I. Einleitung
Unter den Herausforderungen, denen sich die Bevölkerungen der reichen Länder gegenübersehen, steht der Wandel ihrer Altersstruktur mit an vorderster Stelle. Diese demographische Entwicklung - gewöhnlich (etwas missverständlich) als "Altern der Gesellschaft" bezeichnet - zählt zu den tiefgreifendsten gesellschaftlichen Umbrüchen der kommenden Jahrzehnte. Dabei ist nicht nur an den zunehmenden quantitativen Anteil der Älteren an der Bevölkerung zu denken, sondern auch an die damit verbundenen qualitativen und strukturellen Veränderungen.
Zugleich hat der Ruhestand seinen Charakter als "Restzeit", die es irgendwie zu durchleben gilt, verloren und ist zu einer eigenständigen, längeren Lebensphase geworden. Sie erfordert den Entwurf neuer biographischer Projekte und stellt die Frage der Beteiligung am gesellschaftlichen Leben in neuer Form. Und die heutigen Älteren erreichen den Ruhestand im Durchschnitt in besserer gesundheitlicher Verfassung, mit besseren Qualifikationen und mit einer besseren materiellen Absicherung als frühere Generationen. Die wachsende Gruppe der Älteren gerät damit nicht nur als sozialpolitische "Alterslast", sondern auch als ein bisher viel zu wenig beachtetes Potenzial von Interessen und Fähigkeiten ins Blickfeld.
Die Institutionalisierung des Alters als Ruhestand und damit als eigenständige Lebensphase entspricht lange gehegten Wünschen der arbeitenden Menschen und ihrer gewerkschaftlichen und politischen Vertreter. Wie jeder Erfolg schafft allerdings auch dieser seine eigenen Folgeprobleme. Im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen zurzeit die ökonomischen Probleme der Finanzpolitik und der Arbeitskosten. Die lange Zeit jenseits des Erwerbslebens wirft jedoch auch psychologische und soziologische Probleme auf: solche der individuellen Entwicklung und Sinnfindung und solche der gesellschaftlichen Integration und Partizipation.
Für die Forschung stellt sich mit dem tief greifenden Strukturwandel des Alters die Aufgabe einer Dauerbeobachtung, die - um die Unterscheidung von Robert Musil aufzugreifen - "Wirklichkeitssinn" und "Möglichkeitssinn" vereint: Sinn für das, was gegeben ist, ebenso wie für das, was sich daraus entfalten kann. Der Wandel reicht jedoch weit über die Altersphase im engeren Sinne hinaus. Alle Lebensalter erhalten ein neues Gewicht; die Beziehungen und Austauschprozesse zwischen ihnen sind neu zu bestimmen. Die Forschung über die Zukunft des Alterns wird zu einem notwendigen Teil der Forschung über die Zukunft der Gesellschaft. In dieser Perspektive ist der Alters-Survey angelegt, eine mit Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte repräsentative Untersuchung der 40- bis 85-jährigen Deutschen in Privathaushalten.
II. Der Alters-Survey
Das Ziel des Alters-Survey ist eine umfassende Beobachtung des Alternsprozesses der deutschen Bevölkerung. Es geht um die Bereitstellung von Informationsgrundlagen für Politik und gesellschaftliche Selbstverständigung und zugleich um die Bearbeitung der entsprechenden Forschungslücken. Zwar gab es bereits eine Reihe größerer sozialwissenschaftlicher Datensätze, mit denen die Lebenslagen im Alter beschrieben und Fragen des Alterns der Gesellschaft bearbeitet werden können. Dazu gehören insbesondere das Sozio-ökonomische Panel (SOEP), das von den verschiedensten Forschern für eine Vielzahl von Fragestellungen genutzt wird, der Wohlfahrtssurvey, dessen Programm in der gleichzeitigen Messung von objektiven Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden besteht, sowie der Familien-Survey des Deutschen Jugend-Instituts. Gegenüber diesen Erhebungen bringt der Alters-Survey in dreifacher Hinsicht Neues: durch die Größe und Zusammensetzung seiner Stichprobe, durch die Konzentration auf die zweite Lebenshälfte sowie durch die Verbindung von soziologischen und psychologischen Erhebungsinstrumenten.
Der Alters-Survey basiert auf einer großen, repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung von 40 bis 85 Jahren. Auf dieser Basis können valide Ergebnisse zur Verbreitung und Bedingungsstruktur von Lebenslagen und Lebenskonzepten gewonnen werden - auch solcher Dimensionen, die bisher nur mit lokalen oder nicht-repräsentativen Stichproben untersucht worden sind. Zugleich ist die Stichprobe (in der ersten Welle 4838 Befragte) groß genug, um auch kleinere Bevölkerungsgruppen noch mit Aussicht auf Erfolg analysieren zu können. Beispiele dafür sind diejenigen, die im Alter noch an formaler Bildung partizipieren, oder diejenigen, die in altersspezifischen Organisationen oder in selbstorganisierten Tätigkeiten engagiert sind. Es handelt sich um interessante Gruppen, die oft viel öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, aber typischerweise eine so geringe Verbreitung haben, dass sie in konventionellen Repräsentativuntersuchungen kaum zu erfassen sind.
Dass der Alters-Survey nicht die ganze (erwachsene) Bevölkerung umfasst - obwohl nach dem bekannten Diktum von Max Bürger das Altern schon bei der Geburt beginnt -, hat nicht allein mit Überlegungen zur Optimierung der Stichprobengröße zu tun, sondern auch mit solchen zur thematischen Ausrichtung. Die Erfassung von größeren Lebenszusammenhängen muss eine gewisse Breite haben und läuft damit Gefahr, sich in der Beliebigkeit eines additiven Katalogs von Variablen zu verfransen. Die Ausrichtung auf den Alternsprozess erzeugt einen thematischen Zusammenhang, der sowohl theoretisch (im Hinblick auf die gesellschaftliche Altersgliederung und die Veränderungen im Lebenslauf) als auch empirisch (im Hinblick auf die Institutionen, die das Alter prägen, und die Schwerpunkte der Lebensführung) begründet ist.
Der Alters-Survey schließt die gesamte zweite Lebenshälfte (ab 40 Jahren) ein. Ein Grund dafür ist der Wunsch, auch die "Alten der Zukunft" einzubeziehen. Unterstellt wird dabei, dass es neben den Alterseffekten auch erhebliche Kohorteneffekte gibt. Das kann in manchen Punkten (z.B. der demographischen Struktur oder der Ausstattung mit Ressourcen wie Einkommen und Bildung) durchaus plausibel gemacht werden, auch wenn eine präzise Trennung zwischen Alters- und Kohorteneffekten - und damit eine verlässliche Prognose - erst auf der Basis der Paneluntersuchung möglich sein wird. Ein zweiter Grund ist der Wunsch, auch den Vorlauf der eigentlichen Altersphase - die Endphase des Erwerbslebens und den Übergang in den Ruhestand - beobachten zu können, weil darin wesentliche biographische Vorbedingungen für die Altersphase geschaffen werden. Drittens schließlich geht es darum, sich für die Analyse der gesellschaftlichen Beziehungen im Ruhestand hinreichende Vergleichsperspektiven zu öffnen. In der Arbeitsgesellschaft ist auch der Ruhestand strukturell durch die Abgrenzung zur Erwerbsphase bestimmt. Für Fragen der gesellschaftlichen Integration, Partizipation und Produktivität im Alter ist der Vergleich mit der Erwerbsphase unerlässlich.
Auf der anderen Seite bleibt der Alters-Survey auf die Bevölkerung bis 85 Jahre (in der sechs Jahre später durchgeführten Panelerhebung der zweiten Welle bis 91 Jahre) beschränkt. Dies hat hauptsächlich erhebungspraktische Gründe. Im sehr hohen Alter nimmt die Schwierigkeit der Erreichbarkeit von repräsentativ ausgewählten Befragungspersonen stark zu und ihre Fähigkeit zum selbständigen Beantworten des Fragebogens aufgrund verschiedenster Behinderungen ab. Zudem macht die Bevölkerung in Privathaushalten einen zunehmend geringeren Anteil der Gesamtbevölkerung aus, sodass Aussagen über Letztere ohnehin nur noch eingeschränkt möglich wären. Die Begrenzung bei 85 Jahren und die Beschränkung auf Privathaushalte haben für den Alters-Survey zur Folge, dass die typischen Behinderungen und Gesundheitsrisiken, die im sehr hohen Alter rasch zunehmen und bei der Bevölkerung in Heimen viel höher liegen, nur in Ansätzen erfasst werden.
Das zunehmende demographische Gewicht der älteren Bevölkerungsgruppen erfordert eine möglichst genaue Kenntnis sowohl ihrer soziologischen wie auch ihrer psychologischen Charakteristika. Der Alters-Survey hat in dieser Verbindung einen Schwerpunkt. Er umfasst eine gemeinsame Erhebung von Lebenszusammenhängen sowie Selbst- und Lebenskonzepten - also eines soziologischen Programms, das sich insbesondere auf Lebenslagen, Ressourcenflüsse und soziale Einbettung richtet, und eines psychologischen Programms, das sich auf Fragen der personalen Entwicklung im Lebenslauf konzentriert. Die Rolle psychischer Determinanten wurde in der Survey-Forschung bisher nicht im gleichen Umfang berücksichtigt wie soziologische oder demographische Indikatoren. Gerade in der Alternsforschung ist dies ein besonderer Mangel. Der Ruhestand kann, solange die Gesundheit und andere Ressourcen es zulassen, unter Umständen einen größeren Spielraum für neue Verhaltens- und Erlebensweisen eröffnen als die "aktive" Berufs- und Familienphase. Manche der kanalisierenden, begrenzenden Strukturen des täglichen Lebens in Beruf und Familie - wie sie für die jüngeren und mittleren Altersgruppen typisch sind - fallen im Ruhestand und in der "empty nest"-Familie weg. Der Gestaltungsspielraum kann also wachsen; er hängt allerdings nicht nur von den äußeren (sozialen) Strukturen des Alltags und den sie beeinflussenden Bedingungen ab, sondern auch von den inneren (psychischen) Strukturen.
Mit den Daten der ersten Welle haben wir einzelne zentrale Bereiche umfassend analysiert, insbesondere jene der familialen Generationenbeziehungen
III. Ausgewählte empirische Befunde
1. Wohnen im Alter
Wohnungsausstattung und Wohnumfeld stellen Handlungsräume und Sinndimensionen bereit, die mit steigendem Alter zunehmend wichtiger werden. Dies liegt an einer Vielzahl von Faktoren, beispielsweise dem Fortfall arbeitsweltlicher Bezüge, der im Alter zunehmenden Zeit, die in der Wohnung verbracht wird, oder der Möglichkeit einer längeren Aufrechterhaltung selbstständiger Lebensführung bei entsprechend altersgerechter Ausstattung. Im Alters-Survey wurden differenzierte Analysen zu Wohnstandard, Wohnumfeld, Wohnkosten, Wohnzufriedenheit und persönlicher Bedeutung des Wohnens unternommen.
Der Wohnstandard wurde anhand mehrerer Indikatoren bestimmt, die sich auf Heizung, Sanitäreinrichtungen, Wohnfläche, Belegungsdichte, Erreichbarkeit sowie Vorhandensein von Freiflächen beziehen. Die detaillierte Momentaufnahme für das Jahr 1996 zeigt (noch) deutliche Unterschiede im Wohnstandard zwischen Ost und West und auch solche zwischen den Altersgruppen, wobei Letztere in den alten Bundesländern geringer ausfallen. Beispielsweise fehlt eine Zentral- oder Etagenheizung bei nur fünf Prozent der 40- bis 54-Jährigen und bei acht Prozent der 70- bis 85-Jährigen im Westen. Der Anteil derjenigen, die weder Bad noch Dusche in der eigenen Wohnung haben, beträgt hier bei den 40- bis 54-Jährigen ein Prozent, bei den 70- bis 85-Jährigen zwei Prozent. In den neuen Bundesländern sind diese Anteile insgesamt wesentlich höher und die Unterschiede zwischen den Altersgruppen ausgeprägter: Eine Zentral- oder Etagenheizung fehlt hier bei 17 Prozent der 40- bis 54-Jährigen und bei 30 Prozent der 70- bis 85-Jährigen. Der Anteil derjenigen, die weder Bad noch Dusche in der eigenen Wohnung haben, beträgt bei den 40- bis 54-Jährigen im Osten Deutschlands knapp drei Prozent und bei den 70- bis 85-Jährigen zwölf Prozent.
In manchen Fällen kumulieren diese Ausstattungsmängel. Insgesamt fehlen alle drei genannten Ausstattungsmerkmale bei sechs Prozent der Wohnungen der 70- bis 85-Jährigen in den neuen Bundesländern, aber nur bei 0,4 Prozent dieser Altersgruppe in den alten Bundesländern. Die Abbildung 1 veranschaulicht die Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland sowie den Anstieg der Ausstattungsmängel über die Altersgruppen, der in den neuen Bundesländern stärker ausgeprägt ist und auf höherem Niveau beginnt.
Die Einschätzungen der Befragten zum Wohnumfeld bezüglich Verkehrsanbindung und Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen unterscheiden sich dagegen nur geringfügig zwischen Ost und West, und auch die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind gering. Jeweils knapp zwei Drittel sehen beispielsweise genug Einkaufsmöglichkeiten und eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, nur rund zehn Prozent sind der Ansicht, dass es in ihrer Gegend an Ärzten und Apotheken fehlt. Stärker ausgeprägt sind hier die Differenzen zwischen Stadt und Land.
Deutlich sind die Ost-West-Differenzen wiederum bei den Wohnkosten. Die Mieter im Westen wenden im Mittel rund 480 Euro, die Eigentümer rund 440 Euro auf, jene im Osten 335 bzw. 315 Euro. Die relative Belastung liegt in den neuen Bundesländern trotz der niedrigeren Einkommen sogar noch etwas tiefer als im Westen, und auch die Altersgruppenunterschiede sind in beiden Regionen nur schwach ausgeprägt. Sehr deutlich treten dann aber Differenzen nach sozialer Schicht zu Tage, d.h., die finanziell Bessergestellten zahlen zwar deutlich höhere Mieten, diese machen aber trotzdem einen erheblich geringeren Anteil an ihrem verfügbaren Einkommen aus als bei den finanziell Schlechtergestellten.
Die subjektive Bewertung der Wohnsituation ist insgesamt ausgesprochen positiv: Ein Drittel der 40- bis 85-Jährigen bewertet sie mit sehr gut, mehr als 84 Prozent geben die Note sehr gut oder gut. Lediglich vier Prozent sprechen von einer schlechten oder sehr schlechten Wohnsituation. In den neuen Bundesländern sind dies mit sieben Prozent zwar mehr als in den alten, jedoch sind diese Differenzen nicht so groß, wie man aufgrund des unterschiedlichen Wohnstandards hätte vermuten können - die objektive Wohnsituation spiegelt sich nicht ungebrochen in den subjektiven Bewertungen. Letztere sind stärker handlungsbestimmend; für die Veränderungsabsichten beispielsweise haben die subjektiven Bewertungen ein höheres Gewicht als die objektiven Merkmale der Wohnsituation.
2. Partizipation und Engagement
Bei dem breiten Fächer von (produktiven und konsumtiven) Tätigkeiten zeigt sich fast durchwegs ein deutlicher Rückgang in den höheren Altersgruppen. Die einzigen Ausnahmen aus unserem Erhebungsspektrum, bei denen eine klare Zunahme zu verzeichnen ist, sind Fernsehen sowie Lösen von Kreuzworträtseln bzw. Denksportaufgaben - also Tätigkeiten, die zu Hause und allein stattfinden können. Ein Viertel der 70- bis 85-Jährigen ist denn auch die ganze Woche über - mit Ausnahme von kurzen Einkäufen oder Spaziergängen - den ganzen Tag zu Hause. Bei den 40- bis 54-Jährigen liegt dieser Anteil nur bei sieben Prozent, bei den 55- bis 69-Jährigen schon bei 14 Prozent. Auch wenn ein Teil des so erkennbaren Rückzugs in das Private durch gesundheitliche Einschränkungen bedingt ist, spricht hier doch einiges für ein freiwilliges Disengagement.
Besonders ernüchternd wirken die Ergebnisse im Hinblick auf die neueren Formen der gesellschaftlichen Partizipation, die in den letzten Jahren so häufig im Zentrum der Aufmerksamkeit standen, wie z.B. die Beteiligung an politischen Interessenvertretungen Älterer (etwa in Seniorenbeiräten bzw. -vertretungen oder Seniorenarbeit in Parteien und Gewerkschaften), an Seniorenakademien, Weiterbildungsgruppen oder an Seniorengenossenschaften und -selbsthilfegruppen. Fassen wir diese drei Kategorien zusammen, so liegt hier der Anteil der Mitglieder bei nur 3,5 Prozent, der Anteil der Aktiven sogar nur bei 0,8 Prozent. Selbst wenn diesen Gruppen eine gewisse Symbolfunktion und ein Modellcharakter für künftige Entwicklungen zugesprochen werden kann, so handelt es sich doch empirisch heute (noch) um ausgesprochene Randphänomene.
Richtet man den Blick jedoch auf weniger spektakuläre Tätigkeitsfelder, werden andere Schlussfolgerungen möglich. An dieser Stelle wollen wir einen kleinen Ausschnitt in den Blick nehmen.
Unter Ehrenamt verstehen wir hier das "traditionelle" soziale und politische Ehrenamt in Verbänden und Parteien ebenso wie das "neue" Ehrenamt in selbst- oder fremdorganisierten Gruppen, das Ehrenamt auf gesetzlicher Grundlage sowie Funktionen ohne explizite verbandliche Anbindung (z.B. als Elternvertreter, Schöffe oder ehrenamtlicher Bürgermeister). Auch hier zeigt sich ein klarer Rückgang der Beteiligung über die Altersgruppen - von 22 Prozent bei den 40- bis 54-Jährigen über 13 Prozent bei den 55- bis 69-Jährigen auf sieben Prozent bei den 70- bis 85-Jährigen. In den neuen Bundesländern ist ein ehrenamtliches Engagement in allen Altersgruppen deutlich seltener als in den alten (vgl. Abbildung 2).
Die höchste Quote von ehrenamtlich Tätigen unter den 40- bis 85-Jährigen findet sich bei den Sportvereinen (knapp vier Prozent), danach folgen gesellige Vereinigungen und kirchliche bzw. religiöse Gruppen (jeweils zwei Prozent) sowie die wohltätigen Organisationen (ein Prozent). Die älteren (über 70-jährigen) Frauen sind häufiger in altersspezifischen Gruppierungen aktiv (überwiegend in Seniorenfreizeitstätten, Seniorentreffpunkten, Sport- oder Tanzgruppen usw.), während sich das Engagement der älteren Männer weiter auf den altersunspezifischen Bereich konzentriert (z.B. Sportvereine oder gesellige Vereinigungen). Vergleichsweise hoch liegt mit gut vier Prozent auch der Anteil der Ehrenämter und Funktionen, die nicht an einen Verein oder Verband gebunden sind - von allen ehrenamtlich Tätigen sind 28 Prozent (ausschließlich oder zusätzlich) in einer solchen Funktion tätig.
Anders stellt sich die Situation bei der Betreuung von (Enkel-)Kindern dar. Diese Tätigkeit ist bei den 55- bis 69-Jährigen am häufigsten (27 Prozent). Die geringeren Anteile bei den Älteren (16 Prozent) und Jüngeren (zwölf Prozent) hängen wahrscheinlich in erster Linie mit den Gelegenheitsstrukturen zusammen: Bei den 40- bis 54-Jährigen sind Enkelkinder noch selten, bei den 70- bis 85-Jährigen haben diese oftmals ein Alter erreicht, in dem die Betreuung überflüssig wird. Anders als beim Ehrenamt sind es mehr die Frauen, die in diesem Bereich tätig sind. Der Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern geht hier im Vergleich zum Ehrenamt in die umgekehrte Richtung: Von beiden Geschlechtern und in allen Altersgruppen wird diese Tätigkeit im Osten häufiger ausgeübt. Auch dies dürfte vor allem auf die Gelegenheitsstrukturen zurückgehen: In der ältesten Altersgruppe liegt der Anteil von Personen mit Kindern, Enkeln und Urenkeln im Osten deutlich über jenem im Westen (36 gegenüber 17 Prozent). Ähnliches gilt für die 54- bis 69-Jährigen: Drei Viertel dieser Altersgruppe in den neuen, aber nur rund die Hälfte in den alten Bundesländern haben Kinder und Enkel. Dies ist ein Ergebnis der lange Zeit höheren Fertilität und des niedrigeren Alters der Eltern bei der Geburt der Kinder in Ostdeutschland.
Pflegetätigkeiten schließlich sind in Ost- und Westdeutschland etwa gleich häufig, die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind weniger stark ausgeprägt. Deutlich ist jedoch die höhere Quote der pflegenden Frauen. Dieser Unterschied zwischen Frauen und Männern ist am höchsten in der jüngsten Altersgruppe, in der es hauptsächlich um die Pflege der (Schwieger-)Eltern geht, und geringer in der mittleren und höchsten Altersgruppe, in der die Pflege des (Ehe-)Partners in den Vordergrund tritt. Pflege außerhalb der Familie nimmt über die Altersgruppen zu: Von den Pflegenden betreuen zehn Prozent der 40- bis 54-Jährigen, 22 Prozent der 55- bis 69-Jährigen, und 28 Prozent der 70- bis 85-Jährigen eine Person, mit der sie nicht verwandt sind.
Insgesamt ist der Zeitaufwand für die Pflegetätigkeit mit durchschnittlich 81 Stunden pro Monat wesentlich höher als z.B. jener für die (Enkel-) Kinderbetreuung mit 41 Stunden. Aber auch hier ist die Varianz extrem groß. Wo (Ehe-)Partner gepflegt werden, handelt es sich nicht selten um eine Betreuung "rund um die Uhr", so dass der durchschnittliche Zeitaufwand hier 240 Stunden pro Monat beträgt. Primär aus diesem Grund ist der durchschnittliche Zeitaufwand bei den Älteren mit 115 Stunden denn auch doppelt so hoch wie bei den Jüngeren (54 Stunden).
Für diese drei Tätigkeiten gilt also ebenfalls, dass sie - wenn auch in ganz unterschiedlichem Ausmaß - im höheren Alter seltener ausgeübt werden. Fassen wir diese Tätigkeiten zusammen, so wird jedoch deutlich, dass auch die Älteren noch in erstaunlich hohem Maße aktiv sind: 27 Prozent der 70- bis 85-Jährigen gehen mindestens einer dieser drei Tätigkeiten nach. Selbst die 70- bis 85-Jährigen sind also nicht nur "passive" Empfänger von familialen oder sozialstaatlichen Hilfen und Transfers, sondern sie tragen selbst in beträchtlichem Maße produktiv etwas zur Gesellschaft bei - es handelt sich um Tätigkeiten, mit denen sie erhebliche wirtschaftliche Leistungen bzw. Leistungen der sozialen Sicherung erbringen.
Dies wird anschaulicher, wenn wir ein überschlagsmäßiges Rechenexempel durchführen. Zählen wir jene Stunden zusammen, die unsere über 59-jährigen Befragten in den drei primär unentgeltlichen Bereichen Ehrenamt (nur in Vereinen und Verbänden), Betreuung von (Enkel-)Kindern und Pflege monatlich tätig sind, so kommen wir auf die Summe von 39715 Stunden pro Monat. Ziehen wir zwei Monate für Urlaub und anderes ab, so wären das 397154 Stunden produktiver Tätigkeit im Jahr. Rechnen wir dies hoch auf die Gesamtbevölkerung zwischen 60 und 85 Jahren, also auf knapp 15,3 Millionen Personen, so ergibt sich die beeindruckende Zahl von 3,5 Milliarden Stunden. Setzen wir schließlich einen durchschnittlichen Wert von 11,80 Euro pro Stunde an - den damaligen durchschnittlichen Netto-Stundenlohn eines Beschäftigten in Organisationen ohne Erwerbscharakter, also der Wohlfahrtsverbände, Parteien usw. -, so ergibt sich ein Wert von 41,3 Milliarden Euro, den die 60- bis 85-Jährigen in der Bundesrepublik jährlich freiwillig und weitestgehend unentgeltlich erbringen. Das entspricht etwa 21 Prozent der gesamten jährlichen Zahlungen der gesetzlichen Rentenversicherungen und der Beamtenversorgung. Die Älteren dürfen also keineswegs pauschal als unproduktive Kostgänger des Sozialstaats diffamiert werden.
3. Intergenerationelle familiale Beziehungen
Das demographische Altern der Gesellschaft hat auch das familiale Generationenverhältnis verändert. Durch die zunehmende Lebenserwartung, den zeitweiligen Rückgang des Generationenabstandes und die sinkende Fertilität ist es zu einer starken "Vertikalisierung" der Familienstruktur gekommen, also zu einem Schwund der Familienmitglieder mit gleicher und einer Vermehrung derjenigen mit ungleicher Generationenzugehörigkeit. Die gemeinsame Lebenszeit der Generationen ist zudem erheblich länger geworden. Entgegen vielen Verfallsthesen sind - wie die Ergebnisse des Alters-Survey zeigen - die intergenerationellen familialen Beziehungen weitgehend lebendig und intakt. Das Zusammenwohnen der erwachsenen Generationen im selben Haushalt ist zwar überall in den westlichen Gesellschaften zur Ausnahme geworden. Die typische Wohnform im Alter sind heute Zwei- und Einpersonenhaushalte. Und während von den 40- bis 54-Jährigen, die mindestens ein lebendes Kind haben, 77 Prozent zusammen mit einem Kind im selben Haushalt wohnen, sind es von den 70- bis 85-Jährigen nur noch neun Prozent. Zieht man die Grenzen des "Zusammenwohnens" aber weiter, ergibt sich ein anderes Bild. Mehr als ein Viertel der 70- bis 85-Jährigen lebt mit einem Kind unter einem Dach (im selben Haushalt oder in getrennten Haushalten im selben Haus). 45 Prozent haben mindestens ein Kind in der Nachbarschaft, bei mehr als zwei Dritteln wohnt das nächste Kind zumindest im selben Ort und bei neun Zehnteln nicht weiter als zwei Stunden entfernt. Von einer räumlichen Isolation der älteren Eltern von ihren Kindern kann also nur bei einer Minderheit die Rede sein.
Noch deutlicher sprechen die Befunde über die materiellen Transfers (Geld und größere Sachgeschenke in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung) sowie die instrumentellen Unterstützungen zwischen den Generationen in der Familie gegen die oftmals behauptete Auflösung des familialen Generationenverhältnisses. Abbildung 3 stellt die Transferströme innerhalb der Generationenfolge den instrumentellen Hilfeleistungen - gefragt wurde nach Arbeiten im Haushalt, z.B. beim Saubermachen, bei kleineren Reparaturen oder beim Einkaufen - gegenüber. Es zeigt sich eine deutliche Asymmetrie: Materielle Werte fließen im Wesentlichen von den älteren an die jüngeren Generationen. Transferströme in umgekehrter Richtung sind kaum zu sehen. Jede vierte 70- bis 85-jährige Person leistet materielle Transfers an mindestens eines ihrer Kinder, jede siebte (auch) an die Enkel. Aber nur drei Prozent erhalten materielle Transfers von den Kindern und praktisch niemand von den Enkelkindern. Der Sozialstaat ist insofern sehr erfolgreich - die erwachsenen Kinder müssen nur in Ausnahmefällen ihre Eltern finanziell unterstützen, und die Älteren können im Gegenteil aus ihren laufenden Einkünften oder ihrem Ersparten den Kindern aushelfen. Auf der anderen Seite erhält gut ein Fünftel der Älteren instrumentelle Unterstützung von den Kindern, während nur knapp sieben Prozent ihre Kinder unterstützen; das Verhältnis zu den Enkelkindern ist ähnlich. Fassen wir beide Unterstützungsformen zusammen, so erweisen sich die Älteren aber überwiegend als Geber.
Vom Umfang her noch bedeutsamer als die materiellen Transfers zu Lebzeiten der Geber sind die Erbschaften. Die westlichen Länder haben in den fünfziger und sechziger Jahren eine historisch einmalige Boom-Phase erlebt - mit ökonomischen Wachstumsraten, die vorher nie erreicht wurden und auch in Zukunft nicht so leicht wieder erreichbar sein werden. Dieser Boom und auch das Wachstum in den folgenden Jahrzehnten hat es erlaubt, private Vermögen in großem Umfang wiederaufzubauen oder zu vermehren. Diese Vermögen stehen jetzt zunehmend zum Erbfall an. Der Alters-Survey liefert dazu erstmals aktuelle Daten.
Bis zum Befragungszeitpunkt im Jahre 1996 hatten 44 Prozent der 40- bis 85-Jährigen bereits etwas geerbt, und zwar ganz überwiegend von den (Schwieger-)Eltern (88 Prozent dieser Fälle). Sehr hohe Erbschaften sind allerdings selten. Die meisten Nachlässe haben einen kleineren bis mittleren Umfang. Knapp ein Fünftel der Erbschaften hat einen Wert von weniger als 5 000 DM, drei Viertel liegen unter 100 000 DM, und nur knapp zwei Prozent übersteigen eine Million. Soziale Ungleichheiten in der Kindergeneration werden durch Erbschaften eher vergrößert, durch materielle Transfers zu Lebzeiten dagegen auch verringert: Während Letztere eher an Kinder in besonderen Bedarfslagen gehen, werden erstere heute gewöhnlich gleichmäßig auf alle Kinder verteilt.
IV. Fazit und Ausblick
Insgesamt sind die Befunde des Alters-Survey nicht dazu angetan, das heutige Alter zu dramatisieren oder gar zu skandalisieren. In vielen Bereichen ergibt sich - gemessen an den üblichen Wohlfahrtskriterien - ein positives Bild, und auch für die nähere Zukunft erwarten wir auf dieser Grundlage keine dramatischen Verschlechterungen. Im Gegenteil: Jede jüngere Altersgruppe weist beim Übergang in den Ruhestand ein höheres Ausbildungsniveau, eine bessere Gesundheit und - zumindest bislang - eine bessere materielle Absicherung auf, verfügt also über mehr Ressourcen für eine eigenständige Lebensführung als die vorherige. Da Gesundheit, materielle Absicherung und vor allem das Bildungsniveau starke Prädiktoren der gesellschaftlichen Partizipation der Älteren (z.B. im ehrenamtlichen Engagement) sind, kann hier mit einer größeren Beteiligung gerechnet werden. Zugleich dürfte sich im Zuge der gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse der Anspruch auf sinnvolle Tätigkeiten erhöhen. Insofern können wir in diesen Bereichen der Zukunft optimistisch entgegensehen.
Ob das Altern der Gesellschaft eine Erfolgsgeschichte bleiben wird, ist derzeit allerdings eine offene Frage. Die anstehenden finanziellen Belastungen des Sozialstaats führen allerorten zu Überlegungen, die primär auf die Kürzung von Sozialleistungen abzielen. Der Europäisierungs- und Globalisierungsdruck wird von manchen politischen Akteuren im gleichen Sinne genutzt. Rentenkürzungen können jedoch auch über die direkt betroffenen Älteren hinaus negative Folgen haben, indem sie deren Ressourcen für gesellschaftliches Engagement und familiale Unterstützungsleistungen beeinträchtigen. Rentenkürzungen würden also nicht nur die Rentner selbst treffen, sondern auch die jüngeren Altersgruppen.
Zu berücksichtigen bleibt, dass mit den Querschnittsdaten des Alters-Survey keine Veränderungshypothesen geprüft werden können - es muss also vielfach offen bleiben, ob die Altersgruppendifferenzen auf Veränderungen im individuellen Alternsprozess oder auf dauerhaft unterschiedliche Merkmale der betreffenden Generationen (z.B. im Hinblick auf grundlegende Orientierungen und Präferenzen) zurückzuführen sind. Insofern erhoffen wir uns von der zweiten Befragungswelle reichhaltige neue Befunde. Aber auch ohne die zusätzlichen Möglichkeiten, die das Panel bieten wird, eröffnet der Alters-Survey noch viele weitere Analysemöglichkeiten zu den Fragen, die sich aus dem Alternsprozess und der Altersgliederung der Gesellschaft ergeben. Wir sind zuversichtlich, hier noch einiges beisteuern zu können, und gehen davon aus, dass auch andere diese reichhaltige Datenquelle intensiv nutzen werden.