Einleitung
Seit Ende der siebziger Jahre folgt die bundesdeutsche Entwicklungspolitik den Vorgaben von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren haben die Internationalen Finanzinstitutionen - und einige bilaterale Geberorganisationen - den conventional wisdom des jeweiligen entwicklungspolitischen Diskurses formuliert, ohne dass eine engagierte bundesdeutsche Beteiligung zu erkennen gewesen wäre. Im gleichen Zeitraum ist auch ein akademischer deutscher Beitrag zur internationalen entwicklungspolitischen Debatte kaum wahrzunehmen gewesen. Erst mit der Amtsübernahme der ersten rot-grünen Bundesregierung 1998 scheint durch die Besetzung von Symbolthemen wie Entschuldung, Demokratisierung, Armutsbekämpfung oder Konfliktprävention etwas Bewegung in die deutsche Entwicklungspolitik gekommen zu sein, wenngleich eine systematische Neudefinition des eigenen Rollenverständnisses bislang ausgeblieben ist. Die in den letzten Jahren wachsenden Diskussionen um die Folgen der Globalisierung und der Antiglobalisierungsdiskurs setzen die Bundesregierung unter Legitimationszwang und verlangen neue Konzepte für die Entwicklungskooperation.
In diesem Beitrag wird herausgearbeitet, wie in den siebziger Jahren die Bereitschaft gesunken ist, in der internationalen Entwicklungskooperation gestaltend zu agieren, und warum deutsche Entwicklungspolitik so wenig Profil gezeigt hat. Des Weiteren wird verdeutlicht, was erforderlich wäre, damit die Bundesregierung in Zukunft die Möglichkeiten als wichtiger Geldgeber optimal nutzt. Da einige Washingtoner Institutionen seit einigen Jahren einem unrealistischen Optimismus anhängen,
I. Die Aufgabe eines entwicklungs- politischen Gestaltungswillens
In der Vergangenheit gab es durchaus einen entwicklungspolitischen Gestaltungswillen; dieser reflektierte aber in erster Linie nichtentwicklungspolitische Ziele und wurde nach Erreichen dieser Ziele für deutschlandpolitische Ziele nach und nach aufgegeben. Hier nur einige Stichpunkte, um dies zu verdeutlichen:
- Von 1960 bis 1973 wurde nach einem entwicklungspolitischen Gießkannenprinzip verfahren, das an die politische Konditionalität der Hallstein-Doktrin gekoppelt war. Es wurde erst mit der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO obsolet.
- Von 1974 bis 1976 gab es unter Kanzler Helmut Schmidt eine sozialdemokratische Einflussnahme, die sich durch eine keynesianische Steuerung der Globalökonomie mit Ausgleichsinstrumenten für die Entwicklungsländer auszeichnete. Allerdings wurde mit der Ablehnung der neuen Weltwirtschaftsordnung (NWWO) durch Kanzler Schmidt der nicht-marktwirtschaftlichen Intervention in Entwicklungsprozesse (bspw. über Rohstoffpreisstabilisierung, Nationalisierung von multinationalen Konzernen) eine klare Absage erteilt. Das 1975 geschlossene Lomé-Abkommen enthielt zwar einige der Aspekte der NWWO, sollte aber nur für den Hinterhof Frankreichs und Englands in Afrika, der Karibik und im Pazifik (AKP) gelten. Während die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) und damit die Mehrheit der Entwicklungsländer unter aktiver Teilnahme der Bundesregierung ausgebremst wurden, verpflichtete sich die Bundesregierung, das Lomé-Abkommen finanziell (ca. 25 Prozent der Mittel bis zum Jahr 2000) zu tragen und damit Frankreich entgegenzukommen.
- Spätestens die Verschuldungskrise Ende der siebziger Jahre machte den Weg frei für wirtschaftliche Reformmaßnahmen unter der Ägide von IWF und Weltbank sowie den Konservativen in den USA und Großbritannien (Reagan und Thatcher). Der Neo-Keynesianismus wurde durch den Washington-Konsens abgelöst.
So kam nach dem Keynesianismus der siebziger Jahre die Zeit der Marktliberalen. Beispielsweise wurde dem Staat nach 1982 im Washington-Konsens eine völlig untergeordnete Rolle zugewiesen, obwohl die erfolgreichen Nachholer China oder Südkorea mit einem ausgeprägten Staatsinterventionismus und einer selektiven Öffnung der Märkte die höchsten Wachstumsraten erzielten. Nach dem Washington-Konsens soll der Markt die beste Allokation der Ressourcen zustande bringen. Im Großen und Ganzen stimmt das zwar, aber es gibt auch Marktversagen. So gibt es keinen Automatismus zur Armutsreduktion oder zur Bereitstellung öffentlicher Güter durch Marktliberalismus. Markt und Staat können Entwicklung herbeiführen, aber die einseitige Betonung des einen widerspricht allen theoretischen Erkenntnissen in den Wirtschaftswissenschaften. Ein holistischer Ansatz, in dem Marktreformen, Handelsliberalisierung in den OECD-Ländern, Steuerung von endogenen Prozessen, Verbindung von makroökonomischen Wirtschaftsreformen mit der Mikroebene, proaktives Wachstum für die Armen, Diversifizierung der Wirtschaften usw. als relevant einzuordnen sind, stellt eine Alternative zum Washington-Konsens dar. Allem Anschein nach kann damit Armut wirksamer reduziert werden als mit Konzepten des Washington-Konsenses. Die einseitige Konzentration auf Marktanreize, Reduzierung von Budget- und Zahlungsbilanzdefiziten, Anpassung der Währungsrelationen und die Verringerung der Inflation führte zu gewissen Stabilisierungserfolgen, endete aber in den meisten Entwicklungsländern in einem Gleichgewicht auf niedrigem Niveau.
Seit den achtziger Jahren hat die deutsche Entwicklungspolitik immer weniger entwicklungspolitisches Profil gezeigt. Anstatt sich kompetent in globale Prozesse einzumischen, konzentrierte man sich auf das Geschäft der Projekte. Man ist zwar weltweit gesehen der drittgrößte Geber und in Expertenkreisen durchaus angesehen, aber die deutsche Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte vermied jede erkennbare Profilbildung außerhalb der Schwerpunkte der konkreten Entwicklungszusammenarbeit. Einige erfolgreiche Aspekte dieser Arbeit sind gute und sorgfältig durchgeführte Einzelprojekte, die deutschen Organisationen sind ein verlässlicher Partner, deutsche Entwicklungshelfer und Experten treten unspektakulär auf, und sie kooperieren mit lokalen Einrichtungen und Akteuren. Außerdem ist die deutsche Entwicklungskooperation nicht so stark von Wirtschaftsinteressen geleitet. Und zahlreiche Institutionen haben einen sehr guten Namen, wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) oder Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) wie die Deutsche Welthungerhilfe. Allerdings ist eine deutsche Stimme in den Leitdiskursen, die sehr einseitig von Washington gesteuert werden, nicht erkennbar. Dies hat sich auch mit dem Ende des Washington-Konsenses nicht wesentlich geändert. Und an der Änderung des fehlgeschlagenen entwicklungspolitischen Engagements der IFIs waren vor allem amerikanische und englische Institutionen, aber keine deutschen beteiligt.
II. Das entwicklungspolitische Rollenverständnis
Die Ursachen für diese Entwicklung sind auf mindestens drei Ebenen zu suchen: im außen- und entwicklungspolitischen Rollenverständnis Bonns, in der nachgeordneten Position der Entwicklungszusammenarbeit im außenpolitischen System und einer - im internationalen Vergleich - schwächer ausgeprägten öffentlichen entwicklungspolitischen Streitkultur.
- Das Rollenverständnis der bundesdeutschen Außen- und Entwicklungspolitik ist durch die Reintegration Deutschlands in die internationalen Beziehungen und durch konsequente Europäisierung der Außenpolitik geprägt. Damit geht eine Vernachlässigung "nationaler Eigeninteressen"
- Deutschlands "Entwicklungsgemeinde" hat einen erkennbaren Vorteil gegenüber vielen anderen Geberländern. Sie ist ausgesprochen vielfältig und reicht vom kirchlichen Spektrum bis hin zu verschiedenen NRO. Allerdings ist ihre Stimme im entwicklungspolitischen Diskurs ebenso zersplittert. Diese Vielfalt findet ihr Pendant im Kompetenzwirrwarr in Ministerien (vor allem Auswärtiges Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ).
- Die Entwicklungspolitik selbst ist in den letzten Jahrzehnten eher altersschwach geworden. In den Institutionen herrscht eine vorrangig bürokratische Mentalität ("Verwaltung von EZ") und ein Kartell guter Absichten.
III. Gestaltungschancen
Gibt es Gestaltungschancen? Trotz aller Defizite und eines eher schwachen Interesses an Entwicklungspolitik hat Deutschland ohne Zweifel Stärken, die es in Zukunft intensiver zu bündeln und zu finanzieren gilt, will Deutschland in Zukunft nicht noch weiter zurückfallen. Die Rahmenbedingungen dafür sind bei weitem nicht so schlecht, wie es nach dem Lesen dieser Zeilen vielleicht erscheinen mag:
- Die rot-grüne Bundesregierung zeigt partiellen Gestaltungswillen, konzentriert sich aber mangels stringenter Strategien zunächst vor allem auf Symbolpolitik (Entschuldung, Nachhaltigkeit und Frieden).
- In den Apparaten (BMZ, GTZ, KfW und auch NRO sowie den Kirchen) findet ein Generationswechsel statt, der mit einer Veränderung der institutionsinternen Organisationskultur einhergeht.
- Das offensichtliche Scheitern des Washington-Konsenses und auch des Post-Washington-Konsenses sowie der Kultur der Millenniumsziele (Armutshalbierung bis 2015, offener Zugang zu den OECD-Märkten für Niedrigeinkommensländer, größere Erfolge bei der Eindämmung von Krisen und Konflikten) erfordert neue Ideen, neue Diskurse und neue Akteure sowohl in der Entwicklungspolitik als auch der Forschung, die diese Diskurse besser mitgestalten kann. Die Diskussion um das Afrika-Memorandum hat verdeutlicht, wie notwendig neue Ideen sind. Immerhin haben einige der dort formulierten Positionen mit einem Zeitabstand sogar Eingang in offizielle Papiere von Ministerien gefunden.
- Die fortschreitende Globalisierung hat entgegen aller Rhetorik offenbar auch Verlierer. Daher wird es darauf ankommen, über neue Formen der Kooperation nachzudenken und die Offenheit der Märkte zum Funktionieren zu bringen.
Welche Weichen sollten gestellt werden, damit Legitimation wiederhergestellt werden kann? Es bedarf einer offenen Diskussion über das eigene Rollenverständnis und die legitimen Eigeninteressen in der Politik gegenüber den Staaten des Südens. Erforderlich ist ein systematischer Dialog zwischen Politik, NRO und Wissenschaft. Eine diversifizierte Forschungslandschaft, die konsequent international ausgerichtet und vor allem auch entsprechend gefördert ist, kann dazu beitragen, dass die deutschen entwicklungspolitischen Interessen in Zukunft besser ausgelotet werden, als das in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Kurz gesagt: Wir benötigen eine Professionalisierung in Praxis und in Wissenschaft.