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Dritte Welt Editorial Deutsche Entwicklungskooperation gestalten Das Schweigen des Parlaments Staatsversagen, Gewaltstrukturen und blockierte Entwicklung: Haben Krisenländer noch eine Chance? Die wahren Globalisierungsgegner oder: Die politische Ökonomie des Terrorismus Frauen fordern ihre Rechte als Indígenas und Staatsbürgerinnen

Staatsversagen, Gewaltstrukturen und blockierte Entwicklung: Haben Krisenländer noch eine Chance?

Tobias Debiel

/ 22 Minuten zu lesen

Die wirtschaftliche Entwicklung armer Länder wird nicht nur durch Korruption, sondern auch durch organisierte Gewalt und Zerfall staatlicher Strukturen behindert. Was sind Ursachen für die Krise in der Dritten Welt?

Einleitung

Die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist durch ein anhaltend hohes Maß an organisierter Gewalt geprägt. Diese umfasst unterschiedlichste Formen, die in ihrer physischen und psychischen Zerstörungswirkung auch unterhalb der Kriegsschwelle verheerend sind: Der Alltag vieler Menschen ist bestimmt durch Bandenkriminalität, mafios organisierte Verbrechersyndikate (Schutzgelderpressung, Waffen- und Drogenhandel etc.), staatliche Repression, die Willkürherrschaft lokaler Machthaber und Warlords oder - in ländlichen Gebieten - die gewaltsame Auseinandersetzung um ungeklärte Eigentums- und Nutzungsrechte an Land, Weidegründen und Wasserstellen. Zurzeit werden darüber hinaus mehr als 40 Konflikte mit kriegerischen Mitteln ausgetragen, d.h. unter massiver und kontinuierlicher Gewaltanwendung durch militärisch organisierte Konfliktparteien. Länder, deren politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung durch die verschiedensten Ausprägungen kollektiver Gewalt blockiert oder die gar vom inneren Zerfall bedroht sind, sollen im Folgenden als Krisenländer bezeichnet werden. Sie finden sich in nahezu sämtlichen Regionen des Südens (Subsahara-Afrika, Arabischer Raum, Süd-, Südost- und Ostasien, Lateinamerika) und in einigen Subregionen des Ostens (hier: Balkan, Kaukasus, Zentralasien, Teile der Russischen Föderation).

Haben solche Krisenländer eine Chance auf tragfähigen Frieden? Lassen sich die häufig tief verwurzelten Gewaltstrukturen so transformieren, dass ein umfassender gesellschaftlicher Wandel und damit auch eine gedeihliche Entwicklung in Gang gebracht wird? Bildet die Konsolidierung von Staatlichkeit durch institution building, die Etablierung rechtsstaatlicher Strukturen und Dezentralisierung einen Ausweg? Dies sind die Leitfragen des vorliegenden Beitrages. Zunächst gehe ich auf die Krise des Staates ein, die ein wichtiger Erklärungsfaktor für die alltägliche Präsenz von Gewalt und blockierter Entwicklung ist. Dann diskutiere ich Konzepte und Erfahrungen bei der Transformation von Krisenländern, wobei ich die Kerninstitutionen des Staates (Sicherheitssektor, Justiz) und die Frage der vertikalen Machtteilung (Dezentralisierung) hervorhebe. Ich konzentriere mich auf solche Länder, in denen nach Jahren oder auch Jahrzehnten des Krieges Friedensschlüsse erzielt wurden, die aber zugleich durch fortbestehende Gewaltstrukturen gekennzeichnet sind. Abschließend fasse ich Fallstricke bei der Konsolidierung, Reform und Rekonstitution von Staaten zusammen und verdeutliche sie anhand eines aktuellen Beispiels: des Wiederaufbaus Afghanistans, eines kollabierten Staates.

I. Krise des Staates und Strukturen der Gewalt

Die von Europa übernommenen Strukturen von Staatlichkeit existieren in zahlreichen Krisenregionen bestenfalls in formaler Hinsicht. Nicht selten haben sich Herrschaftscliquen den Staatsapparat angeeignet und finanzieren sich maßgeblich aus den Erlösen, die sich aus dem Mehrwert der Landwirtschaft, den Einkommen des Exportsektors, dem Handel mit wertvollen Rohstoffen oder gar Drogen abschöpfen lassen. Oftmals überleben sie auch durch die externe Alimentierung von Entwicklungshilfegebern (insbesondere in Subsahara-Afrika und Zentral-/Südasien).

1. Das Paradox des "lame leviathan"

Der Staat in Krisenländern erweist sich in gewisser Weise als stark und schwach zugleich und kann pointiert mit dem Paradox des "lame leviathan" beschrieben werden: Einerseits ist er als repressiver Staat durchaus in der Lage, die gesellschaftlichen Beziehungen zeitweise unter Kontrolle zu halten und sich in ausgewählten Bereichen Ressourcen anzueignen. Andererseits ist er ineffektiv und aufgebläht bei der Erfüllung seiner Wohlfahrts- und Sicherheitsfunktionen und nicht fähig, kohärente Politikkonzepte jenseits bestimmter urbaner Kerne umzusetzen und die sozialen Beziehungen umfassend zu regulieren.

Der unzureichend konsolidierte Staat in Krisenländern ist in der Regel durch ein hohes Maß an Zentralisierung und den Mangel an rechtlich garantierter Autonomie für die lokale Ebene gekennzeichnet. Die "bürokratischen Staatsklassen" rekrutieren sich weitgehend aus städtischen Eliten, Geschäftsleuten und familiär begründeten Klientelsystemen, die sich über den Staatsapparat Zugriff auf das Mehrprodukt sichern. In manchen Fällen etablieren sich als Parallelstruktur auf lokaler Ebene "Territorial- bzw. Lokalfürsten" (so genannte strongmen), auf die die urbane Staatsklasse nicht durchgreifen kann.

Das hier umrissene Versagen eines oftmals nur rudimentär oder formal existierenden Staates in Krisenländern ist Dreh- und Angelpunkt für die Erklärung innerstaatlicher Konflikte sowie für die geringe Resistenz von Krisenländern gegenüber externer Destabilisierung und fortdauernder Entwicklungsblockaden. Zugleich kann durch kriegerische Gewalt ein einsetzender Staatsverfall beschleunigt werden. In Europa war Staatsbildung ein Prozess, der sich über mehrere Jahrhunderte vollzogen hat. Krisenländer des Südens und Ostens sind gefordert, von einem geringeren Niveau indigener Staatsbildung aus in weitaus kürzerer Zeit den Sprung hinweg zu konsolidierten Nationalstaaten zu schaffen. Dieser Zeitdruck führt zu einer Überlastung der politischen, administrativen und zum Teil auch der militärischen Kapazitäten, die sich in einer Kumulation von Krisen und erodierender Legitimität der noch jungen Staaten niederschlägt.

2. Klientelistische Herrschaftssicherung und die Rolle der Entwicklungspolitik

Zentrales Prinzip der Herrschaftssicherung in Krisenländern ist der Klientelismus, der in der Regel durch verschiedenste Formen der Patronage (Begünstigung bei der Ämtervergabe) ergänzt wird. Staatsbürokratische Eliten betätigen sich häufig in einer Mischung aus "Makler" und "politischem Unternehmer". Die Bekleidung öffentlicher Ämter dient im Wesentlichen der Aneignung von Ressourcen. Diese nutzt der Politiker oder Bürokrat zum einen zur Selbstbereicherung, zum anderen benötigt er sie, um seine jeweilige politische oder ethno-regionale Klientel zu befriedigen. Klientelismus steht im Gegensatz zum Wettbewerbsprinzip und ist durch ein hohes Maß an Ineffektivität geprägt. Man kann sogar sagen: Klientelismus trägt in gewisser Hinsicht den Keim seiner Selbstzerstörung in sich. Um eine ausgeklügelte ethno-regionale Balance aufrechtzuerhalten und die wachsenden Bedürfnisse der Begünstigten zu befriedigen, wächst der Bedarf an Ressourcen kontinuierlich. Klientelismus untergräbt damit die Leistungsfähigkeit des Staates und verhindert sozialen Wandel.

Eine kritische Betrachtung verdient in diesem Kontext die Rolle der Entwicklungshilfe. Sie konnte in der Vergangenheit - bei allen unbestrittenen Erfolgen im Bereich der Grundbedürfnissicherung - in vielen Fällen durchaus als überlebensnotwendige Infusion für den Klientelismus interpretiert werden. Für die Regierungen des Südens war die fortlaufende Finanzierung durch externe Geber wichtiger als die Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung. In manchen Fällen lässt sich sogar nachweisen: Machteliten verhalten sich letztlich rational, wenn sie in ihren Ländern weder Entwicklung fördern noch Armut bekämpfen - erhalten sie sich damit doch die Voraussetzung für den Zufluss weiterer Geber-Gelder.

3. Strukturen und Formwandel der Gewalt

Durch die mit dem Paradox des "lame leviathan" bereits angesprochenen Autoritätskrise staatlicher Institutionen sind in zahlreichen Krisenländern "Gewaltmärkte" entstanden, auf denen rechtsförmige Beziehungen und Verfahren nicht gelten, sondern Waffen, wertvolle Anbauerzeugnisse und Rohstoffe, Schutzgelder und Zwangsabgaben als Währungen jenseits des Gesetzes dienen. Diese Märkte werden häufig durch Flüchtlingsgemeinschaften und Diasporas mitbetrieben. Angesichts fehlender sozioökonomischer Perspektiven bilden besonders junge Männer eine ideale Basis für Aktivitäten in derart "gewaltoffenen Räumen". Ein weiterer Faktor ist die umfangreiche und billige Verfügbarkeit von Waffen - und hier insbesondere von Kleinwaffen. Eine Folge: Selbst nach der Beendigung von Kriegen bleibt Entwicklung blockiert, und Gewalt nimmt nicht ab. Mitunter ist sogar das Gegenteil der Fall, etwa in Zentralamerika. Dort gab es seit Mitte der neunziger Jahre - insbesondere in El Salvador - eine drastische Zunahme der Gewaltkriminalität. Mithin lässt sich - wie Sabine Kurtenbach treffend feststellt - "weniger eine Befriedung und Pazifizierung der gesellschaftlichen Konflikte, sondern vielmehr ein Formwandel der Gewalt" beobachten.

Da der Staat die Kriminalität oft nicht wirksam eindämmen kann, ja mitunter sogar direkt an ihr beteiligt ist, fällt er als Garant von Recht und Ordnung in vielen Ländern weitgehend aus. Wohlhabende greifen vor diesem Hintergrund verstärkt auf private Sicherheitsdienste zurück. Sowohl Konzerne als auch Regierungen heuern in zunehmendem Maße Wachtruppen und militärische Beraterfirmen an. In Analogie zur "Privatisierung der Gewalt" durch Rebellen, organisierte Kriminalität und Terrororganisationen lässt sich von einer "Privatisierung der Sicherheit" sprechen. Nahezu alle Weltregionen sind betroffen, wobei Form und Ausmaß variieren. In den Metropolen befördert die Privatisierung der Sicherheit eine zunehmende Abschottung reicher von armen Lebenswelten, die unterschiedliche Zonen von Sicherheit und Gettobildung in so genannten gated communities zur Folge hat. In den Krisenregionen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens sichern Privatunternehmen wie Executive Outcomes (mittlerweile aufgelöst), Gurkha Security Ltd. oder Military Professional Resources Inc. Produktionsexklaven ab oder sind - etwa in Sierra Leone oder Angola - als Militärberater oder sogar in Kampfeinheiten im Kriegseinsatz.

II. Konsolidierung und Reform des Staates: Konzepte und Erfahrungen aus Krisenländern

Versagen, Verfall und Kollaps zahlreicher Staaten haben - zusammen mit den Erfahrungen des 11. September 2001 - zu einer "Wiederkehr des Staates" in der wissenschaftlichen und entwicklungspolitischen Debatte geführt. Dieser Fokus geht von der plausiblen Annahme aus, dass ohne ein Mindestmaß an Sicherheit, an Rechtsstaatlichkeit und innerstaatlichen Machtbalancen Bemühungen um gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung kein Fundament haben. Drei Ansätze spielen aus entwicklungspolitischer Perspektive eine prominente Rolle: erstens die Entprivatisierung der Gewalt durch eine Reform des Sicherheitssektors; zweitens die Förderung einer unabhängigen Justiz als Teil der Herausbildung von Rechtsstaatlichkeit; schließlich die Möglichkeiten einer vertikalen Machtteilung, das heißt der Dezentralisierung von Kompetenzen und Entscheidungsbefugnissen. Im Folgenden werden die wichtigsten Elemente und Probleme solcher Ansätze aufgezeigt. Zur Illustrierung wird mit Guatemala, Georgien und Äthiopien auf drei ausgewählte Krisenländer Bezug genommen, die sich im Zustand eines "zerbrechlichen Friedens" und blockierten Wandels befinden. Maßstab für den Erfolg von Konsolidierungs-, Reform- und Transformationskonzepten ist letztlich, ob sie das elementare Bedürfnis breiter Bevölkerungsschichten nach einigermaßen verlässlichem Schutz ihrer physischen und psychischen Integrität - kurzum: nach "menschlicher Sicherheit" - zu befriedigen vermögen.

1. Die Reform des Sicherheitssektors

Der Sicherheitssektor (Militär, paramilitärische Sicherheitskräfte, Polizei, Geheimdienste) ist innerhalb des institution building der vermutlich sensibelste Bereich. Oftmals stellt er für die Bevölkerung eher einen "Unsicherheitssektor" dar, ist er doch maßgeblich verantwortlich für Repression und die Verletzung von Menschenrechten. Insbesondere auf Initiative Großbritanniens entwickelte das Development Assistance Committee (DAC) der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) in jüngster Zeit Orientierungspunkte für eine Reform des Sicherheitssektors.

Von zentraler Bedeutung ist aus rechtsstaatlicher Perspektive eine klare Aufgabenabgrenzung zwischen den Sicherheitskräften sowie ihre Unterordnung, Rechenschaftspflicht und Verantwortlichkeit gegenüber zivilen Autoritäten. Das Militär hat - wie andere Organisationen - eine Tendenz, sich immer neue Aufgaben anzumaßen. Zivile Autoritäten setzen dem in Krisenländern nicht genügend Grenzen - sei es, weil sie Widerstände fürchten, sei es, weil sie bei Gefährdung ihrer Macht das Militär zu Hilfe rufen wollen.

Typisch für Entwicklungsländer ist eine problematische Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Teilen des Sicherheitsapparats. Die zur Landesverteidigung mit schwerstem Gerät ausgerüstete Armee ist häufig auch für die innere Sicherheit zuständig, während die Autorität und Ausrüstung der Polizei eher schwach ist. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die Polizei besser auf innerstaatliche Aufgaben vorzubereiten, die bislang noch vom Militär wahrgenommen werden. Darüber hinaus muss es innerhalb der Sicherheitskräfte klare Hierarchien geben, die von ebenso klar definierten zivilen Strukturen kontrolliert und beaufsichtigt werden. Nur Transparenz durch öffentliche Kontrolle ist in der Lage, verdeckte Zuwendungen und Aufgaben jenseits der Legalität zu verhindern. Wichtig hierfür ist ein funktionierendes Parlament, das gerade über seine Haushaltsbefugnisse Kontroll- und Entscheidungsrechte ausübt. Die Unabhängigkeit der Justiz und die Freiheit der Medien sind schließlich unabdingbar, sollen Menschenrechtsverletzungen der Streitkräfte auch tatsächlich geahndet oder gar präventiv verhindert werden.

Am Beispiel Guatemalas lassen sich die Probleme einer Reform des Sicherheitssektors veranschaulichen. In diesem zentralamerikanischen Land einigten sich nach Jahrzehnten eines äußerst blutigen Bürgerkrieges Regierung und Guerilla am 29. Dezember 1996 auf einen Friedensvertrag. Das Militär hat in der Folgezeit seine dominierende Rolle im politischen System eingebüßt. Zugleich werden die Streitkräfte jedoch nicht von der Politik kontrolliert und haben sich - nicht zuletzt durch die Schwäche ziviler Institutionen - eine relative Autonomie im politischen System gesichert. Immer noch grassieren Angst und Unsicherheit in weiten Teilen der Bevölkerung. Die politische Elite hat kein eigenständiges Projekt entwickelt, die Demokratie besteht eher formal denn substanziell. Vor allem ist es misslungen, das guatemaltekische Heer der verfassungsmäßigen Ordnung unterzuordnen - ein Zustand, der durch das Scheitern eines Verfassungsreferendums vom Mai 1999 vorerst zementiert scheint. Es ist offenkundig: Derartige Reformblockaden lassen sich nicht durch eine Effektivierung des bestehenden Apparates auflösen. Vielmehr geht es um einen gesellschaftspolitischen Wandel, in dem nichtstaatliche Institutionen (Wissenschaftszentren, Universitäten, Nicht-Regierungsorganisationen), Medien und Parlament neue Kompetenzen und ein neues Selbstverständnis entwickeln, um die zivil-militärischen Beziehungen umzugestalten und die "Rückfalloption" Militär aus dem politischen Leben zu verbannen.

2. Die Förderung einer unabhängigen Justiz

Neben dem Sicherheitssektor bildet die Justiz ein Kernelement von Staatlichkeit. Rechtsstaatlichkeit ist die zentrale Voraussetzung institutionalisierter Konfliktbearbeitung und damit im innerstaatlichen Bereich der beste Garant, den Rückgriff auf Gewalt zu verhindern. Welches sind die Merkmale eines funktionierenden Rechtswesens? Drei Elemente lassen sich angeben: eine unabhängige und unparteiische Richterschaft; das Recht auf Verteidigung und einen fairen Prozess; die Verankerung rechtsstaatlicher Grundsätze wie zum Beispiel die Unschuldsvermutung zugunsten des Angeklagten. In vielen Ländern sind diese Bedingungen nicht erfüllt. Die Justiz ist hier nur "effektiv", wenn es darum geht, regierungskritische Journalisten oder oppositionelle Politiker zu verhaften und zu verurteilen. Privatrechtliche Streitigkeiten wie auch strafrechtliche Angelegenheiten werden hingegen angesichts fehlender Qualifikationen und Ressourcen kaum angemessen verhandelt. Versagt der Staat bei der Verfolgung eklatanter Verbrechen, sind Selbst- und Lynchjustiz die Folge - ein Phänomen, das etwa in Guatemala in den vergangenen Jahren erschreckend zugenommen hat.

Die Mängel im Justizapparat von Krisenländern sind häufig derart schwerwiegend, dass die Bevölkerung die öffentliche Rechtspflege als nichtexistent betrachtet. Unzureichende Ausbildung, klandestine Strukturen, eine mangelhafte Koordination zwischen Ermittlungsbehörden und Polizei sowie die Verfilzung politischer, militärischer und juristischer Eliten verhindern, dass Kriminelle abgeurteilt werden. Dadurch entstehen unrühmliche Traditionen von Gesetz- und Straflosigkeit. Hinzu kommt, dass fehlende Rechtssicherheit und Erwartungsverlässlichkeit Geschäftsleute und Investoren von mittel- und langfristigen Planungen abhalten.

Wie kann die Reform der Justiz von außen unterstützt werden? Verschiedene Strategien sind möglich:

- ein kritischer Politikdialog, der die Regierung ermutigt und drängt, der Justiz die Kontrolle des Gewaltmonopols zu ermöglichen;

- technische Unterstützung für die Dezentralisierung der Justiz, um gerade auf lokaler Ebene Recht und Gesetz zur Geltung zu verhelfen;

- Aus- und Weiterbildungsanstrengungen bei Richtern, Staatsanwälten, Verteidigern und Justizbeamten;

- die Einführung von transparenten Auswahlverfahren, damit Spitzenpositionen in der Justiz nach Qualität der Bewerber und nicht nach deren politischen Loyalitäten besetzt werden;

- die Stärkung von Medien und Menschenrechtsorganisationen, damit diese ihre Rolle als watchdogs und als "vierte Gewalt" jenseits des staatlichen Dreiecks von Exekutive, Legislative und Judikative wahrnehmen können.

Georgien ist ein Beispiel dafür, wie maßgeblich eine unzulängliche Rechtsordnung zur Unsicherheit beiträgt. Die Bürger sind in vielen Fällen staatlicher Willkür und alltäglichen Verbrechen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Zwar wurde im zurückliegenden Jahrzehnt die Rechtssicherheit durch neue Strafgesetze und strafgerichtliche Verfahren gestärkt. So ist eine Anklage gegen Polizisten oder andere Angehörige des Sicherheitsapparats möglich, wenn diese die Menschenrechte verletzten oder Bürger ohne gesetzliche Grundlage in Haft halten. Auch gab es in den späten neunziger Jahren eine Justizreform, in deren Rahmen verschiedene Institutionen neu besetzt und umstrukturiert wurden. Zum Beispiel wurden die Gefängnisse dem Justiz- statt dem weitgehend diskreditierten Innenministerium unterstellt.

Doch werden Gesetze nach wie vor nur schleppend implementiert, Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe nicht bestraft. Korruption und Filz sind weit verbreitet. Zudem gibt es ein beachtliches Gefälle zwischen Tbilissi und den ländlichen Gebieten. Schließlich hat der Medienbeauftragte der OSZE wiederholt darauf hingewiesen, dass Medien immer wieder in ihrer Unabhängigkeit und in der Freiheit ihrer Berichterstattung gefährdet sind. Die Erkenntnis: Gesetzes- und Verfassungsänderungen können nur dann greifen, wenn sie mit einer gezielten Bekämpfung von Klientelismus und Patronage verbunden sind. Technische Unterstützung für den Justizsektor sollte in diesem Sinne konditioniert und an effektive Möglichkeiten öffentlicher Kontrolle gekoppelt werden.

3. Dezentralisierung und Machtteilung

Neben dem institution building spielt bei der Reform und Transformation des Staates die Frage der horizontalen und vertikalen Machtteilung eine wichtige Rolle. Dies gilt besonders für multiethnische Staaten. Auf horizontaler Ebene können Minderheiten beispielsweise durch Veto-Rechte oder Proportionalitätsregeln bei der Besetzung öffentlicher Ämter politisch beteiligt werden. Auf vertikaler Ebene geht es um Dezentralisierung. Sie zielt auf eine gewisse Verlagerung der Entscheidungsgewalt vom Zentralstaat zur regionalen und lokalen Ebene ab, in der Regel in Form eines föderalistischen Staatsaufbaus und einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Dadurch können nicht zuletzt Spielräume für eine ethno-regionale Selbstbestimmung eröffnet werden, die weiter gehende Forderungen - bis hin zur Sezession - nicht virulent werden lassen.

Dezentralisierung birgt Chancen in sich: Auf lokaler Ebene sind am ehesten problemnahe Lösungen zu erwarten. Elitenkonkurrenz lässt sich entschärfen, wenn Machtfragen nicht nur in der nationalen Arena entschieden werden, sondern sich auf regionaler und lokaler Ebene Gegengewichte bilden. In Situationen von Staatszerfall kann die lokale Ebene in manchen Fällen recht gut mit autonomen Strukturen für Entwicklung und ein Mindestmaß an menschlicher Sicherheit sorgen, so etwa am Horn von Afrika in Somaliland und Puntland.

Zugleich ist Dezentralisierung nicht ohne Risiken. Es gibt nicht nur zentralstaatlichen Machtmissbrauch, sondern auch "lokale Despotie". Außerdem können Machtverschiebungen infolge von Kompetenzverlagerungen oder Kommunalwahlen gerade in einem Klima von Misstrauen und Feindschaften zu Unruhen führen und bestehende Konflikte zwischen Mehrheiten und Minderheiten, zwischen "Einheimischen" und "Fremden" in einer Region verstärken. Schließlich handelt es sich bei der Dezentralisierung um einen ausgesprochen politischen Prozess, der auch missbraucht werden kann.

Das Beispiel Äthiopiens zeigt in diesem Zusammenhang, wie weit Verfassungsanspruch und -wirklichkeit auseinander klaffen können. Obwohl der Staat nach dem Sturz des von der Sowjetunion und Kuba unterstützten Derg-Regimes (1974 - 1991) in eine föderale Republik umgewandelt wurde, setzt das de facto bestehende Einpartei-Regime diese konstitutionell verankerte Regierungsform in zahlreichen Fällen als raffiniertes Instrument politischer Herrschaftssicherung ein. Siegfried Pausewang hat dies auf den Punkt gebracht: "Die Verwaltung ist zwar dezentralisiert, aber sie wird von der Partei zentral kontrolliert." Dabei können unliebsame Beschwerden geschickt auf die regionale und lokale Ebene verschoben werden, um von der Mitverantwortung der Zentralregierung abzulenken. Eine derartige Pseudo-Dezentralisierung wird auch genutzt, um erste Formen der Gewaltenteilung, die sich in der Hauptstadt herausgebildet haben, auszuhebeln. In Addis Abeba gibt es beispielsweise eine Reihe couragierter Richter, die durchaus auch gegen die Regierung entscheiden. Doch die Regierung kann solche Urteile unterlaufen, indem sie heikle Fälle auf die von ihr besser kontrollierbare lokale Ebene verweist. Dezentralisierung - so die Quintessenz - ist ein viel versprechender Ansatz, der Weg dorthin aber mit zahlreichen Stolpersteinen gepflastert. Geber müssen vor diesem Hintergrund darauf achten, dass Pluralismus und Transparenz der Entscheidungsverfahren durch Kompetenzverlagerungen nicht vermindert werden. Außerdem gilt es, funktionierende Strukturen, die jenseits des "modernen Staates" bestehen, angemessen zu berücksichtigen und in einen übergreifenden, rechtsstaatlichen Rahmen einzubetten.

III. Fallstricke des staatszentrierten Ansatzes und Konsequenzen für die Praxis des "state-building"

Konsolidierung und Reform von Staaten wurden bis Ende der achtziger Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit vernachlässigt, weil sie als zu "politisch" galten. Die Debatte der zurückliegenden Jahre wie auch bereits angelaufene Programme sind als Fortschritt zu werten, wird nunmehr doch eine zentrale Ursache für die Zunahme organisierter Gewalt und für Entwicklungsblockaden angegangen. Allerdings birgt, wie die bisherigen Fallbeispiele schon andeuteten, ein staatszentrierter Ansatz auch Gefahren in sich, die zur Vorsicht gemahnen und Korrektive erforderlich machen. Derartige Probleme potenzieren sich, wenn es um die Rekonstitution regelrecht kollabierter Staaten geht.

1. Fallstricke des staatszentrierten Ansatzes

Ich möchte vier Fallstricke hervorheben: Erstens kann die Unterstützung von Regierungsinstitutionen zur Stärkung demokratisch nicht legitimierter Machthaber führen und von politischen oder militärischen Oppositionsgruppen wie auch von gesellschaftlichen Kräften als Parteinahme interpretiert werden. Im Extremfall läuft ein State-building-Projekt Gefahr, "den Bock zum Gärtner zu machen", d.h. den für Repression und gewaltsamen Konfliktaustrag mitverantwortlichen Staatsapparat auch noch aufzuwerten. Vor diesem Hintergrund darf die Unterstützung von Staatsfunktionen keine "exklusive Unternehmung" zwischen Regierungen sein, sondern muss sowohl auf Geber- als auch auf Nehmerseite durch öffentliche und parlamentarische Kontrolle flankiert werden. Zweitens sind externe Akteure in der Regel auf Anlaufstellen in den Hauptstädten orientiert und suchen sich Ansprech- und Kooperationspartner im Establishment bzw. bei urbanen Gegeneliten. Dadurch können implizit Tendenzen zur Zentralisierung befördert werden oder auch - bei einer übermäßigen Delegation von originär staatlichen Aufgaben an Nichtregierungsorganisationen - hybride Strukturen geschaffen werden. Die reale Lage breiter Bevölkerungsschichten gerät so allzu leicht in den Hintergrund. Als Konsequenz muss die Projekt- und Programmplanung von vorneherein die regionale und lokale Ebene als integrale Elemente von Staatlichkeit einbeziehen.

Das dritte Problem ist damit eng verbunden. In vielen Krisenregionen ist der Staat in weiten Landesteilen de facto nicht präsent. Sobald der "moderne Staat" versucht, diese Gebiete zu durchdringen, wird er als Instrument der Ausbeutung und Repression wahrgenommen. Ein Mindestmaß an menschlicher Sicherheit und Erwartungsverlässlichkeit können unter solchen Bedingungen - v. a. in Subsahara-Afrika und Zentralasien - traditionelle Institutionen und Streitschlichtungsverfahren leisten. Gerade in Situationen von Staatsverfall oder gar -kollaps haben solche Strukturen in den vergangenen Jahren eine Wiederbelebung erfahren und zum Teil funktionale Äquivalente für Staatlichkeit geschaffen. Entwicklungspolitik muss dieser Realität "geschichteter Staatlichkeit" Rechnung tragen. Von daher sollte es kurz- und mittelfristig darum gehen, die Vielfalt von Rechts- und Herrschaftsräumen aneinander "anschlussfähig" zu machen und zu verschränken. Bei Ziel- und Wertekonflikten muss die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards im Sinne eines "kleinsten gemeinsamen Nenners" als Orientierungspunkt dienen. Eine völlige Integration erscheint in Fällen von Staatsverfall oder -kollaps erst in einem längeren Prozess sinnvoll und machbar. Viertens muss die Konsolidierung, Reform und Rekonstitution von Staaten durch sozioökonomische Maßnahmen flankiert werden. Ohne die Beseitigung von Armut wird es keine Loyalität der Bevölkerung gegenüber dem Staat geben. Perspektivlosigkeit treibt junge Männer zudem fast zwangsläufig in Gewaltökonomien, die angesichts weit verbreiteter Arbeitslosigkeit und zerfallender Sozialstrukturen eine sehr nahe liegende und rationale Option darstellen.

2. Der Wiederaufbau kollabierter Staaten: Afghanistan als Probe aufs Exempel

Standardmodelle zur Konsolidierung, Reform und Rekonstitution von Staaten, die ohne Bezug auf regionale und kulturelle Besonderheiten konzipiert sind, laufen angesichts der eben skizzierten Probleme geradezu zwangsläufig ins Leere oder gar in die Irre. Statt dessen kommt es auf die Bereitschaft an, für jeden Einzelfall eine gesonderte Strategie zu entwickeln und diese kritisch mit bisherigen Erfahrungen abzugleichen. Was dies konkret bedeuten kann, soll abschließend am Beispiel eines kollabierten Staates veranschaulicht werden: Afghanistan. Dort findet derzeit die Probe aufs Exempel für den Wiederaufbau eines Staates statt. Probleme und Dilemmata des "state-building" lassen sich in solch einem Fall quasi im Brennglas beobachten.

Ende des 19. Jahrhunderts als Pufferstaat zwischen Britisch-Indien und Russland etabliert, entwickelte Afghanistan sich nach und nach zu einem "Rentierstaat", der sich kaum auf produktive Tätigkeiten im Inland stützte, sondern beispielsweise in den siebziger Jahren 40 Prozent des Staatshaushalts aus Entwicklungsgeldern bestritt. Die Konflikte, die sich zwischen traditionell orientierten Clanchefs und Talschaftsanführern einerseits und der ab 1979 durch sowjetische Truppen unterstützten staatsbürokratischen Elite andererseits entwickelten, eskalierten schließlich zu Krieg und Staatszerfall. Nach dem Fall der moskauorientierten Regierung betrieben sowohl die Mudjahidin (1992 - 1996) als auch die Taliban (1996 - 2001) eine Politik der klientelistischen Herrschaftssicherung. Nachdem eine US-geführte multinationale Koalition in Zusammenarbeit mit der so genannten Nordallianz Ende 2001 das Taliban-Regime gestürzt und eine Regierung unter Präsident Hamid Karzai etabliert hat, ist das Land immer noch nur in Teilen befriedet und von einem wirklichen Neuanfang weit entfernt.

Marina Ottaway und Anatol Lieven von der Carnegie Endowment for Peace haben vor diesem Hintergrund die westlichen Handlungsoptionen provokativ auf zwei Alternativen hin zugespitzt. Einerseits könne der Westen das Standardmodell des "demokratischen Wiederaufbaus" anwenden. Dieses sieht die Verabschiedung einer rechtsstaatlich orientierten Verfassung, baldige Wahlen, die massive, durch internationale Finanzinstitutionen gemanagte Wirtschaftshilfe und eine breite Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen (NGO) vor und wird in einer Übergangszeit durch internationale Truppenpräsenz abgestützt. Doch halten Ottaway und Lieven dieses Modell schlichtweg für eine gefährliche Illusion - und haben hierfür gute Argumente: Angesichts der gegebenen Machtverhältnisse habe in Afghanistan eine Zentralregierung keine Chance, sich gegen die regionalen Warlords durchzusetzen. Auch sei das Konzept moderner, säkularer Staatlichkeit dem quasimittelalterlichen System in weiten Landesteilen nicht angemessen. Stattdessen plädieren Ottaway und Lieven für eine "geordnete Anarchie" jenseits eines Zentralstaates. Sie berufen sich dabei auf die Erfahrungen im Somalia der neunziger Jahre. Dort sei nach Abbruch der humanitären Intervention die Gewalt deutlich zurückgegangen, der internationale Handel habe sich wiederbelebt. Ihre Empfehlungen: Es könne für externe Akteure nur um die Absicherung einiger Basisfunktionen gehen: ein Mindestmaß an Sicherheit, die Absicherung von Handelswegen. Die Hilfe solle direkt an die Regionen weitergeleitet werden, dafür müsse man die Beziehungen zu den Warlords institutionalisieren und diese in die Pflicht nehmen. Schließlich solle die Regierung in Kabul eher die Rolle eines Mediators denn einer Zentralmacht einnehmen.

Das Konzept der "geordneten Anarchie" ist sehr brüchig: Welche Akzeptanz soll eine Zentralregierung erreichen, die über keinerlei Sanktionsmittel verfügt? Lassen sich die Kriegsfürsten durch Kooperationsangebote ohne weiteres "einkaufen"? Eröffnet ein politisches Vakuum externen Mächten nicht Spielräume zur Destabilisierung? Meine These: Die Konsolidierung und Rekonstitution von Staaten muss in Ländern wie Afghanistan einem dritten Weg folgen. Dabei sollte die internationale Gemeinschaft - so es einigermaßen vertrauenswürdige Kooperationspartner gibt - Kernfunktionen des Staates fördern, sprich: Polizei, Militär, Justiz, Erziehung und Gesundheit. Zugleich darf das Motto "Staatsbildung zuerst" nicht auf eine Zementierung von Konflikten zwischen moderner städtischer Elite und traditionaler Landbevölkerung hinauslaufen. Deshalb ist es unumgänglich, bestehende Strukturen auf regionaler und lokaler Ebene zu berücksichtigen und anzuerkennen, wenn sie leidlich funktionieren. Dies gilt für traditionelle Institutionen der Konfliktschlichtung wie shura und jirga, aber auch für Verwaltungsorgane, die von lokalen Machthabern bestimmt werden. Unterstützung kann freilich nur konditioniert erfolgen und muss - gerade bei nur wenig legitimierten Herrschern - an eine schrittweise Reform im Sinne rechtsstaatlicher Prinzipien gebunden werden. Dabei darf die Zusammenarbeit mit Kriegsfürsten nicht auf Kosten demokratisch orientierter oder traditionell legitimierter Kräfte gehen.

Flankierend zum politischen Prozess sind schließlich sozioökonomische Maßnahmen unerlässlich. Die Förderung von Agrarstrukturen dient dabei auch dazu, im Rahmen einer Doppelstrategie (Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols; Förderung wirtschaftlicher Alternativen) die Drogenökonomien zurückzudrängen. Bei den Hilfsmaßnahmen ist eine Überschwemmung mit ausländischem Geld und Experten tunlichst zu vermeiden. Ein solches Vorgehen schafft in der Regel Strukturen, die Eigenanstrengungen behindern und Selbstbereicherung befördern.

Als Quintessenz für externe Akteure lässt sich festhalten: Terminologie und Maschinerie der Entwicklungspolitik dürfen nicht dazu verführen, den Prozess des "state-building" als "technokratisches Projekt" misszuverstehen. Zahlreiche Rück- und Fehlschläge - sei es in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion (Zentralasien, Südkaukasus), sei es im Rahmen multilateral geförderter Friedenskonsolidierung (Kambodscha, Kosovo, Afghanistan, Osttimor, Guatemala etc.) - zeigen, dass es sich im Kern um einen genuin politischen Prozess handelt. Wichtiger als umfangreiche Zuwendungen sind ein klares Konzept und verlässliche Ansprechpartner vor Ort. Staatsbildung - ob von außen unterstützt oder nicht - wird in zahlreichen Krisenregionen der Welt ein defizitärer Prozess bleiben, da Macht- und Gewaltstrukturen einer tief greifenden Änderung entgegenstehen. Nichtsdestoweniger gibt es Ansatzpunkte, die Weichen zumindest in Richtung eines fragilen Wandels zu stellen. Es wäre - nicht zuletzt angesichts der Erfahrungen des 11. September 2001 - fahrlässig, diese (begrenzten) Chancen nicht gewissenhaft zu nutzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für eine ausführliche Behandlung der Thematik vgl. Tobias Debiel (Hrsg.), Der zerbrechliche Frieden. Krisenregionen zwischen Staatsversagen, Gewalt und Entwicklung, Bonn 2002. Der vorliegende Beitrag stützt sich maßgeblich auf die Ergebnisse dieses Sammelbandes.

  2. Der Transformationsbegriff wird hier im allgemeineren Sinne für einen grundlegenden politischen Systemwandel gebraucht und auf die spezifischen Herausforderungen von Krisenländern angewandt. Ich grenze mich damit gegen die in den neunziger Jahren gängige Identifizierung des Transformationsbegriffs mit dem Wandel in den sog. real-sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas ab. Letztere Staaten sind nicht Gegenstand dieses Beitrages.

  3. Gilbert M. Khadiagala, State Collapse and Reconstruction in Uganda, in: I. William Zartman (Hrsg.), Collapsed States: The Disintegration and Restoration of Legitimate Authority, Boulder, Col. - London 1995, S. 35.

  4. Vgl. Joel S. Migdal, Strong Societies and Weak States: State-Society Relations and State Capabilities in the Third World, Princeton, N.J. 1988, S. 8.

  5. Vgl. Hartmut Elsenhans, Abhängiger Kapitalismus oder bürokratische Entwicklungsgesellschaft: Versuch über den Staat in der Dritten Welt, Frankfurt/M. 1981.

  6. Vgl. J.S. Migdal (Anm. 4), S. 136 f.

  7. Vgl. Mohammed Ayoob, The Third World Security Predicament: State Making, Regional Conflict, and the International System, Boulder, Col. - London 1995, S. 32 - 33 und 39 - 40.

  8. Eine interessante Weiterentwicklung des Makler-Konzeptes für die lokale Ebene findet sich bei Thomas Bierschenk, Lokale Entwicklungsmakler. Entwicklungshilfe schafft neue Formen des Klientelismus in Afrika, in: E+Z - Entwicklung und Zusammenarbeit, 39 (1998) 12, S. 322 - 324.

  9. Vgl. J.S. Migdal (Anm. 4), S. 223 und 225.

  10. Siehe u.a. am Beispiel der Zentralafrikanischen Republik: Wolfgang Fengler, Politische Reformhemmnisse und ökonomische Blockierung in Afrika, Baden-Baden 2001.

  11. Georg Elwert, Gewaltmärkte. Beobachtungen zur Zweckrationalität der Gewalt, in: Trutz von Trotha (Hrsg.), Soziologie der Gewalt, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft, Nr. 37 (1997), S. 86 - 101.

  12. Sabine Kurtenbach, Konfliktsystem Zentralamerika: Gewaltwandel und externe Akteure, in: T. Debiel (Anm. 1), S. 203.

  13. Vgl. Peter Lock, Kriege im Wandel - Neue Anforderungen an die Politik, Hamburg 1996 (Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung; Arbeitspapier, Nr. 1), S. 14.

  14. Ders., Sicherheit à la carte? Entstaatlichung, Gewaltmärkte und die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols, in: Tanja Brühl/Tobias Debiel/Brigitte Hamm/Hartwig Hummel/Jens Martens (Hrsg.), Die Privatisierung der Weltpolitik: Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, Bonn 2001, S. 200 - 229.

  15. Siehe zu dieser begrifflichen Unterscheidung Gero Erdmann, Apokalyptische Trias: Staatsversagen, Staatsverfall und Staatszerfall - strukturelle Probleme der Demokratie in Afrika, in: Petra Bendel/Aurel Croissant/Friedbert Rüb (Hrsg.), Staat in der Transition, Opladen 2003 (i.E.).

  16. Hans-Joachim Spanger, Die Wiederkehr des Staates: Staatszerfall als wissenschaftliches und entwicklungspolitisches Problem, Frankfurt/M. 2002 (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung; HSFK-Report 1/2002).

  17. Der von UNDP, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, 1994 in die Diskussion gebrachte Begriff der "menschlichen Sicherheit" hat seit Mitte der neunziger Jahre als Leitmotiv für die multilateral orientierte Entwicklungs- und Friedenspolitik eine gewisse Leitbildfunktion entwickelt. Sein Vorteil besteht zunächst einmal darin, den Schutz des Einzelnen angesichts vielfältiger Bedrohungen in einer gleichermaßen globalisierten wie fragmentierten Welt in den Mittelpunkt gerückt zu haben. Damit hebt sich "menschliche Sicherheit" wohltuend von dem "klassischen", staatszentrierten Begriff der "nationalen Sicherheit" ab. Zugleich wird der Terminus in der akademischen und politischen Debatte sehr vage und breit und damit in analytisch kaum nutzbarer Weise gebraucht. Von daher grenze ich hier die Bedeutung auf eine gravierende Beeinträchtigung der physischen und psychischen Integrität des Individuums ein. Siehe zum ursprünglichen Konzept UNDP, Bericht über die menschliche Entwicklung. Bonn 1994; einen zusammenfassenden Überblick zur Debatte gibt Roland Paris, Human Security: Paradigm Shift or Hot Air?, in: International Security, 26 (Fall 2001) 2, S. 87 - 102.

  18. Vgl. Nicole Ball, Wiederaufbau kriegszerrütteter Gesellschaften: Welchen Beitrag können externe Akteure leisten?, in: T. Debiel (Anm. 1), S. 66 - 96.

  19. Vgl. OECD/DAC, Helping Prevent Violent Conflict. Orientations for External Partners. Supplement to the DAC Guidelines on Conflict, Peace and Development Co-operation on the Threshold of the 21st Century, Paris 2001 (http://www.oecd.org/dac/pdf/G-con-e.pdf). Siehe zu Konzepten der deutschen Entwicklungspolitik: Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) (Hrsg.), Reform des Sicherheitssektors, Eschborn 2000.

  20. Vgl. zum folgenden Absatz Bernardo Arévalo de Léon, Der festgefahrene Übergangsprozess: Demokratische Transformation und militärische Konversion in Guatemala, in: T. Debiel (Anm. 1), S. 226 - 239.

  21. Vgl. zum Folgenden David Darchiashvili, Menschliche Sicherheit, liberale Demokratie und die Macht des Nationalismus: Die Staatskrise in Georgien und mögliche Lösungen, in: T. Debiel (Anm. 1), S. 173 - 201.

  22. Vgl. Andreas Mehler, Dezentralisierung und Krisenprävention, in: Walter Thomi/Markus Steinich/Winfried Polte (Hrsg.), Dezentralisierung in Entwicklungsländern: Jüngere Ursachen, Ergebnisse und Perspektiven staatlicher Reformpolitik, Baden-Baden 2001, S. 287 - 299.

  23. Siegfried Pausewang, Äthiopien: Staatskrise, Rechtsstaatlichkeit und die Reform des Sicherheitssektors, in: T. Debiel (Anm. 1.), S. 263-290, hier: S. 271.

  24. Vgl. Andreas Wimmer/Conrad Schetter, Staatsbildung zuerst: Empfehlungen zum Wiederaufbau und zur Befriedung Afghanistans, Bonn 2002 (Zentrum für Entwicklungsforschung; ZEF Discussion Papers, Nr. 45), S. 8 - 10.

  25. Vgl. Marina Ottaway/Anatol Lieven, Afghanistan: Zu hohe Erwartungen sind gefährlich, in: der überblick, 38 (2002) 2, S. 67 - 71.

  26. A. Wimmer/C. Schetter (Anm. 24).

  27. Vgl. für ein umfassendes Konzept des Peacebuilding in Afghanistan: Astri Suhrke/Kristian Berg Harpviken/Are Knudsen/Arve Ofstad/Arne Strand, Peacebuilding: Lessons for Afghanistan, Bergen 2002 (Chr. Michelsen Institute, Report 9/2002).

  28. Vgl. die treffende Argumentation bei Volker Matthies, Kriege: Erscheinungsformen, Kriegsverhütung, Kriegsbeendigung, in: Manfred Knapp/Gert Krell (Hrsg.), Einführung in die Internationale Politik. Studienbuch, München-Wien 2003 (i.E.). Zahlreiche Fallstudien und neuere Erkenntnisse zur Frage der Friedenskonsolidierung finden sich zudem in: Mir A. Ferdowsi /Volker Matthies, Den Frieden gewinnen. Zur Konsolidierung von Friedensprozessen in Nachkriegsgesellschaften, Bonn 2003 (i.E.).

Dr. sc. pol., geb. 1963; seit 2003 Koordinator der Forschungsgruppe "Staatsbildung und gewaltsame Konflikte" am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.
Anschrift: Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Walter-Flex-Str. 3, 53113 Bonn. E-Mail: E-Mail Link: tobias.debiel@uni-bonn.de

Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Der zerbrechliche Frieden: Krisenregionen hzwischen Staatsversagen, Gewalt und Entwicklung, Bonn 2002; UN-Friedensoperationen in Afrika: Weltinnenpolitik und die Realität von Bürgerkriegen, Bonn 2003 (i. E.).