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Dauerproblem Arbeitsmarkt: Reformblockaden und Lösungskonzepte

Christine Trampusch

/ 21 Minuten zu lesen

Auch bei der Diskussion um die Ursachen der Arbeitslosigkeit tritt zunehmend der strukturelle Aspekt in den Vordergrund. Welche Reformkonzepte gibt es zum Abbau von Arbeitslosigkeit und welche Hindernisse?

Einleitung

Bei der Analyse von Strukturproblemen auf dem deutschen Arbeitsmarkt darf sicherlich nicht die Sondersituation übersehen werden, die durch die deutsche Wiedervereinigung entstanden ist. Trotz dieser Tatsache wird in der aktuellen Debatte über die Ursachen der Probleme auf dem Arbeitsmarkt auch auf dessen institutionelles Gefüge verwiesen. Der Anstieg und die Persistenz der Arbeitslosigkeit, die Kritik der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände an der Regulierungsdichte im deutschen Arbeits- und Sozialrecht sowie die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge haben in letzter Zeit die parteipolitische Debatte über diesen Ursachenkomplex sehr stark angeheizt.

Ausgehend von den Arbeitsmarktproblemen, die mit dem institutionellen Gefüge des Arbeitsmarktes zusammenhängen, wird im folgenden Beitrag danach gefragt, welche Lösungskonzepte die Parteien und Bundestagsfraktionen anbieten und inwieweit die Durchführbarkeit von Strukturreformen durch die institutionellen Rahmenbedingungen des Politikprozesses beeinflusst wird.

Hinsichtlich der institutionell bedingten Strukturprobleme wird dabei auf die sozialstaatliche Finanzverfassung, auf die durch das Arbeits- und Sozialrecht sowie durch den Lohnfindungsprozess bedingten Arbeitsmarktrigiditäten und auf Strukturprobleme der Bundesanstalt für Arbeit und der Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik eingegangen. Ein Blick in die Konzepte der Parteien und Bundestagsfraktionen zeigt, dass vor allem die Regierungsfraktionen nur wenig systematische Vorschläge dafür entwickeln, wie diese Strukturprobleme gelöst werden können. Die Frage der politischen Handlungsfähigkeit hinsichtlich der Strukturprobleme auf dem Arbeitsmarkt entscheidet sich jedoch nicht nur an parteipolitischen Programmen, sondern ebenso an den institutionellen Rahmenbedingungen der politischen Willensbildung. Diesbezüglich verweist der Beitrag nicht nur auf föderale Konfliktlinien und die institutionalisierte Einbindung der Tarif- und Sozialpartner, sondern ebenso auf Faktoren, die die politische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung selbst betreffen, und darauf, dass auch Gerichte und deren Rechtsprechung den Reformpfad beeinflussen können.

I. Wo liegen die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt?

Neben den im internationalen Vergleich niedrigen Beschäftigungsquoten für ältere Arbeitnehmer, Frauen und gering Qualifizierte besteht die Problemlage auf dem deutschen Arbeitsmarkt vor allem darin, dass in den letzten Jahren die Arbeitslosigkeit nicht nur angestiegen ist, sondern sich auch verfestigt hat. Ein wachsender Anteil der Arbeitslosen gerät in Langzeitarbeitslosigkeit, ist also ununterbrochen mehr als ein Jahr arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit ist nicht nur hoch, sondern auch persistent. Auch bei konjunktureller Erholung pendelt sie nicht wieder zurück, sondern verbleibt auf einem hohen Niveau. Fragt man nach den Ursachen dieser Arbeitsmarktproblematik, so wird in der aktuellen Debatte zunehmend das institutionelle Gefüge des Arbeitsmarktes genannt. Dabei können die in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion genannten institutionellen Ursachen unter die folgenden drei Problembereiche zusammengefasst werden: erstens die sozialstaatliche Finanzverfassung, zweitens Arbeitsmarktrigiditäten hinsichtlich der Beschäftigungs-, Arbeitszeit- und Entgeltflexibilität und schließlich drittens Strukturprobleme der Bundesanstalt für Arbeit und der Arbeitsmarktpolitik.

1. Die sozialstaatliche Finanzverfassung

Hinsichtlich der Strukturprobleme auf dem Arbeitsmarkt, die durch das sozialstaatliche Finanzierungssystem entstehen, sind vor allem die folgenden vier Aspekte von grundlegender Bedeutung: der Anstieg des Gesamtsozialbeitragssatzes, Drehtüreffekte aufgrund der Fragmentierung von Kompetenzen und Finanzierungsverantwortungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die Nichtwahrung des Lohnabstandsgebotes (Anspruchslöhne) und der im Sozialversicherungssystem institutionalisierte Verschiebebahnhof.

Als eine der Hauptsursachen für Strukturprobleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt wird mittlerweile die Höhe des Gesamtsozialbeitragssatzes angesehen, der zwischen 1990 und 1998 von 35,5 Prozent auf 42 Prozent gestiegen ist. Hierbei wird argumentiert, dass die Höhe der Lohnnebenkosten vor allem im Bereich der arbeitsintensiven, privaten Dienstleistungen einen Beschäftigungsaufbau verhindert. Der Keil, den die Sozialbeiträge in diesem Bereich zwischen die vom Arbeitgeber zu tragenden Arbeitskosten und das Nettogehalt des Arbeitnehmers treiben, wird insbesondere für gering Qualifizierte als problematisch betrachtet.

Drehtüreffekte und fiskalpolitisch motivierte Verschiebungen entstehen aufgrund der Nachrangigkeit der von Kommunen und Ländern finanzierten Sozialhilfe gegenüber der vom Bund finanzierten Arbeitslosenhilfe und den aus den Sozialbeiträgen finanzierten Maßnahmen der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik. Da die Nutzen und Kosten von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf unterschiedliche Akteure verteilt sind, verfolgen die verschiedenen Haushaltsträger, also Kommunen, Länder und Bund, die Strategie, die Kosten der Arbeitslosigkeit zwischen den Haushalten hin und her zu schieben. Dies schwächt erheblich die Bemühungen von Kommunen und Bund, Arbeitsuchende und Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. So versuchen die Kommunen, arbeitslose Sozialhilfeempfänger fiskalisch wieder in den Zuständigkeitsbereich der Bundesanstalt für Arbeit zu schieben, und der Bund verlagert durch Kürzungen im Arbeitsförderungsrecht Kosten auf die Kommunen.

Ein weiterer oft genannter Kritikpunkt ist, dass Sozial- und Arbeitslosenhilfe Anspruchslöhne definieren, die im unteren Lohnbereich Anreize für Arbeitsaufnahme außer Kraft setzen. So führt der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten an, dass der Abstand zwischen dem Nettoeinkommen aus Sozialhilfe und einer Tätigkeit in den unteren Tariflohngruppen der Industrie bei einer Familie (Alleinverdiener) mit Kind nur etwa 30 Prozent betrage und sich im Dienstleistungsbereich eine Familie durch eine Arbeitsaufnahme gegenüber Sozialhilfe finanziell gar nicht besser stellen könne. Ähnlich wird argumentiert, dass für ältere Arbeitnehmer aufgrund der auf bis zu 32 Monate ermöglichten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld nur geringe Anreize zur Arbeitsaufnahme bestehen. Als eine der wichtigsten Komponenten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit führt der Sachverständigenrat neben der Senkung der Arbeits- und Lohnnebenkosten und dem Abbau von Arbeitsmarktrigiditäten daher die Reduzierung der Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes und die Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialhilfe in ein System an.

Während die Sozialbeiträge, Drehtüreffekte und die Höhe der Anspruchslöhne unmittelbar auf den Arbeitsmarkt wirken können, beeinflusst der im Sozialversicherungssystem institutionalisierte Verschiebebahnhof diesen eher mittelbar, weil er den politischen Handlungsspielraum für eine Flexibilisierung und Anpassung der sozialen Sicherungsleistungen stark einengt. Seit Mitte der sechziger Jahre hat ein erheblicher Teil der sozialpolitischen Gesetzgebung auch dem Ziel gedient, die Stabilität des Bundeshaushaltes und der Sozialversicherungshaushalte durch Verlagerungen von konjunkturabhängigen Ausgabenblöcken zu sichern (Verschiebebahnhofpolitik). Bei vielen Leistungen kam es zu einer Verlagerung der Finanzierungsverantwortung. Zuschüsse und Erstattungen zwischen den Haushalten wurden regelmäßig umgestaltet. Beitragssatzanhebungen in einem Zweig der Sozialversicherung wurden durch Beitragssatzsenkungen in anderen Zweigen finanziert. Weil die Sozialversicherungshaushalte und der Haushalt des Bundes durch die zahlreichen Aufgaben- und Kostenverlagerungen vielfach verflochten sind, hat so jede Veränderung im Leistungsrecht der sozialen Sicherung erhebliche Rückwirkungen auf die Finanzsituation der Sozialversicherungshaushalte. Wenn man beispielsweise Leistungen kürzt, weil die Anspruchslöhne gesenkt werden sollen (Arbeitslosen- und Sozialhilfe), so senkt das die Beitragseinnahmen noch mehr, weil sich bei einer Kürzung der Leistungen die Zahlungen der Sozialversicherung der Leistungsempfänger verringern. Im nächsten Schritt müsste man sich daher Ausgleichsmaßnahmen zwischen den Haushalten überlegen, damit das System nicht kollabiert. Leistungskürzungen können daher Beitragssatzanhebungen zur Folge haben. Aktuell wirft so auch die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe Fragen des Verschiebebahnhofes auf, weil sich das Problem ergibt, welcher Haushalt die Rentenversicherungsbeiträge der Leistungsempfänger dieses neu strukturierten Teilsystems übernimmt.

2. Arbeitsmarktrigiditäten

Als erhebliches Strukturproblem auf dem deutschen Arbeitsmarkt werden oftmals Arbeitsmarktrigiditäten angeführt. Der Begriff Arbeitsmarktrigiditäten betrifft zum einen die Beschäftigungsflexibilität, also Kündigungsschutzbestimmungen, die Befristungsmöglichkeit von Arbeitsverträgen oder die Möglichkeiten für Teilzeitarbeit, und zum anderen die Entgeltflexibilität und Arbeitszeitflexibilität, die durch niedrigere Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose oder die Möglichkeit des Einsatzes von Arbeitszeitkonten erhöht werden können. Es sind insbesondere der Kündigungsschutz und die institutionelle Ausgestaltung der Lohnverhandlungen und der sozialen Sicherung, die von Deregulierungsbefürwortern als Hauptursachen für gebremste Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt genannt werden. Als die rot-grüne Regierung 1999 die von der Kohl-Regierung eingeführte Anhebung des Schwellenwertes im Kündigungsschutz wieder aufhob und 2000 mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit einführte sowie den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen einschränkte, zog dies daher eine vehemente Kritik nach sich. Dabei wurde vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) angeführt, dass sich die mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 eingeführten Möglichkeiten zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen gerade als "Sprungbrett" in den ersten Arbeitsmarkt erwiesen hätten. Zuletzt wurde der Bereich der befristeten Beschäftigung durch die Hartz-Reform umgestaltet. Durch diese wurde nämlich die Altersgrenze für die Zulässigkeit von befristeter Beschäftigung auf 50 Jahre herabgesetzt. Auch hinsichtlich der Flexibilität von Arbeitszeit und Entgelt bietet das Tarifvertragssystem schon heute erhebliche Möglichkeiten, die die betriebliche Situation bei der Lohnfindung besser berücksichtigen. Zu nennen sind hier Öffnungsklauseln, niedrige Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose, Arbeitszeit- und Entgeltkorridore sowie leistungsabhängige Einkommensbestandteile.

Trotzdem befindet sich Deutschland im OCED-Bereich hinsichtlich des Regulierungsniveaus unter der Gruppe der Länder mit relativ hoher Regulierungsdichte. Zieht man den von der OECD für 26 Länder erstellten Index der Beschäftigungsschutzgebung (Employment Protection Legislation, EPL) heran, so rangierte die Bundesrepublik in den späten neunziger Jahren nach dem Ranking der OECD auf dem 20. Platz. Die Regulierungsdichte ist damit zwar geringer als in Frankreich, Spanien, Italien und Portugal, jedoch höher als im Vereinigten Königreich, Irland, den Niederlanden, Österreich, Belgien und den skandinavischen Ländern. Erfasst werden in dem EPL-Index Inflexibilitäten in den Bestimmungen des Beschäftigungsschutzes für die reguläre Beschäftigung (Abfindungen, Kündigungsschutz), in den Regelungen für befristete Beschäftigung und Zeitarbeit sowie in denen für Massenentlassungen. Bei solchen Rankings muss jedoch bedacht werden, dass über den Effekt einer Deregulierung im Bereich des Kündigungsschutzes, der Zeitarbeit und der befristeten Beschäftigung weder theoretisch noch empirisch eine präzise und vor allem eindeutige Aussage möglich ist. Des Weiteren bestehen zwischen der Regulierung des Arbeitsmarktes und anderen Politikbereichen, wie der Lohnpolitik und der sozialen Sicherung, erhebliche Wechselwirkungen, die den Gesamteffekt auf die Arbeitsmarktflexibilität beeinflussen.

3. Strukturprobleme der Bundesanstalt für Arbeit und der Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik

Die Arbeitsmarktpolitik und Strukturprobleme der Bundesanstalt für Arbeit werden nicht erst seit dem Skandal um die gefälschten Vermittlungsstatistiken und den Hartz-Reformen in einem Zusammenhang mit Strukturproblemen auf dem deutschen Arbeitsmarkt gebracht. Jenseits der durch den Vermittlungsskandal ausgelösten Debatte über die Bundesanstalt wird in der Literatur schon seit längeren angeführt, dass für einen Abbau der Arbeitslosigkeit und für nachhaltige Erfolge der Arbeitsverwaltung, Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, eine Reform des arbeitsmarktpolitischen Finanzierungssystems, eine Verbesserung der Wirksamkeit und Kosteneffizienz der einzelnen Maßnahmen sowie eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik hin zum Prinzip des "Förderns und Forderns" und zu einer "Aktivierung der Arbeitsmarktpolitik" notwendig seien. Dabei geraten in letzter Zeit - aufgrund der bereits erwähnten Drehtüreffekte - auch immer mehr die Lohnersatzleistungen, Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld, in die Kritik.

Bereits in den achtziger Jahren war das arbeitsmarktpolitische Finanzierungssystem Gegenstand heftiger Debatten in der Arbeitsmarktforschung. Ein wesentlicher Kritikpunkt in der damaligen Diskussion war, dass die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik prozyklisch verlaufen. Der Budgetrahmen für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik reduziert sich aufgrund seiner Finanzierung aus Sozialbeiträgen genau dann, wenn die Arbeitslosigkeit steigt. Seit den achtziger Jahren wird daher immer wieder eine Umstellung der Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf Steuern gefordert. Diese Finanzreform scheiterte bisher am Widerstand des Bundes, der eine weitere Belastung des Bundeshaushaltes durch die Arbeitsmarktpolitik ablehnt.

Als schließlich in den neunziger Jahren Arbeitslosigkeit immer mehr als strukturelles Problem angesehen wurde, brachte man mangelnde Erfolge in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch mit einer mangelnder Effektivität und Effizienz der Arbeitsmarktpolitik in Verbindung. So zweifelten mehrere Gutachten den Beitrag der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Wiedereingliederung der Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt an. Sie forderten daher, dass Arbeitsvermittlung und Weiterbildung markt- bzw. betriebsnäher und nach Zielgruppen differenzierter organisiert werden müssen. Die größten Wiedereingliederungseffekte vermuten diese Gutachten bei der Förderung von Existenzgründungen und direkten Lohnsubventionen an den Arbeitgeber. Direkt mit der Debatte um die Wirksamkeit der Arbeitsmarktpolitik ging dabei die Forderung einher, eine Wende zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik einzuleiten. Der Umschwung hin zu einer "aktivierenden Arbeitsmarktpolitik" soll die Eigenverantwortung der Arbeitslosen bei der Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit und ihrer Wiedereingliederungschancen in den Arbeitsmarkt stärken.

II. Lösungskonzepte der Parteien

Fixpunkt der Lösungskonzepte war aufSeiten derRegierungsfraktionen bis zur Kanzlerrede am 14.März 2003 der Hartz-Bericht, der im August 2002 veröffentlicht wurde. Der Schwerpunkt der noch im Jahr 2002 in Angriff genommenen Hartz-Änderungen lag in den Bereichen Beschleunigung der Arbeitsvermittlung, Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, Zeitarbeit und Ich-AG/Mini-Jobs, also in der Förderung der Selbstständigkeit und der Beschäftigung im Bereich des Niedriglohnsektors. Nachdem die obere Leitungsebene der Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitsvermittlung bereits im März 2002 verändert wurden, planen die Regierungsfraktionen einen weiteren Umbau der Bundesanstalt bis zum Ende der Legislaturperiode; beabsichtigt ist eine Dezentralisierung und Umgestaltung der Selbstverwaltung, die Konzentration der Arbeitsverwaltung auf Kernaufgaben und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Betrachtet man die nach dem Hartz-Bericht veröffentlichten arbeitsmarktpolischen Reformvorschläge der im Bundestag vertretenen Parteien bzw. Fraktionen, so fällt auf, dass diese nur sehr begrenzt systematische Überlegungen zur Lösung jener Strukturprobleme entwickeln, die mit dem sozialstaatlichen Finanzierungssystem, insbesondere mit der Höhe des Gesamtsozialbeitrages, zusammenhängen.

Der Schwerpunkt der Vorschläge zielte bis zur Kanzlerrede auf eine Stärkung des Mittelstandes sowie auf die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Auffällig ist zudem, dass sowohl die SPD als auch Bündnis 90/Die Grünen in ihren Reformempfehlungen gerne auf die Umsetzung der Hartz-Reform verwiesen und es oftmals auch dabei beließen. Neben Hartz wurde auch auf das Bündnis für Arbeit verwiesen. So erwartete die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von einem neuen Bündnis für Arbeit, dass dieses auch Vorschläge zur Reform des Kündigungsschutzes durch Gleitzonen und verbindliche Abfindungsregeln entwickeln sollte.

Der relativen Zurückhaltung der Regierungsfraktionen stehen die relativ weitreichenden Reformvorschläge der Oppositionsparteien CDU, CSU und FDP gegenüber. So forderte die CDU/CSU-Fraktion Reformen im Kündigungsschutz, die Rücknahme des Rechtsanspruches auf Teilzeitarbeit sowie des Prinzipes "Equal Pay - Equal Treatment" in der Zeitarbeit, eine beschäftigungsfreundlichere Gestaltung der Anrechnungsbestimmungen von Erwerbseinkommen in den Transfersystemen sowie eine Senkung des Beitragssatzes zur Bundesanstalt für Arbeit auf 5,5 Prozent, der durch den Abbau von versicherungsfremden Leistungen und eine Effizienzsteigerung in der aktiven Arbeitsmarktpolitik erreicht werden soll. Bemerkenswert ist zudem, dass die FDP mittlerweile eine Steuerfinanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik fordert. Dies hatte sie zu Zeiten der christliberalen Koalition immer abgelehnt. Der CDU-Wirtschaftsrat setzte sich sogar für eine Anhebung der Kündigungsschutzschwelle auf 50 Mitarbeiter ein. Sowohl die Unionsparteien als auch die FDP forderten Veränderungen im Tarifvertragssystem, wie z.B. eine Neudefinition des Günstigkeitsprinzipes. Die FDP schlug zudem gesetzliche Öffnungsklauseln vor.

Während die Vorschläge der SPD-Fraktion bzw. des SPD-Vorstandes relativ zurückhaltend waren, scheinen verschiedene Strategiepapiere, die zum Jahreswechsel 2002/2003 vom Bundeskanzleramt bzw. vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit lanciert wurden, einen wesentlich umfassenderen Ansatz zu verfolgen und sprechen auch die im ersten Abschnitt genannten Strukturprobleme an. So führt das Kanzleramtspapier "Auf dem Weg zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Gerechtigkeit" vom Dezember 2002 die "negative Wirkung der Abgabenlast" in dienstleistungsnahen Branchen an und kritisiert die negativen Anreizwirkungen, die durch Transferleistungen wie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für die Aufnahme von Arbeit ausgehen. Im Januar 2003 formulierte das Bundesministerium für Wirtschaft auf Arbeit den Vorschlag, den Meisterbrief als Voraussetzung für Existenzgründer abzuschaffen und das Verbot aufzuheben, Arbeitnehmer nur einmal ohne Sachgrund befristet einzustellen. Die Strategiepapiere mündeten schließlich in die Kanzlerrede vom 14. März 2003, in der Gerhard Schröder die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, die Senkung der Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe, deren Zusammenlegung sowie eine Reform des Gesundheitswesens und die Änderung der Rentenformel ankündigte und damit die Regierungsfraktionen rechts überholte.

III. Institutionelle Blockaden und Veto-Akteure bei Strukturreformen

Neben den Programmen und Strategien der Parteien sind für die Frage der politischen Handlungsfähigkeit hinsichtlich von Strukturreformen auf dem deutschen Arbeitsmarkt institutionelle und akteursbezogene Reformblockaden entscheidend. Im internationalen Vergleich gilt die Bundesrepublik als ein Regierungssystem, in dem politische Entscheidungen und die Durchführbarkeit von Reformen durch institutionelle Rahmenbedingungen und Veto-Akteure erheblich beeinflusst werden. Die Schlüsselbegriffe sind hier auf der einen Seite Föderalismus, also die Frage nach den Länderinteressen und nach den Möglichkeiten, dass Bundesländer Entscheidungen blockieren können, und auf der anderen Seite Tarifautonomie und Korporatismus, d.h. die institutionalisierte Einbindung von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften in die Politikbereiche Tarif-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Weil Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt lohnpolitische und fiskalpolitische Verteilungsfragen betreffen, ist das Konfliktpotential - und damit der Zwang - einen föderalen oder korporatistischen Konsens zu erreichen, als relativ hoch einzuschätzen. Die politische Handlungsfähigkeit wird jedoch nicht nur durch föderale und korporatistische Strukturen beeinflusst, sondern ebenso von der Handlungswilligkeit und -fähigkeit der Bundesregierung sowie von den Gerichten und deren Rechtsprechung.

1. Der Bundesrat: Parteienwettbewerb und Veto-Akteur

Inwieweit der Bundesrat bei Arbeitsmarktreformen als Veto-Akteur auftritt, hängt davon ab, obessich bei den betreffenden Gesetzen um Einspruchs- oder Zustimmungsgesetze handelt. Neben Verfassungsänderungen und Gesetzen, die den Gebietsstand betreffen, sind grundsätzlich solche Gesetze zustimmungspflichtig, welche die Bundesländer ausführen und Regelungen enthalten, die in die Verwaltungsverfahren und Organisation der Länderbehörden eingreifen (z.B. das Bundessozialhilfegesetz), die Steuern mit Länderanteilen, den Finanzausgleich oder die Finanzverwaltung betreffen. Generell ist anzumerken, dass die Anzahl der zustimmungspflichtigen Gesetze in den letzten Jahrzehnten enorm angestiegen ist und die Frage der Zustimmungspflichtigkeit eines Gesetzes regelmäßig zu Konflikten und gegensätzlichen Meinungen zwischen Bundesregierung und Bundesrat führt. Auch bei nicht zustimmungspflichtigen Gesetzen (Einspruchsgesetzen) hat der Bundesrat jedoch eine Veto-Macht, und zwar, wenn er mit Zweidrittelmehrheit (qualifizierter Mehrheit) gegen ein Gesetz Einspruch erhebt und der Bundestag diesen Einspruch nicht mit einer qualifizierten Mehrheit der anwesenden Abgeordneten zurückweist. Das Verhalten des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren wird dabei nicht nur von Länderinteressen, sondern auch von Parteieninteressen geprägt. Gerade bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat - die Mehrheit der Stimmen liegt bei den CDU/CSU-geführten Ländern - ist davon auszugehen, dass der Bundesrat aufgrund parteipolitischer Differenzen oder oppositionspolitischer Kalküle seine Möglichkeit der Zustimmungsverweigerung nutzt (Parteienwettbewerb). Anders formuliert: Besitzen die Oppositionsparteien im Bundesrat eine Stimmenmehrheit, setzen bestimmte Strukturreformen einen föderalen und parteiübergreifenden Konsens voraus. Weil der Finanzierungsanteil des Bundes an den Sozialausgaben steigt und in den neunziger Jahren - um die Beitragssätze zu stabilisieren - durch verschiedene Reformen der Steueranteil in der Sozialpolitik erhöht wurde, ist in Zukunft mit einer immer stärkeren Föderalisierung des Politikprozesses zu rechnen. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn der wachsende Steueranteil in der Sozialpolitik Verbundsteuern wie die Mehrwert- und Einkommensteuer berührt. Ein aktuelles Beispiel von Zustimmungspflichtigkeit aufgrund von Finanzwirksamkeit stellt das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Hartz-Reform dar. Dieses war aufgrund einkommensteuerrechtlicher Änderungen im Bereich der Ich-AG und der Mini-Jobs zustimmungspflichtig (Art. 105 Abs. 3 GG). Durch die Zustimmungspflichtigkeit gelang es dem von der Opposition dominierten Bundesrat, die Sozialversicherungsfreiheit und den Bereich der geringfügigen Beschäftigung erheblich weiter zu fassen, als es die rot-grüne Regierungskoalition intendierte. Unter den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen kann der Bundesrat somit nicht nur als Veto-Akteur auftreten, sondern ebenso Verstärker für die Erweiterung des Reformkorridors sein. Gerade auch im Bereich der Sozialhilfe und bei der Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeit ergeben sich verfassungsrechtlich bedingte Zustimmungspflichtigkeiten: so bei Änderungen des Regelsatzes in der Sozialhilfe und bei der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe aufgrund Art. 104a Abs. 3 GG, bei einer grundsätzlichen Umgestaltung und Änderung des Aufgabenprofils der Bundesanstalt für Arbeit, wie zum Beispiel bei der Abschaffung und Umgestaltung der Landesarbeitsämter, aufgrund Art. 87 Abs. 3 GG und schließlich auch aufgrund Artikel. 74a Abs. 3 GG bei Änderungen von Leistungsstufen und Leistungszulagen für Bundesbeamte, soweit diese über die derzeit für Bund und Länder einheitlich gelten Regelungen des Bundesbesoldungsrechtes hinausgehen.

Außer den Mitwirkungsrechten bei der Gesetzgebung hat der Bundesrat auch bei manchen Rechtsverordnungen und bei allgemeinen Verwaltungsvorschriften, welche die Bundesregierung erlässt, Mitwirkungsmöglichkeiten.

2. Die Tarifautonomie

Die Tarifautonomie begrenzt die politische Handlungsfähigkeit im Bereich der Entgeltflexibilität erheblich. Dies betrifft nicht nur die Lohnpolitik, also Möglichkeiten, den tarifpolitisch definierten Verteilspielraum an die Arbeitsmarktlage oder an Differenzierungsmöglichkeiten anzupassen, sondern auch die Frage der Einführung von flexibilisierten Arbeitszeitgestaltungen. Die Struktur von Entgelt und Arbeitszeit wird in den Lohn- und Gehaltstarifverträgen sowie in den Manteltarifverträgen geregelt. Eine Vereinbarung zur Lohnzurückhaltung durch das Bündnis für Arbeit scheiterte am Widerstand der Gewerkschaften. Bei Fragen der Beschäftigungsflexibilität am unteren Rand, beispielsweise durch Zeitarbeit, drängen die Gewerkschaften zudem auf ein tarifdispositives Gestaltungsrecht, das sie im Zuge der Hartz-Reformen auch durchsetzen konnten.

3. Die institutionalisierte Einbindung der Sozialpartner

Reformen in der bundesdeutschen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sind kaum zu verstehen, wenn man nicht das Wirken und das Interesse der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in diesen beiden Politikbereichen mit einbezieht. In der Literatur wird diesbezüglich auf die Selbstverwaltung der einzelnen Sozialversicherungszweige verwiesen. Die Bedeutung der Selbstverwaltungsorgane liegt heute jedoch weniger darin, dass diese politische Entscheidungsprozesse direkt beeinflussen können, sondern viel mehr darin, dass sie als genetischer und historischer Ausgangspunkt korporatistischer Interessenvermittlungsstrukturen auf der legislativen und exekutiven Ebene gelten und damit die Beteiligung der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in Prozessen der Politikformulierung historisch legitimieren. Generell haben die Selbstverwaltungsträger für den Verbandseinfluss heute nur noch wenig substantielle Bedeutung, weil sie unter staatlicher Aufsicht und Genehmigungsvorbehalten stehen und durch die Gesetzgebung auch in haushalts- und leistungsrechtlichen Fragen relativ entmachtet worden sind.

Da strukturelle Reformen auf dem Arbeitsmarkt vor allem Gesetzesänderungen oder die Verabschiedung von neuen Gesetzen zur Voraussetzung haben, wird der Einfluss, den die Sozialpartner auf diese Reformen ausüben können, vor allem durch ihre Zugangskanäle zu Gesetzgebungsprozessen auf der exekutiven und legislativen Ebene definiert. Dabei stehen den Sozialpartnern die folgenden formellen oder informellen Möglichkeiten der Interessenvermittlung zur Verfügung: Kontakte mit der Ministerialbürokratie bei der Formulierung der Referentenentwürfe (Intermediatzugang); die Öffentlichen Anhörungen in den sozialpolitischen Ausschüssen des Bundestages; die personelle Verflechtung der Bundestagsabgeordneten, Minister und Ministerialbeamten mit den organisierten Interessen; die personelle Verflechtung zwischen den Verbänden und den Parteien; die ideologisch-programmatische Nähe zwischen Parteifraktionen und den Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbänden im parlamentarisch-institutionellen Rahmen.

In den neunziger Jahren hat dabei für die Verbände in sozialpolitischen Interessenvermittlungsprozessen die Legislative gegenüber der Exekutive etwas an Bedeutung verloren. Dies hängt damit zusammen, dass im Sozialrecht exekutive Entscheidungskompetenzen zugenommen haben und die Bundestagsabgeordneten aufgrund machtpolitischer und programmatisch-ideologischer Veränderungen die Anbindung der Regierungspolitik an die Interessen der Verbände weniger gut gewährleisten können. Sowohl in der CDU/CSU als auch bei der SPD ist die "Hausmacht" der Gewerkschaften schwächer geworden.

4. Die Bundesregierung und die Regierungskoalition

Die Reformierbarkeit des institutionellen Gefüges des bundesdeutschen Arbeitsmarktes hängt auch von Willenbildungs- und Entscheidungsprozessen innerhalb der Bundesregierung ab. Dabei geht es zum einem um Fragen des Koalitionsmanagements, d.h. um Abstimmungsmuster und Prozesse der Mehrheitsbildung zwischen den Parteien und Fraktionen der Regierungskoalition, zum anderen aber auch um die Regulierung von Ressortpartikularismen. Inwieweit diese beiden Spannungsbögen durch die verfassungsrechtlich festgelegte Trias von Ressort-, Kabinetts- und Kanzlerprinzip reguliert werden können, hängt davon ab, wie sich die Machtverhältnisse zwischen den Regierungsparteien ausgestalten und ob der Bundeskanzler den Willen hat und auch die nötige Steuerungskraft aufbringen kann, bei Konflikten moderierend einzugreifen. Da es beispielsweise bei Veränderungen im Sozialversicherungssystem und bei arbeitsmarktpolitischen Strukturreformen immer auch um Finanzfragen geht, die den Bundeshaushalt betreffen, lösen derartige Reformen massive Ressortkonflikte zwischen dem Bundesfinanzministerium auf der einen und den sozial- und arbeitsmarkpolitischen Ministerien (nun: Ministerium für Gesundheit und Sozialordnung und Ministerien für Wirtschaft und Arbeit) auf der anderen Seite aus. Strukturreformen verlangen daher, dass die Bundesregierung in der Lage ist, derartige Verteilungskonflikte zu regulieren, damit die Ressorts eine gemeinsame Linie verfolgen und die Reform nicht durch Turfkämpfe zwischen den Ressorts blockiert wird. So betrachtet, scheint es plausibel, anzunehmen, dass die in letzter Zeit immer häufiger auftretenden Reformkommissionen (Hartz; Rürup) vom Bundeskanzleramt dazu genutzt werden, gegenüber den Ressorts mehr Steuerungskompetenz zu gewinnen.

5. Die Rolle der Gerichte und der Rechtsprechung

Im Bereich der Tarif-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik wie auch bei Änderungen in der arbeitsrechtlichen Regulierung können das Bundesverfassungs-, das Bundessozial- oder das Bundesarbeitsgericht die Durchsetzung politischer Programme erheblich erschweren bzw. den Reformpfad beeinflussen; das Bundesverfassungsgericht, indem es aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen der Politik Handlungsaufträge erteilt und so als Policy-Maker auftritt; die Rechtsprechung von Bundessozial- und Bundesarbeitsgericht, indem diese Kriterien für die Auslegung von Rechtsvorschriften und Gesetzen formulieren, die von den Akteuren eingehalten werden müssen. Beispiele für die Rolle des Bundesverfassungsgerichtes im sozialpolitischen Entscheidungsprozess stellen die Reform der Hinterbliebenenversorgung in den achtziger Jahren sowie seine Rechtsprechung im Bereich des Schutzes von Rentenanwartschaften dar. Indem das Bundesverfassungsgericht aufgrund des Grundsatzes des Vertrauensschutzes der Rente eine Art Eigentumscharakter verleiht, hat es in der Vergangenheit erheblich dazu beigetragen, dass die Politik dazu neigt, sozialpolitische Reformen eher als Fortschreibung des geltenden Rechts denn als Strukturreform zu begreifen. Zu beachten ist zudem, dass das Bundesverfassungsgericht von der Opposition als Veto-Akteur genutzt werden kann, indem diese das Bundesverfassungsgericht anruft, damit es die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen der Bundesregierung prüft.

Teilweise werden die Gerichte auch schon als Beschäftigungsbremse gesehen, weil sie die Folgen ihrer Rechtsprechung auf die Beschäftigung und den Arbeitsmarkt nicht in Rechnung stellen. Als Beispiel werden hier oftmals die Arbeitsgerichte angeführt, die durch ihre Rechtsprechung beim Kündigungsrecht Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt behindern. Das Bundessozialgericht hat demgegenüber durch seine Rechtsprechung zur Abgrenzung von Berufs- und Erwerbsunfähigkeitrenten (1976) massiv zur Verstärkung der Frühverrentung beigetragen, weil es den Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente erheblich erleichterte.

IV. Fazit

Wenn es zutrifft, dass ein Teil der Arbeitsmarktproblematik in der Bundesrepublik auch auf das institutionelle Gefüge des Arbeitsmarktes zurückzuführen ist, verlangt eine Strukturreform des Arbeitsmarktes einen übergreifenden Ansatz. Reformen, die sich nur auf einen Teilaspekt beziehen - also beispielsweise nur die durch das Arbeitsrecht bedingten Arbeitsmarktrigiditäten oder die Bundesanstalt für Arbeit ansprechen, ohne die sozialstaatliche Finanzverfassung im Auge zu haben -, werden die Performanz des Arbeitsmarktes nur wenig verbessern und der persistenten Arbeitslosigkeit kaum entgegenwirken. Bis zur Kanzlerrede vom März 2003 waren die Vorschläge der Oppositionsparteien hinsichtlich einer Strukturreform des Arbeitsmarktes wesentlich weitreichender als die der Regierungsfraktionen. Das darf jedoch nicht überbewertet werden, weil sich die Aussagen der Opposition nicht unmittelbar an der Umsetzung messen lassen müssen. Das Potential für Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt bestimmt sich jedoch nicht nur nach parteipolitischen Programmen. Die politische Handlungsfähigkeit hängt vielmehr entscheidend davon ab, ob föderale Entscheidungsblockaden überwunden werden können und ob für die Durchführbarkeit einer Reform ein Konsens mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden notwendig ist oder die Strukturreform ein bestimmtes Verhalten der Tarifpartner erfordert. Zu berücksichtigen ist dabei, dass auch Konflikte innerhalb der Bundesregierung und die Steuerungskompetenz des Bundeskanzlers den Reformpfad beeinflussen können. In der Vergangenheit hatten zudem auch die Gerichte und deren Rechtsprechung Wirkungen auf die politische Handlungsfähigkeit bei Arbeitsmarktreformen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum, Jahresgutachten 2002/03, November 2002, Ziffer 423.

  2. Vgl. Werner Eichorst/Stefan Profit/Eric Thode, in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Benchmarking des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, Benchmarking Deutschland: Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Bericht der Arbeitsgruppe Benchmarking und der Bertelsmann Stiftung, Berlin-Heidelberg 2001; Sachverständigenrat (Anm. 1); Hans-Peter Klös/Holger Schäfer, Teilzeitarbeit und befristete Beschäftigung: Zur Arbeitsmarktrelevanz einer Reregulierung, in: iw-trends, 4. November 2000, S. 74 - 88.

  3. Vgl. Werner Eichhorst, "Benchmarking Deutschland" - Wo stehen wir im internationalen Vergleich?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46 - 47/2002, S. 22 - 31, hier S. 23 - 25.

  4. Zu den Drehtüreffekten und fiskalpolitisch motivierten Verschiebungen vgl. Gert Bruche/Bernd Reissert, Die Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik - System, Effektivität und Reformansätze, Frankfurt/M. 1985, S. 132 - 139.

  5. Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 1), Zi. 29.

  6. Vgl. ebd., Zi. 23.

  7. Vgl. Christine Trampusch, Ein Bündnis für die nachhaltige Finanzierung der Sozialversicherungssysteme. Interessenvermittlung in der bundesdeutschen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik, MPIfG Discussion Paper 1/2003, Köln, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.

  8. Vgl. dazu Ronald Schettkat, Sind Arbeitsmarktrigiditäten die Ursache der Wirtschaftsschwäche in Deutschland? Der niederländische und deutsche Sozialstaat im Vergleich, in: WSI Mitteilungen, (2001) 11, S. 674 - 684.

  9. Vgl. R. Schettkat, ebd.

  10. Vgl. H.-P. Klös/H. Schäfer (Anm. 2). Andere Studien gehen wiederum davon aus, dass die Deregulierung durch dasBeschäftigungsförderungsgesetz von 1984 nur geringe Beschäftigungseffekte hatte, vgl. W. Eichhorst/S. Profit/E.Thode (Anm. 2), S. 187.

  11. Vgl. Hartmut Seifert (Hrsg.), Betriebliche Bündnisse für Arbeit: Rahmenbedingungen, Praxiserfahrungen, Zukunftsperspektiven, Berlin 2002.

  12. Vgl. OECD Employment Outlook June 1999, S. 66, Tab. 2.5.

  13. Vgl. Sachverständigenrat (Anm. 1), Zi. 348.

  14. Vgl. dazu auch W. Eichhorst/S. Profit/E.Thode (Anm. 2), S. 163 - 192.

  15. Vgl. dazu G. Bruche/B. Reissert (Anm. 4); Gerhard Fels/Rolf Heinze u.a., Aktivierung der Arbeitsmarktpolitik, Thesen der Benchmarking-Gruppe des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, Berlin, 2. Juni 2000; Viktor Steiner/Tobias Hagen, Von der Finanzierung der Arbeitslosigkeit zur Förderung von Arbeit - Analysen und Empfehlungen zur Steigerung der Effizienz und Effektivität der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland, Kurzfassung, Endbericht an das Bundesministerium der Finanzen, 28. 2. 2000, Mannheim, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW); Christoph M. Schmidt/Klaus F. Zimmermann u.a., Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik. Internationaler Vergleich und Empfehlungen für Deutschland, Berlin u.a. 2001.

  16. Vgl. Birgitta Rabe, Wirkungen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Evaluierungsergebnisse für Deutschland, Schweden, Dänemark und die Niederlande, WZB Discussion Paper, FS 100 - 208 (2000); G. Fels/R. Heinze u.a. (Anm. 15), S. 11 - 14; C. M. Schmidt/K. F. Zimmermann (Anm. 15), S. 145 - 148.

  17. Vgl. Peter Hartz, Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Bericht der Kommission, Berlin 2002.

  18. Hinsichtlich der Reformvorschläge der im Bundestag vertretenen Parteien bzw. Fraktionen vgl. Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion, Wörlitzer Erklärung - Reformen für die Zukunft und gerechte Politik der Erneuerung vom 10. 1. 2003; Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion, PM 0042/2003 vom 29. 1. 2003; Parteivorstand und Präsidium der SPD, Wiesbadener Erklärung - Offensive für den Mittelstand - Mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland vom 7. 1. 2003; Präsidium der FDP, Liberale Vorschläge zur Beseitigung der Arbeitsmarktsmisere vom 19. 8. 2002; CDU-Bundesvorstand, Göttinger Erklärung der CDU Deutschlands - Kurswechsel für Deutschland vom 11. 1. 2003; Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann u.a. und der Fraktion der CDU/CSU, Gesetzliche Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik statt neue Sonderregelungen - Mittelstand umfassend stärken vom 28. 1. 2003 (BT-Drs. 15/349); CDU-Wirtschaftsrat, Regierungschaos in der Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik beenden - 7 Punkte für den Aufschwung vom 17. 12. 2002.

  19. Vgl. Bundeskanzleramt, Auf dem Weg zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Gerechtigkeit, Dezember 2002, S. 14 und 15, http://www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/seiten/1_politik_sozialkommission.htm, download vom 23. 1. 2003.

  20. Vgl. dazu Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Projektgruppe Masterplan Bürokratieabbau, "Vorschläge des BMWA zum Bürokratieabbau", Januar 2003, http://www.oekobriefe.de/archiv/material/masterplan.pdf, download vom 23. 1. 2003.

  21. Vgl. Gerhard Lehmbruch, Institutionelle Schranken einer ausgehandelten Reform des Wohlfahrtsstaates. Das Bündnis für Arbeit und seine Erfolgsbedingungen, in: Roland Czada/Helmut Wollmann, Von der Bonner zur Berliner Republik. 10 Jahre Deutsche Einheit, Opladen 2000, S. 89 - 112.

  22. Vgl. Friedbert Rüb/Frank Nullmeier, Alterssicherungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bernhard Blanke/Hellmut Wollmann (Hrsg.), Die alte Bundesrepublik: Kontinuität und Wandel., Leviathan Sonderheft, (1991) 12, S. 460.

  23. Vgl. Klaus Stüwe, Die Opposition im Bundestag und das Bundesverfassungsgericht: Das verfassungsgerichtliche Verfahren als Kontrollinstrument der parlamentarischen Minderheit, Baden-Baden 1997.

  24. So zum Beispiel der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Wolfgang Franz, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 6.11.2002, S. 27.

Dr. disc. pol., geb. 1970; seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.

Anschrift: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Paulstraße 3, 50676 Köln.
E-Mail: E-Mail Link: trampusch@mpi-fg-koeln.mpg.de

Veröffentlichungen u. a.: Ein Bündnis für die nachhaltige Finanzierung der Sozialversicherungssysteme: Interessenvermittlung in der bundesdeutschen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik, MPIfG Discussion Paper 03/1, Februar 2003.