Vor 100 Jahren, am 30. November 1918, erhielten Frauen in Deutschland mit dem Inkrafttreten des Reichswahlgesetzes das Wahlrecht. Es "gewährte" Männern und Frauen ab dem vollendeten 20. Lebensjahr das gleiche Wahlrecht. Diese Bestimmung des Gesetzes wurde in den Länderwahlgesetzen übernommen und in Artikel 22 Absatz 1 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung verankert. Damit war es geschafft: Die staatsbürgerliche Gleichheit, verkörpert durch das gleiche aktive und passive Wahlrecht, war erreicht. Deutschland gehört damit in die Gruppe der Länder, in denen Frauen – im internationalen Vergleich – "früh" das Wahlrecht erhielten.
Vorausgegangen war ein zäher Kampf vor allem seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Zweifelsohne war auch das allgemeine Männerwahlrecht keine Selbstverständlichkeit, sondern eine historische Errungenschaft. Auch für Männer wurden vielfach Einschränkungen etwa nach "Rasse" und Klasse vorgenommen. In den Debatten um die staatsbürgerliche Gleichheit von Frauen spielte aber auch ihr zivilrechtlicher Status eine Rolle: Schweden hatte das Wahlrecht bereits 1718 eingeführt, es 1771 aber wieder zurückgenommen und später zunächst nur unverheirateten Frauen gewährt. In Kanada erhielten 1883 nur Witwen das Stimmrecht. Das Fehlen eines männlichen Repräsentanten war hier zentral. Aber auch weitere Motive lassen sich identifizieren: In den USA war das Wyoming Territory der Vorreiter; dort wurde 1869 das Wahlrecht eingeführt, um mehr Frauen – als potenzielle Ehefrauen – in die neuen Siedlungsgebiete zu locken.
Die Ausgestaltung der Repräsentation und der Repräsentationsbeziehung ist in der Geschichte des Frauenwahlrechts historisch wie auch aktuell von großer Bedeutung. Dies erschließt sich zunächst einmal im Hinblick auf die deskriptive Repräsentation, also in Bezug darauf, ob Frauen in Parlamenten (und Regierungen) vertreten sind, und wenn ja, in welchem Ausmaß. In der einschlägigen Forschung wird eine nach wie vor bestehende quantitative Unterrepräsentation von Frauen – gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil – moniert und als demokratisches Defizit betrachtet. In Anlehnung an politikwissenschaftliche, feministisch-herrschaftskritische Repräsentationstheorien lassen sich neben der deskriptiven aber auch weitere Dimensionen von Repräsentation unterscheiden, nämlich eine substanzielle und eine symbolische Dimension. Eine solche Ausdifferenzierung des Repräsentationskonzepts ermöglicht es, die unterschiedlichen Dimensionen sowie ihre Beziehungen zueinander in den Blick zu nehmen. Wir legen im Folgenden zunächst das Konzept dar, ziehen anschließend in Bezug auf die drei Dimensionen eine Bilanz für die heutige Situation vor allem in Deutschland und berücksichtigen hierbei die Befunde aktueller Forschung.
Was heißt Repräsentation?
"Wann übertrug die Frau dem Manne das Mandat? Wann legte er ihr Rechenschaft von seinen Beschlüssen ab? Weder das eine noch das andere ist jemals geschehen."
(Hedwig Dohm, 1876)
Für die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung wird konstatiert, dass alle Stimmrechtsaktivistinnen die "Sprache der politischen Repräsentation"
gesprochen und hierbei "den männlichen Repräsentationsanspruch bzw. die -fähigkeit"
infrage gestellt hätten. Eine genauere Analyse dieser "Sprache" beziehungsweise der Repräsentationstheorien der Aktivistinnen zeigt jedoch, dass in den verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung nicht nur unterschiedliche Akzente in Bezug auf die Art des Wahlrechts und damit der Repräsentationsbeziehung gesetzt wurden, sondern dass diese Akzente auch heute noch durchaus von Bedeutung sind, wie die Politikwissenschaftlerin Anne Cress jüngst argumentierte.
Die feministische Repräsentationsforschung greift – mehr oder weniger explizit – auf den Klassiker "The Concept of Representation" von Hanna Pitkin aus dem Jahr 1967 zurück. Pitkin unterscheidet zwischen vier Repräsentationsdimensionen:
formal: Hier steht die Frage nach der Autorisierung der Repräsentant*innen und ihrer Rechenschaftspflicht im Vordergrund;
deskriptiv: Repräsentant*innen stehen aufgrund bestimmter Eigenschaften (wie Geschlecht, Klasse oder Ethnizität) für eine bestimmte Gruppe;
substanziell: Das inhaltliche Handeln der Repräsentant*innen und die Durchsetzung der Interessen und Präferenzen ihrer Gruppe stehen im Mittelpunkt;
symbolisch: Die Repräsentant*innen machen die ideellen Sinngehalte präsent, über die sich die Repräsentierten definieren.
Während die erste Repräsentationsdimension durch die Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts und der repräsentativen Demokratie weithin als erreicht gilt, hat vor allem die zweite Repräsentationsdimension in der feministischen Forschung große Aufmerksamkeit erfahren. Umfangreiche Erhebungen zur weltweiten Unterrepräsentation von Frauen in politischen Institutionen wurden vorgenommen und die Frage nach den Ursachen aufgeworfen. Aber auch die anderen beiden Dimensionen sind jüngst stärker in den Blick geraten. Dabei wird insbesondere der systematische Zusammenhang zwischen den Dimensionen untersucht, etwa ob eine höhere quantitativ-deskriptive Repräsentation von Frauen zu einer Verbesserung der qualitativ-substanziellen und/oder auch der symbolischen Repräsentation beiträgt. In der Literatur wird häufig argumentiert, dass es einen Zusammenhang zwischen dem (Anstieg des) Anteil(s) von Frauen und politischen Inhalten oder politischem Stil gebe. Erst eine "kritische Masse" von mindestens 30 Prozent von Frauen in Parlamenten könne politischen Einfluss ausüben im Sinne einer besseren Durchsetzung von "Fraueninteressen". Auch wenn die konkrete Zahl sowie der Zusammenhang zwischen deskriptiver und substanzieller Repräsentation umstritten ist, hat sich die 30-Prozent-Marge dennoch als Richtwert für internationale Vergleiche wie auch für (partei)politische Strategien zur Erhöhung des Frauenanteils entwickelt und liegt den intensiven Debatten um Quoten zugrunde. Auch in der Diskussion um Parität, wie sie seit einigen Jahren in Deutschland geführt wird, ist das Argument prominent, demzufolge eine nicht paritätische Besetzung von Parlamenten dazu führe, dass Interessen von Frauen, die aus unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen resultieren, im Parlament nicht hinreichend gespiegelt würden und, gemessen am Gleichstellungsgebot, nicht verfassungskonform sei. Im Folgenden werden wir die Dimensionen 2 bis 4 vor allem mit dem Schwerpunkt auf der Situation in Deutschland diskutieren.
Deskriptive Repräsentation – Das Zählen von Frauen
"Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in Permanenz."
(Elisabeth Selbert, 1981)
Aus der deskriptiven Perspektive geht es zunächst darum, den Anteil von Frauen in politischen Institutionen – insbesondere in Parlamenten und Regierungen – zu erfassen und die Gründe für ihre weit verbreitete Unterrepräsentation zu ermitteln. Frauen nahmen bereits mit der ersten Reichstagswahl ihr passives Wahlrecht wahr; von den etwa 310 aufgestellten weiblichen Kandidatinnen wurden 37 in den ersten Reichstag der Weimarer Republik gewählt (später rückten noch vier weitere Frauen nach). Der Anteil von 9,7 Prozent war zur damaligen Zeit ein internationaler Spitzenwert, der in der späteren Bundesrepublik erst nach mehr als 25 Jahren in den 1970er Jahren wieder erreicht wurde. Erst mit dem Einzug der Grünen und der Einführung von Quoten in den Parteien stieg der Frauenanteil im Deutschen Bundestag kontinuierlich an; der Schwellenwert von 30 Prozent wurde erstmals Ende der 1990er Jahre überschritten. In der Volkskammer der DDR lag der Frauenanteil hingegen von Anfang an über 20 Prozent und stieg bis 1986 auf 32,2 Prozent an.
Aus europäischer Perspektive lässt sich kein einheitlicher Trend bei der Höhe des Frauenanteils in Parlamenten erkennen. Auffällig ist, dass er 2018 in allen Ländern – mit Ausnahme von Finnland, Dänemark und Schweden – (zum Teil deutlich) weniger als 40 Prozent beträgt. Der Zeitpunkt, wann das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, scheint auf aktuelle Frauenanteile keinen unmittelbaren Einfluss zu haben. Finnland setzte 1906 zeitgleich das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer ein; Norwegen gewährte Frauen 1907 zunächst das passive (!) und ab 1913 auch das aktive Wahlrecht; Dänemark und Island folgten 1915. Neben Deutschland verabschiedeten in der Zwischenkriegszeit auch Österreich, Polen, Luxemburg, die Niederlande, Schweden und Großbritannien das Frauenwahlrecht. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg folgten Frankreich, Bulgarien und Slowenien, Italien, Malta, Belgien, Griechenland und verzögert die Schweiz (1971), Portugal (1974) und Liechtenstein (1984). Länder, in denen Frauen früh das Wahlrecht erhielten, weisen heute nicht notwendigerweise höhere Frauenanteile in den Parlamenten auf. So haben Nachzügler wie Portugal, Schweiz oder Belgien ähnliche Anteile von rund 30 bis 35 Prozent wie die Vorreiter Österreich oder Deutschland, während einige osteuropäische Länder – trotz früher Verabschiedung des Frauenstimmrechts – geringe Anteile aufweisen. Bemerkenswerterweise haben aber, selbst unter den Nachzüglern, insgesamt 21 EU-Mitgliedstaaten einen höheren Frauenanteil unter ihren Abgeordneten im Europäischen Parlament vorzuweisen als im nationalen Parlament; dies betrifft etwa auch Deutschland (31 versus 37 Prozent) oder Rumänien, Frankreich, Großbritannien – und selbst den europäischen Spitzenreiter Finnland. Insgesamt liegt der Frauenanteil im Europäischen Parlament derzeit bei 36,1 Prozent.
Bund, Länder, Quoten
Auch 100 Jahre nach der Einführung des Wahlrechts sind wir noch weit von Parität in den Parlamenten entfernt, und es hat, wie erwähnt, bis 1998 gedauert, die "kritische Masse" von 30 Prozent im Deutschen Bundestag zu erreichen (Abbildung 1). Für eine Steigerung des Frauenanteils spielen die nach und nach eingeführten parteiinternen Quotenregelungen für Wahllisten eine zentrale Rolle, die weiter unten ausführlicher diskutiert werden. Mit 36,5 Prozent war der Frauenanteil während der 18. Legislaturperiode (2013–2017) am höchsten, sank aber mit der Wahl 2017 auf 30,9 Prozent – ein Effekt des Rechtsrucks im Deutschen Bundestag und der niedrigen Frauenanteile in den Fraktionen der AfD (10,6 Prozent), der CDU/CSU (20 Prozent) und der FDP (22,5 Prozent). Im Kontrast dazu kommt die Fraktion der SPD auf 42 Prozent, die der Linken auf 54 Prozent und die der Grünen auf 58 Prozent Frauenanteil.
Ein Erklärungsfaktor für die niedrigen weiblichen Abgeordnetenanteile ist der Frauenanteil an den Parteimitgliedern. Die Politikwissenschaftlerin Louise Davidson-Schmich zeigt, dass die Parteien teilweise durchaus Kandidatinnen gemäß dem Anteil ihrer Mitglieder aufstellen – aber der liegt in allen Parteien unter 50 Prozent. Die AfD hat lediglich 16 Prozent weibliche Parteimitglieder, die CSU ein Fünftel, die FDP 23 Prozent, die CDU ein Viertel, die SPD ein knappes Drittel. In der Linken und bei den Grünen stellen sie 37 beziehungsweise 39 Prozent. Diejenigen Parteien, die einen höheren weiblichen Mitgliederanteil haben (Grüne, Linke und SPD), haben somit sogar einen deutlich höheren Frauenanteil bei den Abgeordneten als unter den Parteimitgliedern. CDU/CSU und die AfD hingegen haben anteilig weniger Frauen im Parlament als weibliche Parteimitglieder. Nur bei der FDP entspricht der (niedrige) Frauenanteil bei den Parteimitgliedern dem der Abgeordneten. Dieses Links-Rechts-Muster in Bezug auf Frauenanteile findet sich auch im Europäischen Parlament.
Auch in der Bundesregierung waren Frauen erst spät und lange Zeit gering vertreten. Erst im fünften Bundeskabinett wurde 1961 eine Frau (Elisabeth Schwarzhaupt, CDU) Bundesministerin – natürlich für ein "Frauenressort" (Gesundheit). Auch wenn mit Angela Merkel seit 2005 erstmals eine Bundeskanzlerin im Amt ist, deren Wirken gleichstellungspolitisch nicht unterbewertet werden sollte, so gab es bisher kein Bundeskabinett, das geschlechterparitätisch besetzt war. Im Gegenteil: Die jüngste Diskussion um die Besetzung zentraler Funktionen in den Bundesministerien zeigt, dass Deutschland weit von Geschlechterparität in den politischen Leitungsfunktionen entfernt ist – auch wenn die Bundeskanzlerin selbst eine paritätische Besetzung gefordert hat.
Eine ähnlich große Heterogenität wie im internationalen Vergleich lässt sich auch in den deutschen Landesparlamenten finden (Abbildung 2). 2018 variieren die Anteile zwischen 24 Prozent in Sachsen-Anhalt und 41 Prozent in Brandenburg, wobei keineswegs ein kontinuierlicher Anstieg, sondern in 9 von 16 Ländern zwischen 2004 und 2018 sogar ein Rückgang des Frauenanteils zu verzeichnen ist. Dieser hängt in einigen Fällen von neuen parteipolitischen Konstellationen in den Landtagen ab (unter anderem Einzug der AfD), jedoch gibt es kein generelles Muster, das die Entwicklungen erklären könnte.
Der Überblick über die Entwicklung der deskriptiven Repräsentation von Frauen verdeutlicht, dass weder auf Bundes- noch auf Landesebene (kontinuierlich) mehr als ein Drittel der Abgeordneten weiblich sind. Dieses Muster setzt sich auf kommunaler Ebene fort, wo derzeit sogar nur 25 Prozent Mandatsträgerinnen und nur 10 Prozent (Ober-)Bürgermeisterinnen und Landrätinnen sind. Auf lokaler Ebene treffen Bewerberinnen für politische Ämter auf besondere strukturelle Schwierigkeiten wie vergeschlechtlichte Parteiinstitutionen und ungleich verteilte Handlungsressourcen. Andere sprechen aufgrund der diskontinuierlichen Entwicklung auch von einem "Sättigungspunkt", der in Deutschland deutlich vor der Geschlechterparität erreicht ist. International vergleichende Studien bestätigen, dass der Frauenanteil selten 30 Prozent übersteigt. Schweden, Dänemark und Finnland gelten als Ausnahmen.
Dabei werden weltweit seit Jahrzehnten verschiedene Instrumente für eine bessere deskriptive Repräsentation genutzt, unter anderem verschiedenste Quotenarten: gesetzlich festgelegte Quoten (wie in Argentinien, Frankreich), Parteiquoten (wie in Österreich, Südafrika) und reservierte Mandate (wie in Marokko, Uganda). In Deutschland sind (freiwillige) Parteiquoten das vorherrschende Instrument, wenngleich die Parteien diese sehr unterschiedlich ausgestalten (Tabelle).
Quoten sind ein weitverbreitetes Instrument und führen zu sehr unterschiedlichen Resultaten: In manchen Ländern entspricht der Anteil der Frauen im Parlament der Quotenvorgabe, bei manchen liegt der Frauenanteil höher, bei anderen niedriger. Deutschland gehört zu den Ländern, in denen Parteiquoten verabschiedet wurden, hinsichtlich des Frauenanteils im Parlament nicht unter den ersten zwanzig und liegt im weltweiten Ranking aktuell nur auf Platz 46. Da es sich in Deutschland um freiwillige Parteiquoten (mit schwachen Sanktionen) handelt, wird immer wieder diskutiert, ob nicht ähnlich wie in Frankreich, Irland oder Belgien gesetzliche Quoten eingeführt werden sollten. Verfassungsrechtlich ist eine gesetzlich vorgeschriebene geschlechtergerechte Nominierung für alle staatlichen (nicht nur die legislativen) Ämter der Parteien durchaus begründbar.
Angesichts der begrenzten Erfolge stellt sich die Frage nach Alternativen. So könnten beispielsweise Maximalquoten etwa von 70 Prozent für Männer festgelegt werden, damit deren permanente Überrepräsentation sichtbarer wird und sich die Wahrnehmung ändert. Denkbar sind auch interne Parteiregeln wie "Twinning" bei Direktmandaten, bei denen Kanditat*innen gleiche Anteile an Kandidaturen in "sicheren" und "umkämpften" Bezirken erhalten. Bisher werden Frauen, wenn sie denn überhaupt als Direktkandidatin aufgestellt werden, häufig immer noch in umkämpften, um nicht zu sagen: aussichtslosen Bezirken platziert. Ähnlich funktionieren Doppellisten, bei denen Wahlbezirke zusammengelegt werden und es für die zwei zu vergebenen Mandate jeweils eine Frauen- und eine Männerliste gibt – Frankreichs Parité-Gesetz hat eine vergleichbare Systematik. In manchen Ländern werden Sonderfonds (durch Zivilgesellschaft, Parteien, Staat) für Kandidatinnen oder für gleichstellungsorientierte Kandidat*innen, eingerichtet, mit denen Kampagnen, Kinderbetreuung und persönliche Sicherheit (Stichwort Bedrohungen, sexuelle Belästigung) finanziert werden können.
Davon unberührt bleibt die Frage, wie eine gleichberechtigte Repräsentation in den Führungspositionen der öffentlichen Verwaltung und des Parlaments gewährleistet werden könnte, da beispielsweise auch die parlamentarischen Ausschüsse häufig nicht die Frauen- und Männeranteile im Parlament beziehungsweise in der Gesellschaft widerspiegeln. In dieser Hinsicht ist wiederum das Europäische Parlament relativ fortschrittlich. So sind 6 der 14 Vizepräsident*innen (42,9 Prozent) und 50 Prozent der Ausschussvorsitzenden weiblich. In den Ausschüssen selbst schwankt der Frauenanteil allerdings zwischen 16,5 Prozent im Haushaltskontrollausschuss und 78,4 Prozent im Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter.
Auch parteiübergreifende Organisationen innerhalb des Parlaments, sogenannte Women’s Caucuses (Frauenarbeitskreise), haben nachhaltig zu steigender deskriptiver Repräsentation beigetragen. Damit wird zumindest, so die Annahme, eine positive Voraussetzung auch für substanzielle Repräsentation geschaffen. Gleichwohl sollte, um zukunftsweisend und angemessen zu sein, deskriptive Repräsentation nicht nur entlang von Geschlechterbinarität gedacht werden. Weitere sich überlagernde und gegenseitig formende Strukturkategorien wie beispielsweise Ethnie, soziale Klasse, Alter, sexuelle Orientierung und Ähnliches prägen in unterschiedlichster Weise die Chance, Repräsentationsfunktionen in der Politik zu übernehmen. So sind etwa auch Musliminnen im Bundestag unterrepräsentiert und ihre Chancen, zu kandidieren, teils eingeschränkt.
Substanzielle Repräsentation – Das Handeln für Frauen
"Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Es ist eine Frau, die dir diese Frage stellt, zumindest dieses Recht nimmst du ihr nicht."
(Olympe de Gouges, 1791)
In dieser Dimension geht es darum, wer wessen Interessen vertritt, ob und wie diese durchgesetzt werden können. Damit verbunden ist die Frage, ob und inwiefern es geschlechtsspezifische Interessen überhaupt gibt. Insbesondere unter Berücksichtigung intersektionaler Perspektiven, die die Verschränkung von Geschlecht mit anderen zugeschriebenen sozialen Kategorien fokussieren, stellt sich diese Frage nach "Fraueninteressen" mit großem Nachdruck.
Während häufig ein direkter Zusammenhang zwischen deskriptiver und substanzieller Repräsentation unterstellt wird, wenn beispielsweise über "kritische Masse" diskutiert wird, sind die Forschungsergebnisse hierzu weniger eindeutig. Einerseits zeigt die Forschung beispielsweise, dass ein höherer Frauenanteil dazu beiträgt, dass Gleichstellungsthemen auf die politische Agenda gesetzt werden und das Bewusstsein dafür insgesamt erhöht wird. Auch für den Deutschen Bundestag wurde festgestellt, dass Quoten zu mehr Beteiligung an gleichstellungspolitischen Debatten führen – allerdings nur bei Männern, nicht bei Frauen. Das sei darauf zurückzuführen, dass Quoten eher Männer sozialisieren, da Frauen das Thema ohnehin mehr bewusst sei. Zudem zeigen Studien, dass weibliche Abgeordnete eher als männliche dazu neigen, Themen, die mit Frauen assoziiert sind, zu priorisieren und eine entsprechende Gesetzgebungsinitiative einzubringen.
Andererseits sprechen einige Befunde und Argumente gegen den vermuteten positiven Zusammenhang von deskriptiver und substanzieller Repräsentation. Bei einem Anstieg des Frauenanteils im Parlament wird die Gruppe der weiblichen Abgeordneten diverser, was kollektives Handeln allein aufgrund des Geschlechts verhindern könnte. Auch Parteizugehörigkeit spielt eine Rolle: Frauen in linken Parteien sind eher in der Lage, sich für Fraueninteressen einzusetzen, als Frauen in rechten Parteien. In Parlamenten mit einer konservativen Mehrheit ist deshalb nicht unbedingt mit substanzieller Repräsentation zu rechnen, selbst wenn der Frauenanteil hoch ist.
Einige Autor*innen argumentieren daher, dass "kritische Akteur*innen" für die substanzielle Repräsentation bedeutsamer seien als eine "kritische Masse", also Frauen, "who act individually or collectively to bring about women-friendly policy change". Gerade in familien- und sozialpolitischen Politikfeldern zeigt sich die Bedeutung kritischer Akteur*innen. Die Politikwissenschaftlerin Joyce M. Mushaben verweist darauf, dass Einzelakteurinnen – wenn sie wie die Bundeskanzlerin in entsprechender Machtposition sind – auch in zahlreichen anderen Bereichen einflussreich sein können.
Unabhängig davon stehen in der Europäischen Union und Deutschland bereits konkrete, wenn auch bisher nicht konsequent umgesetzte Instrumente für substanzielle Repräsentation zur Verfügung: Gender Mainstreaming (GM), Gender Budgeting (GB) und die gleichstellungsorientierte Gesetzesfolgenabschätzung. GM wird auf den verschiedenen politischen Ebenen (EU(-Mitgliedstaaten), Bund, Land, Kommunen, Organisationen) unterschiedlich umgesetzt. Paragraf 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung (GGO) der Bundesministerien benennt die Gleichstellung von Männern und Frauen als "durchgängiges Leitprinzip", das "bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen" umzusetzen ist. Während GM und auch GB zu Beginn der 2000er Jahre in vielen Ländern erprobte und gleichzeitig aus der feministischen Wissenschaft kritisch beäugte politische Strategien waren, werden sie aktuell, vor allem von rechtspopulistischer Seite, diskreditiert und angegriffen.
Ein zunehmend zentraler Bereich für substanzielle Repräsentation sind zudem Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Belästigung, da mit diesen (un)sichtbare Machtverhältnisse und Ausschlussmechanismen bearbeitet werden.
Symbolische Repräsentation – Die Darstellung von Frauen
"Ein unanständiges, würdeloses Weib! Armes Deutschland, so tief bist du gesunken mit den roten Parteiweibern!"
(Anonymer Kommentar auf Lenelotte von Bothmer, 1970)
Diese Repräsentationsdimension ist bisher wenig erforscht.
Hierbei geht es darum, wie Repräsentation jenseits von Wahlfragen und dem politischen Kerngeschäft aussehen kann und wie "gendersensible Parlamente" zu fassen sind.
Wer wird (wie) dargestellt (Bilder, Räume, Sprache, Veröffentlichungen)? Welche Regeln bestehen (Vorschriften und Sanktionen sexueller Belästigung und sexistischer Äußerungen, Regelungen zu Schwangerschaft, Elternzeit)? Welche Gepflogenheiten gibt es (Zeremonien, Rituale, Uhrzeiten von Abstimmungen)? Wo liegen "Schmerzgrenzen" (Diskussionsstile, Sexismus)? Sind etwa Kleinkinder im Plenum zugelassen, um eine Vereinbarkeit von Familie und Mandat zu ermöglichen? Eine Elternzeit ist für Abgeordnete nicht vorgesehen. Diese Frage war jüngst im Thüringer Landtag virulent.
Symbolische Repräsentation befasst sich auch damit, wie sich ein höherer Frauenanteil in der Politik auf die öffentliche Wahrnehmung von Politikerinnen und das immer noch verbreitete Stereotyp "Politik ist Männersache" auswirkt. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf der Frage, ob politische Institutionen als legitimer wahrgenommen werden, wenn mehr Frauen vertreten sind. Auch hier sind die Ergebnisse insbesondere zu den Auswirkungen von Quoten widersprüchlich: In einigen Ländern ergab sich durch Quoten insgesamt ein kultureller und sozialer Wandel, in anderen lösten sie Widerstand gegenüber Politiker*innen und Gleichberechtigung aus.
Viel erreicht, aber nicht am Ziel
Für ihr Stimmrecht mussten Frauen lange kämpfen. 100 Jahre nach dessen Einführung kann von Gleichheit im politischen Amt – im Sinne einer echten Parität – jedoch immer noch nicht die Rede sein. In Deutschland dauerte es lange Zeit, bis ein nennenswerter Anteil von Frauen im Bundestag vertreten war, und er liegt seit nunmehr zwanzig Jahren relativ stabil bei etwa 30 Prozent – Tendenz derzeit eher fallend. In der Exekutive gestaltete sich der Wandel noch langsamer.
Obwohl sich die genderorientierte vergleichende Repräsentationsforschung seit vielen Jahren intensiv mit den Trends und Gründen für die weiterhin bestehende Unterrepräsentation von Frauen in Parlamenten und Regierungen auseinandersetzt, besteht nach wie vor Forschungsbedarf zur Erklärung der Entwicklungen und zur Bewertung des Einflusses von Frauen in der Politik. Ein Schwerpunkt muss dabei auf dem Verhältnis der Repräsentationsdimensionen zueinander liegen; zudem muss eine intersektionale Perspektive, die auch andere Merkmale als das Geschlecht untersucht, konsequenter als bislang eingenommen werden. Doch inwieweit auch die beste Forschung Praxisrelevanz erlangen und zur Verbesserung der De-facto-Repräsentation beitragen kann, steht auf einem anderen Blatt. Für die gendergerechte Demokratisierung der Demokratie kommt den politischen Parteien eine herausragende Verantwortung zu.