I. Einleitung
Ein Gespenst geht um die Welt: die Furcht vor den Vereinigten Staaten von Amerika als Unilateralist, Imperialist und Hegemon. Washingtons Diplomatie war gescheitert: die UNO gelähmt, die NATO gespalten und die USA isoliert. Die Achse Paris-Berlin-Moskau strebte als selbst ernanntes Gegengewicht zur neuen Hypermacht den Status einer Supermacht an. Die Motive Washingtons in Bezug auf den Irak seien selbstsüchtig, kurzsichtig und vor allem gefährlich, so der Vorwurf.
Unter der Regierung von George W. Bush wurde Multilateralismus zum Schimpfwort. Zusammen, wenn möglich, allein, wenn nötig - diese alte Devise klang plötzlich gefährlich. Eine Militarisierung der amerikanischen Außenpolitik war im Gange mit neuer Zielrichtung: Präemption. Amerika allein entscheidet jetzt, wer und was eine Gefahr für seine Sicherheit darstellt. Der Regimewechsel im Irak wurde zum wichtigsten Ziel amerikanischer Außenpolitik. War diese Absicht wirklich von unilateralistischen Motiven beeinflusst? Gab es überhaupt ein Interesse an Diplomatie? Kam dem Multilateralismus in dieser Irak-Kampagne, in diesem neuen amerikanischen Weltkrieg gegen das tödliche Triumvirat aus Terroristen, Tyrannen und Technologien der Massenvernichtung keine Bedeutung zu? War die Blockade des Sicherheitsrates ein klarer Beweis eines neuen amerikanischen Unilateralismus oder eines Abschieds von der Diplomatie?
Kein Zweifel, manches, was man im Weißen Haus für diplomatisch wünschenswert erklärt hatte, konnte nicht realisiert werden, wie z.B. eine zweite Irak-Resolution der UNO, eine aktivere Zusammenarbeit mit der Türkei sowie eine friedliche Entwaffnung des Irak. Fehlerfrei war Washingtons Diplomatie aber auch nicht. Brüskierte Partner gab es viele. Neue Abgründe taten sich in Europa auf. Selten waren die transatlantischen Gemüter so gereizt wie in den Monaten vor Iraqi Freedom. Manche Beobachter führten dies auf einen entschlossenen, hartnäckigen Unilateralismus der Bush-Regierung zurück. Vielleicht war es sogar ein absichtliches Scheitern der Diplomatie, um die Fesseln des Multilateralismus abzuschütteln.
Es ist aber auch eine andere Deutung möglich: Ja zur Diplomatie unter neuen Vorzeichen, nein zu einer Ablehnung des Multilateralismus. Es ist aber ein Multilateralismus American style, nicht European style. Es handelt sich um einen sich weiter entwickelnden Multilateralismus, der sich aus einer alten Tradition heraus neu organisiert. Unilateralismus scheint dagegen etwas unpräzise.
Diese politische Haltung sollte nicht verwechselt werden mit einer bewussten Ablehnung der engen Partnerschaft mit anderen Ländern. Im Gegenteil: Amerika sucht immer nach Partnern, aber nicht unter jeder Bedingung. Die Zusammenarbeit muss sich lohnen, nicht nur für die Welt, sondern auch für Amerika. So auch im Falle des irakischen Regimewechsels: Hier zeigte sich ein starker Hang zur Zusammenarbeit, gekennzeichnet durch den Stil des Präsidenten Bush, die Ereignisse des 11. September 2001 sowie die unterschiedlich entwickelten Einflussmöglichkeiten der internationalen Akteure der heutigen Welt.
II. Die weit zurückliegende Genese
Die Entscheidung, gegen den Irak Krieg zu führen, um ihn zu entwaffnen und Saddam Hussein zu entmachten, hat ihren Ursprung am Beginn der neunziger Jahre. Mit dem Krieg zur Befreiung Kuwaits und der damaligen Frage nach der Zukunft Saddams begann auch die politische Willensbildung über die Strategie seiner Entmachtung.
Der "Kampfmarsch einer Idee",
Unter Präsident George Bush senior verlief das Diplomatische in der Tat anders als bei George W. Bush junior. Das Vorgehen des Vaters basierte auf einer breiten internationalen Zustimmung sowie der Legitimation durch die Vereinten Nationen. Grünes Licht aus dem UN-Sicherheitsrat half Bush senior, die notwendige Unterstützung vom US-Kongress zu erhalten.
Es stellt sich immer wieder die Frage, warum das Weiße Haus sich nicht schon 1991 zu einem Einmarsch in Bagdad entschlossen hat. Was hat sich an den Rahmenbedingungen geändert? Was sind die Gründe dafür, dass amerikanische Truppen jetzt Bagdad kontrollieren? Die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center sowie das Pentagon scheinen das auslösende Moment gewesen zu sein.
Zusammen mit Großbritannien und oft im Widerspruch zu den anderen Vetomächten versuchte Washington seit 1991, für eine wirksame Eindämmung und Abschreckung Iraks einzutreten und sich dafür eine ausreichende diplomatische Rückendeckung zu sichern.
III. Die Vielfalt der Motive
Die Interessen der amerikanischen Außenpolitik bestehen aus sicherheits- und wirtschaftspolitischen sowie idealistischen Motiven. Oft konkurrieren sie miteinander, was die inneren Spannungen und Widersprüche der amerikanischen Außenpolitik erklärt. Diese Interessen-Triade spielte auch bei der Entscheidung, einen Krieg gegen Irak zu führen, eine wichtige Rolle. Es handelte sich nicht um ein, sondern um viele zum Teil miteinander konkurrierende Motive, welche die USA dazu bewegten, die Auseinandersetzung mit dem Irak militärisch zu führen. Manche Beobachter meinten zwar, es sei verdächtig, dass Bush immer wieder die Motive wechselte: Mal waren es die Massenvernichtungswaffen, mal ein Verstoß gegen die Menschenrechte, mal eine Verbindung zum Terrornetz der Al Qaida; letztendlich brachte man die Demokratisierung des ganzen Nahen Ostens als Argument vor. Beim Irak trafen viele Gründe zusammen, die sich zu einer "kritischen Masse" zusammenfügten. Sie erklären, warum der Irak anders ist als die anderen Mitglieder der "Achse des Bösen".
Ein Motiv hätte nicht ausgereicht, um die amerikanische Öffentlichkeit und die anderen Länder von einem Angriff auf den Irak zu überzeugen, alle zusammen aber schon. Folgende Ziele wollten die USA mit ihren Verbündeten erreichen: Entmachtung und Entwaffnung, Erhaltung der territorialen Integrität, Vermeidung eines Bürgerkriegs, Beteiligung der lokalen Kräfte an der Macht, eine psychologische Verbesserung der Position Amerikas in der Region (die USA als Befreier und nicht als Besatzer) sowie die Geringhaltung der Verluste und Kosten.
Es waren aber erst die erfolgreichen Einsätze in Afghanistan gegen Al Qaida und die Eindämmung der Konflikte zwischen Israel und den Palästinensern sowie zwischen Indien und Pakistan, welche die Argumente in eine konkrete Entscheidung münden ließen. Die endgültige Ablehnung der alten Strategie der Eindämmung und Abschreckung (mit Sanktionen und Inspektionen) betraf den einen Teil dieser Entscheidung, die Übernahme einer Strategie der Entwaffnung und Entmachtung, zur Not mit Krieg, den anderen. Amerika wollte sich nicht aus dem Persischen Golf zurückziehen, es wollte den Konflikt eskalieren lassen. Die Argumente "Amerika ist schon überfordert", "andere Probleme haben Priorität", die sich gegen einen Krieg richteten, wurden abgelehnt.
Wie oben angedeutet, drehte sich die Vielfalt der Motive nicht nur um die Zukunft des Irak. Der gegenwärtige Ansatz ist mehr als nur eine neue Strategie für das alte Problem Saddam. Er ist "a battle", so George W. Bush am 2. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln, also nur ein Bestandteil eines neuen amerikanischen Engagements gegen die eigene, auch die globale Verwundbarkeit. Das "Time Magazine" beschreibt diese Motivation wie folgt: "In truth, this war is just as much about an idea - that Iraq is but the first step in an American-led effort to make the world a safer place."
Für Washington sind die Brutstätten des radikalen Islams jetzt zur strategischen Sorge Nummer eins geworden. Die Quellen der terroristischen Macht, ob staatlich oder nichtstaatlich, ob finanziell oder ideologisch, ob organisatorisch oder technologisch, stehen nun im amerikanischen Fadenkreuz. Ein Sieg gegen den Irak bietet die Gelegenheit, die Landkarte des Nahen Ostens zu verändern. Washington behauptet, dass der Irak als überzeugendes Modell eines modernen arabischen Staatsgebildes dienen könnte. Al Qaida ist vielleicht die größte Terrorbedrohung, aber die Ursachen dieser Bedrohung sind allgemeinerer Natur, und die Motive des Irakfeldzugs sind hiermit verbunden.
Die Bush-Administration argumentierte, dass die Beseitigung Saddams den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern fördern würde. Inzwischen zeigen sich die Vorteile für den Friedensprozess, die ein sich demokratisierender Irak bringen könnte. Saddam unterstützte die Palästinenser sowohl finanziell als auch ideell. Ohne ihn könnten die Palästinenser und die Israelis kompromissbereiter sein.
Eine Gallup-Umfrage zeigt die Gründe pro und kontra Irakkrieg (vgl. Tabellen 1 und 2). Von den Gründen, die gegen einen Krieg sprechen, unterstützen die Befragten nur zwei von neun mit 50 Prozent oder mehr: erstens, viele unschuldige Irakis würden sterben; zweitens, viele amerikanische Soldaten würden sterben. Nur 30 Prozent der Amerikaner meinten, "Hussein stellt keine (...) Bedrohung für Amerika (...) dar", und hielten das für ein gutes Argument gegen den Krieg.
Diese Umfragen zeigen eine differenzierte Einstellung für und gegen einen Krieg. Es gibt also eine Übereinstimmung mit der publizierten Meinung und der Argumentationslinie der Regierung Bush. Diese spiegelt einen breiten Konsens wider, der auf einen langen Prozess der politischen Willensbildung zurückzuführen ist. Dieser Konsens war überparteilich (obwohl Amerikaner bei innenpolitischen Fragen viel mehr gespalten sind). In der Außenpolitik waren zwar mehr Demokraten als Republikaner gegen Bushs Kriegspläne, aber viele Demokraten, ob Wähler oder ehemalige Regierungsmitglieder, unterstützten eine militärische Entscheidung gegen den Irak. Nur so erklären sich die Umfragewerte für den Präsidenten, die über Monate bei 70 Prozent und darüber lagen.
IV. Macht und Ordnung in einer neuen Welt
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint es, als ob das 20. Jahrhundert nicht das einzige amerikanische Jahrhundert gewesen ist.
Amerikas selbstbewusster Umgang mit der eigenen Macht ist nicht neu. Neu ist jedoch Amerikas Definition der internationalen Ordnung. Seien es die konstituierenden Elemente, die Bedrohungen oder die Rolle Amerikas in dieser Ordnung - die Amerikaner sind überzeugt, dass eine Zeitenwende ähnlich der späten vierziger Jahre im Gange ist.
Eine schmerzhaft erfahrene Verwundbarkeit und die neuen Gestaltungsmöglichkeiten (und Verantwortung) prägen die heutige Außenpolitik Amerikas. Während der "Roaring Nineties" galt es, die Gefahren der Welt fern zu halten. Eindämmung und Abschreckung charakterisierten mehr als nur die Irakpolitik der USA. Seit dem 11. September sind diese Strategien nicht mehr ausreichend, sie sind zu defensiv. "We cannot stand by and do nothing while dangers gather"
Heute leben wir in einer "With-us-or-against-us"-Welt, weil "wir" es jetzt sind, welche die globale Gefahr bekämpfen, und weil diejenigen, welche sie nicht bekämpfen, sie indirekt unterstützen. Es gibt keine Neutralität, man kann sich aus diesem Kampf nicht heraushalten, meint nicht nur Präsident Bush. Friedliche Koexistenz mit Terroristen und Massenvernichtungswaffen kann es nicht geben. Eine schrumpfende Welt macht die Duldung von Terroristen und ihrer Unterstützungsnetzwerke zu einem Akt der Beihilfe, man haftet mit. Die USA wollen das "with us" sehr flexibel gestalten. Jeder Staat kann seinen Beitrag entweder öffentlich oder verdeckt leisten. Ist ein bestimmter Auftrag nicht zu unterstützen, kann man sich auch nicht beteiligen. Diese Flexibilität ist Teil der Rumsfeld-Doktrin: Der Auftrag bestimmt die Koalition. Man könnte es auch konstruktive Enthaltung nennen.
"Mit uns oder gegen uns" bedeutet nicht Unilateralismus, sondern eher einen aggressiven Multilateralismus. Diese "Mit-uns"-Strategie könnte sich nach Ansicht der Bush-Regierung auf folgende außenpolitische Ziele beziehen:
- die Förderung von Menschenwürde;
- die Stärkung der Bündnisse, um globalen Terrorismus und Angriffe gegen die USA und deren Freunde abzuwehren;
- die Kooperation mit anderen Staaten, um regionale Konflikte zu entschärfen;
- die Feinde der USA davon abhalten, Amerika oder seine Verbündeten und Freunde mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen;
- eine neue Ära des globalen ökonomischen Wachstums durch freie Märkte und freien Handel in Gang zu setzen;
- die Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung durch Öffnung der Gesellschaften und den Aufbau einer Infrastruktur der Demokratie:
- die Entwicklung von gemeinsamen Zielen für ein kooperatives Handeln mit anderen wichtigen Zentren globaler Macht;
- den Umbau der nationale Sicherheitsinstitutionen der USA, um den Herausforderungen und Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.
Diese Ziele sind alle in der National Security Strategy (NSS) vom September 2002 genannt, die von manchem Beobachter auf eine Doktrin der Präemption und des Alleingangs reduziert wird. Amerika will dieser Strategie zufolge die internationalen Organisationen bewegen, die internationale Zusammenarbeit zu fördern. NSS zeigt aber auch die Bereitschaft, allein zu handeln. Dies ist auch ein Paradox der amerikanischen Macht.
V. Der Multilateralismus der Entscheidungsfindung
Die Motive des amerikanischen Multilateralismus liegen in der Förderung der eigenen Sicherheit, der demokratischen Ideale und des Wohlstands. Im Allgemeinen streben die Vereinigten Staaten nach internationaler Zusammenarbeit, um Legitimation und Wirksamkeit ihrer außenpolitischen Strategien zu erhöhen, um die internationale Staatenwelt zu beeinflussen.
Schon zu Beginn des Krieges gegen das Taliban-Regime gelangte auch der Irak ins Fadenkreuz der Terrorbekämpfung, indem Bush schon in seinen ersten Äußerungen nach den Angriffen die Tatsache unterstrich, dass Staaten und Regierungen, die Terrororganisationen Unterschlupf gewähren, zur Verantwortung gezogen würden - "mit uns oder mit den Terroristen"
Die "Koalition gegen den Terror" umfasste eine große Anzahl von Staaten, doch nahm die Zusammenarbeit bereits während des Afghanistan-Feldzugs von Enduring Freedom ab, während die Sorgen wuchsen. Die Bekämpfung staatenloser Terroristen ist politisch nicht besonders problematisch, vor allem, wenn sie im eigenen Land aktiv sind. Doch ist die Bekämpfung von Staaten, die Terroristen unterstützen, schwieriger - auch wenn die Indizien so eindeutig sind wie bei den Taliban und Al Qaida. Diese Vorgangsweise verstößt nämlich gegen die Souveränität und könnte als "Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören"
Schon vor dem Angriff auf Afghanistan wussten einige Staaten der Antiterror-Koalition, dass der Irak als nächstes Land angegriffen werden würde, vor allem wenn das Taliban-Regime schnell gestürzt würde. Einige einflussreiche Amerikaner, einschließlich führender Repräsentanten der Regierung Bush wie der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, wollten schon direkt nach den Angriffen des 11. September den Irak in den Mittelpunkt des amerikanischen Interesses rücken. Andere wie Colin Powell warnten davor, zuviel gleichzeitig zu beginnen, und vor allem davor, die Koalition um Enduring Freedom überzustrapazieren. Die Befürworter der "Irak-zuerst"-Strategie kamen vorerst nicht zum Zuge, so Bob Woodward in seiner Darstellung der Entscheidungsfindung der Bush-Regierung in den zwölf Monaten nach dem 11. September.
In den ersten Monaten nach dem 11. September antwortete Bush auf Fragen zum Irak nach der Devise, Irak sei zwar ein Problem, aber er sei "ein geduldiger Mann". Die Ernsthaftigkeit des Irakproblems und seiner unmittelbaren Verbindung zur Gefahr des Terrorismus kam zum ersten Mal in Bushs Rede über die "Achse des Bösen" im Januar 2002 zur Sprache.
Durch seinen Umgang mit dem 11. September hatte Präsident Bush politisches Kapital gewonnen. Aufgrund dieser Unterstützung für den Präsidenten lehnte das Weiße Haus eine grundlegende Annahme ab, die seit 1991 herrschte: Das amerikanische Volk würde keinen Krieg zur Entmachtung Saddam Husseins mittragen. Ab März oder April 2002, so die Berichterstattung,
Das "Wie" - sowohl militärisch als auch diplomatisch - wurde in den folgenden Monaten in Washington heftig diskutiert. Cheneys Reise in die arabischen Hauptstädte im März 2002 konnte als Initialzündung der Anti-Irakkampagne verstanden werden. Sie belegte aber auch die bevorstehenden Schwierigkeiten für Amerika, insbesondere die Bedeutung einer Nahostinitiative des Weißen Hauses für die Araber.
In dieser Zeit fanden die Debatten über den Irak oft hinter verschlossenen Türen statt. In die Öffentlichkeit gelangte die Irakfrage durch die Senatsanhörungen Ende Juli 2002. Die Frage um die internationale Legitimität einer Intervention spielte eine dominante Rolle bei diesen Anhörungen.
Eine größere Expeditionsmacht erforderte allerdings intensive Zusammenarbeit mit sehr sensiblen Anrainerstaaten. Diplomatisch begann der Streit über die Rolle der UNO, deren Entscheidungen wiederum Saudi-Arabien, Jordanien und die Türkei beeinflussen würden. Colin Powell gelang es (beim gemeinsamen Abendessen mit George W. Bush und Condoleezza Rice im Weißen Haus am 5. August 2002), den Präsidenten davon zu überzeugen, den Weg der UNO zu gehen und eine Koalition gegen den Irak aufzubauen, um dadurch zusätzliche Legitimation zu erhalten. Vizepräsident Cheney verfolgte aber eine andere Linie, welche die UNO als eine Sackgasse ansah. In seiner Rede vor US-Veteranen in Nashville betonte Cheney die Notwendigkeit eines Vorgehens mit bisher nicht gekannter Deutlichkeit.
Umso mehr beeindruckte Bush die Weltöffentlichkeit mit seiner Rede vom 12. September 2002 vor der UNO-Vollversammlung. Sie wurde als Sieg der Diplomatie und der Multilateralisten interpretiert. Bush ging aber nicht nur zur UNO mit dem Wunsch nach internationaler Zusammenarbeit, sondern er bot auch einen Deal an, um eine weitere UN-Resolution durchzusetzen: Er würde in einem solchen Fall von der Forderung nach Entmachtung Saddam Husseins Abstand nehmen und sich mit der Entwaffnung des Irak (allerdings American style) zufrieden geben.
Die UN-Resolution 1441 wich den wirklichen Streitfragen aus, erhöhte aber das amerikanische Selbstvertrauen, dass der UN-Sicherheitsrat auch für eine Autorisierung "aller notwendigen Mittel" zu gewinnen sei. Mit der Übergabe des 13 000 Seiten umfassenden Berichts des Irak über seine Waffenprogramme, in dem nichts über die Zerstörung der von der UNO dokumentierten Bestände von Sarin VX, anderer Chemiewaffen sowie Milzbrand enthalten war, wuchs Washingtons Misstrauen gegen die UNO.
Die sich anschließenden Inspektionen lenkten von dem unzureichenden Bericht ab. Die Berichte der Inspekteure zogen die Aufmerksamkeit auf sich, ohne eine eindeutige Botschaft zu übermitteln. Für die USA und Großbritannien sowie einige andere Staaten zeigten die Inspektionen, dass sich Saddam weiter in einem "material breach" befand und mehr Zeit der Sache nicht dienlich sein würde. Für andere waren die Inspektionen und die durch sie gewonnenen Erkenntnisse Beweis dafür, dass sie ihren Auftrag erfüllten, aber mehr Zeit bräuchten.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich, gestärkt durch den 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags, hat Washington sicher überrascht. Dass beide Staaten auch Moskau überzeugen konnten, machte die Angelegenheit für die USA komplizierter. Martin Indyk, Nahostexperte des Brookings Instituts, meinte sogar, dass Moskaus Position die entscheidende war: Hätte Amerika Russland gewinnen können, wäre Frankreich isoliert gewesen, da China dann nicht von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht hätte.
Die UNO bietet nicht das einzige Forum für Multilateralismus. Die Iraqi Freedom-Koalition zeigte sich als altes Gespann mit neuen Mitgliedern. Unter den Europäern war der Bruch mit Deutschland beispiellos, dafür gab es aber Unterstützung aus anderen Teilen Europas, wie das Beispiel Spaniens und Italiens oder der vielen neuen osteuropäischen Mitglieder der NATO zeigte. Die Verweigerungshaltung der Türkei stellte ein besonderes Problem dar, aber die Amerikaner nahmen dies vorerst hin, ohne den Druck auf Ankara zu erhöhen. Letztendlich wäre Iraqi Freedom ohne die Unterstützung durch den britischen Premierminister Tony Blair nicht möglich gewesen.
In der arabischen Welt war die Unterstützung weniger deutlich als bei der Befreiung Kuwaits 1991, aber dennoch stand mancher Staat der Region hinter Washington. Syrien war nicht dabei, dafür aber Jordanien, ein besonders wichtiger Partner auch in Bezug auf Israel und die Palästinenser. Saudi-Arabien war zurückhaltend, leistete aber mehr Unterstützung als Widerstand.
Am Ende dieser Irakdiplomatie zeigten sich manche Amerikaner der UNO gegenüber noch skeptischer als zuvor.
Viele Beobachter vertreten die Ansicht, dass sowohl die Diplomatie als auch die Überzeugungsarbeit hätten besser sein können.
Kann diese Diplomatie als Unilateralismus oder als Multilateralismus "American style" bezeichnet werden? Oft handelt es sich um eine Definitionsfrage. Angenommen, Amerika sei nicht beeinflussbar, sondern verträte eine Position des Allein-gegen-die-Welt, so ergäbe eine Zusammenarbeit wenig Sinn. Der Aufbau einer Gegenmacht böte die einzige Möglichkeit des Umgangs mit amerikanischer Macht. Ist Zusammenarbeit aber möglich, bietet Partnerschaft die Gelegenheit, die Synergien der Unterschiede wahrzunehmen. Die redundante Gegenmacht, die zwar Autonomie verspricht, aber mit enormen Kosten und nicht unbedingt mit mehr Einfluss verbunden ist, bleibt in diesem Fall die zweitbeste Lösung.
Zu behaupten, das konstituierende Merkmal amerikanischer Irakpolitik seien Unilateralismus, Imperialismus oder Hegemonie gewesen, ist, zumindest historisch betrachtet, wenig hilfreich. Spräche man von Amerika als Multilateralisten in einer unipolaren Welt, käme man der Sache ein Stück näher. Amerika spielt eine Rolle im Persischen Golf, die kein anderer Staat übernehmen kann. Die relativen Einflussmöglichkeiten der USA in der arabischen Welt sollte man nicht übersehen, aber auch nicht die der anderen Staaten. Eine Ordnung des institutionalisierten Multilateralismus mag auch im amerikanischen Interesse sein. Dies gilt beim Wiederaufbau des Irak und der Etablierung einer friedlicheren Ordnung im Nahen Osten. Sucht man ein multilaterale Welt, dann muss man sich auch mit einem Multilateralismus "American style" abfinden können.