Kinder und Jugendliche sind nach Ansicht von SozialwissenschaftlerInnen politische Seismographen: Ihr Verhalten erlaube Rückschlüsse auf den Zustand der Gesellschaft. Kinder- und Jugendstudien liefern folglich nicht nur ein differenziertes Abbild dieser sozialstrukturellen Gruppe, sie geben zugleich den Blick auf Probleme der Gesellschaft insgesamt frei. Ob es um Politikverdrossenheit, die mangelnde Identifikation junger Ostdeutscher mit dem neuen Gesellschaftssystem, das Verhalten Jugendlicher bei Bundestagswahlen, ihre Haltung zur Gleichstellung von Frauen, die Bedeutung von Alltagstechnik für Jugendliche oder ganz allgemein um Zukunftsvorstellungen von Jugendlichen geht - die je spezifischen Ergebnisse verweisen auf konkrete Probleme, die es in unserer Gesellschaft zu lösen gilt.
Die Ergebnisse der 14. Shell Jugendstudie 2002 - der Rückgang des politischen-gesellschaftlichen Engagements und die weitere Zunahme von Politik(er)verdrossenheit unter jungen Menschen - sind folglich als Alarmzeichen zu werten. Mathias Albert, Ruth Linssen und Klaus Hurrelmann nehmen diese Befunde zum Anlass, in ihrem Essay über neue Möglichkeiten nachzudenken, wie das politische Interesse und die Bereitschaft zum gesellschaftlichen Engagement bei Jugendlichen geweckt werden könnten.
Anlass zur Sorge gibt auch das Ergebnis einer seit 1987 laufenden Längsschnittstudie zum politischen Mentalitätswandel junger DDR-Bürger bzw. Ostdeutscher von Peter Förster: Nach mehr als einem Jahrzehnt ist es immer noch nicht gelungen, einen größeren Teil der in die Untersuchung einbezogenen jungen Ostdeutschen politisch für das neue Gesellschaftssystem einzunehmen. Die Enttäuschung erklärt sich u.a. aus den als gering eingeschätzten Möglichkeiten demokratischer Mitwirkung. Die jungen Menschen zeichnen sich nämlich - einschließlich der PDS-WählerInnen, aber ausschließlich der WählerInnen rechtsradikaler Splitterparteien - durch ausgeprägte demokratische Grundüberzeugungen aus. Das belegt eine Analyse des Wahlverhaltens Jugendlicher in Ost- und Westdeutschland von Hans Oswald und Hans-Peter Kuhn.
Ein Ziel politischer Bildung in Deutschland und anderen Ländern besteht darin, Jugendliche zur Anerkennung der Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft zu erziehen. Soweit es sich dabei um die Zustimmung zur formalen Gleichheit handelt, scheint das Ziel nahezu erreicht zu sein. Tatsächlich gibt es jedoch - wie Detlef Oesterreich in einer länderübergreifenden Studie herausgefunden hat - erhebliche Differenzen zwischen Mädchen und Jungen bei der gesellschaftlichen Rollenzuschreibung. Letztere sehen den Mann immer noch am liebsten in der Ernährerrolle und weisen der Frau die Verantwortung für die Kindererziehung zu.
Moderne Alltagstechnik - Handy, Computer, Auto - verändert das Leben Jugendlicher. Nach Claus J. Tully prägt sie nicht nur deren lebensweltliche Erfahrungen, sondern wirkt gleichermaßen sozialisierend. Alltagstechnik sei heute Bestandteil des Habitus und damit der Sozialisation. Aus der Sicht des Autors sind Forschungen zur Veränderung des Jugendalltags und zu den gesellschaftlichen Auswirkungen überfällig. Auf ein anderes Defizit - den Mangel an Wissen über Zukunftsvorstellungen und -wünsche von Kindern und Jugendlichen - verweist Uwe Britten. Die Auswertung "offener" Texte von SchülerInnen aller Altersstufen und Schultypen sowie von LeserInnen der Zeitschrift "Bravo" zum Thema "Visionen" lässt sowohl auf von der jungen Generation empfundene Mängel in unserer Gesellschaft als auch auf ihre Erwartungen an diese schließen.