Einleitung
"Die Mitgliedstaaten sollten eine Politik zur Förderung des aktiven Alterns erarbeiten, indem sie Maßnahmen beschließen, die darauf abzielen, Arbeitsfähigkeit und Qualifikationen älterer Arbeitskräfte zu erhalten, flexible Arbeitsmodelle einzuführen und Arbeitgeber für das Potenzial älterer Arbeitnehmer zu sensibilisieren."
Auch wenn die Beschäftigungsquote Älterer in Deutschland damit recht nahe beim EU-Durchschnitt liegt, kann diese Situation kaum zufrieden stellen, weil
- erstens in den letzten Jahren Deutschland bei den Beschäftigungsquoten Älterer keine wesentlichen Fortschritte in Richtung der Zielvorgaben verzeichnen kann;
- zweitens die Erhöhung der Beschäftigungsquote Älterer auch national eine explizite Zielstellung ist - etwa seitens der Nationalen Beschäftigungspolitischen Aktionspläne. Für Deutschland kommt hinzu, dass eine frühzeitige Verrentung der Älteren bzw. eine hohe Arbeitslosigkeit Älterer volkswirtschaftlich eine große Verschwendung darstellt, da der Anteil an mit hohem Bildungsaufwand besser Ausgebildeten unter den Älteren im internationalen Vergleich überproportional hoch ist;
- drittens, und wohl am wichtigsten, der demographische Wandel dazu führt, dass angesichts der Alterung und langfristig zu erwartenden Schrumpfung des Erwerbspersonenpotenzials die Beschäftigungsquote Älterer längerfristig in jedem Fall steigen muss. Allerdings ist hierbei zwischen verschiedenen Zeithorizonten zu unterscheiden (und es dauert, bis entsprechende Maßnahmen greifen).
I. Demographischer Wandel und Arbeitsmarkt
Die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland altert. Wäre in der Vergangenheit keine Nettozuwanderung erfolgt, so würde sie bereits seit einigen Jahren sogar schrumpfen. Unter der realistischen Annahme, dass Deutschland auch weiterhin ein Land mit einer gewissen Nettozuwanderung bleiben wird, wird eine Schrumpfung der Bevölkerung und des Erwerbspersonenpotenzials erst in ca. zehn Jahren, und dann zunächst langsam, eintreten.
Diese Veränderungen haben Befürchtungen laut werden lassen, eine alternde und kleiner werdende Erwerbsbevölkerung gefährde das Wachstums- und Innovationspotenzial unserer Wirtschaft. Insbesondere von Seiten der Arbeitgeberverbände wird - nicht nur in Deutschland
Bei genauerer empirischer Überprüfung erweist sich nicht nur der angeblich so große Fachkräftemangel als weit übertriebenes Phänomen,
Dabei spielt die sehr unregelmäßige Alterspyramide eine besondere Rolle, die zu einer nichtlinearen Entwicklung der Stärke der einzelnen Altersgruppen in der Zukunft führt. Abbildung 1 zeigt - ohne die in der gängigen "Tannenbäumchenform" übliche Geschlechterdifferenzierung - den Altersaufbau der Bevölkerung zur letzten Jahrhundertwende. Deutlich sichtbar sind relativ stark besetzte Vorkriegskohorten, die schwach besetzten Kriegsjahrgänge, der Berg der "Babyboomer" und der Einbruch in den Geburtenzahlen ab ca. 1970.
Bevölkerungsprognosen gelten - verglichen etwa mit Wirtschaftsprognosen - gemeinhin als relativ zuverlässig; dennoch wird meist mit Extremszenarien unter alternativen Annahmen gearbeitet. Dies erschwert die Darstellung für eine breitere Öffentlichkeit enorm und leistet dem Herausgreifen extremer Szenarien/Ergebnisse durch interessierte Kreise Vorschub. Im Folgenden wird daher aus Vereinfachungsgründen nur mit der mittleren Variante der 9. koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamtes argumentiert. Deren Annahmen sind nicht nur recht plausibel, sie decken sich im Ergebnis auch weitgehend mit anderen Prognosen und haben die höchste Eintretenswahrscheinlichkeit.
Rechnet man diese Prognose bis zu den Jahren 2020 und 2050 durch, so wird klar, dass im Jahr 2050 deutlich weniger Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen ca. 20 und 64 Jahren zur Verfügung stehen werden (vgl. Abb. 2). Klar wird aber auch, dass im Jahr 2020 der Berg der "Babyboomer" noch zum größten Teil unter 65 Jahre alt sein wird, also im Prinzip noch im erwerbsfähigen Alter ist.
Im Übrigen weisen auch die Projektionen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nur in den - unrealistischen - Varianten ohne jeglichen weiteren Zuwandungsüberschuss für die Zeit vor 2020 einen relevanten Rückgang im Arbeitskräfteangebot aus.
Was uns also als Problem weiterhin belasten wird, ist nicht ein Mangel an Arbeitskräften, sondern im Gegenteil anhaltende Massenarbeitslosigkeit. Sehr wohl werden aber andere Entwicklungen Arbeitswelt und Arbeitsmarkt massiv beeinflussen. Als erstes ist dabei die Alterung der Erwerbsbevölkerung zu nennen. In Verbindung damit - und auch im Gefolge der Sparpolitik im Bildungswesen in den letzten zwei Jahrzehnten - ist, zweitens, die Gefahr einer zu geringen Humankapitalbildung beachtenswert.
Die Alterung der Bevölkerung insgesamt wirkt sich vor allem auch auf die Altersstruktur der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter aus - dies allerdings nur zum Teil, da der höhere Anteil Hochaltriger sich kaum auf das Erwerbspersonenpotenzial auswirkt. Nach vorliegenden Berechnungen wird das Durchschnittsalter der Erwerbsbevölkerung bis 2020 um gut zwei Jahre ansteigen;
In den Betrieben war und ist es allzu oft üblich, sich der alternden Belegschaften durch verschiedene Maßnahmen zu entledigen: Direkte Entlassungen in die Arbeitslosigkeit und/oder verschiedene Formen der Frühverrentung, die Präferierung Jüngerer bei Einstellungen - alle diese Maßnahmen haben zu den niedrigen Beschäftigungsquoten geführt. Diese Politik ist nun nicht mehr durchzuhalten.
II. Was denken die Personal- verantwortlichen?
Dass der Einschätzung der Fähigkeiten und Fertigkeiten älterer Arbeitnehmer durch die Betriebe eine ganz wichtige Rolle bei der Erhöhung der Erwerbsquoten, beim Umgang mit alternden Belegschaften und - nicht zuletzt - bei der Frage der Wiedereingliederungschancen arbeitslos gewordener Älterer zukommt, ist selbsterklärend. Nicht zuletzt deswegen hebt die EU-Kommission diesen Ansatzpunkt im einleitend zitierten Text hervor. Im Entwurf zum Gemeinsamen Beschäftigungsbericht 2002 stellt die Kommission aber zu den Erfolgen leicht resignierend fest: "In einigen Fällen werden Sensibilisierungskampagnen für Arbeitgeber durchgeführt, um eine positivere Einschätzung des Potenzials älterer Arbeitskräfte zu bewirken, doch erfordern die angestrebten Veränderungen nachhaltige Aktion über einen längeren Zeitraum hinweg."
Welche Meinungen gegenüber älteren Mitarbeitern bzw. Bewerbern hegen Personalverantwortliche wirklich? In der Forschung dominierten bisher branchenspezifisch
Gefragt wurde dabei im Verlaufe des Interviews - zunächst noch ohne Bezug zum Thema "Ältere" -, welche von einer längeren Liste von Eigenschaften für die Mehrheit der Arbeitsplätze im befragten Betrieb sehr wichtig, wichtig oder wenig wichtig seien. Die Befragung erbringt einen auf den ersten Blick überraschenden Befund: Entgegen landläufigen Vorstellungen, die nicht zuletzt aus der modernen Managementliteratur und auch aus der Arbeitssoziologie genährt werden, dass nämlich im modernen Turbokapitalismus Kreativität und Flexibilität bei weitem die wichtigsten Mitarbeitereigenschaften seien, dominieren die "eher klassischen Tugenden". Die höchsten Wichtigkeitszuschreibungen erzielen Arbeitsmoral/Arbeitsdisziplin (74 Prozent sehr wichtig) und Qualitätsbewusstsein (66 Prozent) sowie auf Rang vier Erfahrungswissen (54 Prozent). Flexibilität (56 Prozent) rangiert nur kurz davor auf Platz drei unter den als sehr wichtig eingestuften Eigenschaften. Bildet man einen Index der Wichtigkeit von Eigenschaften
Dieses Grundmuster gilt bei getrennter Auswertung für west- und noch ausgeprägter für ostdeutsche Betriebe.
In einer Folgefrage wurden die Betriebe gebeten, zu den vorgegebenen Eigenschaften zu sagen, ob sie diese als eher bei Jüngeren oder Älteren ausgeprägt sehen oder ob es da "keinen Unterschied" gibt. In Abbildung 5 wird deutlich, dass sich in den geäußerten Einstellungen der Personalverantwortlichen das globale Urteil, "Ältere sind nicht weniger, sondern anders leistungsfähig als Jüngere"
Verknüpft man die mit dem Index gewichtete Bedeutungszuweisung von Mitarbeitereigenschaften mit den relativen Bewertungen für Jüngere bzw. Ältere, so zeigt sich:
- Ältere Arbeitnehmer werden von den Personalverantwortlichen zwar mit einem anderen Leistungsportefeuille wahrgenommen als Jüngere, insgesamt aber keinesfalls als weniger leistungsfähig.
- Kleinere Betriebe beurteilen Ältere deutlich positiver als Großbetriebe.
- Betriebe mit einem höheren Anteil an über 50-Jährigen in ihrer Belegschaft schätzen die Leistungsfähigkeit Älterer positiver ein als Betriebe ohne bzw. mit einem nur geringeren Anteil Älterer.
Auch wenn man den Aspekt abzieht, dass die Befragten wohl in diesen Fragen eher zu beschönigenden Antworten neigen - Altersdiskriminierung ist etwas, wozu man sich wohl nicht so leicht bekennt -, so lassen diese Zahlen aus dem Betriebspanel 2002 und einige ähnliche Ergebnisse aus dem Betriebspanel 2000
III. Was tun die Betriebe?
Mit der listengestützten Frage "Welche der folgenden Maßnahmen, die sich auf die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer beziehen, gibt es in Ihrem Betrieb/Ihrer Dienststelle?" wurde die Verbreitung entsprechender Maßnahmen untersucht (vgl. Tab. 1). In diese Auswertung gehen nur diejenigen 59 Prozent aller Betriebe ein, die in einer Vorfrage angaben, dass sie unter ihren Beschäftigten überhaupt 50-Jährige und Ältere haben.
Zunächst relativiert sich die zitierte Tendenz einer mit zunehmender Betriebsgröße weniger positiven Einstellung gegenüber Älteren. Nur sieben Prozent aller Kleinstbetriebe, aber 92 Prozent aller Betriebe mit 500 und mehr Beschäftigten geben an, Maßnahmen für ältere Mitarbeiter zu praktizieren. Dieser erste Eindruck täuscht aber. Kleinstbetriebe können z. B. nur schwer altersgemischte Arbeitsteams bilden - eine sonst überaus sinnvolle Maßnahme. Gleiches gilt für die - weniger sinnvolle, weil nicht präventive, sondern passive und auch nicht in Quantitäten realisierbare - "Herabsetzung der Leistungsanforderungen" bzw. "Besondere Ausgestaltung der Arbeitsplätze" (also Schonarbeitsplätze). Auch eine Einbeziehung Älterer in Weiterbildungsmaßnahmen bzw. das Angebot spezifischer altersgerechter Weiterbildung ist in Kleinbetrieben eher unwahrscheinlich, da bei ihnen - zumindest einige Mitarbeiter betreffende - Weiterbildungsförderung durch zumindest partielle Kostenübernahme oder Freistellungen weniger verbreitet ist; jene steigt von unter 30 Prozent in Betrieben mit einem bis neun Beschäftigten auf fast 100 Prozent in westdeutschen Betrieben mit 1 000 und mehr Beschäftigten an.
Dass neben dieser in ihrer Verbreitung unzureichenden Ausrichtung von und Beteiligung Älterer an Weiterbildungsmaßnahmen nur noch die altersgemischten Arbeitsgruppen sowie die Altersteilzeit eine nennenswerte Rolle spielen, wird dem Problem nicht gerecht: Der statistische Wert von sechs Prozent Betriebe insgesamt (und gerade auch derjenige von 33 Prozent bei Großbetrieben), die auf das Instrument altersgemischter Teams setzen (mit welcher Verbreitung innerhalb des jeweiligen Betriebes auch immer), kann nicht zufrieden stellen. Elf Prozent Betriebe mit Altersteilzeitregelungen überhaupt, und 86 Prozent bei den Großbetrieben wären auch nur dann ein einigermaßen befriedigender Anteil, wenn dieses Instrument mehr im Sinne eines (teilzeit)gleitenden Übergangs in den Ruhestand praktiziert würde und nicht in Form des so genannten Blockmodells, das nichts anderes ist als eine subventionierte vorzeitige Externalisierung Älterer. Das Blockmodell trägt nämlich dazu bei, "die fatale Spirale von Intensivierung und schnellerem Verschleiß der Arbeitskraft fortzusetzen, während ein echtes Teilzeitmodell Ansatzpunkte bieten könnte, diesen Trend zu verlangsamen oder zu stoppen"
Ältere Arbeitnehmer sind eigentlich weniger wegen eines höheren Entlassungsrisikos eine Problemgruppe des Arbeitsmarktes - da bieten die bestehenden Kündigungsschutzregelungen (noch) einen gewissen Schutz. Zur Problemgruppe werden sie vor allem, weil Ältere - sind sie einmal arbeitslos geworden - kaum noch eine Chance haben, eine neue Stelle zu finden.
IV. Fazit
Dass Qualifikationen wie Arbeitsmotivation, Qualitätsbewusstsein etc. so sehr über Eigenschaften wie Flexibilität, Kreativität etc. aus der Sicht von Personalverantwortlichen hinsichtlich der Anforderungen an ihre Mitarbeiter dominieren, konnte erstmals mit dem Betriebspanel auf repräsentativer Basis und mit einer so großen Stichprobe belegt werden. Noch wichtiger ist jedoch der Befund, dass Ältere in der Summe gewünschter Qualifikationen nicht schlechter abschneiden als Jüngere.
Erstens: Sind die von verschiedenen Seiten durchgeführten Kampagnen bei Betrieben überhaupt noch nötig, die den Arbeitgebern den "Jugendwahn" ausreden und den Wert des Erfahrungswissens älterer Mitarbeiter nahe bringen sollen?
Zweitens: Warum weicht die personalpolitische Praxis der Betriebe von diesen durchaus positiven Einstellungsmustern so eklatant ab? Warum sind angesichts der demographischen Herausforderungen Maßnahmen für Ältere so wenig verbreitet?
Die Antwort auf die erste Frage ist ein klares Ja: Es ist hier noch einiges zu tun.
Es ist viel zu wenig bekannt, dass solche Stereotype ebenso falsch sind wie das "Defizitmodell des Alters". So hat die Europäische Kommission erst jüngst darauf verwiesen, dass befristete Beschäftigungsverhältnisse zwar oft für Jüngere und Höherqualifizierte z. T. auch akzeptable Perspektiven bieten können, weniger aber für Geringqualifizierte und für Ältere.