Hate Speech, Fake News, Shitstorms, Filter Bubbles, Echokammern, Social Bots, Algorithmen, Cookies, Persönlichkeitsrechte, Recht auf Vergessen, die Manipulation von öffentlicher Meinung durch Trolle auf Social-Media-Plattformen – das sind einige der diskutierten Phänomene rund um die neuen gesellschaftlichen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, die im Internet entstanden sind. Diese Problemstellungen werfen die Frage auf: Kann die traditionelle Medienpolitik sie bearbeiten?
Die benannten Phänomene zeigen Störungen der sozialen Kommunikationsordnung an. Sie verweisen auf große technische und gesellschaftliche Veränderungen gleichermaßen: einen Medien- und einen Öffentlichkeitswandel mit Folgen für Gesellschaft und Demokratie. Die Bearbeitung dieser Probleme, so die hier vertretene These, erfordert neue Leitbilder, eine über den Rundfunk hinausweisende Politik. Es bedarf einer Kommunikationspolitik, neuer Akteure und der Etablierung einer gesellschaftlichen Verantwortungskultur, die Nutzer einbezieht. Ein Politikwechsel ist nötig, um die Legitimation zur Gestaltung der digitalen Kommunikationsgesellschaft durch den Staat aufrechtzuerhalten.
Unter den Bedingungen von Social-Media-Plattformen, die sowohl individual- als auch massenkommunikationsähnliche Austauschformen ermöglichen, bedarf jeder Eingriff einer besonderen Begründung. Medien werden nicht mehr nur rezeptiv genutzt, sondern aktiv gebraucht. Damit geht es politisch nicht mehr nur um die Bereitstellung eines bestimmten publizistischen Angebots durch journalistische Medien, sondern um die Ausgestaltung des aktiven Mediengebrauchs durch Einzelne, Gruppen und Organisationen. Denn alle, nicht nur Journalisten und Massenmedien, bestimmen die Themen, den Meinungstenor, und entscheiden über das öffentlich Sag- wie Nichtsagbare mit. Aus dem Medienanbieter- ist ein Nachfragemarkt geworden, in dem die Nutzer aktiv wirken. Regulierung darf deshalb nicht mehr auf den Rundfunk fixiert bleiben und nur unter Beteiligung der "gesellschaftlich relevanten" Gruppen erfolgen. Kommunikationspolitik sollte künftig durch Beteiligung aller Akteure die Institutionalisierung einer gesellschaftlichen Verantwortungskultur ermöglichen.
Neuinstitutionalisierung – nicht Konvergenz
Der Wandel in der Informations- und Kommunikationstechnologie verläuft rasant. So schnell, dass es an ordnungspolitischen Leitideen und Regelungsansätzen, auf nationalstaatlicher wie europäischer Ebene, mangelt.
Angesichts der ökonomischen wie kommunikativen Macht der Plattformen kommen nun Zweifel auf. Man sieht die disruptiven Folgen für die traditionellen Massenmedien; die Gewissheit bezüglich der weiteren sicheren Existenz journalistischer Medien ist geschwunden.
Sind Intermediäre, die jedem Bürger die Meinungsäußerung und den Austausch ermöglichen, also Medien? Sie ermöglichen Inhalte – aber sie selbst bieten keine an. Sie verfolgen nicht selbst publizistische, wohl aber gesellschaftspolitische Ziele (community building). Im klassischen Sinne sind sie keine Medien. Für eine zukünftige Medienpolitik bedarf nicht nur der Rundfunkbegriff, sondern auch der Medienbegriff der Klärung, denn an ihm hängt legitimatorisch die bisherige Begründung für Regulierung.
Massenmedien
Der bisherige Medienbegriff umfasst Massenmedien: Presse, Radio, Fernsehen. Diese sehen sich, im Unterschied zu Social Media, als Vermittler, die auf Basis eines publizistischen Programms journalistische Leistungen anbieten. Sie wählen professionell aus, bereiten ihre Angebote auf und strukturieren sie, bieten diese gegen Entgelt an. Sie wollen eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen, sie wollen viele Rezipienten erreichen, Einbezug und Teilhabe ermöglichen: Für alle Interessen bieten sie etwas, so Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport.
In ihnen dominieren in der Berichterstattung Angehörige der organisierten Interessen (kollektive, korporative Akteure) und die Journalisten. Vor allem letztere nehmen durch Leitartikel und Kommentare auf die allgemeine Meinungsbildung Einfluss. Dieses Kommentariat hat Konkurrenz erhalten, erfährt Kritik – auch weil auf den Plattformen der Medien eine Selektion der Nutzerkommentare durch Journalisten stattfindet. Es gelten die tradierten Regeln: Medien wählen anhand von Relevanzkriterien aus dem Themen- und Meinungsspektrum aus. Sie setzen damit Grenzen – auch in sprachlicher, stilistischer Hinsicht. Sie zivilisieren, sie pflegen die öffentliche Kommunikationskultur. Themen, Argumente und Meinungen werden bezogen auf gesamtgesellschaftliche Prozesse ausgewählt und nach Relevanz gewichtet. Das soll der Orientierung dienen und zur persönlichen und gesellschaftlichen Meinungsbildung beitragen. Durch die Trennung von Fakten und Meinungen wird die eigenständige Bewertung von Sachverhalten möglich. Diese publizistischen Regeln (Trennungsgebot; Wahrheits- und Sorgfaltspflicht etc.) stehen erkennbar im Widerspruch zu manchen Praktiken auf den Plattformen. Das Konzept der Massenkommunikation ist geprägt durch einseitige Vermittlung, kein Feedback, Dominanz des Anbieters und das Risiko der Manipulation.
Doch die gebündelten Zeitungsangebote und linear verbreiteten Rundfunkangebote verlieren an Relevanz auf dem Nutzungs- und Werbemarkt. Die Nutzung erfolgt immer stärker selektiv, man kann aus zahllosen Quellen auswählen, ohne zahlen zu müssen. Damit bekommt der Journalismus Finanzierungsprobleme. Er ist auf bekannte Verbreitungskanäle und Vermittlungsformate angewiesen, ist kostenintensiv und benötigt daher Planungs- und eine gewisse Finanzierungssicherheit. Diese schwindet.
Social Media
Die Social-Media-Plattformen gewinnen hingegen für die Individual-, Gruppen-, Organisations- und für die Massenkommunikation (Distribution) und damit für die Werbung an Bedeutung. Wesentlich ist: Die Anbieter (wie Facebook) sind neue Player im Markt, sie bündeln technisch vielerlei Informations- und Kommunikationsleistungen, wollen aber nicht Medien sein, sie agieren als Vermittlungsdienstleister. Mit ihnen haben sich gänzlich neue Institutionen etabliert: Alle können die Plattform nutzen, haben lediglich den Geschäftsbedingungen zuzustimmen und Nutzungsregeln einzuhalten. Die Benutzung ist kostenfrei, man zahlt mit Daten,
Diese neuen Möglichkeiten werden instrumentell gegen Medien und Journalisten und ihre Regeln eingesetzt. Populistisch wird von den "Systemmedien" oder gar von "Lügenpresse" gesprochen. Der Konflikt ist paradigmatisch für die neuen Kommunikationsverhältnisse.
Intermediäre – oder doch Medien?
Intermediäre können sowohl Kommunikationsdienstleister als auch Verkaufsplattformen sein, auf denen auch Informationen vorkommen. Daneben gibt es Suchmaschinen, die dem Nutzer den Zugang zu Informationen jeglicher Art ermöglichen. Die technische Dynamik bleibt hoch, zum Beispiel durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Deren Folgen für Informations- und Kommunikationsprozesse können noch nicht abgeschätzt werden.
Die Intermediäre vermitteln digital über Hard- wie Software, so in Form eines Smartphones oder Notebooks. Und die Vermittlung wird von einer Branche geleistet, die Software besitzt und neue Geschäftsmodelle etabliert – und dies global und sehr erfolgreich (Software-Dominanz, Marktkapitalisierung). Die Intermediäre sind Alltagshelfer in einem Massenmarkt geworden. Alle können sie für die Beschaffung, Aggregation, Selektion, Präsentation, Weiterleitung oder Bewertung von Informationen und Wissen nutzen.
Die neuen Intermediäre sind keine klassischen Medien. Mit ihrem Marktzutritt sind der Medienbegriff und der Rundfunkbegriff, beide verknüpft mit dem Konzept der Massenkommunikation, abhandengekommen – mit Folgen für die Definition, Begründung und Legitimation von Rundfunk- und generell Medienpolitik.
Unbestritten ist: Wenn es um die gesellschaftliche Information und Kommunikation geht, die via technischer Vermittler verbreitet wird, hat der Staat eine Gestaltungspflicht: Es geht um die Etablierung einer der offenen, demokratischen Gesellschaft angemessenen Kommunikationsordnung. Es geht um den Zugang zu Informationen, die Verhinderung von Diskriminierung, um Chancengleichheit und um die Verhinderung von Meinungsmacht. Das sind klassische (medien-)politische Anliegen, sie haben aus demokratie- und verfassungspolitischen Gründen weiterhin Bestand. Mit den Intermediären kommen aber neue Herausforderungen hinzu, die sich aus der Mitwirkung von Nutzern ergeben: Datenschutz, Recht an bereitgestellten Informationen, Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Nutzungsregelungen. Wesentlich aber ist die mit den neuen Intermediären sich etablierende Infrastruktur-, Software- und Marktmacht. Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen sind de facto eine neue globale Infrastruktur für Information, Kommunikation und den Zugang zu Wissen geworden. Damit stellen sich normativ grundlegende Regulierungsanforderungen, die allein nationalstaatlich nicht zu bewältigen sind.
Bisherige Begründungen für und das Dilemma von Medienpolitik
Unter Medienpolitik kann man jenes Handeln verstehen, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen über Medienorganisationen und die massenmediale öffentliche Kommunikation abzielt.
Dass Medienpolitik weiterhin in erster Linie Rundfunkorganisationspolitik ist, wird mit den Besonderheiten des Mediums Fernsehen und dem Rundfunkmarkt begründet: Frequenzknappheit, Kosten, Breitenwirkung und Suggestivkraft sind Kernargumente. Gesellschaftspolitisch wird die Regulierung mit der besonderen Sozialisations- wie Integrationsleistung des Rundfunks begründet.
Unter den neuen Bedingungen nehmen für die Bürger die Möglichkeiten zu, sich selbst Informationen zu beschaffen oder selektiv zu nutzen. Deshalb gibt es Diskussionen bezüglich des Begründetseins und der Höhe der Rundfunkgebühren.
Legitimatorisch war Medienpolitik ohnehin keine einfache Sache: Die Freiheit der Medien vom Staat ist verfassungsrechtlich zwingend. Der Staat hat eine Gestaltungspflicht, um Vielfalt zu sichern, muss dabei aber zugleich die Freiheit der Medien garantieren. Während der Staat sich im Pressesektor grundsätzlich zurückhält, und selbst auf wettbewerbsrechtliche Maßnahmen weitgehend verzichtet, hat er den Gestaltungsauftrag auf den Rundfunk fixiert. Dies wurde begleitet von wiederholten Interventionen durch das Bundesverfassungsgericht, denn mehrfach haben die jeweiligen politischen Mehrheiten über Gebühr versucht, Einfluss zu nehmen.
Aber auch bei den Parteien und gesellschaftlichen Gruppen besteht kein großes Interesse, zumal an einer partizipativen Medienpolitik. So mangelt es an Debatten. Dieses Defizit hat zur Folge, dass Medienpolitik ein Feld für wenige Spezialisten ist und nur eine geringe Aufmerksamkeit findet. Mit Folgen, wie sich nun zeigt: Das Wissen über die Besonderheiten und Relevanz öffentlicher Güter, dazu zählen medial verbreitete Informationen, ist in der Gesellschaft nicht hoch. Die Kenntnisse über journalistische Arbeitsweisen sind gering. Fragen der Journalismus- und Medienfinanzierung, die sich unter den neuen Bedingungen verstärkt stellen, können nicht beantwortet werden. Der Mangel an Medienkompetenz, über Jahrzehnte immer nur beklagt, aber nie angegangen, zeigt sich jetzt in den Debatten um Medienvertrauen. Die Kompetenzdefizite zeigen sich, wenn es darum geht, journalistische Qualität zu erkennen und für diese Leistungen zahlungsbereit zu sein.
Der öffentliche Rundfunk, der sich um Medienkompetenz wie -kritik bemühen müsste, engagiert sich kaum. Er verlässt sich auf rechtliche und politische Entscheidungen, vermeidet den Austausch mit den Gebührenzahlern.
Wesentliche konzeptionelle wie ordnungspolitische Vorstellungen kamen vom Bundesverfassungsgericht. So wurde mit dem Konzept der dualen Rundfunkordnung Anfang der 1980er Jahre, also dem Nebeneinander von öffentlichen und privaten Rundfunkveranstaltern, ein tragfähiges Gestaltungskonzept entwickelt. Doch dieses Gestaltungskonzept für den Rundfunk ist nicht mehr tauglich für die digitale Kommunikationsgesellschaft. Es bedarf neuer Leitbilder. Aber das Bundesverfassungsgericht hat wichtige Vorgaben gemacht: So wird mit dem Konzept der "Grundversorgung" darauf verwiesen, dass es staatlicher Auftrag ist, für ein gutes Informations- und Kommunikationsangebot zu sorgen. Dieser sozialstaatliche Anspruch ist weiter zu entwickeln und bezogen auf die Intermediäre zu formulieren. Wenn die Intermediäre die Infrastruktur für die gesellschaftliche Information und Kommunikation bilden, so sind Fragen des chancengleichen Zugangs, bezüglich der Diskriminierung von Anbietern oder der Auffindbarkeit von Informationen und der Zugangs- oder Nutzungsbedingungen zu klären. Und es geht um die Qualität der Beiträge zur öffentlichen Kommunikation.
Kommunikationspolitik als Konzept
Medienpolitik als staatliches Handeln ist nötig bezogen auf Kernfragen wie Infrastruktur, Marktzugang und Vielfalt. Die Institutionalisierung von Social-Media-Plattformen ist als Institutionenbildungsprozess mit infrastrukturellen Folgen aufzufassen. Zugleich ist die Politik von einer reinen Medien- zu einer Kommunikationspolitik zu erweitern.
Marktbezogen muss zum einen die Marktmacht aller an der Kommunikationsinfrastruktur beteiligten Akteure erhoben werden, und es sind wettbewerbsrechtliche Kriterien für Eingriffe festzulegen. Zum anderen: Nicht nur der Rundfunk oder die Presse, sondern auch viele Intermediäre haben einen Einfluss auf den Informations-, vor allem aber auf den demokratierelevanten Meinungsmarkt. Derzeit wird aber nur der Rundfunkmarkt systematisch betrachtet. Aus demokratietheoretischen Perspektiven ist es notwendig, dass die neuen Meinungsmärkte bezogen auf alle Kommunikationsangebote analysiert werden. Die Anzahl an Likes, Clicks oder Follower kann nicht das demokratische Mehrheitsprinzip ersetzen.
Akteursbezogen besteht bei allen Plattformen die Notwendigkeit zur Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie der Nutzungsregeln (Nutzer-, Verbraucherschutz). Dies kann sowohl über nationalstaatliche Maßnahmen wie durch internationale Übereinkommen erreicht werden. Die notwendige staatliche Regulierung ist durch Formen der Co-Regulierung zu ergänzen: Die Anbieter sollten zu Transparenz ebenso verpflichtet werden wie zum Aufbau eines wirksamen Beschwerde- und Ombudssystems. Missbräuche müssen öffentlich werden. Es kann nicht sein, dass (ausländische) private Unternehmen Kommunikationsvorschriften erlassen oder nach firmeneigenen Regeln agieren (Eingriffe, Löschungen etc.), ohne dass eine angemessene Öffentlichkeit darüber hergestellt wird.
Auf publizistischer Ebene muss berücksichtigt werden, dass unter digitalen Plattformbedingungen Individual-, Organisations- und Massenkommunikation gleichermaßen stattfindet. Kommunikation ist deshalb integral zu sehen, wobei es für die Individual- oder Organisationskommunikation unterschiedlicher Normen bedarf. Für über Plattformen vermittelte Informationen von beispielsweise Unternehmen sollte gelten, dass ihre Inhalte erkennbar sind.
Die Regelungsbereiche wie -themen sind anspruchsvoll. Begleitforschung macht wenig Sinn, wohl aber bedarf es intensivierter Forschungs- wie Reflexionsbemühungen.
Und Kommunikationspolitik hängt schließlich von aufgeklärten, kompetenten Nutzern ab: Die Selbstverantwortung obliegt in kommunikativen Angelegenheiten dem Individuum. Die Nutzerverantwortung aber kann durch neue gesellschaftliche Akteure, wie einen Kommunikationsrat, der die öffentliche Kommunikationspraxis systematisch reflektiert und Empfehlungen wie Kritik ausspricht, gestärkt werden. Es geht nicht um Zensur, es geht um die Etablierung von Kommunikationsregeln und -normen durch Reflexion und Kommunikation, und dies nicht nur für die professionelle Kommunikation (Journalismus, Public Relations), sondern auch für die Individualkommunikation. Die Etablierung einer Verantwortungskultur muss bei allen Akteuren ansetzen und alle Akteure einbeziehen.
Für diese neue Kommunikationspolitik hat der Staat den Rahmen zu setzen, und zu dieser Rahmensetzung gehört es, dass systematisch über Medien, Formen wie Regeln der Kommunikation reflektiert wird. Es bedarf der Leitbilder für die Entwicklung der Kommunikationsgesellschaft. Zu ihrer Entwicklung bedarf es übergreifender Institutionen, in denen Anbieter, Nutzer, gesellschaftliche Interessenvertreter etc. Problemstellungen beraten und Vorschläge unterbreiten. Diese Einrichtungen entstehen nicht von selbst, sie sind durch rechtliche Maßnahmen staatsfern zu institutionalisieren. Allein durch medienpolitische Maßnahmen lässt sich dauerhaft keine stabile gesellschaftliche Verantwortungskultur unter den gewandelten Bedingungen etablieren. Vor allem lässt sich allein durch hoheitliche Maßnahmen keine Verantwortungskultur institutionalisieren. Die kann sich nur in und durch Dialoge entwickeln.