Einleitung
In ihren Koalitionsvereinbarungen 1998 und 2002 bekennen sich die Regierungsparteien zur "Ökologischen Modernisierung". Im Kern ist das ein Ansatz von Umweltpolitik, der die Logik von Innovations- und Diffusionsprozessen in Marktwirtschaften für einen die Umwelt entlastenden technischen Wandel zu nutzen sucht. Eine solche Politik ist notgedrungen nationale Vorreiterpolitik. Was aber sind die Voraussetzungen einer Umweltpolitik des Ersten Schrittes? Ist der Nationalstaat im Zeitalter der Globalisierung und Europäisierung überhaupt noch in der Lage, anspruchsvolle Maßnahmen des Umweltschutzes zu formulieren und durchzusetzen? Zweifel und Sorgen dieser Art sind weit verbreitet. Mit ihnen korrespondiert die Hoffnung neoklassischer Ökonomen, dass nationalstaatliche Regulation im Zeichen von Liberalisierung und weltweiter Marktöffnung umfassend zurückgedrängt werde.
Das gilt auch für die Umweltpolitik. Weder die Furcht vor noch die Hoffnung auf ein tendenzielles Absterben des Staates in der Umweltpolitik finden in der empirischen Forschung Bestätigung (von Einzelbeispielen abgesehen). Aber die Fragestellung hat sich als wissenschaftlich äußerst fruchtbar erwiesen, und die Debatte hat wesentliche neue Erkenntnisse über die Rolle des Nationalstaates in der globalen Arena erbracht. Ich möchte diese in zehn Thesen skizzieren. Ich stütze mich dabei auf internationale Studien ebenso wie auf vergleichende Untersuchungen der Forschungsstelle für Umweltpolitik an der Freien Universität Berlin.
I. Die Globalisierung hat eine Politikarena für umweltpolitische Pionierländer geschaffen
Vorreiter in der Umweltpolitik hat es seit 1970 immer gegeben. Diese Rolle beschränkt sich auf hoch entwickelte Industrieländer. Aber noch nie haben kleinere Länder wie etwa Schweden, Dänemark oder die Niederlande einen solchen Einfluss auf die globale Politik ausgeübt, wie ihnen dies in der Umweltpolitik gelungen ist.
Umweltpolitisches Pionierverhalten von Ländern hat viele Gründe. Einer davon ist politischer Wettbewerb, der als Motiv neben dem wirtschaftlichen Standortwettbewerb durchaus von Bedeutung und mit diesem stark verwoben ist. Politischer Wettbewerb erfordert eine internationale Politikarena. Das internationale System und besonders die internationale Ausbreitung von Umweltpolitik haben diese Arena entstehen lassen und ihr - nicht zuletzt mit dem Ende des Ost-West-Konflikts - zunehmende Bedeutung verliehen.
II. Der Nationalstaat ist Subjekt wie Objekt internationaler Lernprozesse
Umweltpolitik und Umweltverwaltungen hoch entwickelter Länder stehen nicht nur unter hohem politischen Innovationsdruck zur Lösung akuter Umweltprobleme, sie verfügen in aller Regel auch über vergleichsweise leistungsfähige administrative, materielle und technologische Kapazitäten. Gleichzeitig gibt es einen permanenten Suchprozess der Umweltpolitik von Ländern im Hinblick auf best practice, d.h. auf bereits erprobte Problemlösungen.
Es hat für die Entwicklung globaler Umweltpolitik, für die Ausbreitung und Konvergenz bestimmter Standardlösungen erhebliche Bedeutung. Internationale Institutionen wie die OECD, die UNEP oder spezielle Umweltregime können dabei als Diffusionsagenten eine wichtige Rolle spielen. Sie stellen vor allem die Politikarena für Pionierländer bereit. Diese Rolle internationaler Einrichtungen scheint wichtiger zu sein als ihr eigenständiges Pionierverhalten. Die Abbildung zeigt Beispiele der Ausbreitung umweltpolitischer Neuerungen - Umweltministerien oder Umweltstrategien - von Pionierländern in den Rest der Welt. Das Diffusionstempo hat sich in den neunziger Jahren erhöht. Dies bedeutet auch eine insgesamt verbesserte Kapazität der globalen Umweltpolitik, auch wenn das Gefälle der Handlungsfähigkeit von Ländern weiterhin extrem hoch ist.
III. Politikfelder sind von der Globalisierung unterschiedlich betroffen
Der internationale Druck auf Steuern, auf mobile Quellen, Löhne oder Sozialleistungen ist in Zeiten der Globalisierung eine Realität.
IV. Warum gibt es keinen Regulationswettbewerb zu Lasten der Umwelt?
Zahlreiche internationale Querschnittsvergleiche haben die These vom Regulationswettbewerb zu Lasten der Umwelt zurückgewiesen:
Zu diesen seit längerem vertretenen Einwänden gegen die Race-to-the-bottom-These lassen sich zwei Argumente hinzufügen: Die Umweltfrage ist längst eine Dimension des allgemeinen technischen Fortschritts geworden. Sie steht dabei oft im Widerspruch zu anderen Dimensionen des traditionellen, material- und energieintensiven Industrialismus. Aber ein erheblicher Teil der technischen Innovationen schließt Umweltbelange - oft als Nebeneffekt - in vorteilhafter Weise ein.
V. Pionierländer des Umweltschutzes zeichnen sich durch hohe Wettbewerbsfähigkeit aus
Der Global Competitiveness Report 2000 belegt eine bemerkenswert hohe positive Korrelation zwischen anspruchsvoller Umweltpolitik und Wettbewerbsfähigkeit.
Der offensichtliche statistische Zusammenhang zwischen umweltpolitischer Fortschrittlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstandsniveau ist theoretisch gut erklärbar: Hoch entwickelte Industrieländer zeichnen sich sowohl durch eine starke - wahrgenommene - Umweltbelastung als auch durch eine höhere Kapazität für Gegenmaßnahmen aus. Die Folgen einer erhöhten, Motorisierung, Elektrifizierung, Chemisierung oder Betonierung werden in hoch entwickelten Ländern - dank besserer Ausbildung und Wissenschaft - intensiver wahrgenommen. Und die materiellen, administrativen oder technologischen Fähigkeiten dieser Länder zur Problemlösung sind ebenfalls höher (wenn auch keineswegs ausreichend). Dieses Wechselspiel von perzipiertem Problemdruck und (relativ) hoher Handlungsfähigkeit ist offenbar der entscheidende Mechanismus für umwelttechnische Innovationen und umweltpolitisches Pionierverhalten.
VI. Die offene ("globalisierte") Volkswirtschaft bewirkt einen starken Staat
Diese These steht im Widerspruch zur traditionellen ökonomischen Sichtweise, die in einer verstärkten Staatstätigkeit eher eine wettbewerbsschädliche Last sieht. Empirisch ist aber seit längerem durch Querschnittsuntersuchungen für die OECD-Länder belegt, dass offene, in den Weltmarkt stark integrierte Volkswirtschaften sich im Durchschnitt durch eine relativ höhere Staatsquote auszeichnen.
VII. Neue Technologien starten in der Regel auf anspruchsvollen nationalen "Lead-Märkten"
Die ökologische Modernisierung der internationalen Märkte hängt wesentlich von der Entwicklung nationaler "Lead-Märkte" für Umweltinnovationen ab.
Lead-Märkte für umwelttechnische Innovationen sind durch zwei weitere, wesentliche Faktoren gekennzeichnet. Zum Ersten basieren sie typischerweise nicht nur auf höheren Umweltpräferenzen der Käuferschaft des Landes, sondern in aller Regel auch auf speziellen Fördermechanismen der Politik, die dem verbreiteten Marktversagen bei Umweltinnovationen entgegenwirken; die Unterstützungsfunktion der Politik kann gelegentlich auch von Organisationen wie Greenpeace oder auch von Medien wahrgenommen werden. Zum Zweiten bezieht sich ein Lead-Markt für Umweltinnovationen auf potentiell weltweit verbreitete Problemlagen (global environmental needs), ist also schon vom Produktcharakter her auf eine potentiell globale Nachfrage angelegt.
Auch hier erweist sich der (hoch entwickelte) Nationalstaat als wesentlich: Die globale Ökonomie und ihre multinationalen Unternehmen benötigen auch weiterhin Länder, in denen der risikoreiche Start einer innovativen umweltfreundlichen Technologie die nötige politische Unterstützung und innovationsfreudige Käufer findet. Lead-Märkte entwickelter Länder erfüllen für die ökologische Modernisierung der Weltmärkte die Funktion, die Entwicklungskosten von Umweltinnovationen und die Kosten der Überwindung ihrer Kinderkrankheiten aufzubringen, bis die Stufe der internationalen Wettbewerbsfähigkeit erreicht ist. So haben die Behörden in Dänemark und Deutschland vorteilhafte Marktbedingungen geschaffen und die Stromverbraucherinnen und -verbraucher den höheren Preis aufgebracht, den die Windenergie als Starthilfe für den Weltmarkt benötigte.
VIII. Umweltpolitische Innovationen wie auch Rückschritte entstehen primär auf der nationalen Ebene
In einer Expertenbefragung für 20 unterschiedliche Länder der Welt wurde nach den wichtigsten Problemsektoren des Umweltschutzes gefragt. Als Antwort ergab sich: 1. der Energiesektor, 2. der Verkehrssektor, 3. die Landwirtschaft und 4. der Bausektor.
Die Land- und auch die Bauwirtschaft weisen eine besonders intensiv regulierte Nachfrage auf. Immer wieder sind es auch nationale Regierungen, die im Interesse heimischer Industrien internationale Umweltschutzregelungen behindern. Im Übrigen haben Staaten wie die USA, Japan, Großbritannien oder neuerdings auch Dänemark gezeigt, wie weit der Spielraum eines entwickelten Landes für Pionierrollen ebenso wie für Rückschritte sein kann.
IX. Der Nationalstaat wird der "local hero" bleiben
Es gibt kein funktionales Äquivalent für nationale Regierungen, was ihre Sichtbarkeit für den Bürger, ihre Legitimation, ihre Fachkompetenz oder ihre materiellen Ressourcen angeht.
An wen richten wir unsere Beschwerden über spektakuläre Umweltschäden oder Probleme wie BSE, wenn nicht an diesen Akteur? Regierungen haben andererseits keine Ausstiegsmöglichkeit (exit option). Sie benötigen eine materielle und ebenso eine politische Basis. Deshalb reagieren sie nicht nur auf ökonomischen Druck. Die Legitimationsbasis, die sie benötigen, erfordert eine breitere Orientierung. Das schließt zumindest die politisierbaren Umweltthemen ein. Hier zumindest werden Kompromisse zwischen Ökonomie und Ökologie gesucht. Die Antwort der Industrieländer ist typischerweise technologischer Natur. Soweit Technologie Lösungen für Umweltprobleme bietet (oft sind weitergehende strukturelle Lösungen unumgänglich), ist der Handlungsspielraum entwickelter Länder oft größer als gemeinhin vermutet. Diese doppelte Einschränkung - technische Optionen und Entwicklungsstand des Landes - kann allerdings nicht übersehen werden.
X. Globale Steuerung im Umweltbereich erfordert die Kompetenz nationaler Regierungen
Die anhaltende Bedeutung des Nationalstaats ergibt sich unter radikal veränderten Bedingungen. Gerade im Wechselspiel mit der internationalen Ebene gewinnt er neue Handlungskompetenz. Die hier betonte ("horizontale") Sicht der Rolle nationaler Regierungen ist also keine Alternative zur ("vertikalen") Sicht auf die internationalen Institutionen. Das internationale System von der UNO bis zur OECD bietet die notwendige Politikarena für nationalstaatliches Pionierverhalten und ist für den Wissenstransfer globaler Diffusionsprozesse wesentlich. Es ist darüber hinaus unerlässlich als Faktor der internationalen Politikkoordination. Es scheint, dass die Dynamik der globalen Umweltpolitikentwicklung ihre stärksten Motoren in den Vorreiterländern hat.
Auf dem UN-Gipfel in Johannesburg ist die globale Bedeutung von Vorreiterländern besonders deutlich geworden, als die (stark von Deutschland beeinflusste) EU bei dem Streitpunkt der erneuerbaren Energien eine Allianz mit (inzwischen etwa 80) Ländern einleitete, die über das konsensual festgelegte Minimalziel hinausgehen wollen. Genau genommen war das die Geburtsstunde eines zweiten, zusätzlichen Ansatzes der globalen Umweltpolitik, der - über den internationalen Minimalkonsens hinaus - auf politischen wie technologischen Wettbewerbsdruck setzt. Aber auch dieser Ansatz setzt für eine gesteigerte Wirkung in der Sache die internationalen Institutionen - als Arena, Transferagent und Koordinator - voraus.
Schlussfolgerungen
Dieser Beitrag sollte nicht als optimistische Deutung der Globalisierung missverstanden werden. Im Umweltschutz sind zwar Teilerfolge einer wesentlich technologiebasierten Politik zu verzeichnen, aber das Gesamtbild ist eher beunruhigend, insbesondere dort, wo grundlegende Strukturveränderungen erforderlich sind. Die weltweite Wirtschaftsentwicklung erhöht, wie erwähnt, gleichermaßen die Umweltbelastung (beispielsweise im Transportsektor) wie die Fähigkeit, mit solchen Belastungen umzugehen. Den Wettlauf zwischen beiden Tendenzen kann die Umweltpolitik sehr wohl verlieren. Die Frage ist nur, ob dabei die Globalisierung unser Hauptproblem ist.
Insgesamt hat weder die wachsende Bedeutung internationaler Märkte noch die Globalisierung der Politik die Bedeutung des Nationalstaates untergraben. Deshalb ist David Vogel bei der Feststellung zuzustimmen: "(T)he economic dimensions of globalisation have had little, if any, impact on lowering national regulatory standards, while the social and political dimensions of globalisation have, on balance, contributed to the strengthening of national regulatory standards."
An diesem Punkt ist zweierlei zu betonen: In diesem Beitrag ging es um Potentiale und Kapazitäten, und zwar um solche, die in aller Regel nur in den hoch entwickelten Industrieländern anzutreffen sind. Die Situation der Staaten sich entwickelnder Länder wird man ganz anders sehen können. Ferner ging es um Handlungspotentiale einer technologiebasierten Umweltpolitik, die sich der Markt- und der Modernisierungslogik bedient.
Mit dieser Einschränkung können aus den skizzierten zehn Thesen zwei politisch-normative Schlussfolgerungen zur globalen Umweltpolitik gezogen werden. Erstens: Entwickelte Industrieländer verfügen über ein beachtliches Potential, umweltpolitische Veränderungen dadurch zu initiieren, dass sie durch die Übernahme von Pionierrollen Wettbewerbsdruck erzeugen. Dies kann wirksamer sein, als einzig darauf hinzuwirken, mitunter schwache und schwach implementierte internationale Abkommen weltweit in den Ländern umzusetzen. Zweitens: Dieses Potential der entwickelten Industrieländer kann auch als Verpflichtung betrachtet werden, durch umweltpolitische Pionierleistungen bzw. deren rasche Übernahme zur Entwicklung der globalen Umweltpolitik beizutragen. Zumindest für diese Länder ist das Monstrum der Globalisierung keine geeignete Legitimationsformel für umweltpolitische Inaktivität.
Internet-Empfehlungen
Homepage der Forschungsstelle für Umweltpolitik: Externer Link: http://www.fu-berlin.de/ffu
Global Competitiveness Report 2000: Externer Link: http://www.cid.harvard.edu/cidglobal/pdf