Marginalisierte Quartiere in der stadtsoziologischen Diskussion
Im Zuge der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaften und der Wissenschaften nahm auch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg das Interesse der Soziologinnen und Soziologen zu, sich explizit mit dem Thema "Stadt" auseinander zu setzen. Insbesondere mit dem Aufkommen der Lebensstilforschung in den achtziger Jahren und der Diskussion um die Zukunft der "Sozialen Stadt" seit Anfang der neunziger Jahre
Allerdings hatten sich schon lange Zeit zuvor namhafte Soziologen mit städtischen Phänomenen beschäftigt, etwa Max Weber, der die Stadt als bedeutenden Träger der Rationalität und somit als Motor der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gesehen hat. Auch für Karl Marx spielte die Stadt als Versammlungsort des Proletariats und als Ort der Entstehung der Revolution eine wichtige Rolle. Georg Simmel maß dieser eine große Bedeutung in Bezug auf die Entwicklung sozialer Beziehungen bei. Für alle Autoren stand jedoch die Gesellschaftstheorie im Vordergrund, in der die Stadt allerdings eine zentrale Rolle einnahm und zwar als Ursache wie als Wirkung gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Es ist m.E. nach wie vor wichtig, die Stadtsoziologie in eine Theorie der Gesellschaft einzubetten.
Betrachtet man die deutschsprachigen stadtsoziologischen Diskussionen der vergangenen Jahre, so erkennt man zwei Grundpositionen:
Die VertreterInnen der ersten Position sehen eine negative Entwicklung der Städte:
- Das Ende der zivilisierten Stadt sei in Sicht;
- die Stadt sei von einer Krise erfasst
- die Stadt sei durch den fortgeschrittenen Kapitalismus zweckentfremdet.
Die VertreterInnen der zweiten Position relativieren das Bild von bzw. die Kritik an der fehlenden Integrationskraft der Städte:
- Ungleichheit und Konflikte seien nicht der Stadt, sondern gesamtgesellschaftlichen Entscheidungen geschuldet;
- das zivilgesellschaftliche Potenzial der europäischen Städte sei relativ hoch
- die Ressourcen der Menschen zur Verbesserung der Situation in marginalisierten Quartieren würden unterschätzt.
Welches dieser Szenarien ist - empirisch gesehen - haltbar?
Fragt man die Betroffenen - die Menschen in den Städten - gehen die Meinungen auseinander. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die sich aufgrund des vielfältigen Angebots an Arbeit, Wohnungen, Freizeitgestaltung, Verkehrsanbindung und sozialen und kulturellen Einrichtungen in Städten nach wie vor wohl fühlen, auf der anderen Seite gibt es immer mehr Menschen, die ihre Quartiere - gemeint sind die Wohnviertel, Stadtbezirke, der jeweilige Kiez - am liebsten sofort verlassen würden.
Bei der Analyse wird deutlich, dass es sich um eine Krise handelt, die in erster Linie bestimmte Quartiere in bestimmten Städten betrifft. Dabei konzentrieren sich die Krisen vor allem in den im Zuge der Industrialisierung stark gewachsenen Städten, den heutigen Großstädten. Aber auch unter den Großstädten gibt es enorme Differenzen z.B. zwischen den ostdeutschen Städten, den Städten des Ruhrgebiets oder süddeutschen Städten wie Stuttgart oder München. Insgesamt ist die Situation in der Bundesrepublik gegenüber den amerikanischen Ghettos oder den französischen "banlieues" jedoch weitaus weniger brenzlig, auch wenn soziale Segregation und Polarisierung in jüngster Zeit in deutschen Städten zunehmen.
Aus wissenschaftlicher Perspektive ist es wichtig, dass die soziologische Stadtforschung - will sie der Komplexität der Entwicklung der Städte gerecht werden - nicht nur Probleme, sondern auch Stärken der Städte und ihrer BewohnerInnen aufzeigt. Auf der Seite der Schwierigkeiten der Stadtentwicklung fehlt die Betrachtung der Stigmatisierung marginalisierter Quartiere, etwa durch medial aufbereitete wissenschaftliche Analysen oder durch politische Stellungnahmen und Verlautbarungen, können doch durch solche negativen "Bilder" bereits positiv verlaufende Veränderungsprozesse beeinträchtigt oder gar blockiert werden. Auf der Seite der Stärken müssten die Möglichkeiten einer positiven Quartiersentwicklung und die Ressourcen der BewohnerInnen stärker hervorgehoben werden. Dadurch wird erstens ersichtlich, dass die negative Entwicklung durchaus veränderbar ist; zweitens kann man ablesen, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Situation in den Quartieren zu verbessern.
Theoretische Überlegungen zur Marginalisierung städtischer Quartiere
1. Ein Modell der Integration der Individuen in urbanen Gesellschaften
Um die Integration von Menschen in urbanen Gesellschaften zu veranschaulichen, bedient sich die Soziologie theoretischer Modelle. Auf diese Weise können gesellschaftliche Aktivitäten dargestellt werden, allerdings nur auf einer abstrakten Ebene. Um Kenntnisse über konkrete gesellschaftliche Abläufe zu erlangen, ist Feldforschung quantitativer oder qualitativer Art unerlässlich.
Das folgende Modell (vgl. Schaubild 1), mit dem ich mich auf Jürgen Habermas' Modell von "System" und "Lebenswelt"
Die Integration von Menschen in urbanen Gesellschaften erfolgt durch gesellschaftliche Systeme (Systemintegration), innerhalb der Lebenswelt und mit Hilfe von verständigungsorientierten Diskursen (Sozialintegration). Ziel der Integration der Individuen durch gesellschaftliche Systeme ist deren Einschluss (Inklusion) in den Bereichen der Ökonomie, des Rechts etc. Ziel der Integration der Individuen durch die Lebenswelt ist deren Anerkennung in Bezug auf Kultur, Werte, Milieus, ihre Lebensstile etc. Ziel der Integration der Individuen durch verständigungsorientierte Diskurse ist deren Partizipation im Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements.
2. Ein Modell der Marginalisierung städtischer Quartiere
Bezieht man das Modell auf das Phänomen der Marginalisierung städtischer Quartiere, so erhält man in etwa folgendes Modell (vgl. Schaubild 2):
Um die Entstehung marginalisierter Quartiere als Folge des Einflusses der gesellschaftlichen Systeme zu verdeutlichen, muss man die wirtschaftliche Schwäche, die rechtliche Benachteiligung, das Fehlen kultureller und sozialer Einrichtungen und städtebauliche Mängel aufzeigen. Die wirtschaftliche Schwäche dieser Quartiere drückt sich in der Regel durch eine Kumulation ökonomischer Probleme aus, das heißt, in diesen Vierteln wohnen überdurchschnittlich viele SozialhilfeempfängerInnen, Arbeitslose, BezieherInnen von Wohngeld, Alleinerziehende und Alte. Rechtlich benachteiligt sind die BewohnerInnen dieser Orte dadurch, dass viele keinen deutschen Pass besitzen und auf wichtigen Ebenen von der politischen Partizipation ausgeschlossen sind. Auch kulturelle und soziale Einrichtungen sind kaum zu finden. Um ins Theater und Kino zu gehen oder an sonstigen kulturellen Angeboten teilzuhaben, muss man das Quartier verlassen. Es gibt z.B. nur wenige Kindergärten und Horte, zu wenig weiterführende und höhere Schulen, selten öffentliche Bibliotheken und weniger Ärzte als in anderen Stadtvierteln. Städtebauliche Mängel sind z.B. die dichte Bebauung, die schlechte Bausubstanz vieler Wohnungen, die zu dunklen Hinterhöfe oder die zu wenigen Grünanlagen in unmittelbarer Umgebung - die schlechte Wohnqualität.
Ist die systemische Inklusion der Individuen dermaßen lückenhaft, kann es zu sozialen Problemen kommen, die in der Lebenswelt sichtbar werden. Ist zudem die Anerkennung der lebensweltlichen Bezüge (der Kultur, der Identität) in den Quartieren gefährdet oder gar nicht gegeben, kann es entweder zu apathischen Zuständen, zu einem Rückzug ins Private oder auch zu Gewalt und Rassismus kommen. Andere BewohnerInnen versuchen möglicherweise, sich mittels verständigungsorientierter Diskurse in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, eine Bürgerinitiative zu gründen oder auch an Stadtteilforen teilzunehmen und dort ihren Unmut über die Lage kundzutun. Ist das Medium Öffentlichkeit ebenfalls blockiert, gerät die Situation zumeist außer Kontrolle, die Alternativen werden noch geringer, es kommt verstärkt zu Kriminalität oder Apathie.
Zur Entstehung marginalisierter Quartiere
Der Marginalisierung geht der Prozess der Polarisierung voraus. Quartiere können erst dann verelenden, wenn zuvor eine Differenzierung bzw. eine Segregation stattgefunden hat. In unserem Fall ist dies zunächst die Polarisierung zwischen Städten. Zu unterscheiden ist deshalb eine Polarisierung zwischen bundesdeutschen Städten und zwischen Stadtquartieren.
1. Die Polarisierung zwischen bundesdeutschen Städten
Mit Polarisierung ist vor allem das Auseinanderdriften von Orten in Bezug auf die bereits genannten Kriterien wirtschaftliche Lage, kulturelle Infrastruktur und soziale Probleme gemeint. Betroffen sind davon in erster Linie die bundesdeutschen Großstädte. Spätestens seit den siebziger Jahren beginnt eine Segregation der Städte, die in den achtziger Jahren durch regionale Krisen und Umstrukturierungsprozesse noch verstärkt wird. Ab 1987 stagniert diese Ausdifferenzierung, die Entwicklung verläuft dann auf hohem Niveau parallel.
Bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten war die Differenz in Bezug auf die wirtschaftliche Stärke zwischen dem Ruhrgebiet und den florierenden Städten im Süden der Republik besonders groß. In Frankfurt am Main war 1985 die Quote der Bauinvestitionen fast dreimal so hoch wie in Oberhausen. In Stuttgart und Frankfurt am Main entsprach die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in etwa der Einwohnerzahl. In Dortmund, Duisburg und Bochum stellen sich die Verhältnisse anders dar: Hier war die Einwohnerzahl doppelt so hoch wie die Anzahl der Beschäftigten. Eine vergleichbare Entwicklung gab es bei den Gewerbesteuereinnahmen. Während diese 1985 in München fast sieben Mal, in Frankfurt am Main mehr als acht Mal so hoch waren wie 1960, hatten sie sich in Duisburg, Bochum und Gelsenkirchen im selben Zeitraum gerade verdoppelt. Vergleichbare Ungleichheitsverhältnisse weisen diese Städte in Bezug auf die Arbeitslosenquote und die Kaufkraft in den Jahren 1985 bzw. 1986 auf.
Dieses Bild ändert sich erst langsam seit 1991, als die ersten Daten für Städte in den ostdeutschen Bundesländern vorgelegt wurden. Jetzt rangieren nicht mehr die Ruhrgebietsstädte am Ende der Skala, sondern die strukturschwachen Gebiete in Ostdeutschland. Zunächst war nur die Arbeitslosenquote in diesen strukturschwachen Regionen am höchsten, inzwischen gilt dies auch für die Sozialhilfedichte.
2. Die Polarisierung der Quartiere innerhalb der Städte
Die Polarisierung der Quartiere ist insbesondere in den Großstädten sehr stark. Als prägnantes Beispiel soll die Stadt Hamburg genannt werden, in der - proportional betrachtet - die meisten Millionäre und zugleich die meisten SozialhilfeempfängerInnen wohnen. In fast allen Großstädten findet man entsprechend sowohl sehr reiche Quartiere als auch sehr arme Viertel.
Als Gründe für diese Polarisierung innerhalb der Städte werden vor allem die Globalisierung der Arbeitsmärkte, der Wohnungsmangel, die Pflege des Wirtschaftsstandorts und die ethnisch bedingte Segregation erwähnt.
Auch die hohe Konzentration von Nicht-Deutschen wird als ein Grund für die Vernachlässigung dieser Quartiere genannt. Anfängliche, später aber wieder aufgehobene Zugangsbeschränkungen für MigrantInnen bei öffentlich geförderten Wohnungen und eine einseitige Belegungspolitik haben die Segregation und die räumliche Konzentration von Nicht-Deutschen in wenig attraktiven Wohnvierteln gefördert; ihre Folgen sind heute noch zu spüren.
3. Von der Polarisierung zur Marginalisierung
Von der Polarisierung zur Marginalisierung ist es nur ein kleiner Schritt. Wird das Stadtbild in Bezug auf die genannten Kriterien der ökonomischen Inklusion, der politischen Partizipation und der kulturellen und sozialen Anerkennung sehr heterogen und wird diese Entwicklung noch medial aufbereitet und verstärkt, bleibt eine Marginalisierung bestimmter Quartiere nicht aus. Deren BewohnerInnen sind dann derart stigmatisiert, dass allein schon ihr Wohnort einen ausreichenden Grund für ihre Diskriminierung darstellt. Allein der Name des Stadtteils bewirkt dann eine berufliche oder soziale Ablehnung. Schon in der Schule oder sogar im Kindergarten entscheiden Wohnorte mit über das Ansehen der Kinder. Die Karrieren vieler BewohnerInnen marginalisierter Quartiere verlaufen deshalb in sehr engen Bahnen.
Ein besonderer Fall von Marginalisierung liegt dann vor, wenn das Quartier zusätzliche Stigmatisierung erfährt. Diese kann durch die Wissenschaft, die Verwaltung oder die Politik geleitet sein und über die Medien in die Öffentlichkeit transportiert werden. Besonders verheerend sind solche negativen Einflüsse von außen, wenn sich das Quartier von innen nahezu alleine stabilisieren könnte.
Zwei Entwicklungsszenarien für marginalisierte Quartiere
Die Entwicklung marginalisierter Quartiere verläuft nicht immer einheitlich. In mancherlei Hinsicht gibt es durchaus Zeichen einer deutlichen Verbesserung der Lebens- und Wohnqualität. Diese findet man hauptsächlich in den Vierteln, die von sozioökonomischen Umbrüchen betroffen waren und aufgrund eines Gentrifikationsprozesses
1. Die Aufwertung eines ehemals marginalisierten Viertels am Beispiel des Severinsviertels in der Kölner Südstadt
Das Severinsviertel im Herzen der Südstadt von Köln galt lange Zeit als ein so genanntes marginalisiertes Quartier.
Aus einer Dokumentation der Stadt Köln
Mit dem Ziel der Sanierung der Häuser führte die Stadt mit den betreffenden Hausbesitzern Gespräche und informierte sie über mögliche Unterstützungsmaßnahmen. Dabei konnten die Hausbesitzer entweder öffentliche Fördermittel in Anspruch nehmen und Sozialwohnungen bauen oder eine privatfinanzierte Modernisierung wählen und die Kosten später - entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen - auf die Miete umlegen. Im Zuge der Sanierung wurden Häuser abgerissen, deren Renovierung sich nicht mehr lohnte, und das alte Gebäude der inzwischen in Köln-Porz angesiedelten Fabrik der Firma Stollwerck wurde nach zähen Auseinandersetzungen mit Hausbesetzern demontiert. Zahlreiche Häuser wurden saniert, bis dahin fehlende kulturelle und soziale Einrichtungen gebaut, Verkehrsstraßen beruhigt und begrünt und neue Grünanlagen und Kinderspielplätze geschaffen.
Ein wichtiger Bestandteil des Konzepts war die Bürgerbeteiligung: Es gab eine Informations- und Beratungsstelle, öffentliche Veranstaltungen wurden durchgeführt und in einem eigens eingerichteten Forum konnten die BügerInnen aus dem Viertel die Konzepte einsehen. Es wurde ein Sanierungsbeirat gegründet, an dem 15 BürgerInnen mit unterschiedlichem sozialen Status, verschiedenen Alters und unterschiedlicher Nationalität beteiligt waren. Dieser hatte die Aufgabe, den Rat der Stadt Köln zu beraten. Seine Mitglieder konnten Anfragen stellen und über die Bezirksverwaltung Anträge in den Rat einbringen.
Das Viertel wurde stark aufgewertet, so dass sich die Atmosphäre verbesserte und der Wohnwert und die Lebensqualität enorm anstiegen. Trotz zahlreicher Sanierungs- und Umbaumaßnahmen konnte der Mietpreis relativ stabil gehalten werden, so dass kaum Menschen gezwungen waren, das Quartier zu verlassen. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist in etwa gleich geblieben. Zahlreiche neue Betriebe, Läden und Geschäfte sind entstanden, die das Flair des Viertels erheblich verbessert haben. Insgesamt ist hier ein bereits vorher bestehendes multikulturelles Viertel bewahrt worden, obwohl das Äußere des Stadtteils teilweise nicht mehr wieder zu erkennen ist.
2. Die weitere Abwertung eines marginalisierten Viertels durch Stigmatisierung: das Beispiel des Keupstraßenviertels in Köln-Mülheim
Auch das Keupstraßenviertel in Köln-Mülheim durchlief im Laufe der Zeit mehrfach Marginalisierungsprozesse. Zunächst war es ein reines Arbeiterquartier gewesen. Hier wohnten die Beschäftigten der umliegenden Fabriken, insbesondere der Firma Felten & Guillaume. Es gab eine ganze Reihe Einzelhandelsgeschäfte, kleinere Handwerksbetriebe und natürlich Arbeiterwohnungen. In den fünfziger und sechziger Jahren zogen die ersten MigrantInnen in das Viertel. Erst später, im Zuge der Rezession und als die inzwischen heruntergekommenen Häuser nicht mehr den Ansprüchen der deutschen Bevölkerung entsprachen, zogen immer mehr Deutsche entweder ganz aus Mülheim fort oder in benachbarte Siedlungen. Die Wohnungen und Geschäfte wurden von den damaligen HausbesitzerInnen nicht saniert, sondern gleich an die zugezogenen MigrantInnen vermietet, teilweise sogar an sie verkauft. So nahm sowohl die Wohn- als auch die Geschäftsbevölkerung mit Migrationshintergrund im Quartier deutlich zu.
Einige BewohnerInnen vertraten in Interviews die Auffassung, dass das Viertel blüht.
Die Stimmung im Viertel ist jedoch geteilt. Schon seit Jahren existiert eine so genannte Interessengemeinschaft (IG) Keupstraße, deren Mitglieder sich über den hohen Anteil der "ausländischen" Bevölkerung beklagen: Inzwischen wohnten zu viele MigrantInnen hier, so dass die kulturelle Identität der deutschen Bevölkerung bedroht sei. Zudem gäbe es zu viel Lärm, zu viel Schmutz und zu viel Verkehr.
Auch im öffentlichen Diskurs, vor allem in den Zeitungen und im Rundfunk, wurde lange Zeit vor allem ein negatives Bild des Viertels vermittelt: Es war die Rede von "massenhafter und illegaler Einwanderung", von Drogen, Kriminalität und Gewalt. Nicht zuletzt aufgrund der Initiative dieser Interessengemeinschaft haben das Bezirksamt Mülheim, die Stadt Köln und das Land Nordrhein-Westfalen eine Dokumentation über die Situation des Viertels publiziert, welche die Berichterstattung der Medien und auch der im Viertel wohnenden Deutschen abbildet.
Mit Hilfe der Labeling-Theorie
Schlussfolgerungen und Perspektiven
Das Beispiel des Severinsviertels in Köln verdeutlicht, dass auch marginalisierte Quartiere aufgewertet werden können. Gerade in solchen Quartieren findet man aufgrund des Engagements der Bevölkerung und zielgerichteter politischer und ökonomischer Maßnahmen eben auch die positiven Errungenschaften postmoderner Gesellschaften wieder.
Das Beispiel des Keupstraßenviertels in Köln-Mülheim zeigt, dass eine von außen gesteuerte Stigmatisierung bereits begonnene positive Prozesse (Sanierung, Entstehung kleiner Unternehmen, Realisierung kultureller Vielfalt) beeinträchtigen oder sogar blockieren kann.
Klaus Ronneberger, Stephan Lanz und Walther Jahn
Richtet man den Blick nun auf die Perspektiven marginalisierter Quartiere in bundesdeutschen Städten, dann müsste man zunächst einmal genau schauen, inwiefern die Menschen von Marginalisierung betroffen oder bedroht sind, wie sie sich mit ihrer Situation arrangieren und vor allem welche Maßnahmen sie selbst ergreifen, um ihren Alltag erträglich zu gestalten und sich gegen diese Marginalisierung zu wehren.
Damit wird eine in der modernen Ethnographie
Sind die Stärken der Menschen in diesen Quartieren bekannt und bleiben Stigmatisierungen aus, können in einem zweiten Schritt wirkungsvolle Konzepte erschlossen werden, um eine Segregation bzw. eine Marginalisierung städtischer Wohnviertel zu verhindern. Hier ist erstens an Konzepte zur Verbesserung der sozioökonomischen Inklusion, zweitens an eine Erhöhung der kulturellen Anerkennung und drittens an einen Ausbau der politischen Partizipation der QuartiersbewohnerInnen auf kommunaler Ebene zu denken. Wie sich am Beispiel der Keupstraße in Köln gezeigt hat, wird im Rahmen von Hilfe zur Selbsthilfe schon versucht, die ökonomische Inklusion durch die Ansiedlung zahlreicher kleiner Unternehmen zu verbessern. Dadurch kann Arbeitslosigkeit bereits reduziert werden. Sicherlich sind solche Betriebe kein Allheilmittel. Deshalb müssen v. a. weitere Bildungsangebote und eine frühe und nachhaltige Förderung von SchülerInnen möglichst ohne spezifische, auf benachteiligte Gruppen beschränkte, wiederum stigmatisierende Maßnahmen initiiert werden. Zudem sollte in ausreichendem Maße preisgünstiger Wohnraum in möglichst vielen Quartieren vorhanden sein, um die Segregation zu verhindern. Auch die kulturelle Anerkennung sollte erhöht werden, indem kulturelle Vielfalt endlich als ein positiver Wert aufgefasst und im Alltag gelebt wird. Vor allem gilt es, Kultur als einen Prozess aufzufassen, nicht als etwas Statisches. Verschiedene Kulturen müssen als eine Bereicherung interpretiert werden. Die Anerkennung verschiedener Lebensstile sollte im Zeitalter der Globalisierung und der Postmoderne nicht mehr ein unumgängliches Problem darstellen. Last but not least sollte politische Partizipation z.B. durch Stadtteilkonferenzen oder -foren forciert werden. Solche Beteiligungsmöglichkeiten können nachweislich zu einer verbesserten Integration der Zielgruppen beitragen. In Stadtteilforen können Wünsche der BewohnerInnen gegenüber der Stadt artikuliert, realistische Veränderungsmöglichkeiten diskutiert, aber auch Konflikte zwischen den BewohnerInnen thematisiert und gelöst werden. Gefragt ist hier allerdings weniger ein an egoistischen Interessen als vielmehr ein an der "Verantwortung für die Gesamtheit der Stadtgesellschaft"