Einleitung
Der Krieg der von den USA und Großbritannien geführten "Koalition der Willigen" gegen den Irak ist beendet. Die irakische Armee, von der eine Bedrohung für die USA und Israel ausgehen sollte, hat sich aufgelöst, ohne nennenswerte Rückstände zu hinterlassen. US-Soldaten reaktivieren die Polizei des gestürzten Regimes, und Demonstranten im schiitischen Süden skandieren: "Es lebe die Freiheit, es lebe der Islam! Nein zu Saddam, Nein zu Amerika!"
I. Abschnitt
Wie in der westlichen Welt wird dieser Krieg auch in der arabischen Welt als eine Zäsur begriffen. Selbst seriöse Kommentatoren angesehener Blätter wie auch die Zeitungen proamerikanischer Regime vergleichen die aktuellen Ereignisse mit 1948, der Niederlage der arabischen Armeen im Krieg gegen Israel und der folgenden massenhaften Vertreibung der Palästinenser. Eine zweite Nakba sei dies, eine Katastrophe, die - wie die Staatsgründung Israels - einen Krisenherd geschaffen habe, welcher der Region für weitere Jahrzehnte Instabilität und Unsicherheit garantieren werde. "Wir grüßen die arabische Armee des Irak, wir grüßen den Irak ohne Saddam Hussein!" - so feierte der Chefredakteur der konservativen Al-Hayat, Jihad Al-Khazen, die ersten amerikanischen Verluste und den unerwarteten Widerstand des Irak. Die Kolonialherrschaft sei zurück, so andere Stimmen. Mit dem Baath-Regime in Bagdad falle ein Erbe der arabischen Nationalbewegung, die aus dem Widerstand gegen die Kolonialmächte des frühen 20. Jahrhunderts hervorgegangen ist. Man stehe wieder am Anfang und müsse erneut um die Unabhängigkeit kämpfen.
Neu an dieser an panarabische Visionen erinnernden Rhetorik ist, dass sie die Kreise der Intellektuellen verlassen hat. Überregionale Fernsehsender - Al-Jazeera ist hier der bekannteste, aber längst nicht mehr der einzige dieser Sender - tragen diese Diskussionen in alle arabischen Gesellschaften, ungeachtet ihrer ideologischen Verfasstheit. Diese neuen, von lokalen Eliten nicht mehr allein kontrollierbaren Medien haben bereits in den letzten Jahren das Bewusstsein für das Leiden der irakischen Zivilbevölkerung unter den Folgen des Embargos wach gehalten, wie sie auch das Leben der palästinensischen Zivilisten unter den Bedingungen der Besatzung in die Wohnzimmer der arabischen Welt brachten. Jeder durchschnittliche arabische Fernsehzuschauer oder Zeitungsleser kennt detailliert die Auswirkungen des Embargos auf die irakische Zivilbevölkerung oder hat das denkwürdige Interview der damaligen US-Außenministerin Albright gesehen, in dem sie den Tod einer halben Million irakischer Kinder unter fünf Jahren als "Preis, der es wert ist" bezeichnet hat.
Vor diesem medialen Hintergrund und angesichts der ungeschminkten Berichterstattung über den vermeintlich bereits beendeten Krieg im Irak, welche den Arabern auch das ruhmlose Ende eines der ehemals mächtigsten Regime vor Augen führt, sind die Folgen in den einzelnen arabischen Gesellschaften noch nicht abzuschätzen. Ohne den Mythos der "arabischen Straße" bestärken oder über den viel beschworenen "Flächenbrand im Nahen Osten" orakeln zu wollen, sind wir Zeugen einer Zäsur im Verhältnis zwischen den Bevölkerungen der arabischen Staaten und dem, was diese als "den Westen" empfinden. Diese Zäsur wurde bereits mit dem Scheitern des zweiten Gipfels von Camp David und dem darauf fast zwangsläufig folgenden Beginn der zweiten, der Al-Aqsa-Intifada eingeleitet. Sie wird mit dem Ende der offiziellen Kampfhandlungen im Irak keineswegs beendet sein.
Bei einer Betrachtung der arabischen Nachbarstaaten des Irak fällt auf, dass es allen Regimen in der Region an einer Legitimität ihrer Herrschaft fehlt, die auch innerhalb ihrer Gesellschaften als ausreichend betrachtet werden würde. Dies gilt für die präsidial geprägten Republiken arabisch-nationalistischer Prägung wie für die feudalen Monarchien der arabischen Halbinsel. Die konkreten Probleme in den einzelnen Staaten sind sehr unterschiedlicher Natur, haben aber innenpolitisch ähnliche Auswirkungen. Bislang aus politischen Gründen gewollte Maßnahmen zur Unterstützung der Bevölkerungen sind im bisherigen Umfang nicht mehr bezahlbar oder werden unter dem Druck internationaler Kreditgeber mehr und mehr zurückgefahren.
In den öffentlichen Meinungen der arabischen Gesellschaften existiert - ungeachtet der politischen Positionierung des jeweiligen Regimes - ein Konsens bezüglich der Zukunft des Iraks und des Palästinakonfliktes. Beide Konflikte werden als "Krieg des Westens" gegen die arabische bzw. islamische Welt gesehen. Beide Konflikte gelten als eng miteinander verbunden. Sowohl die USA wie auch Israel gelten als Aggressor, gegen den für manche nahezu jedes Mittel erlaubt ist.
II. Abschnitt
Syrien und das syrische De-facto-Protektorat Libanon, unmittelbar nach dem Fall von Bagdad zum nächsten Ziel amerikanischer Ordnungspolitik avanciert, sieht sich mit dem Sturz des irakischen Baath-Regimes von ausschließlich proamerikanischen und proisraelischen Staaten umgeben. Es teilt eine über 600 km lange Grenze mit den neuen Herren des Irak, einen vermutlich gleichfalls pro-israelischen kommenden Regime in Bagdad. Schon wird von Seiten der Kriegskoalition die Forderung laut, Syrien solle "die neuen Realitäten anerkennen" (US-Sicherheitsberaterin Rice) und "sich einordnen" (Großbritanniens Außenminister Straw). Auch die israelischen Falken wittern eine Möglichkeit, sich mit Syrien eines der hartnäckigsten Gegner der eigenen Besatzungspolitik zu entledigen: "The next goals that Israel should focus on are Syria and Iran", so ein führender israelischer Militärjournalist.
Auf die traditionell proamerikanisch eingestellten Regime der Golfstaaten kommen Probleme ganz anderer Art zu. Während das eher kleine Kuwait wegen seiner Rolle als Logistik-Basis der Koalition momentan noch einen kurzen Aufschwung erlebt, macht man sich in Saudi-Arabien Sorgen um die Zukunft des Quotensystems der OPEC, sobald ein von den USA eingesetztes irakisches Nachkriegsregime wieder in der Organisation mitredet. Im "Club der Ölproduzenten" sind in Zukunft die USA De-facto-Mitglied. Saudi-Arabien hatte in den Jahren des Irak-Embargos die Quoten des Nachbarlandes übernommen, so dass ein Einbruch der saudischen Öleinnahmen in naher Zukunft unumgänglich erscheint. Zudem ist das Vertrauen in die Belastbarkeit der Beziehungen mit Washington nicht so stark, wie es einmal war, seit hochrangige Vertreter der Bush-Administration und die sie stützenden Think Tanks offen darüber spekulieren, das saudische Regime zugunsten eines "neuen Irak" fallen zu lassen oder - so eine Idee aus dem Umfeld des früheren Regierungsberaters Richard Perle - es aufzuteilen und in ein US-Protektorat umzuwandeln.
Das saudische Königshaus steht vor zwei ernsten Herausforderungen: dem Erstarken einer islamistischen Opposition, welche geschickt das Fehlen jeder Legitimation ausnutzt, und einer Thronfolgeregelung, die - biologisch wahrscheinlich - zu einer schnellen Folge von Machtwechseln in den kommenden zwei Jahren führen wird. In Ermangelung einer demokratischen wie auch religiösen Legitimierung versucht das saudische Königshaus, sich und seine autokratische Herrschaft durch die Verantwortung für die jährliche Pilgerfahrt der Muslime zu profilieren: Der saudische König trägt deshalb auch den Titel "Hüter der beiden Heiligen Stätten". Diese recht schwache ideologische Stütze der saudischen Monarchie wankt seit der Stationierung von US-Truppen im Zuge des zweiten Golfkrieges. Dieser kam sicherheitspolitisch einem Offenbarungseid des Regimes gleich. Dass der Schutz von Mekka und Medina eben doch nur durch fremde Truppen möglich war, traf auf heftigen Protest der religiösen Elite. So wandte sich auch der damalige höchste muslimische Kleriker des Königreiches, Ibn Baz, in einem Protestschreiben gegen die Politik des Königs. Seitdem kann der Beginn einer Koalition zwischen Ulema und Islamisten beobachtet werden. Die Regierung ließ prominente Prediger, die sich der Protestbewegung angeschlossen hatten, verhaften oder stellte sie unter Hausarrest. Hierzu gehören auch Mitunterzeichner des Protestbriefs gegen die Präsenz amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien wie Salman al-Auda oder Scheich Safar al-Hawali.
Weitaus schwerer zu lösen ist ein hausgemachtes Problem der saudischen Königsfamilie: die Thronfolge.
Bereits in Friedenszeiten besteht die hohe Kunst des Regierens in Jordanien darin, zwischen divergierenden Kräften zu lavieren.
In den Jahren des Embargos diente die Route Aqaba-Amman-Bagdad als Transitweg für den Warentransport in den Irak. Dies und die Lieferung verbilligten irakischen Erdöls war eine bescheidene Stütze in der besonders die jordanische Mittelschicht treffenden Wirtschaftskrise. Die vom Vertrag mit Israel erhoffte "Friedensdividende" blieb aus, der Tourismus ist seit der Intifada und erst recht mit Beginn des Aufbaus des "Drohszenarios" zusammengebrochen, und die Investitionen palästinensischstämmiger Jordanier in der Westbank müssen abgeschrieben werden. Bereits in der Vergangenheit haben die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderten Streichungen von Subventionen zu lokalen Aufständen - den sog. "Brotunruhen" - geführt. Auch Wasser kann in der Trockenzeit von staatlicher Seite nur unter Schwierigkeiten in ausreichender Qualität zur Verfügung gestellt werden, da sich Israel nicht an im Vertrag eingegangene Verpflichtungen über die Verteilung des Jordan-Wassers hält, sondern erst den eigenen Verbrauch abdeckt. Dies führte 1998 und 1999 bereits zu Unruhen, die als "Wasseraufstände" bekannt sind.
Auch deswegen und nicht erst seit Beginn der zweiten Intifada ist der Friedensvertrag mit Israel unpopulär. Hinzu kommen starke Sympathien in der jordanischen Bevölkerung für das Schicksal der irakischen Bevölkerung. Dass diese Kombination von emotionaler Betroffenheit und schwieriger wirtschaftlicher Lage vom jordanischen Regime als kritisch eingestuft wird, demonstriert seit zwei Jahren die Verschiebung der Parlamentswahlen. Die gegenwärtige Lage in der Region sei für Wahlen nicht förderlich. Dass die Stimmung gegen das Königshaus mittlerweile auch traditionell monarchietreue Kreise der Jordanier erfasst, zeigte der Aufstand in der Stadt Ma'an im vergangenen Jahr. Ma'an galt bislang als Hochburg der königstreuen Stämme und stand loyal zum Regime.
In dieser Situation vollzieht Jordanien - bildlich gesprochen - einen Drahtseilakt: Allein um den Wegfall des günstigen Handelspartners Irak zu kompensieren und um die US-amerikanischen Entwicklungshilfegelder nicht zu gefährden - Jordanien steht mit 420 Millionen US-Dollar jährlich an vierter Stelle unter den Empfängern amerikanischer Hilfe
In kaum einem anderen Land der Region ist die Ablehnung der gegenwärtigen Politik der USA so stark und so deutlich artikuliert worden wie in Ägypten. Das Regime Saddam Husseins war in Ägypten nie sehr populär. Viele Ägypter haben in den Jahren vor der Besetzung Kuwaits als Gastarbeiter ihre eigenen Erfahrungen mit dem Regime gemacht. Ein Sturz des irakischen Präsidenten durch Iraker wäre unter Ägyptern sehr positiv aufgenommen worden. Bei aller Kritik an den USA hat sich Ägypten auch an der Befreiung Kuwaits beteiligt, ohne dass dies in der Bevölkerung auf Ablehnung gestoßen wäre. Sechs ägyptische Soldaten sind in diesem Krieg gefallen, ihre Namen finden sich unter den Namen der in den Kriegen gegen Israel Gefallenen im Nationalen Kriegsmuseum auf der Zitadelle in Kairo. Doch diese Stimmung hat sich gewandelt, wie es eine Anmerkung des ägyptischen Literaturnobelpreisträgers Nagib Mahfuz in einem für Al-Ahram aufgezeichneten Kommentar andeutet: "Unsere Bewertung von Saddam ist unwichtig geworden, jetzt dreht es sich nur noch um die Aggression."
Die Opposition hat ihre Chance erkannt und versucht, ihren Handlungsspielraum auf unterschiedliche Weise zu erweitern. Während sich die ägyptische Solidaritätsbewegung, entstanden aus dem Bemühen, zuerst der palästinensischen Zivilbevölkerung und jetzt den Irakern zu helfen, zu einer Graswurzelbewegung erweitert,
Wie sehr das Regime anhand der aktuellen Entwicklungen verunsichert ist, zeigen Gerüchte, die von einem gescheiterten Putsch handeln. Bei aller offenkundiger Haltlosigkeit sind solche Meldungen ein Indikator für die offenen Fragen bezüglich der Zukunft des Regimes. Präsident Mubarak ist mittlerweile 76 Jahre alt, und auch seine Nachfolge ist bislang nicht offiziell geregelt. Er selbst hat es bislang vermieden, einen Stellvertreter zu ernennen, der ihm im Amt nachfolgen könnte. Inoffiziell deutet vieles auf eine "syrische Lösung" hin, die Amtsübergabe an den Sohn Gamal Mubarak. Diese Regelung ist auch innerhalb der Mubarak nahe stehenden Kreise umstritten.
III. Abschnitt
Den Strategen und langjährigen Planern des Irak-Feldzuges waren und sind die riskanten Auswirkungen durchaus bekannt. Zahlreiche Äußerungen von Nahost-Beratern der Bush-Administration und lancierte Papiere lassen den Schluss zu, dass eine Instabilisierung der Nahost-Region zu den beabsichtigten Nebenwirkungen des Irakkrieges zählt. Besonders deutlich wurde dies in den Briefings des Defense Policy Board unter Vorsitz von Richard Perle, in denen die "ethnische Säuberung" der Westbank, die Errichtung eines palästinensischen Staates in Jordanien, die Zerschlagung Saudi-Arabiens, die Einsetzung der Hashemiten als Könige von Mekka und Medina und die Eingliederung der saudischen Ölprovinzen in ein US-Protektorat vorgeschlagen wurden.
Quelle einer solchen andauernden Instabilität wäre in erster Linie der unter US-Verwaltung stehende Irak. Das relativ schnelle Ende der "heißen" Kampfhandlungen im Irak kann für einen Moment täuschen. Allein das Vorhandensein einer großen und unkontrollierten Anzahl von leichten und mittelschweren Waffen sowie die Anwesenheit von bis zu 8000 arabischen Freiwilligen im Irak
Aber bereits jetzt hat der Irakkrieg zur Delegitimierung der Regime beigetragen. Das Scheitern einer Abwendung des US-Angriffs wird von zahlreichen Menschen in der Region als außenpolitisches Versagen der Regime gewertet. Dies erhöht die Unzufriedenheit und addiert sich zur lokalen Agenda der jeweiligen Opposition. Zudem galt Saddam Hussein als der Prototyp des prowestlichen Diktators in der Region. Für die Herrscher in der Region scheint also auch eine langfristige Zusammenarbeit mit den USA keine Garantie mehr für den Machterhalt zu sein. Da es das oberste Ziel jedes nicht demokratisch legitimierten Regimes ist, an der Macht zu bleiben, stehen die Regierenden hier unter doppeltem Druck: außenpolitisch durch die USA, innenpolitisch durch die eigene Bevölkerung, die zudem zum ersten Mal seit dem Sturz des Schahs 1979 die Entmachtung eines Herrschers erlebt hat.
Drei im Zeitraum etwas über einem Jahr durchgeführte Meinungsumfragen - Februar 2002, September 2002 und März 2003 - lassen eine immer deutlichere Tendenz erkennen: Die Unbeliebtheit der USA in der Region ist kaum noch zu steigern und diese Meinungen verfestigen sich. Es spielt dabei kaum eine Rolle, ob Bürger von Staaten befragt werden, deren Regierungen als Bündnispartner der USA gelten. Die vom Gallup-Institut im Februar 2002 durchgeführte Umfrage unter 10 000 Erwachsenen in Indonesien, Iran, Jordanien, Kuwait, Libanon, Marokko, Pakistan, Saudi-Arabien und der Türkei beschäftigt sich in erster Linie mit den Auswirkungen der Anschläge vom 11. September 2001 und kommt zu dem Schluss, dass zwei von drei Menschen in der Region die USA hassen. Bei einer Beschreibung der USA sind die am häufigsten genannten Attribute "rücksichtslos", "aggressiv" und "arrogant". Eine positive Meinung von den USA haben nur 28 Prozent der Kuwaitis, 22 Prozent der Marokkaner und sogar nur 18 Prozent der Saudis.
Eine Umfrage im Auftrag der ägyptischen Zeitung Al-Ahram unter 15 000 Ägyptern im September 2002 fasst die Überzeugung der Befragten in dem Satz zusammen: "Die USA führen einen Krieg gegen die Muslime." Elf Prozent halten die Person des US-Präsidenten für vertrauenswürdig, 93 Prozent befürchten Chaos und zunehmende Gewalt als Folge seiner Politik und 63 Prozent fordern aktive Maßnahmen gegen die USA. Als Folge sehen 51 Prozent die Islamisten in der Region im Aufschwung, während 42 Prozent sie für geschwächt halten. Im Vorfeld des Krieges waren 82 Prozent nur dann für Maßnahmen gegen den Irak, wenn auch gegen Israel Sanktionen verhängt werden würden.
Eine weitere Umfrage unmittelbar am Vorabend des Krieges gegen den Irak
Dieser dramatisch zu nennende Verfall des Ansehens der USA, die als Führungsmacht westlicher Demokratien auftritt, führt direkt zu einer Delegitimierung der demokratischen Kräfte in der arabischen Welt. Einen "Rückschlag für die Progressiven"
IV. Abschnitt
Einige Entwicklungen allerdings lassen sich schon jetzt feststellen:
- Die Rolle der neuen, grenzüberschreitenden Medien, insbesondere der Sat-TV-Sender, wurde gestärkt, die Glaubwürdigkeit lokaler, kontrollierter Medien ist weiter geschwunden. Diese Medien fördern eine Regionalisierung von Politik. Lokale Ereignisse erhalten durch sie eine transnationale Bedeutung. Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr zurückdrehen und wird in der regionalen Politik immer bedeutender werden.
- Das Potenzial von Gruppen und Einzelpersonen, die militant auf westliche Dominanz in der Region reagieren werden, ist keineswegs auf die Anhänger islamistischer Gruppen beschränkt. Die neuen Mujahidin im Irak unterscheiden sich von ihren Namensvettern im Afghanistan der achtziger und neunziger Jahre insofern, dass sie sich aus militanten Islamisten wie auch Nationalisten zusammensetzen. Inwieweit ein zukünftiger Jihad im Irak zu neuen Bündnissen zwischen Islamismus und Nationalismus führen wird, bleibt abzuwarten.
- Die politischen Möglichkeiten der USA in der Region sind mittelfristig trotz des Sieges im Irak sehr eingeschränkt. Sie können nur noch mit militärischen Mitteln Gefolgschaft erzwingen, die Kosten hierfür sind noch nicht abzusehen.
- Die Beendigung der israelischen Besatzung in Palästina ist und bleibt der Lackmustest für jede westliche Politik in der Region. "Der einzige Weg, um die arabische Straße zu beruhigen und um ihr Vertrauen gegenüber westlichen Absichten wiederzugewinnen, ist, ihnen zu zeigen, wie fair sie das israelisch-palästinensische Problem lösen", so der jordanische König Abdullah II. in einem Interview mit der BBC. Für die "arabische Straße" heißt das, dass sie daran, ob an Israel die gleiche Maßstäbe angelegt werden wie an den Irak, jede weitere Initiative Europas in der Region beurteilen wird. Einem schwerpunktmäßig von den USA vermittelte Lösungsvorschlag wird jede Glaubwürdigkeit fehlen. Der sich abzeichnenden roadmap wird deshalb kein Erfolg beschieden sein.
- Die Ablehnung der USA bedeutet keine zwangsläufige Zuwendung der arabischen Öffentlichkeit zum Anti-Kriegs-Europa. Allerdings wird "der Westen" nicht mehr als monolithischer Gegner wahrgenommen. Brüche und Verwerfungen werden sorgfältig registriert und in arabischen Medien ausführlich diskutiert. Die Folgen dieses Aufbrechens alter Bilder werden vom weiteren Verhalten der Kriegskritiker abhängen.