Einleitung
Das Prinzip der Nachhaltigkeit (sustainability) bzw. nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) bildet den Gegenstand reichhaltiger internationaler, nationaler und lokaler Aktivitäten, theoretischer Bemühungen, rechtlicher und planerischer Maßnahmen. Sie werden begleitet von einer inzwischen fast unüberschaubaren Fülle von Veröffentlichungen und Dokumentationen.
Zum Verständnis des Nachhaltigkeitsprinzips wird verbreitet vom 1987 veröffentlichten Bericht der World Commission on Environment and Development (sog. Brundtland-Bericht) ausgegangen, dessen eine Definition vielfach als Standard betrachtet wird: "Humanity has the ability to make development sustainable - to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs."
Eckpunkte des bisherigen Nachhaltigkeitsdiskurses in Deutschland sind die Umweltgutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU)
Der Umgang von Regierung und Verwaltung mit dem Nachhaltigkeitsprinzip ist nicht eindeutig bestimmbar. Zwar haben sich die Bundesregierung und speziell das Umweltministerium (BMU) in einer Reihe von Dokumenten dazu bekannt, so etwa im Umweltprogrammentwurf von 1998
Da die bisherigen deutschsprachigen Begriffsverwendungen kein einheitliches, sondern ein eher kontroverses Begriffsverständnis erkennen lassen, ist die Frage klärungsbedürftig, welche der konkurrierenden Ausdeutungen des Prinzips der Nachhaltigkeit dem politischen Begriffsverständnis im Allgemeinen und den juristischen Begriffsfassungen im Besonderen zugrunde liegen.
I. Die Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips in das Recht
Für die Erörterung der Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips in das Recht ist es zunächst wichtig, zu erkennen, welche seiner Ausdeutungen den juristischen Begriffsfassungen zugrunde liegen. Ist es das SRU-Modell der "dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung", das "Drei-Säulen-Modell" der Enquete-Kommission, das "Wuppertal-Modell der sozial-ökologischen Nachhaltigkeit", das auf intergenerative Gerechtigkeit fokussiert, oder geht es um "schwache" versus "starke" Nachhaltigkeit (weak vs. strong sustainability), eine Differenzierung, die in der englischsprachigen Literatur und Diskussion überwiegt? Sofern eines dieser unterschiedlichen Modelle adaptiert wird, ergeben sich daraus natürlich auch unterschiedliche politische Umsetzungsstrategien. Zahlreiche Anzeichen sprechen für die mehr oder weniger stillschweigende Übernahme des "Drei-Säulen-Modells" durch den deutschen Gesetzgeber.
Vor diesem Hintergrund rückt die Problematik der Schnittstelle(n) zwischen der fortgeschrittenen, aber nach wie vor kontroversen theoretischen Diskussion und dem juristischen Nachhaltigkeitsverständnis ins Blickfeld. Am Beispiel des neuen Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchNeuregG) könnte geprüft werden, wie sich der deutsche Gesetzgeber die Konkretisierung des Nachhaltigkeitsprinzips in einem der Kernbereiche des Umweltschutzes vorstellt.
Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird das Prinzip der Nachhaltigkeit höchst uneinheitlich beurteilt. Angesichts der ökologischen Problemlage und der umweltpolitischen Präferenzen der Bevölkerung plädiert Rehbinder dafür, das "Drei-Säulen-Modell" auf ein Ein-Säulen-Modell zu reduzieren, d.h. der Ökologie und dem Umweltschutz eindeutig Vorrang zu geben.
Charakteristisch für juristische Bedenken, das Nachhaltigkeitsprinzip zu verrechtlichen, ist die Bewertung Leidigs, der nicht nur dessen Unbestimmtheit bemängelt, sondern gar der Auffassung ist, es handele sich um ein unbrauchbares Kriterium.
Europäisches Gemeinschaftsrecht
Für das Verständnis der Nachhaltigkeit im deutschen Recht ist das Begriffsverständnis der EU, insbesondere im EG-Vertrag
Es wird vereinzelt geltend gemacht, aus der Verankerung des Nachhaltigkeitsgebots im Gemeinschaftsrecht ließen sich für Deutschland keine konkreten Folgen ableiten.
Dass das Nachhaltigkeitsprinzip auf europäischer Ebene aber unterschiedlich interpretiert wird, ergibt sich aktuell aus Art. 3 Abs. 2 des Europäischen Verfassungsentwurfs, dem zufolge die Union "ein Europa der nachhaltigen Entwicklung auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und sozialer Gerechtigkeit" anstrebe. In dieser Formulierung ist von einer gleichgewichtigen Berücksichtigung der ökologischen Grundlagen (Dimension oder Komponente der Nachhaltigkeit) nicht die Rede, erst recht nicht von einer nach dem Brundtland-Bericht intendierten Vorrangstellung.
Die Europäische Union ist ansonsten aber sehr wohl darum bemüht, das Nachhaltigkeitsprinzip in konkretes Verwaltungshandeln umzusetzen. Nach dem Beschluss des Europäischen Rates in Cardiff 1998 ist ein Prozess in Gang gekommen, in dessen Verlauf acht Teilstrategien für mehrere Politikbereiche veranlasst worden sind. Der Rat verabschiedete am 16. März 2002 in Barcelona die "Europäische Strategie für eine Nachhaltige Entwicklung" und bekundete so - in eklatantem Gegensatz zum Entwurf der Europäischen Verfassung - die Absicht, nachhaltige Entwicklung unter gleichgewichtiger Beachtung ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele in der Union umzusetzen.
Nationales Recht
Obwohl sich das Leitbild der Nachhaltigkeit mittlerweile zu einem internationalen Rechtsbegriff entwickelt hat, bestehen weiterhin Unsicherheiten bezüglich der Notwendigkeit, es in das deutsche Recht aufzunehmen. In der juristischen Diskussion wird über die Frage gestritten, ob Nachhaltigkeit den Charakter eines Rechtsprinzips haben oder nur ein politisches Leitziel sein kann. Dazu hat Sendler vorgetragen, es sei zweifelhaft, ob Nachhaltigkeit ein juristischer Begriff mit rechtlicher Relevanz sei - und unter diesen Umständen könne man nicht sicher sein, ob daraus ein "Nachhaltigkeitsgebot" ableitbar sei.
Gegen das Modell wendet sich prononciert das SRU-Umweltgutachten 2002 mit der Aussage, das "Drei-Säulen-Modell" vermöge seinem Anspruch, die Gleichrangigkeit der drei Säulen zu gewährleisten, nicht gerecht zu werden, denn es habe keine Orientierungsfunktion.
Im Grundgesetz findet sich keine ausdrückliche Regelung zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips. Allerdings gelten wesentliche Bestandteile des Prinzips nach verbreiteter Meinung in der Literatur als verfassungsrechtlich durch Art. 20a GG abgesichert, was sich in den Formulierungen "Verantwortung für die künftigen Generationen" und "natürliche Lebensgrundlagen" niedergeschlagen habe. Weitgehende Übereinstimmung besteht auch darin, dass das Grundgesetz von den Staatsorganen eine langfristige, das Schicksal auch der künftigen Generationen berücksichtigende Politik verlange.
Das Prinzip der Nachhaltigkeit hat Aufnahme in eine Reihe von Fachgesetzen gefunden. War es noch z.B. in den bauleitplanerischen Oberzielen des Entwurfs für das Bau- und Raumordnungsgesetz von 1998 gar nicht enthalten, wurde es auf Vorschlag des Bundestagsausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau in den Entwurf aufgenommen und auf diese Weise Gesetz. Paragraph § 1 Satz 1 des Bundesbodenschutzgesetzes (BBodSchG) formuliert als Zielbestimmung einen "nachhaltigen" Bodenschutz. Auch in der Literatur wird die Meinung vertreten, Bauplanungsrecht und Bodenschutzrecht könnten in wechselseitiger Ergänzung drohenden Gefahren begegnen.
Eine gegenüber dem früheren Rechtszustand umfassende Aufnahme des Nachhaltigkeitsprinzips ist in das Naturschutzrecht erfolgt.
Das Nachhaltigkeitsprinzip ist auch in das Energierecht aufgenommen worden und findet sich in mehreren Zielbestimmungen, insbesondere in § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWiG), in § 1 des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG) und in § 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Die letztere Zweckbestimmung bezeichnet z.B. als Ziel des Gesetzes, im Interesse des Klimaschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen. Allerdings steht das Nachhaltigkeitsprinzip mit den Intentionen des Gesetzes und seinen Regelungsgegenständen in einem derart schwachen Zusammenhang, dass auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründung zum Gesetzentwurf die Vermutung aufkommen mag, die Erwähnung des Nachhaltigkeitsbegriffs habe nur nebensächliche Bedeutung.
Eine der entscheidenden Fragen für die Wirksamkeit des Nachhaltigkeitsprinzips ist die nach seiner Realisierung durch eine verbindliche, sektorübergreifende Planung. Ob die derzeitige Kompetenzlage die Institutionalisierung einer entsprechenden "Nachhaltigkeitsplanung" ermöglicht, ist höchst fraglich.
Es lohnt ein Blick auf Beispiele nationalstaatlicher Rechtsordnungen, darunter auf jene von Neuseeland und Südkorea. Mit dem "Resource Management Act" von 1999 ist eine umfassende Reform des neuseeländischen Umwelt- und Planungsrechts erfolgt. § 5 formuliert das Nachhaltigkeitsprinzip und nimmt die essentiellen Elemente des Nachhaltigkeitsbegriffs als Vorschrift auf. Das Gesetz setzt die ökologischen Belange nicht absolut, sondern ordnet sie dem Wohl der Menschen unter - wobei diese aber nur dann Vorrang genießen, wenn das ökologische Minimum (ecological bottom line) nicht in Gefahr gerät.
Ein anderes bemerkenswertes Beispiel bietet die Republik Korea.
II. Weiterentwicklung des Rechts im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips
Die Verrechtlichung des Nachhaltigkeitsprinzips durch Aufnahme in die Verfassung (Beispiel: Schweiz) oder durch eine medienübergreifende Regelung im einfachen Recht (Beispiel: Korea) würde dazu führen, dass Nachhaltigkeit über das ethische Gebotensein hinaus zu einer - je nach Ausgestaltung der Norm mehr oder weniger - strikten Vorgabe für die staatliche Gewalt und ggf. auch für die Rechtsunterworfenen wird.
Der Nachhaltigkeitsgedanke war in Deutschland bereits in die Erarbeitung des Entwurfs eines Umweltgesetzbuchs eingeflossen. Schon vor der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 rekurrierte der Professorenentwurf zum Allgemeinen Teil des Umweltgesetzbuchs (UGB-AT-ProfE) bei der Begründung des Leitlinienparagraphen des Entwurfs (§ 3) auf den Grundsatz der Nachhaltigkeit. Noch deutlicher bezog sich der Entwurf der Unabhängigen Kommission (UGB-KommE)
Es stellt sich die Frage, ob und wie die vom Sachverständigenrat für Umweltfragen empfohlene Erarbeitung von Plänen im Sinne "breiter, unter gesellschaftlicher Partizipation erstellter, staatlicher Handlungsentwürfe, die medien- und sektorübergreifend langfristige Ziele und Prioritäten einer wirtschafts- und sozialverträglichen Politik festlegen", zur Umsetzung der Nachhaltigkeit beitragen kann. Eine solche Planung würde in Deutschland eine entsprechende Veränderung des Kompetenzgefüges notwendig machen. Die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung kann diese jedenfalls nicht ersetzen.
Eine auf den Umweltschutz fokussierte, umfassende Planung ist in den Sachverständigengutachten zur Einführung eines Umweltgesetzbuches zur Diskussion gestellt worden, und zwar einerseits die integrierte Umweltleitplanung in den §§ 19 - 25 UGB-AT-ProfE und andererseits die Umweltgrundlagenplanung in den §§ 69 - 73 UGB-KommE. Die Umweltleitplanung ist im ProfE als eigenständiger Planungstyp konstruiert, der raumbezogene Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele des Umweltschutzes darstellt und Entwicklungsziele ausweist, die zum Schutz und zur Verbesserung der Umwelt, zur Beseitigung von Umweltschäden sowie zur Umweltvorsorge erforderlich sind (§ 19 UGB-AT-ProfE). Ihre Charakteristika sind der medienübergreifende Ansatz, die externe Verbindlichkeit und das ökologische Abwägungsgebot mit absolutem Vorrang der Belange des Umweltschutzes, wenn eine schwere und langfristige Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen droht (§ 29 Abs. 2 UGB-AT-ProfE).
In der Literatur wird die Auffassung vertreten,
Für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips im Umwelt- und Ressourcenschutz ist vorgeschlagen worden, ein Stoffstrommanagement zu installieren.
III. Ausblick
Für eine Novellierung der Rechtsordnung mit dem Ziel der Verwirklichung des Nachhaltigkeitsprinzips ergeben sich mehrere, sich z. T. überlagernde Ansatzpunkte. Einer der Ansätze ist die Schaffung eines umfassenden Umweltgesetzbuches. Dies ist im UG-KommE bereits versucht worden. Der Entwurf bedürfte allerdings der Vertiefung.
Ferner kann sich die Konkretisierung des Nachhaltigkeitsprinzips nicht auf wenige hervorgehobene Beispiele beschränken, wie das in der rechtlichen Diskussion bisher meist geschieht. Es geht darum, ein umfassendes Umweltgesetzbuch anzustreben. Der damit verbundene Blick auf das Ganze des Rechts dürfte davor schützen, das Prinzip der Nachhaltigkeit gleichsam plakativ an einigen hervorstechenden Beispielen herauszustellen, es aber in den für mindergewichtig gehaltenen Bereichen zu vernachlässigen.
Für den Nachhaltigkeitsdiskurs könnte dies einen interessanten Nebeneffekt haben: Selbst wenn das "Drei-Säulen-Modell" dominant bleiben sollte, würde dem Umweltschutz ein besonderer Rang eingeräumt werden. Der (weiterhin notwendige) Disput könnte sich in der Folge mehr auf die Unterscheidung konzentrieren, die in der umweltwissenschaftlichen Literatur von Anfang an im Zentrum stand: die zwischen starker und schwacher Nachhaltigkeit (strong vs. weak sustainability).