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Die lebenswerte Stadt ist möglich Attraktive (Mobilitäts-)Konzepte für die Innenstädte

Heike Leitschuh-Fecht

/ 18 Minuten zu lesen

Alle Versuche, das Auto aus den Städten zurückzudrängen, sind weitgehend gescheitert. Es wird daher in Zukunft vor allem darauf ankommen, die verschiedenen Möglichkeiten der Fortbewegung stärker sinnvoll miteinander zu verknüpfen.

Einleitung

Die europäische Idee der Stadt verbindet viele Funktionen in räumlich konzentrierter Form: Auf relativ engem Raum befinden sich Behörden, Einzelhandelsgeschäfte, Wohnungen, Kultureinrichtungen und viele Unternehmen. Doch an ihren Rändern fransen die Städte immer weiter aus: Noch immer entstehen vor den "Toren" der Stadt neue Wohn- und Gewerbegebiete sowie Einkaufszentren auf der "grünen Wiese". Damit müssen die meisten Menschen immer längere Wege zurücklegen zwischen Wohnung und Arbeitsstelle, zum Einkaufen oder ins Kino. Die Gründe für diese so genannte "Suburbanisierung" sind vor allem ein wenig nachhaltiges Flächenmanagement sowie eine falsche Subventionspolitik. Hinzu kommt, dass insbesondere Familien mit kleinen Kindern zunehmend Wohnungen in verkehrsärmeren Gegenden suchen, weil ihnen die Stadt als ungeeigneter Lebensraum erscheint. Die "Automobilität" begünstigt diesen Trend. Denn trotz der vielen Staus gelingt es noch immer, längere Wegstrecken zu bewältigen, ohne mehr Zeit dafür investieren zu müssen. Dass die Menschen für ein Häuschen im Grünen einen längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen, ist jedoch nicht alleine auf das technisch immer komfortablere Auto zurückzuführen: Auch die Ansiedelungspolitik der Umlandgemeinden, die Subventionierung der Fahrten zum Arbeitsplatz durch die völlig überhöhte Entfernungspauschale sowie politisch abenteuerliche Anreize in der Bau- und Bodenpolitik (Grund- und Grunderwerbssteuer, Eigenheimzulage) induzieren diesen Trend. Alle diese Faktoren zusammen lassen es für viele Menschen überhaupt erst attraktiv erscheinen, aus der Stadt zu ziehen.Dieser Beitrag basiert auf dem Buch der der Autorin, Lust auf Stadt - Ideen und Konzepte für urbane Mobilität, Bonn 2002.


Drängende Themen: Zersiedelung und Flächenfraß

Die Folgen des zunehmenden, meist motorisierten Verkehrs in den Städten sind bekannt, doch die Probleme haben sich verlagert: Schlechte Luft, Umweltbelastungen und Gesundheitsgefährdungen aufgrund von Auto- und Lkw-Abgasen sowie Lärm, aber auch die Gesundheitsgefahren, die von mangelnder Bewegung ausgehen, sind zwar nach wie vor ein wichtiger Diskussionspunkt - insbesondere die klimarelevanten Kohlendioxidemissionen, wofür der Stadtverkehr zu 40 Prozent verantwortlich zeichnet. Andere Probleme sind aber stärker in den Vordergrund gerückt. Individualverkehr beansprucht jede Menge Platz, der für andere Funktionen der Stadt fehlt. Wo Autos fahren und parken, ist kein oder nicht ausreichend Raum für Fußgänger und Radfahrer, haben Kinder weniger Spielmöglichkeiten, gibt es weniger Platz für Ruheräume und Begegnungen. Straßen zerschneiden Städte, Autos erschweren häufig die Mobilität anderer Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer. Die Innenstädte werden unattraktiver, nicht nur für ihre Bewohner. Die Umwelt-, Wohn- und Arbeitsqualität wird stark beeinträchtigt. Die Folge: Die Bevölkerung, aber auch Unternehmen, besonders der Einzelhandel und die Gastronomie, kehren den Innenstädten den Rücken; mit verantwortlich dafür sind oft hohe Mieten. In den Abend- und Nachtstunden sind viele Stadtzentren menschenleer und öde, was sich mancherorts auch zu einem Sicherheitsproblem auswächst. Die Zentren verlieren weiter an Anziehungskraft. Gleichzeitig ufern die Ränder der Städte durch neue Siedlungsstrukturen immer weiter aus, was wiederum deren Naherholungsfunktion verschlechtert. Alles dies erzeugt noch mehr Verkehr mit hohen Energie- und Umweltbelastungen. Ein Teufelskreis, der uns schon seit vielen Jahren beschäftigt, ohne dass es bisher gelungen wäre, die Richtung zu ändern.

Hoher Preis für Mobilität

Die vorherrschende Stellung des Autos kommt die Gesellschaft teuer zu stehen: Der Unterhalt und Neubau von Straßen, Parkplätzen, Lärmschutzvorrichtungen etc. kostet jede Menge Geld, ganz zu schweigen von den Kosten für die vielen unschönen Begleiterscheinungen der "Automobilität" wie Unfälle. Hinzu kommen die vielfältigen sozialen und ökologischen Folgekosten. Das fängt damit an, dass der Autoverkehr relativ gesehen die meisten Klimagase zu verantworten hat, geht über abgasbedingte Gesundheitsschäden der Menschen, Schäden an Pflanzen, Böden und Gewässern, aber auch an Gebäuden, den riesigen Flächenverbrauch bis hin zu den immensen Ressourcen, die ein Auto schon bei der Produktion verschlingt, und zu den Problemen, die sich stellen, wenn es ausrangiert werden soll. Alles das wird nur allzu gern übersehen und ist deshalb auch Bestandteil von Überlegungen, wie die externen Kosten des Verkehrs den Verursachern in Rechnung gestellt werden können. Auch die Autobesitzer verdrängen, wie sehr ihr Gefährt die Haushaltskasse tatsächlich belastet: Vergleichen sie eine Fahrt mit der Bahn und mit dem Auto, rechnen sie meist nur die Benzinkosten. Selbst das kleinste und sparsamste Auto kostet jedoch im Jahr mindestens 3000 Euro, wenn vom Wertverlust über Wartung und Reparaturen bis zu Steuern und Parkgebühren alles eingerechnet wird. Andererseits ist dieser hohe Fixkostenblock auch das zentrale Hindernis dafür, sich eine Monatskarte für den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) zu kaufen.

Doch auch der öffentliche Verkehr kostet, und das nicht zu wenig. Auch er verbraucht Ressourcen, und ein ICE schneidet hinsichtlich des Energieverbrauchs nur dann besser ab, wenn er mindestens zur Hälfte besetzt ist. Die Öffnung der Verkehrsmärkte könnte dazu beitragen, dass der öffentliche Verkehr noch effizienter wird, was die Kosten und den Verbrauch anbelangt. Idealerweise könnte dies zu neuen Angeboten führen, insbesondere in bislang unterversorgten Gebieten. Gleichzeitig muss der Staat aber auch dafür sorgen, dass stets eine Mindestversorgung gewährleistet bleibt. Letztlich ist es also immer eine politische Entscheidung, welche Verkehrsmittel der Staat unterstützen will, und ganz ohne Subventionen für die öffentliche Infrastruktur und den ÖPNV wird es wohl nicht gehen.

Erreichbarkeit und/oder hohe Lebensqualität?

Die Innenstädte müssen erreichbar sein, keine Frage, doch die Lebensqualität dort muss ebenfalls erhalten bzw. noch verbessert werden. Besonders in den Diskussionen zur nachhaltigen Entwicklung auf lokaler Ebene (siehe Kasten) - in den so genannten "Lokale Agenda 21-Prozessen" - ist es

Nachhaltige Entwicklung der Verkehrspolitik


Lokale Agenda 21:

Rund 2 500 Städte und Gemeinden (Stand Mitte 2003) haben sich in Deutschland bislang auf den Weg gemacht, um gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Unternehmen, Vereinen und Verbänden ein Leitbild für eine nachhaltige Kommune, die Lokale Agenda 21, zu erarbeiten sowie Maßnahmen und Projekte zu ihrer Umsetzung zu initiieren. Die Themen Mobilität und Verkehr stehen in fast allen diesen Kommunen ganz weit oben auf der Tagesordnung. Denn die klimarelevanten Emissionen des Straßenverkehrs sind eines der größten Probleme, die Deutschland zu lösen hat, um seine Kohlendioxid-Emissionen bis 2005 um 25 Prozent zu reduzieren. Außerdem erleben die Bürgerinnen und Bürger den Verkehr offensichtlich vielerorts als tagtägliche Belastung. Doch auch in den Agenda-Prozessen ist es schwer, sich auf gemeinsame Ziele und Projekte zu verständigen. Das Auto soll weitgehend raus aus der Stadt, sagen die einen. Das Auto gehört zu einem urbanen Leben dazu, sagen die anderen. Insbesondere der Einzelhandel wehrt sich gegen Verkehrsbeschränkungen und kämpft für mehr Parkplätze. Oft wider besseres Wissen: Denn mehr Parkplätze locken noch mehr Autofahrer in die Innenstadt, Fußgänger und Radfahrer fühlen sich zunehmend unwohl, und wo man nicht mehr gemütlich flanieren kann, macht auch das Einkaufen wenig Spaß. Doch jenseits der alten Grabenkämpfe gibt es auch neue Ideen: So haben Agenda-Aktive im Kreis Kleve ein Internet-gestütztes Pendlernetz aufgebaut, um Berufspendlerinnen und -pendlern zu erleichtern, Fahrgemeinschaften zu bilden und damit Geld zu sparen und die Umwelt zu schonen. Inzwischen sind darin 20 Kreise und kreisfreie Städte von Aachen bis zum Münsterland angeschlossen.

ein ganz zentrales Thema, wie die Zielkonflikte zwischen Mobilitätsansprüchen einerseits und Umwelt- und Lebensqualität andererseits bewältigt werden können. Für eine nachhaltige Entwicklung der Städte ist es besonders bedeutsam, dafür innovative Lösungen zu entwickeln, zu erproben und anzuwenden. Wichtig ist dabei, dass diese Lösungen die bisweilen unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen sozialen, ökologischen und ökonomischen Interessen in den Städten, die oft quer zu den verschiedenen Gruppen liegen können, berücksichtigen - ohne jedoch jede Entscheidung von notorischen Bedenkenträgern abhängig zu machen.

Diskurs stockt

Deutschland gehörte in puncto städtischer Mobilität in der Vergangenheit sicher zu den fortschrittlicheren Ländern. Früh wurde hier vor allem mit dem deutschen Markenzeichen, den Tempo-30-Zonen, etwas für die Verkehrsberuhigung getan, der Radverkehr gefördert, das öffentliche Verkehrsnetz modernisiert. Doch inzwischen scheint die Debatte um die Innenstädte erlahmt zu sein. Auf die offenen Fragen finden sich selten interessante Antworten, geschweige denn Strategien:

- Unklarheit besteht darüber, ob die Idee der europäischen Stadt mit ihren dichten, gemischten und heterogenen Strukturen noch als Leitbild bestehen kann. Wenn die weitere Zersiedelung der Landschaft aufgehalten werden soll, wie können dann die Bedürfnisse, die die Menschen ins Eigenheim im Grünen ziehen, innerhalb der Stadt befriedigt werden? Wir brauchen eine breite, nach vorne gerichtete Diskussion über die Entwicklung der Innenstädte - sowohl in Fachkreisen als auch in der Politik -, um die bisher eher defensiven Problemdebatten, wie die über Angst vor sozialer Entmischung und Ghettobildung oder über die Krise des Einzelhandels, zu überwinden.

- Dementsprechend finden sich auch kaum ganzheitliche und innovative Ansätze für Umgestaltungsprozesse. Traut sich jemand, ein solches Konzept zu entwerfen, dann bleibt er oder sie in der Regel die Antwort auf die Frage schuldig, wie die "Verkehrswende" realistisch aussehen sollte.

- Alle bekannten Beispiele, die sich vom "Mainstream" abheben und in der Fachwelt als ungewöhnlich bis vorbildlich gelten, beziehen sich bislang immer nur auf Teilbereiche innerstädtischer Mobilität bzw. Stadtgestaltung. In ganz Europa ist kein Beispiel bekannt, das als gelungenes universelles Gesamtkonzept gelten kann - nicht einmal auf dem Papier.

- Es fällt auf, dass die Expertinnen und Experten immer wieder die zum Teil schon seit Jahren bekannten Beispiele bemühen. Wiederholt tauchen die Städtenamen Bologna, Freiburg, Groningen, Münster oder Zürich auf. Werden neue Namen genannt, so handelt es sich in der Regel um kleinere Städte, teilweise unter 30 000 Einwohnern. Abgesehen davon, dass in mancher ehemaligen Vorzeigestadt, wie zum Beispiel Bologna, inzwischen ein verkehrspolitischer Roll-Back eingesetzt hat, sind es derzeit offensichtlich eher die kleineren Städte, die sich an Neues heranwagen. Zum Teil vollziehen sich hier die Innovationen im Zusammenhang mit den Prozessen der Lokalen Agenda 21.

- Während sich in den Teilbereichen Fußgänger- und Radverkehr, sowie ÖPNV mit neuen Mobilitätskonzepten (z.B. Car-Sharing) und vor allem mit den autoarmen oder -freien Stadtteilen zwar nichts Revolutionäres, aber dennoch etwas Spannendes tut, scheint es im Bereich Lieferverkehr seit dem Scheitern bzw. der Stagnation der meisten City-Logistik-Konzepte kaum noch Neues zu geben.

- Ein Blick in die neuere Literatur zeigt, dass zwar immer wieder interessante Bücher zur "Mobilität von morgen" erscheinen, es aber offensichtlich sehr schwer ist, kommunale Einzelprojekte sinnvoll zu generalisieren. Außerdem bleiben viele Ideen im normativen Appell "man sollte und müsste" stecken.

Chancen sehen statt jammern

Die finanziellen Spielräume der Städte sind sehr begrenzt, und auf absehbare Zeit sind wohl kaum neue Geldflüsse zu erwarten. Dies kann man beklagen oder man kann die Dinge auch einmal von einer anderen Warte betrachten: Teure kommunale Großinvestitionen in den öffentlichen Verkehr sind wohl genauso wenig möglich wie neue Straßenbauprojekte oder Parkhäuser, die nur neue Verkehrsströme in die Innenstädte lenken würden. Dagegen birgt der in vielen Städten beobachtbare Rückgang der Wohnbevölkerung - ein Phänomen, das es durchaus nicht nur im Osten Deutschlands gibt - auch die Chance, städtebauliche Sünden insbesondere der siebziger Jahre zumindest teilweise zu korrigieren: So könnten Straßen zurückgebaut, Plätze und Naherholungsflächen sowie Bauflächen für Familien mit Kindern und damit urbanes Ambiente neu entstehen, vielleicht sogar hässliche Parkhäuser abgerissen werden.

Insgesamt könnte also auch in der Verkehrspolitik die Krise als Chance verstanden und angenommen werden. Wenn die Städte ihre Bevölkerung halten wollen, müssen sie sich auch Gedanken um ihre Attraktivität machen, und diese hängt nicht zuletzt davon ab, wie man sich als Fußgängerin oder Radfahrer, mit Einkaufstasche und Kinderwagen in einer Stadt bewegen und wohl fühlen kann.

Untätigkeit wäre also auch in der Verkehrspolitik fatal, doch geht es heute mehr denn je um pfiffige, kostengünstige und effiziente Lösungen. Diese Anforderungen sollten die Richtschnur für Ausschreibungen sein.

Belebung durch neue Ideen

Es finden sich durchaus vereinzelt Ideen, Visionen und "konkrete Utopien" mit praktischen Ansätzen, wie die Städte wieder lebens- und liebenswerter, wie Natur und Umwelt besser integriert werden könnten; deren Umsetzung wäre - auch in finanzieller Hinsicht - möglich. Man findet sie in Deutschland, Italien, in den Niederlanden oder der Schweiz. Besonders spannend sind gerade jene Konzepte, die quer zu dem liegen, was heute üblich ist und deshalb schnell mit dem Satz "Das geht doch alles nicht" in den Schubladen der Stadt- und Verkehrsplaner verschwindet.

Solche Beispiele können die Fantasie anregen, Denkblockaden lockern und vielleicht sogar den einen oder die andere motivieren, die Projekte der Kolleginnen und Kollegen in anderen Städten nachzuahmen und ebenfalls Neues zu versuchen. Einige dieser Beispiele werden nachfolgend skizziert.

1. Veränderte Lebensformen und Leitbilder

Viele Projekte im Verkehrsbereich beziehen sich derzeit auf technische Instrumente und Lösungen. Diese scheinen jedoch nur sehr eingeschränkt dazu beizutragen, positive Impulse zu setzen. Technische Lösungen beziehen die Menschen als Akteure meist nur passiv ein und sind in der Regel auch nicht geeignet, Begeisterung für Veränderungen auszulösen. Verkehrsleitsysteme z.B. mögen sinnvoll sein, doch in der Regel sind sie teuer und setzen nicht an den Grundfragen der Entstehung bzw. der Neuorganisation von Mobilität an. Es sind jedoch in den meisten Fällen solche technischen Innovationen, auf welche die Kommunen derzeit - dies ergab die Auswertung der Beiträge eines Städtewettbewerbs des ADAC im Jahr 2001 - besonderen Wert legen.

Viel interessanter sind dagegen neue Lebensformen, Arbeits- und Verkehrsorganisationen, andere Siedlungsstrukturen, Managementsysteme, dezentrale Produktions- und Konsumstrukturen, die weniger verkehrsintensiv sind, ohne grundlegende Freiheitsrechte oder marktwirtschaftliche Grundsätze zu verletzen. Denn: Die bisherige Diskussion um nachhaltige Entwicklung hat sehr deutlich gezeigt, dass durchgreifende Effekte nur erzielbar sind, wenn sich vor allem Strukturen und Haltungen ändern.

Es ist zum Beipiel die Sehnsucht nach mehr und besseren gutnachbarschaftlichen und verkehrsberuhigten Wohnformen, die viel Raum für eigene Gestaltung lassen, welche die Menschen gerne im neuen Freiburger Stadtteil Vauban leben lässt. Hier hat die Stadt ein mutiges Experiment gewagt: Eine ehemalige Garnison soll sich zu einem autoarmen Quartier entwickeln, in dem so ökologisch wie möglich gebaut wird, Wohnen, Arbeiten und Einzelhandel integriert werden und die Bewohnerinnen und Bewohner die Planungen mitgestalten. Dies stellt neue Anforderungen an die Stadt, die sich dem Prinzip einer "lernenden Planung" verschrieben hat, und könnte ein Lehrexempel für nachhaltige Stadtentwicklung sein.

Das Ziel, in den Städten wieder ein lebendiges, gesundes Leben und Arbeiten zu ermöglichen, ist eine Querschnittsaufgabe: Städtebauliche Aspekte sind genauso gefragt wie die Struktur der lokalen Ökonomie, besonders des Einzelhandels. Das zeigt das Beispiel der "Slow City" im italienischen Greve, wo man sich ganz bewusst darauf konzentriert, das typische, unverwechselbare lokale Profil zu erhalten. Dieses Konzept, das sich die Bürgermeister von Orvieto und von Greve im Chianti ausgedacht und dem sich inzwischen rund 50 meist kleinere und mittlere italienische Städte angeschlossen haben, wird als eine Strategie betrachtet, um dem Druck der Globalisierung und ihrer Tendenz zur Vereinheitlichung zu begegnen. Das Ziel: Die Städte sollen sich auf ihre jeweiligen und unverwechselbaren Eigenheiten besinnen und diese zum Wettbewerbsfaktor ausbauen. Dies betrifft vor allem die lokalen und regionalen Produkte, Angebote sowie Handwerke.

2. Neues Verhalten, neue Rhythmen

Da in der Stadt viele Akteure zum Gelingen neuer Konzepte beitragen müssen, sind vor allem solche Ideen und Visionen interessant, die gemeinschaftliches Handeln der Akteure ermöglichen bzw. dieses voraussetzen. Gerade die Unternehmen einer Kommune, sei es im Einzelhandel, in der Gastronomie oder auch im produzierenden Gewerbe, spielen dabei eine zentrale Rolle - und zwar in mehrfacher Hinsicht (Erreichbarkeit für Kunden und Beschäftigte, attraktives Umfeld etc.). Einerseits leiden die Unternehmen selbst unter übermäßigem Verkehr und der schwindenden Attraktivität der Städte, andererseits sind sie oft Teil des Problems. In einigen lokalen Agenda-Prozessen konnten gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltungen, Wirtschaft, Vereinen und Bürgern gesammelt werden.

Will man Städte wieder lebenswerter machen, so müssen eine Menge komplexer Einzelaspekte beachtet sowie viele Akteure (Stadt- und Verkehrsplanung, lokale Wirtschaft, öffentliche Verkehrsträger, Verbände und nicht zuletzt Bürgerinnen und Bürger) einbezogen werden. Nur dann können die Veränderungen dauerhaft erfolgreich sein. Dauerhafte, also nachhaltig wirksame Lösungen sind eher im Bereich sozialer und organisatorischer Innovationen zu suchen. Dies zeigt sehr anschaulich das Beispiel der Kleinstadt Burgdorf in der Schweiz, wo es (drei sehr unterschiedlichen Menschen) gelungen ist, mit der "Flanierzone" auf ungewöhnliche Weise Fußgänger und Autos miteinander zu versöhnen. In der 15 000-Einwohner-Stadt gab es dieselben Auseinandersetzungen, wie sie fast überall anzutreffen sind: Einzelhandel und Bürger stritten sich darum, wie viel Autoverkehr in der Innenstadt nötig bzw. verkraftbar ist. Doch entgegen der weit verbreiteten Alles-oder-nichts-Haltung, die nur zwischen den Polen "Autos raus!" oder "autogerechte Stadt" pendelt, einigte man sich in Burgdorf auf ein Kompromissmodell, das zeitgemäßer erscheint als die üblichen Fußgängerzonen. In der "Flanierzone", die auch eine viel befahrene Hauptstraße umfasst (!), darf der motorisierte Verkehr nur Tempo 20 fahren, und Fußgänger haben stets Vorfahrt. Damit sind alle Verkehrsteilnehmer zu gegenseitiger Rücksichtnahme gezwungen. Und: Die Flanierzone ist ein ausgesprochenes Low-Budget-Projekt. Das Modellprojekt ist erfolgreich, wurde inzwischen sogar in nationales schweizerisches Recht überführt und von anderen Kommunen nachgeahmt.

Soziale und querschnittsorientierte Innovationen sind auch erforderlich, wenn es um die Frage geht, ob die Öffnungszeiten des Einzelhandels sowie lokaler und kultureller Einrichtungen eigentlich noch zu den Lebensgewohnheiten der Bürgerinnen und Bürger passen. In Bremen und Hanau wird mit den Projekten "Zeiten der Stadt" versucht, die Öffnungszeiten von Ämtern, Kindergärten etc. und die Zeitpläne der öffentlichen Verkehrsmittel sowie die Arbeitszeiten der Unternehmen mit den Lebensbedingungen der Bevölkerung zu koordinieren. Entscheidend ist jedoch, dass die Planungen integriert, also aufeinander abgestimmt werden. Das ist ein interaktiver Prozess, der nicht von oben verordnet werden kann. Dazu müssen alle Akteure an einen Tisch und ihre unterschiedlichen Interessen darlegen und Lösungsmodelle aushandeln.

3. Innovative Angebote

Die Mobilitätsangebote müssen sich veränderten Bedürfnissen anpassen. Neue Wege geht hier die Volkswagen AG mit ihrem "Mietermobil" in Wolfsburg. Es will das Car-Sharing komfortabler und für die Nutzerinnen und Nutzer so einfach wie irgend möglich machen, indem dieses eng mit einer Wohnanlage gekoppelt wird. Die bisherigen Car-Sharing-Modelle haben (mindestens) einen dicken Haken: Die Autos stehen oft weit weg von der eigenen Wohnung. Nicht so beim "Mietermobil". Hier können die Nutzer quasi vom Küchenfenster aus sehen, ob ein Wagen verfügbar ist, und sich auch mal spontan zu einer Fahrt entschließen. Der Ausleihvorgang erfolgt einfach und sicher über moderne Technologie am Service-Automat im Hauseingang, die Rechnung wird monatlich mit der Miete abgebucht. Dieses Projekt könnte den nur langsam wachsenden Car-Sharing-Markt beleben und ist zudem interessant für Immobilienfirmen, die immer mehr um Mieter werben müssen.

Oder Call a Bike mit einem völlig neuen Typus des Fahrradverleihs in München, Frankfurt und Berlin: Die hochmodernen Räder sind überall in der Stadt verteilt und können spontan und per Telefon entliehen werden. Braucht man das Rad nicht mehr, lässt man es einfach irgendwo stehen und gibt über Telefon den Standort an die Zentrale durch. Was ursprünglich die Idee eines kleinen Start-Up-Unternehmens war, wurde jetzt von der Deutschen Bahn AG übernommen. Diese prüft derzeit, ob sich das Modell im Großversuch bewährt und sich gegebenenfalls auch in anderen Großstädten einsetzen lässt.

Oder nehmen wir das Projekt "Cash Car" in Berlin, das die Idee des Car-Sharing auf den Kopf stellt. Für Leute, die regelmäßig ein Auto brauchen, ist Car-Sharing keine Alternative. Da hatten zwei Brüder, die Gründer von "StattAuto Berlin", eine neue Idee: Cash Car, das geleaste Auto, das weitervermietet werden kann, wenn es nicht gebraucht wird, und so noch Geld verdient. Dieses Konzept ist vor allem für gewerbliche und institutionelle Kunden interessant (business-car). Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), die Audi AG, die Berliner StattAuto Car Sharing AG sowie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) schoben das Projekt an und gründeten die Choice mobilitätsproviding GmbH. Ein Feldversuch sollte zeigen, ob sich diese visionäre Form der Autonutzung durchsetzen kann. Inzwischen verfolgt die Deutsche Bahn AG, die mit ihrer DB Rent bundesweit daran arbeitet, Car-Sharing als Franchising aufzubauen, das Projekt in eigener Regie. Wesentliche Elemente von Cash Car wie einfache Nutzung, einheitliche Tarife, bequemer Zugang zu den Fahrzeugen, Kombination mit ÖPNV und Fernverkehr wurden dabei übernommen.

4. Reizvolle Images

Die Entscheidung für ein Verkehrsmittel ist aber nur zum Teil - und vielleicht sogar zum kleineren Teil - eine rationale Abwägung zwischen Kosten, Fahrtzeit, Bequemlichkeit oder gar Umweltaspekten. Die Menschen haben bei der Wahl ihrer Verkehrsmittel feste Gewohnheiten. Diese Routine zu durchbrechen ist nicht einfach. Auch emotionale Gründe spielen dabei eine maßgebliche Rolle: Ein Auto kann das Selbstwertgefühl seines Fahrer oder seiner Fahrerin heben, die Art des Autos unterstreicht möglicherweise das Image, das man gerne von sich verbreiten würde: cool, rasant, draufgängerisch, elegant, nobel oder völlig unkonventionell. Das Auto gibt vielen Menschen ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, das sie vielleicht im Alltag vermissen. Die Anzahl der PS übertragen manche Zeitgenossen auf ihre persönliche Kraft oder gar ihre erotische Ausstrahlung. Mit anderen Verkehrsmitteln sind solche Nebenprodukte der Mobilität weit schwerer zu erreichen. Doch der öffentliche oder der Radverkehr kann im Wettbewerb mit dem Auto nur sehr bedingt Punkte sammeln, wenn sich solche Dinge nicht auch im Marketing niederschlagen.

Die Essener Verkehrs-AG (EVAG) hat dies erkannt und überrascht ihre Kundinnen und Kunden und solche, die es noch werden können, immer wieder mit ihrer frechen, Aufsehen erregenden Werbung. Es mag eine Reihe von Verkehrsbetrieben geben, die in Sachen "Hardware" mehr zu bieten haben. Doch in der Kommunikation können sich alle etwas von den Essenern abschauen. Mit ihren ungewöhnlichen Kampagnen haben sie es geschafft, der EVAG zu einem sensationellen Bekanntheitsgrad von 99 Prozent zu verhelfen.

Und in Bozen - nicht gerade das Mekka der Radfahrer - weiß man, dass insbesondere jugendliche Italiener nur dann für das Radeln zu begeistern sind, wenn damit auch ein für sie attraktives Lebensgefühl transportiert wird, wenn Radfahren ein Bestandteil des "ökologischen Wohlstands" wird. Dieses soll nun mit einer Imagekampagne, aber auch mit Verbesserungen in der Infrastruktur erreicht werden.

Eine Straßenbahn wird es sicher nur selten schaffen, Menschen so in ihren Bann zu ziehen wie ein schickes, schnelles Auto. Doch es müsste zumindest möglich sein, die verschiedenen umwelt- und sozialverträglicheren Formen der Mobilität gesellschaftlich attraktiver zu machen - was sicher nicht allein, aber auch eine Frage des Images ist. Die Beispiele von Großstädten in der Schweiz oder auch aus Straßburg, Freiburg, Karlsruhe und Saarbrücken lassen hoffen.

5. Aus Problemen Chancen machen

Wer genau hinschaut, findet im Bereich der Mobilität in manchen Städten Ungewöhnliches, Sperriges und Querliegendes. Die hier genannten Beispiele behandeln immer nur einen Teilbereich der kommunalen Problempalette. Den großen Wurf scheint es nicht zu geben, und vielleicht wäre der auch gar nicht realisierbar. Doch viele einzelne Puzzlesteine ergeben irgendwann auch ein Bild.

Es gibt aber auch solche Beispiele, bei denen Städte sich einem großen, neuen Problem gegenübersehen und darin die Chance erkennen, Dinge zu verbessern. So galt Groningen in den Niederlanden zum Beispiel lange Zeit als das Vorzeigeprojekt umweltfreundlicher Innenstadtentwicklung und steht nun vor der schweren Aufgabe, diesen Ruf zu bewahren. Der Druck des Einzelhandels wächst, die großflächig autofreie Innenstadt wieder für den motorisierten Verkehr zu öffnen. Doch auch die Bürgerinnen und Bürger machen Druck. In dieser Situation setzt die Stadt in einem breit angelegten Beteiligungsverfahren auf die Möglichkeit, zu konsensualen Lösungen zu gelangen.

Leipzig, eine Stadt, deren Einwohnerzahl im vergangenen Jahrzehnt in der Kernstadt stark gesunken ist, hat eigentlich noch keine ausgefeilten Lösungen, mit dieser Entwicklung umzugehen. Doch anstatt das Problem zu verdrängen, stellt sich die Stadtverwaltung ihm und sieht darin - wie oben beschrieben - auch die Chance, durch Rückbau die Qualität des Stadtbilds zu verbessern.

Die Herausforderungen für die Städte sind immens: Das Auto hat nichts von seiner enormen Anziehungskraft eingebüßt - es konnte im Gegenteil seine dominante Stellung bislang spielend behaupten. Um die Umwelt- und Lebensqualität in den Innenstädten zu verbessern, sollte der motorisierte Individualverkehr gleichwohl zurückgedrängt werden. Andererseits haben alle verschiedenen Mobilitätsformen je nach Raum und Zeit ihre Berechtigung. Es zeichnet sich ab, dass es in Zukunft vor allem darauf ankommen wird, die verschiedenen Möglichkeiten der Fortbewegung stärker sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Doch noch gibt es keine Anbieter für integrierte, intermodale Verkehrsdienstleistungen, also solche, bei denen man zum Beispiel bei einer Fahrt von einem Ort im Bergischen Land in einen Randbezirk Frankfurts alle Infos und Tickets der dafür benötigten Verkehrsmittel "aus einer Hand" bekommt: Bus, ICE, U-Bahn, Mietwagen, Taxi oder Fahrrad.

Die Ratlosigkeit bei Verkehrspolitikerinnen und -politikern ist allenthalben groß. In kaum einem anderen politischen Gestaltungsbereich schlagen die Wogen so schnell und so heftig hoch, sobald jemand auch nur kleine Korrekturen am Status quo vorzunehmen versucht. Sofort stehen die (laut)starken Gegner auf der Matte und dominieren die Diskussion, besonders gerne mit dem Argument des Arbeitsplatzverlustes. Und Wahlen lassen sich so schon mal gar nicht gewinnen. Wer vor allen diesen Schwierigkeiten nicht den Kopf einzieht, braucht Mut, Geschick und Durchhaltevermögen. Es wäre schön, wenn die Bürgerinnen und Bürger diese Eigenschaften - besonders bei Wahlen - stärker honorierten.

Internetverweise der Autorin:

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nachhaltig ist eine Entwicklung, die weder zu Lasten des globalen Ökosystems noch der Entwicklungsländer, noch zu Lasten künfiger Generationen geht.

  2. Beispielsweise veröffentlichte Greenpeace 1994 die Studie "Schwerin: Vision einer autofreien Stadt".

  3. Vgl. Sassa Franke, Car-Sharing, Vom Ökoprojekt zur Dienstleistung, Berlin 2000.

  4. Anmerkung der Redaktion: Siehe auch den Beitrag von Wolfgang Kil, Marta Doehler und Michael Bräuer in diesem Heft.

Dipl.-Pol., geb. 1958; Autorin, Moderatorin und Beraterin für Nachhaltige Entwicklung in Frankfurt am Main.
Dienstanschrift: Hamburger Allee 69, 60486 Frankfurt/M.E-mail: E-Mail Link: Felei@t-online.de www.leitschuh-fecht.de

Veröffentlichungen u.a.: (zus. mit Ulrich Steger) Mächtig, aber allein - Unternehmen im ökologischen Diskurs mit der Gesellschaft, in: Günter Altner u.a. (Hrsg.), Jahrbuch Ökologie 2003, München 2002; Mit dem Stakeholder-Dialog zur Nachhaltigkeit, in: uwf UmweltWirtschaftsForum, 10 (2002) 1.