Folgt man den Stimmen der Medienkritik, befindet sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk derzeit in seiner womöglich größten Legitimationskrise. Die Anzahl der Zuschauerbeschwerden (insbesondere über soziale Netzwerke) ist so groß wie nie. Anschuldigungen im Stile von "Staatsfunk" und "Lügenpresse" werden nicht nur vonseiten der AfD und Pegida laut, sondern sind zum Beispiel auch von deutschen Verlegern zu hören.
Im vorliegenden Beitrag werden vor allem politische Einflüsse auf Personalstruktur sowie die inhaltliche Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Fokus gerückt. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass Massenmedien Realität konstruieren und ein Deutungsangebot von der Welt bereitstellen. Dass Letzteres hier nicht gesondert untersucht wird, heißt zwar nicht, dass es zwangsläufig den "Meinungs-" beziehungsweise "Gesinnungskorridor" geben muss, der den öffentlich-rechtlichen Medien vorgeworfen wird. Es lässt sich so aber erkennen, welche Bedeutung die Massenmedien und allen voran die öffentlich finanzierten Angebote für Demokratie und Gesellschaft haben. Kämen Massenmedien etwa nicht mehr ihrer Kritik- und Kontrollfunktion nach, informierten sie die Bürger nicht mehr über relevante politische und gesellschaftliche Themen oder erklärten ihnen komplexe Sachverhalte, könnte dies früher oder später beispielsweise zu Politikverdrossenheit und einer geringeren politischen Partizipation sowie sozialer Desintegration führen.
Dieses Relevanzargument wird dadurch verstärkt, dass sich die Operationsweise der Massenmedien seit der Einführung des privaten Fernsehens im Jahr 1984 und dem Siegeszug des Internets seit der Jahrtausendwende gewandelt hat. Der erhöhte Konkurrenzdruck führt letztlich dazu, dass auch Qualitätsmedien heute weniger nach Kriterien arbeiten, die sich aus normativen, demokratietheoretischen Funktionen der Massenmedien ableiten lassen, sondern einer kommerziellen Logik folgen, die darauf ausgerichtet ist, Aufmerksamkeit zu generieren und ein möglichst großes Publikum anzusprechen.
Kurzum: Der Medienwandel stellt das Mediensystem vor Herausforderungen und verlangt nach resilienten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die weiterhin ihre öffentliche Aufgabe erfüllen können. Forderungen zur Abschaffung dieser Sender (in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern) stellen insofern ein Alarmsignal dar, das letztlich in enger Verbindung stehen könnte mit einem bisweilen konstatierten Vertrauensverlust beziehungsweise einer Polarisierung im Hinblick auf das Vertrauen der Bürger in die Medien.
Struktur und Funktionsweise
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist staatsfern und föderal organisiert. Er verfügt über Aufsichtsgremien (Rundfunkrat, Verwaltungsrat), durch die bei den einzelnen Sendern die gesellschaftliche Kontrolle gewährleistet werden soll.
Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks baut auf drei Grundpfeilern auf: Erstens haben die Rundfunkanbieter einen öffentlichen Auftrag, zweitens unterliegen sie der öffentlichen Kontrolle und drittens werden sie aus öffentlichen Geldern finanziert.
Öffentlicher Auftrag
Der öffentliche Auftrag (Programmauftrag) ist gesetzlich festgeschrieben und sieht vor, dass das Programm der Sender Bildung, Information, Beratung, Unterhaltung und Kultur umfassen soll. Schließlich wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nicht nur als "‚Medium‘ individueller und öffentlicher Meinungsbildung" begriffen, sondern auch als "eminenter ‚Faktor‘".
Vor dem Hintergrund des 2009 eingeführten Drei-Stufen-Tests für öffentlich-rechtliche Online-Angebote war es notwendig, den Funktionsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu konkretisieren. Externe Gutachter müssen seitdem prüfen, "inwieweit das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht", ob es "in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb" beiträgt und "welcher finanzielle Aufwand" dafür erforderlich ist.
Öffentliche Kontrolle
Inwieweit die öffentlich-rechtlichen Anbieter ihre Rolle erfüllen, wird durch Rundfunk- und Verwaltungsräte überwacht. Der Rundfunkrat gilt als höchstes Organ der Anstalt. Er steht für die Interessen der Allgemeinheit ein und überwacht die Einhaltung des Programmauftrags und der Programmgrundsätze. Entschieden wird hier auch über die Zulässigkeit von Online-Angeboten, die vorab den Drei-Stufen-Test durchlaufen haben. Zusammengesetzt ist dieses Aufsichtsgremium sowohl aus Vertretern der Politik als auch aus Vertretern gesellschaftlicher Kräfte, die möglichst alle relevanten Gruppen der Gesellschaft repräsentieren sollen. Dazu gehören, um nur einige zu nennen, Parteien, Kirchen, Jugendverbände und Gewerkschaften. Einfluss erlangen die Rundfunkräte insbesondere dadurch, dass sie für die Personalpolitik verantwortlich sind: Die Rundfunkräte wählen den Intendanten sowie einen Teil der Verwaltungsräte und haben ein Mitspracherecht bei Personalentscheidungen der Senderleitung.
Die Verwaltungsräte sind wiederum – wie der Name schon verrät – in erster Linie für finanzielle und technische Fragen zuständig und kontrollieren die Geschäftsführung des Intendanten. Die Besetzung des Verwaltungsrats spiegelt in der Regel die Kräfteverhältnisse im Rundfunkrat wider. Die dritte Instanz, der Intendant, leitet schließlich die Rundfunkanstalt, vertritt sie nach außen und verantwortet den Betrieb und die Programmgestaltung.
Öffentliche Finanzierung
Die Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio erfolgt überwiegend aus Rundfunkbeiträgen (die im Gegensatz zu Steuern zumindest theoretisch an eine Gegenleistung gebunden sind) und nicht aus dem Staatshaushalt. Damit sollen Rundfunkbeiträge die Unabhängigkeit und die Staatsferne des Rundfunks gewährleisten. Ein geringer Teil des Budgets basiert darüber hinaus auf Werbung und anderen Erträgen. Die Festsetzung des Beitrags ist gesetzlich im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag geregelt und erfolgt in einem mehrstufigen demokratischen Verfahren. Dazu melden und begründen die Rundfunkanstalten alle zwei Jahre ihren voraussichtlichen Bedarf, der von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) geprüft wird.
Seit 2013 sind Rundfunkbeiträge – unabhängig von der tatsächlichen Nutzung oder der Anzahl der Empfangsgeräte – monatlich von jedem Haushalt zu entrichten. Eingezogen werden die Beiträge durch den Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio, einer Gemeinschaftseinrichtung, die aus der ehemaligen Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (GEZ) hervorgegangen ist. Dagegen hatte es mehrere Verfassungsbeschwerden gegeben, die argumentierten, dass die Erhebung unabhängig von der tatsächlichen Nutzung einer Steuer gleichkomme und somit nicht Ländersache sei, sondern in die Zuständigkeit des Bundes falle. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klagen erst kürzlich ab.
Einflussnahme vonseiten der Politik
Auch wenn das Gebot der Staatsferne, wie der obere Abschnitt zeigt, eine zentrale Rolle in den Rundfunkgesetzen spielt, sind Versuche der politischen Einflussnahme auf dieses Medium im Grunde nie abgeebbt. In der Praxis können die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf unterschiedlichen Ebenen beeinflusst werden. Politische Einflussnahme etwa erfolgt bevorzugt über Personalpolitik. Demgemäß werden insbesondere die Rundfunkräte gerne als "Einfallstor" für den Einfluss politischer und gesellschaftlicher Akteure beschrieben.
Vieles spricht dafür, dass diese Form der politischen Einflussnahme lediglich die Spitze des Eisbergs ist. Gleichwohl dient vor allem der "Fall Brender" aus dem Jahr 2009 als das Paradebeispiel für politische Einflussnahme auf die öffentlich-rechtlichen Sender: Dabei nutzte der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) seine Macht im ZDF-Verwaltungsrat, um die Vertragsverlängerung von Chefredakteur Nikolaus Brender zu verhindern, obwohl Intendant Markus Schächter diese beantragt hatte. Koch setzte sich zwar durch, doch kam es in der Folge zu einer Verfassungsklage gegen den ZDF-Staatsvertrag, eingereicht vom Land Rheinland-Pfalz und vom Stadtstaat Hamburg. Nachdem der ZDF-Staatsvertrag also vom Bundesverfassungsgericht geprüft worden war, trat am 1. Januar 2016 ein neuer in Kraft, in dem zumindest die Zahl der staatlichen oder staatsnahen Mitglieder auf ein Drittel begrenzt wurde.
Nicht nur interessengeleitete Personalpolitik kann jedoch Einfluss auf die Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender ausüben. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass auch (wechselseitige) Abhängigkeiten zwischen Politikern und Journalisten möglicherweise zu einer Verzerrung der Berichterstattung führen. Konkret: Medien und Politik sind aufeinander angewiesen, da einerseits politische Entscheidungen öffentlich legitimiert werden müssen. Dazu stellen Medien die notwendige politische Öffentlichkeit her. Andererseits gilt es aufseiten der Journalisten, über den erforderlichen Zugang zu Information Reichweiten beziehungsweise Quoten zu erzielen. Wie und worüber letztendlich berichtet wird, handeln also in diesem Kontext Politiker und Journalisten unter dem Einsatz unterschiedlicher Mittel (etwa Tauschgeschäfte, Ausübung politischen Drucks, Einsatz politischer PR oder informelle Kontakte zu Eliten) aus. Im öffentlichen Diskurs wird daher nicht nur über das Handeln der Akteure, sondern auch über die produzierten Inhalte debattiert und damit letztlich über die transportierten Wirklichkeitskonstruktionen – also über das, was die Rezipienten schließlich zu sehen, zu hören und zu lesen bekommen.
Öffentlich-rechtliche Wirklichkeitskonstruktionen
Zu Kritik an den Inhalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben in jüngerer Vergangenheit einerseits zum Beispiel die als spät empfundene Berichterstattung zur Kölner Silvesternacht 2015/16, andererseits die mitunter vorschnellen Berichte zum Stand der Koalitionsverhandlungen der künftigen Bundesregierung ab Herbst 2017 geführt. Aber auch eine Lücke in der Berichterstattung hat 2016 eine öffentliche Debatte über die Rolle der größten Hauptnachrichtensendung des Landes ausgelöst: Die Tagesschau entschied sich Anfang Dezember des Jahres im Fall einer getöteten Studentin in Freiburg nicht über die Festnahme des Täters (eines afghanischen Asylbewerbers) zu berichten. Unabhängig von solch aktuellen Ereignissen sei darüber hinaus auf Sachverhalte und Themenkomplexe verwiesen, über deren mediale Darstellung bereits seit Jahren gestritten wird (etwa das deutsche Russland-Bild oder das Bild von Geflüchteten in den Medien
Wissenschaftlich belegen lässt sich jedenfalls, dass Massenmedien heute anders Realität konstruieren, als sie das noch vor 30 Jahren getan haben.
Fazit
Dass über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestritten wird, ist natürlich kein rein deutsches Phänomen.
Auch in Deutschland wird bereits mindestens an einem der Grundpfeiler des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesägt. Denn gleich mehrere Landesregierungen haben sich für Beitragsstabilität beziehungsweise gegen Beitragserhöhungen ausgesprochen (bis 2020 ist der Beitrag auf 17,50 Euro pro Haushalt im Monat festgelegt), auch wenn vonseiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bereits auf steigende Kosten verwiesen wird.
Die Außenperspektive auf Deutschland zeichnet dagegen ein anderes Bild: Trotz technologisch hochentwickeltem Markt und einem der größten Budgets weltweit schöpfe der öffentlich-rechtliche Rundfunk hierzulande sein Potenzial in Sachen Digitalisierung nicht aus. Grund dafür seien insbesondere die föderale Organisationsform, politische Interessen sowie enggesteckte Grenzen seitens des Gesetzgebers.