.Jahrhunderts eine gewaltige Steuerungsaufgabe: Sie muss die Grenzen der Subsysteme schützen wie ihre "Interpenetration" (Talcott Parsons) gestalten. "Gestaltung" ist ein durchaus "ästhetischer" Begriff. Zu Recht spricht man von der "Kunst" der Politik.

Wie könnte ein politischer "Stil" aussehen, der diesen hohen Ansprüchen genügt? Gestaltung erfordert Intervention und Zurückhaltung, erfordert - um nochmals Joseph Beuys zu zitieren - eine meditative Haltung: "Das Ganze kann ja nur erworben werden durch Übung." Die Gesellschaft insoweit als eine "soziale Plastik" zu verstehen, an der in einer Demokratie alle Bürger mitarbeiten und deren "Oberbildhauer" eben auch Politiker sind, erweitert den Blick aufs Ganze, auf ihre mögliche "Schönheit" - und auf das Scheitern von Kunst, der Wollen nicht genügt. Es ist vielleicht kein Zufall, dass heute in den Parteien - einschließlich der Grünen - eine liberale Grundstimmung reüssiert. Jenes Streben zur Mitte hin, und damit die Verweigerung der Extreme, erscheint als logische Folge von zwei Realprozessen: der Entstehung einer "Bürgergesellschaft", einer Gesellschaft der Individuen, und der geistigen Globalisierung, die zwar mit Fundamentalismen kämpft, doch als "Weltkultur" auch eine Konvergenz von Weltreligionen in einer Art "Weltethos" (Hans Küng) erlangt. Sozial- und kulturpolitisch könnte man das vielleicht so beantworten: Auf die Individualisierung reagiert am besten ein bürgergesellschaftlicher Sozialstaat, der die Bürger als Bürger und nicht zuerst als Lohnarbeiter (oder Beamte usf.) absichert. Die Sicherung und Entwicklung des "kulturellen Kapitals" wiederum fördert bestmöglich wohl eine Politik, die künstlerische und kulturelle Qualität zum Maßstab macht.

Diese Maßstäbe der Qualität freilich kann Politik aufgrund ihrer logischen Fokussierung auf Macht keineswegs definieren. Gerade auf Gesellschaftsreform programmierte Parteien (wie die Grünen) müssten sich deshalb auf qualitätssicherndes "institution building" konzentrieren - das in einer notwendigen Spannung zum Gerechtigkeitswert "Gleichheit" steht. Ihr Kampf für Investitionen in das "kulturelle Kapital" der Gesellschaft muss um Bündnisse mit allen "zentristischen" Kräften bemüht sein. Es ist folgerichtig, dass die Grünen ihre frühere, einseitige Konzentration auf die "Sozio"- und "freie" Kultur aufgegeben haben und die Freiheit, also Autonomie der Kunst (als Zentrum jeder Kultur), als solche verteidigen. Wie jeder Wirtschaftskundige weiß, sind Investitionen immer mit Risiken verbunden. Es ist aber nicht einzusehen, dass 26 Milliarden Euro "Abschreibungen", also: Verlust bei der Deutschen Telekom (im Jahr 2002) als legitimes Investitionsrisiko gedeutet werden können - verbunden mit entsprechenden steuerlichen Vorteilen, damit indirekter staatlicher Subvention -, die Kulturhaushalte der Gebietskörperschaften jedoch gleichzeitig um geradezu verschwindende Bruchteile dieser (und anderer) Beträge stranguliert werden.

Natürlich kommt es nicht nur auf absolute Geldbeträge an, wenn es um Qualitätsförderung geht. Wie man es seitens der Politik dem Management von Großunternehmen überlässt, die Investitionsentscheidungen zu treffen, muss auch über die Kulturinvestitionen durch die Kulturschaffenden verfügt werden können. Sie müssen sich begründen lassen - durch Zuschauerzahlen, Qualitätswettbewerbe, ästhetische Diskurse -, doch war Kunst historisch niemals ein vor allem durch individuelle Marktnachfrage gesteuertes System. Die Politik kann fordern und fördern, dass der Zugang zur Kunst allen Befähigten aktiv und allen Bürgern als Kunstrezipienten und als selbst künstlerisch Aktiven offen steht. Auch hier bleibt viel zu tun: Lokale Musikschulen sind bedroht, Kunstschulen existieren noch immer nur in wenigen Gemeinden, der Musik- und Kunstunterricht an den Schulen wird systematisch unterbewertet. Der Zugang zur Kultur erfordert zu Recht Subventionen - und dies, wenn die Ästhetisierung unserer Wirklichkeit gut begründet werden soll, nicht zu knapp.

V. Wo investieren?

Dieses allgemeine Plädoyer für die staatliche Mitfinanzierung von Kunst und Kultur kann sich auf theoretische wie auf praktische Begründungen berufen. Im Konkreten freilich stößt es sich an vielerlei Konkurrenzansprüchen. Vor allem auf kommunaler Ebene werden die Fördermittel für Theater und Museen zunehmend gegen sozialpolitische Aufgaben oder andere, durchaus begründbare öffentliche Güter gesetzt. In einer Demokratie zählt die Meinung der Bürger, ihrer politischen Repräsentanten und Entscheidungseliten. Damit wird Kulturpolitik wichtig: Sowohl die Produzenten von Kunst und Kultur wie ihre Nutzer müssen sich organisieren und artikulieren. Dass in Kunst und Kultur auch staatliche Mittel fließen müssen, wird glücklicherweise kaum bestritten. Die Höhe dieser Investitionen lässt sich nur politisch, nicht wissenschaftlich vorschreiben. Man braucht dafür gute Argumente und Durchsetzungsvermögen.

So ist beispielsweise auch das "Bündnis für Theater", der Vorschlag einer von Bundespräsident Rau berufenen Arbeitsgruppe zur "Zukunft von Theater und Oper in Deutschland", vor allem politisch zu bewerten. Hier kommen allerdings Zweifel auf, ob die Begründungen reichen. Nicht nur, dass in dem öffentlich präsentierten "Zwischenbericht" eine höchst unzureichende Analyse des Funktionswandels des Theaters enthalten ist. Denn im Theater von heute einen Ort zu erkennen, der vorrangig "nach dem Sinn des Lebens, nach Werten und Orientierungen für das Zusammenleben" fragt und sucht, misst ihm eine Funktion zu, die bereits Hegel in seiner Kritik der "Kunstreligion" der Frühromantik absprach. Gleichwohl kommt dem Theater (wie aller Kultur) auch gemeinschaftsbildende und damit identitätsstiftende Wirkung zu. Ob nun Theater eine "moralische Anstalt" ist, wie es im Bericht heroisch heißt, erscheint in kulturpolitischer Hinsicht sekundär, zumal die Moralisierung des Publikums durch staatsfinanzierte Institutionen problematisch bleibt. Es ist eben nicht "notwendig", dass das Theater "Inhalte vermittelt", sondern es soll eine spezifische und nur durch das Theater mögliche künstlerische Form anbieten. Diese Form erfordert - das scheint der internationale Vergleich gut zu belegen - ein verlässliches Niveau und damit ein Ensemble und Repertoirebetrieb. Das kostet Geld.

Damit wird aber die ästhetische Diskussion erst eröffnet - jene Spannung von traditionsbewusster Niveaupflege und kreativem Experiment, die keineswegs nur zugunsten des Letzteren, vor allem nicht zugunsten des in Deutschland von manchen Feuilletons noch immer allzu geschätzten Regietheaters beantwortet werden darf: jener "Dekonstruktion" von Texten durch Regisseure, welche diese Texte kaum zu verstehen scheinen. Noch immer weht ein Theaterzeitgeist, der im Schrillen über Unausgereiftes hinwegspielt. Zu Recht heißt es im Präsidentenbericht, dass "die Kunst im Mittelpunkt des Interesses zu stehen" hat. Die Bewertung von Kunst wird immer ein ästhetisches Problem bleiben. Sie kann nur in einer Hinsicht ein politisches Problem sein: Als öffentliche bzw. von der Öffentlichkeit subventionierte Kunst muss das Theater "sein" Publikum finden.

Hier herrscht, trotz teils beachtlicher Besucherzahlen, die wirkliche Krise, vor allem bei jungen Leuten. Denn die Vorstellung von "Präsenz" wandelt sich in einer Mediengesellschaft. Hier könnten Vorschläge ansetzen, die in der Theaterszene noch nicht diskutiert werden. Was spricht dagegen, die Bühnenkunst und die modernen Medien so zu vernetzen, dass in jeder Kommune im Bürgerfernsehen die Aufführungen des städtischen Theaters gesehen werden können? Der "Theaterkanal" des ZDF ist hier ein richtiger, wenn auch bislang nur von wenigen nutzbarer Anfang, weil nur digital empfangbar und zudem eben nicht lokal gemeinschaftsbildend. Die modernen Medien als Komplement unmittelbarer Präsenz zu verstehen, machen Bundesliga-TV und MTV vor: Sie halten das Publikum keineswegs davon ab, Stadien und Popkonzerte aufzusuchen und dafür viel Geld auszugeben. Die Struktur von Öffentlichkeit hat sich verändert, doch die Theaterwelt ist hier noch zu zurückhaltend.

Natürlich würde auch die Umsetzung dieser Anregung Geld kosten. Deshalb soll am Ende noch ein Vorschlag stehen, der zumindest für Theater und Oper Geld bringt. Wenn man den Gedanken von Antje Vollmer folgt, die deutsche Theaterlandschaft als "Weltkulturerbe" zu betrachten, dann spricht viel dafür, zumindest einen Teil der Kosten aus dem Erbe der Gesellschaft zu tragen, aus ihrem angesammelten Vermögen. Die Form dafür wäre eine Stiftungslösung. Um die bisherige Zuschusssumme der öffentlichen Haushalte für Theater und Oper von etwa 2 Mrd. Euro jährlich zu erreichen, wäre ein Stiftungsvermögen von bis zu 50 Mrd. Euro erforderlich. Das ist viel. Würde aber der Bund seine verbliebenen Telekom-Aktien zum Nennwert von ca. 23 Mrd. Euro (Februar 2003) dafür einbringen, wäre schon fast die Hälfte des Stiftungskapitals beisammen. Das würde genügen, um eine Grundfinanzierung der deutschen Theater- und Opernlandschaft zu erreichen. Der Rest würde - wie bisher - aus kommunalen und Landesmitteln, über Eintrittsgelder, Spenden und Sponsoring, aber auch aus den Nutzungsgeldern eines Bühnenfernsehens durchaus einspielbar sein. Eine solche Lösung wäre zugleich ein Beitrag zur Entstaatlichung von Kunst und Kultur.

Nun könnte man einwenden, dass damit zwar eine Lösung für Theater und Oper in Sicht wäre, doch noch längst nicht für das Gesamt des öffentlichen Gutes an Kunst und Kultur. Aber so ist das in der Politik. Es braucht viele Lösungen. Theater und Oper waren und sind "Leuchttürme" der deutschen Kulturpolitik. Wenn sie erlöschen, fehlt Orientierung. Kunst ist - neben Wissenschaft und Religion - die Quelle aller Kultur; deshalb steht heute die Kunstförderung im Zentrum der Kulturpolitik. In einer Epoche der Europäisierung und Globalisierung kommt Kunst und Kultur eine eminente Bedeutung zu. Okwui Enwezor, der Leiter der Documenta 11, hat die bildenden Künste in den Kontext einer Nachhaltigkeitsdebatte gestellt, die sich nicht primär am Ökonomischen orientieren darf: "Man sollte sie viel komplexer sehen - im Hinblick auf die Erweiterung der Freiheiten von Menschen. Das schließt Demokratisierung, Erziehung und die Teilnahme an sehr ernsten intellektuellen und kulturellen Dialogen ein." Dass Letztere als Kunst auch noch unterhalten können, hat schon Goethe gekonnt.

Internetverweise des Autors:

www.kulturportal-deutschland.de

Externer Link: https://www.kupoge.de

Externer Link: https://www.kulturpolitik.de

Externer Link: https://www.theater.de

Externer Link: https://www.soziokultur.de

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Peter Häberle, Das Problem des Kulturstaates im Prozess der deutschen Einigung - Defizite, Versäumnisse, Chancen, Aufgaben, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, 40 (1991), S.291-499. Vgl. auch BVerfGE 36, 321 (331: "Kulturstaat") und die Bayerische Verfassung, die in Art.3 (1) vom Freistaat als "Kulturstaat" spricht. In Art.128 des Maastrichter Vertrages von 1992 übernimmt auch die EU erstmals einen kulturpolitischen Gewährleistungsauftrag.

  2. Vgl. Amitai Etzioni, Die Entdeckung des Gemeinwesens im Kultur- und Sozialbereich. Effektivitätsvorteile von Non-Profit-Organisationen, in: Norbert Kersting u. a. (Hrsg.), Ehre oder Amt? Qualifizierung bürgerschaftlichen Engagements im Kulturbereich, Opladen 2002, S.61-75.

  3. Vgl. Benediktus Hardorp, Die Krise unseres Sozialsystems, in: Jean-Claude Lin/Andreas Neider (Hrsg.), Der Weg in die Zukunft, Stuttgart 1997, S.20 ff.

  4. Lt. Werkstatistik des Bundesverbandes deutscher Theater für die Saison 2000/1, in: die tageszeitung vom 11.Dezember 2002, S.4.

  5. Vgl. Michael Söndermann, Zur Lage der öffentlichen Kulturfinanzierung in Deutschland. Ergebnisse aus der Kulturstatistik, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2000, Essen 2001, S.351 ff. Das in der deutschen Kulturpolitik noch immer gepflegte Bild kommunaler Dominanz wird hier relativiert: Vor allem in den ostdeutschen Ländern übernehmen die Länder besondere Leistungen, in Thüringen beträgt der kommunale Anteil nur 28 Prozent der öffentlichen Ausgaben, während er beispielsweise in Hessen bei 57 Prozent, in Nordrhein-Westfalen gar bei 70 Prozent liegt.

  6. So verdient eine Vollzeitreinigungskraft beispielsweise bei den Städtischen Bühnen Münster in der Lohngruppe eins brutto 1527,55 Euro, das Durchschnittsgehalt der künstlerischen Mitarbeiter liegt bei 2000 Euro brutto. Der Bochumer Intendant Matthias Hartmann sieht auch hausgemachte Lohnprobleme: "In einer modernen Betriebsstruktur, die das Theater effektiver arbeiten lässt, könnten wir vielleicht noch höhere Löhne zahlen", in: Theater heute, (2003) 2, S.4.

  7. Zu ersten Überlegungen vgl. Bernd Wagner/Annette Zimmer, Krise des Wohlfahrtsstaates, Zukunft der Kulturpolitik, Essen 1997.

  8. Wobei die öffentliche Förderung je BesucherIn von 1990 bis 2000 von 8,13 DM auf 5,73 DM sank (vgl. www.soziokultur.de). Aus Sicht der (vor allem sozialdemokratischen) Kulturpolitiker finden sich eindrückliche Schilderungen jener um die Leitbegriffe "Kommunikation" und "Demokratisierung" changierenden "Neuen Kulturpolitik" in: Oliver Scheytt/Michael Zimmermann (Hrsg.), Was bleibt? Kulturpolitik in persönlicher Bilanz, Essen 2001.

  9. Vgl. Klaus von Beyme, Die Kunst der Macht und die Gegenmacht der Kunst. Studien zum Verhältnis von Kunst und Politik, Frankfurt/M. 1998, S.31 ff.

  10. Vgl. Michael Söndermann, Zur Lage der Kulturwirtschaft in Deutschland 1999/2000, in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2001, Essen 2002, S.369-391.

  11. Die Umsatzsteuerstatistik grenzt die Kulturwirtschaft anders ab als die weiter oben genannten Angaben des Projekts SAKUSDAT. Europäische Vergleichszahlen werden, gefördert durch die Europäische Kommission, zur Zeit erhoben, vgl. www.culturalpolicies.net.

  12. Joseph Beuys im Gespräch mit Knut Fischer und Walter Smerling, Köln 1989, S.30, 47.

  13. Wolfgang Welsch, Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996, S.94 ff.

  14. Ausführlicher dazu vgl. Michael Opielka, Zur sozialpolitischen Theorie der Bürgergesellschaft, in: Zeitschrift für Sozialreform, (2002) 5, S.563-585.

  15. Vgl. Bündnis für Theater: Wir brauchen einen neuen Konsens. Zwischenbericht der Arbeitsgruppe "Zukunft von Theater und Oper in Deutschland", berufen von Bundespräsident Johannes Rau, vorgelegt am 11.Dezember 2002, Ms.

  16. "Die politische Konkurrenz um die knappe Ressource ,Sinn` hat die Entfernung zwischen Politik und Kultur verringert." So Jürgen Habermas, Die neue Intimität zwischen Kultur und Politik, in: ders., Die nachholende Revolution, Frankfurt/M. 1990, S.9. Habermas verweist zu Recht auf die Ambivalenz dieser Entwicklung, die historisch eine Vereinnahmung der Kunst durch die Politik förderte, zugleich aber auch aufklärerisches Potenzial birgt.

  17. Die Krise ist subtil mit Langzeiteffekt, ein Beispiel: In der Saison 2000/1 wurde Goethes "Faust" als meistaufgeführtes Schauspiel von 216413 Menschen gesehen (vgl. Anm.3). Das heißt gleichwohl: Nur ein Bruchteil der Oberstufen-Schüler und Studenten war dabei. Populär ist das große deutsche Theatererbe selbst bei Eliten nicht. Dies belegt auch die Nichtbesucher-Studie unter 16- bis 29-Jährigen, die der Deutsche Bühnenverein am 23.1. 2003 veröffentlichte: 77,7 Prozent der Befragten gehen lieber ins Kino als ins Theater; 49,8 Prozent ziehen sogar einen Videoclip oder einen Videofilm dem Theater vor.

  18. In diese Richtung zielt das Papier "Oper in Berlin - Strukturkonzept", das der Berliner Kultursenator Flierl am 3.Februar 2003 vorlegte. Die drei Berliner Opern sollen als gemeinnützige GmbHs unter dem Dach einer neuen Stiftung verfasst werden, die - zunächst vom Land Berlin getragen - für Zustiftungen offen ist.

  19. Die Finanzkrise der Kommunen droht derzeit mit einem Zentralismus, der den Leuchtturm-Effekt nur noch den Bühnen der Landeshauptstädte mit ihrer räumlichen Nähe von Politik und Theater eine ausreichend Mittelausstattung belässt; vgl. Jürgen Berger, Am Ende der Fahnenstange. Den deutschen Bühnen droht die Gefahr eines neuen Zentralismus, in: Süddeutsche Zeitung vom 16.Januar 2003.

  20. Vgl. Jutta Limbach, Kultur- und Bildungspolitik im Zeichen Europas, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B45/2002, S.3-5. Die Gefahren einer von der Welthandelsorganisation favorisierten Marktliberalisierung auch für kulturelle Dienstleistungen werden in Deutschland politisch noch kaum erkannt, vgl. Joseph Hanimann, Vielfältiger. Aber Deutschland fehlte: Chirac will die Kultur schützen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6.Februar 2003.

  21. Wissensgewinn durch visuelle Mittel. Interview, in: Kunstjahr 2002, Regensburg 2002, S.157.

Dr. rer. soc., Dipl.-Päd., geb. 1956; Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule Jena; Geschäftsführer des Instituts für Sozialökologie in Königswinter; 1997-2000 Rektor der Alanus Hochschule Alfter, der ersten (seit 2002) staatlich anerkannten privaten Kunsthochschule in Deutschland.
Anschrift: ISÖ, Pützbungert 21, 53639 Königswinter.
E-Mail: E-Mail Link: michael.opielka@sozialkunst.de

Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Ilona Ostner) Umbau des Sozialstaats, Essen 1987; Gemeinschaft in Gesellschaft, Bonn 1997; (zus. mit Christian Leipert) Erziehungsgehalt 2000, Bonn 1998; Religiöse und zivilreligiöse Begründungen der Sozialpolitik, in: Manfred Brocker u. a. (Hrsg.), Politik und Religion in Staat, Zivilgesellschaft und den internationalen Beziehungen, Wiesbaden 2003 (i. E.).