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Editorial | Reformen in Wirtschafts- und Sozialpolitik | bpb.de

Reformen in Wirtschafts- und Sozialpolitik Editorial Zeitlupenland Deutschland? Zum Vollzugsdefizit wirtschaftspolitischer Reformen Institutionelle Hemmnisse für eine kohärente Wirtschaftspolitik Dauerproblem Arbeitsmarkt: Reformblockaden und Lösungskonzepte Wählerwille und Wirtschaftsreform Wirtschafts- und Sozialpolitik: Lernen und Nicht-Lernen von den Nachbarn

Editorial

Ludwig Watzal

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Der "Standort Deutschland" gilt trotz intensiver Bemühungen der rot-grünen Bundesregierung immer noch als reformunfähig. Hoffnungen, die nach der Wahl an Kanzler Schröder geknüpft wurden, haben sich nicht erfüllt.

Der "Standort Deutschland" gilt trotz intensiver Bemühungen der rot-grünen Bundesregierung immer noch als reformunfähig. Nachdem die Regierung von Helmut Kohl in ihrer letzten Legislaturperiode zu Reformen nicht in der Lage war, ist die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder angetreten, die Erstarrung der Kohl-Ära aufzubrechen. Die Konzepte - Neue Mitte und Dritter Weg - von Schröder und Tony Blair schienen geeignet, die Gräben zwischen den Parteien zu überwinden. Die Hoffnungen, die damit verbunden wurden, haben sich aber nicht erfüllt. Trotz des Eindrucks der "Reformunfähigkeit" hat die Bundesregierung auf anderen Gebieten einiges bewegt: Tabus über Zuwanderung und gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften wurden beiseite geräumt, der Einstieg in die kapitalgedeckte Rentenversicherung vollzogen, erste Erfolge in der Steuerreform und Haushaltskonsolidierung stellen sich ein, und Deutschlands internationales Engagement reicht vom Balkan, dem Mittleren Osten, dem Horn von Afrika bis zum Hindukusch. Dessen ungeachtet hat sich das Bild vom Reformstau verfestigt.

Die rot-grüne Bundesregierung war 1998 mit großem Reformeifer angetreten, der ihr aber im Verlauf der Regierungsarbeit wohl abhanden gekommen sein muss. Peter Franz und Stefan Immerfall vertreten in ihrem Essay die These, dass dieser Eindruck nicht so sehr auf die Strategieentscheidungen der politischen Führung zurückzuführen, sondern eher der "Macht der Verhältnisse" geschuldet ist. Regierungen seien immer mehr mit den Konsequenzen der eigenen Regelungen befasst, die im Ergebnis von zahlreichen Einzelentscheidungen zu einer hohen Komplexität führten. Steuergesetzgebung und Sozialversicherung seien Beispiele dafür. Die Regierung befinde sich teilweise selbst in Opposition gegen das eigene und das vorgefundene System.

Zahlreiche institutionelle Barrieren behindern die Reformbemühungen vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Reimut Zohlnhöfer beschreibt diejenigen Institutionen, mit denen sich die Bundesregierung ihre Kompetenzen und Ressourcen teilen muss. So sprechen der Bundesrat, die Zentralbank, das Bundesverfassungsgericht, die Wirtschaftsverbände sowie die Gewerkschaften in Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik ein gewichtiges Wort mit. Diese institutionellen Beschränkungen zeigten, dass es in Deutschland äußerst schwierig sei, weitreichende Reformen durchzusetzen.

Auch bei der Diskussion um die Ursachen der Arbeitslosigkeit tritt zunehmend der strukturelle Aspekt in den Vordergrund. Christine Trampusch verweist in ihrem Beitrag auf die Hindernisse beim Abbau von Arbeitslosigkeit. Die Autorin geht auf die Reformkonzepte der Parteien ein, die aber nicht alleine entscheidend seien; die komplexen Rahmenbedingungen des politischen Prozesses seien bei der Umsetzung ebenso wichtig. Ein weiterer Faktor, der für den Reformstau mitverantwortlich ist, ist nach Siegfried F. Franke der Wählerwille. Der Autor vertritt die These, dass weder die Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft noch der jüngste Wahlsieg der Unionsparteien tief greifende Reformen in Gang setzen werden. Um hohe Verluste an Wählerstimmen zu Beginn von Reformen zu vermeiden, bliebe eine verfassungsrechtliche Umgestaltung der Staatsorganisation; dazu benötige man aber eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern.

Bei der Reformdiskussion werden gerne Beispiele aus anderen Ländern angeführt. Josef Schmid zeigt die Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit von Politikmodellen auf und verweist dabei auf die unterschiedlichen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen.