Unsere Gesellschaft hat über eine zu lange Zeit die zunehmende Gefährdung ihrer eigenen Fundamente tabuisiert. So war "Familienpolitik" lange fast ein "Unwort" und wurde unter Ideologieverdacht gestellt. Die Folgen sind heute, und vor allem in naher Zukunft, zu besichtigen. Unsere "alternde Gesellschaft" - oder akademisch formuliert: der demographische Wandel - wird uns mit Herausforderungen konfrontieren, die sich viele bisher nicht vorstellen konnten oder wollten.
Was ist nun zu tun? Das Wichtigste, so Ursula Lehr in ihrem Essay, ist ein Mentalitätswandel, ein Bewusstsein dafür, wieder in (und für) Generationen zu denken. Dies betrifft sicherlich auch andere westliche Gesellschaften. Dabei geht es nicht darum, zu früheren Verhältnissen zurückzukehren, sondern den bevorstehenden Strukturwandel der Gesellschaft nicht nur als Problem, sondern auch als Chance zu begreifen.
Dass hinsichtlich des demographischen Wandels, einschließlich der anhaltenden Zuwanderung, dringender Handlungsbedarf besteht, verdeutlichen die Zahlen und Fakten, die Herwig Birg aus bevölkerungswissenschaftlicher Sicht darlegt. Hier werden Entwicklungen von einer Dramatik aufgezeigt, die in der deutschen Geschichte ihresgleichen suchen. Da die Ursachen für diese negativen Trends weitgehend gesellschaftliche und politische Motive hatten, sollte es auch möglich sein, nun wenigstens für die Zukunft verantwortlich zu handeln.
So wie sich die Jugendphase immer weiter ausdehnt und zu einem eigenen Lebensabschnitt wurde, so weitet sich auch die "zweite Lebenshälfte" immer mehr aus: Sie beginnt bereits in der mittleren Berufsphase und endet etwa in der Mitte der achtziger Lebensjahre - das sind viele Jahrzehnte, die vor allem nach dem Ende der Berufstätigkeit einen eigenen Lebensstil erfordern. Der sog. "Alters-Survey", über dessen wichtigste Ergebnisse Martin Kohli und Harald Künemund berichten, vermittelt genauere Kenntnisse über die Probleme wie auch die Möglichkeiten der veränderten Lebensbedingungen im Alter.
Wie ist es mit einer Gesellschaft bestellt, die einerseits die sehr hohen Sozialkosten beklagt, es andererseits aber duldet, dass schon Fünfzigjährige heute zum "alten Eisen" gehören, sie kaum mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt besitzen? Lutz Bellmann, Ernst Kistler und Jürgen Wahse haben im Rahmen einer größeren empirischen Untersuchung in Betrieben und Unternehmen gleichwohl erfahren, dass ältere Arbeitnehmer durchaus geschätzt sind und eine gemischte Altersstruktur zumal in kleinen und mittleren Betrieben für optimal gehalten wird.
In der Geschichte der Menschheit gab es bisher noch niemals eine so lange Altersphase, wie dies heute der Fall ist. Fast ohne Vorbereitung stehen wir vor der Aufgabe, im Rentenalter ein weiteres Vierteljahrhundert - nun in "eigener Regie" - zu gestalten. Viele überfordert das - nicht zuletzt auch deshalb, weil es bisher wenig Erfahrungen, Hilfen und Anregungen gibt. Ursula M. Staudinger plädiert dafür, dass nicht nur die Einzelnen, sondern auch Staat und Gesellschaft intensiver die Chancen dieses neuen Lebensabschnitts wahrnehmen und verantwortlich gestalten. Es kommt letztlich nicht so sehr darauf an, dem Leben immer weitere Jahre zu geben, sondern vielmehr den Jahren Leben.
Im Frühjahr 2002 stellte die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik" ihren Schlussbericht vor. Aus dem umfangreichen Text, der auch als Buchpublikation vorliegt, werden Auszüge dokumentiert.