Das Internet erleichtert schon heute unseren Alltag, etwa wenn wir Familientreffen mit einem Instant-Messenger-Dienst planen, wenn wir einen Urlaub online buchen oder wenn wir auf dem Weg zur Arbeit schnell in der Nahverkehrsapp gucken, ob unser Zug Verspätung hat. In Zukunft könnte das Internet noch mehr Chancen bieten. So kann ein "smartes" Klassenzimmer unter Umständen die Qualität der Bildung erhöhen, das Abgleichen von großen Datenmengen im Netz medizinische Diagnosen verbessern und durch Online-Beteiligungstools kann die demokratische Teilhabe gefördert werden. Doch Themen wie Hasskommentare in sozialen Netzwerken, Datenmissbrauch oder Diskussionen um Künstliche Intelligenz und Netzneutralität zeigen, dass das Internet auch neue Herausforderungen für die Gesellschaft mit sich bringt.
Diese netzpolitischen Diskussionen werden in der Regel der Medienpolitik zugeordnet, obwohl sie überwiegend mehrere Politikbereiche gleichzeitig tangieren, etwa Sicherheits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ganz gleich, welcher Politikbereich betroffen ist: Es geht letztlich um die Frage, wie wir als digitale Gesellschaft in Deutschland zusammenleben wollen, welche Regeln wir uns beim Surfen im Netz geben wollen und wie wir dafür sorgen, dass diese Regeln auch eingehalten werden.
In diesem Artikel zeige ich, warum klassische medienpolitische Regelungen beim Umgang mit dem Internet nicht mehr greifen. Darüber hinaus werden Lösungsansätze aufgezeigt, wie das Internet reguliert werden kann. Diese Lösungsansätze – so viel sei schon zu Beginn gesagt – funktionieren vor allem auf internationaler Ebene.
Globaler Charakter des Internets
Das Internet ist technisch gesehen ein weltumspannendes dezentrales Netzwerk aus Rechnern. Es hat überall auf der Welt Nutzer*innen, funktioniert nicht nach nationalstaatlichen Prinzipien und kennt keine nationalen Grenzen. Internetnutzer*innen verlassen mit einem Klick unter Umständen den deutschen Rechtsraum, obwohl sie sich beim Surfen mit dem Tablet nicht von der heimischen Couch erheben.
Lösungsansätze auf internationaler Ebene
Auf internationaler Ebene gibt es zwei gegenläufige Positionen dazu, wie das Internet reguliert werden sollte. In Staaten wie China, dem Iran oder Russland gibt es die Tendenz, das Internet nach dem Souveränitätsprinzip der einzelnen Länder zu regulieren. Dabei gilt, dass jeder Staat für seine Bürger*innen Funktionen im Internet genehmigen oder sperren kann – so, wie es aus nationaler Sicht angemessen scheint. Staaten schaffen dadurch eine Art beschränktes nationales Internet. Zum Beispiel hat China die nationale Souveränität zum obersten netzpolitischen Ziel erklärt und deswegen Netzangebote im zweistelligen Millionenbereich geschlossen. Die verbleibenden Angebote unterliegen der staatlichen Zensur und werden von rund 30000 Spezial-Polizist*innen überwacht. Das führt dazu, dass das soziale Netzwerk Facebook in China nicht existiert und der Messenger-Dienst Whatsapp so verlangsamt wird, dass er de facto nicht nutzbar ist. Im August 2018 sorgte die Meldung für Schlagzeilen, dass das in China verbotene Google eine nach den chinesischen Zensurrichtlinien funktionierende Suchmaschine starten wolle.
Im Gegensatz zu diesem Politikstil steht die demokratische Überzeugung, dass ein freies Internet ein wichtiges Gemeingut ist, das durch internationale Kooperationen geschützt werden sollte. Diese Kooperationen können zum einen auf zwischenstaatlicher (intergouvernementaler) Ebene oder als Internet-Governance-Ansatz entstehen. Beide Wege werden von demokratischen Staaten und auch von Organisationen wie der Europäischen Union und dem Europarat genutzt. Der klassische Weg in der internationalen Politik ist die Lösungsfindung auf zwischenstaatlicher Ebene. Zwei oder mehrere Staaten beziehungsweise ihre Regierungen verhandeln über gemeinsame Regeln. Am Ende der Verhandlungen steht ein Vertragswerk.
Für diese Art der internationalen Kooperation ist die Budapester Konvention gegen Cyberkriminalität von 2004 ein wichtiges Beispiel. Sie ist ursprünglich ein Regelwerk zwischen Mitgliedsstaaten des Europarates, wurde aber auch von anderen Ländern wie den USA, Japan oder Südafrika unterzeichnet.Die Budapester Konvention stimmt die unterschiedlichen nationalen strafrechtlichen Bestimmungen für Straftaten im Internet und deren Verfolgung auf internationaler Ebene miteinander ab. Da das Übereinkommen nicht immer mit nationalem Recht zu vereinbaren ist, wird es auch kritisch bewertet. Beispielsweise verbietet die Konvention rassistische Äußerungen im Netz, während die gleichen Äußerungen in den USA jedoch durch nationales Recht erlaubt werden, da sie unter den Schutz der freien Meinungsäußerung fallen.
Solche rein zwischenstaatlichen Regulierungen des Internets haben den Vorteil, dass es valide Vertragswerke gibt, auf die sich Staaten berufen können. Ein Defizit ist, dass diese Verträge wegen der technologischen Schnelllebigkeit des Internets schnell veraltet sind. Ein anderes Defizit liegt in der Wirksamkeit zwischenstaatlicher Vertragswerke. Es gibt Bedenken, dass wegen der vielfältigen und teils äußerst mächtigen nichtstaatlichen, oft privatwirtschaftlichen Akteur*innen eine rein zwischenstaatliche Regulierung des Internets nicht mehr uneingeschränkt möglich sei. Vielmehr brauche es für eine wirksame Regulierung internationale Kooperationen, bei denen die verschiedenen Internet-Akteur*innen aus Wirtschaft, Politik und auch Zivilgesellschaft eingebunden sind.
Ein Beispiel, das verdeutlicht, dass eine Regulierung ohne den Einbezug der mächtigen Internetkonzerne kaum möglich ist, ist der Streit zwischen der EU und Google. Die Staaten der EU haben ein gemeinsames Kartellrecht. Aus Sicht der EU-Kommission verstößt Google dagegen, indem es mit seinem Betriebssystem Android seine Marktmacht missbraucht. Die EU belegte den Konzern deswegen mit einer Rekordstrafe von 4,3 Milliarden Euro. Indem die EU-Staaten sich auf ihr Kartellrecht berufen, nutzen sie also ihr gemeinsames Vertragswerk. Ob die Strafzahlungsforderung Google jedoch dazu bringen wird, sein Handeln zu ändern, ist noch offen. Es ist eher davon auszugehen, dass der Konzern, der 2017 einen Umsatz von über 110 Milliarden Euro erwirtschaftete,
Internet-Governance
Der andere Ansatz zur Regulierung des Internets ist der Internet-Governance-Ansatz, den die UN, die EU und Staaten wie Deutschland zur Regulierung des Internets anwenden. Der Internet-Governance-Ansatz betont den dezentralen und internationalen Charakter des Internets und setzt auf internationale Kooperationen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteur*innen.
Internet-Governance folgt zwei Grundsätzen: dem Multistakeholder- und dem Bottom-up-Ansatz. Für den Multistakeholder-Ansatz ist es maßgeblich, dass die verschiedenen Interessengruppen (Stakeholder), wie Vertreter*innen aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft, Netzcommunity und Wissenschaft, gleichberechtigt zusammenkommen. Das Ziel des Ansatzes ist es, einen groben inhaltlichen Konsens zwischen den Stakeholdern herzustellen.
Gerade deswegen wird dem Ansatz der Internet-Governance ein Legitimationsdefizit vorgeworfen: Nichtstaatliche Internet-Akteur*innen sind keine gewählten Vertreter*innen und hätten deswegen keine Berechtigung, den Politikprozess zu gestalten.
Ziel des Internet Governance-Ansatzes ist es, den Austausch, die Diskussionen und die Verständigung zwischen Internet-Akteur*innen zu fördern. Grundsätzlich sind Erfolge und Misserfolge diesbezüglich allerdings schwer messbar. Ob beispielsweise ein soziales Netzwerk seine Datenschutzrichtlinien verbessert, weil es in einem Internet-Governance-Prozess vorher mit Datenschützer*innen diskutiert hat, ist kaum nachzuweisen.
Nationale und europäische Ebene
Die deutsche Politik rückte das Thema Internet zuletzt mehr in den Vordergrund. Planmäßig sollen im Jahr 2018 neue Foren entstehen, die teils Multistakeholder-Elemente aufweisen, wie etwa eine Datenethik-Kommission, ein Digitalrat und eine Enquete-Kommission zu Künstlicher Intelligenz.
Zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode wurden netzpolitische Themen zum ersten Mal stärker zentralisiert im neugeschaffenen Amt der Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt, besetzt mit der CSU-Politikerin Dorothee Bär. Dennoch gibt es in Deutschland kein eigenständiges Digitalministerium. Allerdings wurde zur besseren Netzpolitik-Koordinierung unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin ein Digitalkabinett gegründet – eine Vernetzungsrunde maßgeblich der Bundesminister*innen. Erste Themen des Digitalkabinetts sind künstliche Intelligenz, der Einsatz der Blockchain-Technologie und die Digitalisierung der Arbeitswelt.
Für viele Regelungen der Internetnutzung in Deutschland ist zudem die EU zuständig.
Die Europäische Kommission hebt hervor, dass der Internet Governance-Ansatz "unerlässlich"
Die beiden beschriebenen Ziele der EU stehen teils im Gegensatz zueinander, was die netzpolitische Debatte zu Cloud Computing aus dem Jahr 2012 beispielhaft zeigt. Die Möglichkeit, große Datenmengen im Internet zu speichern, nutzten immer mehr Privatpersonen und Firmen. EU-Politiker*innen sahen eine verpasste Marktchance, da kein europäisches Unternehmen an der Spitze der Cloud-Anbieter war. Sie formulierten ein Strategiepapier mit dem Ziel, die Branche in Europa zu fördern und erfolgreich am Cloud-Computing-Markt teilhaben zu können. Durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden wurde kurze Zeit später klar, wie schlecht viele Internetfirmen mit Nutzerdaten umgehen. Die EU änderte ihre Cloud-Computing-Strategie daraufhin grundlegend. Anstatt auf dem wirtschaftlichen Interesse liegt der neue Fokus nun auf dem Schutz der Datensouveränität und der Bürgerrechte.
Vereinte Nationen
Eine weitere netzpolitische Institution, in der Deutschland und die EU sich engagieren, ist das Internet Governance Forum (IGF) – die maßgebliche Einrichtung der UN zur Bearbeitung von Internet-Themen.
Das IGF gliedert sich in staatsübergreifende und nationale Initiativen.
Das IGF und seine Unterforen unterliegen den bereits beschriebenen Chancen und strukturellen Problemen des Internet-Governance-Ansatzes.
Das IGF-D berichtet außerdem von der positiven Komponente, dass Akteur*innen aller Stakeholder-Gruppen im IGF-D beruflich im Bereich Internet arbeiten. Ihre im Forum gewonnen Erkenntnisse nähmen sie mit in ihre Netzwerke und in ihre tägliche Arbeit.
Fazit
Die Bedeutung des Internets steigt weltweit von Tag zu Tag. Internetpolitische Themen gewinnen deswegen massiv an Relevanz und stellen Deutschland, die EU und die UN vor die Herausforderung, wie sie das Internet regulieren können.
Dieser Artikel zeigt drei Erkenntnisse auf. Erstens: Eine auf nationale Lösungen ausgerichtete Medienpolitik ist überholt. Zweitens: Internetregulierungsmaßnahmen bewegen sich in diversen Spannungsfeldern. Zum einen sollen sie ein freies Internet mit demokratischen Grundsätzen garantieren und Verstöße gegen diese Grundsätze wirksam ahnden. Zum anderen sollen die Regulierungsmaßnahmen nicht den wirtschaftlichen Nutzen, der durch das Internet entstehen kann, oder den technischen Fortschritt hemmen. Drittens: Die ausschließliche Lösungsfindung auf zwischenstaatlicher Ebene ist wegen der neuen Herausforderungen, die durch das Internet auftreten, kein geeigneter Politikstil, um das Internet zu regulieren. De facto können Entscheidungen, die das Netz betreffen, ohne nichtstaatliche Akteur*innen nicht mehr getroffen werden. Vielmehr kann ein Politikstil, der dem Bottom-up- und dem Multistakeholder-Ansatz folgt, ein Lösungsweg sein. Hierbei müssen sowohl die Politik, die Zivilgesellschaft, als auch die Internetkonzerne miteingebunden werden. Eine Medienpolitik, die diesen Erkenntnissen Rechnung trägt, wird Internet-Governance genannt.
Die Frage, wie wir als digitale Gesellschaft zusammen leben wollen, kann in bereits vorhandenen Foren, wie etwa dem IGF, diskutiert werden. Allerdings kann das Internet nur zu einem Gemeingut werden, das allen in der digitalen Gesellschaft nutzt, wenn Politiker*innen anfangen, die in diesen Foren geführten Diskussionen ernst zu nehmen und ihre Politik nach den Erkenntnissen der Foren zu gestalten.