Einleitung
Leidvoll bekannt ist allen Handelnden in der Kommunalpolitik der Widerstreit zwischen kurzfristig zu bewältigenden Tagesanforderungen und der Notwendigkeit, langfristige Entwicklungen im Auge zu behalten. Planung und Politik sollten sich auch auf die Zukunft beziehen. Die Sachzwänge des Alltags schließen jedoch Zukunftsorientierung in aller Regel faktisch aus. Besonders in schwierigen Zeiten wächst der Tagesdruck derartig, dass die Forderung, zukunftsorientiert zu planen, leicht als illusorisches Ansinnen zurückgewiesen wird. Dem ist entgegenzuhalten, dass nahezu alle Probleme, mit denen sich Kommunalpolitik zur Zeit konfrontiert sieht (vom demographischen Wandel über das Finanzproblem bis zur Stadtschrumpfung und zu neuen sozialen Ungleichheiten), vorhersehbar waren und vorhergesehen wurden. Offensichtlich konnte ihnen aber von der Kommunalpolitik unter dem Druck der Tagesaufgaben nicht "rechtzeitig" präventiv und vorausschauend begegnet werden. Die Erschließung der Zukunft, die Orientierung auf längere Zeithorizonte - zum Beispiel über Wahlperioden hinaus - scheinen in Politik und Planung einem fundamentalen Dilemma von Kurz- und Langfristigkeit zu unterliegen, das sich offenbar weder durch gut gemeinte Appelle noch durch Managementtechniken oder ähnliche probate Mittel aus der Welt räumen lässt.
Ziel des Forschungsverbundes "Stadt 2030", den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit dem Jahr 2000 fördert, ist die Vermittlung dieses Zukunftsdilemmas in kommunaler Politik und Planung:
- Wie lassen sich verbindliche und doch nicht über Gebühr bindende Ziele formulieren?
- Welche Funktion können Leitbilder oder Szenarien für die Stadtentwicklungspolitik erfüllen?
- Welche Reichweite und Treffsicherheit haben Prognosen in welchen Politikfeldern?
- Wie lässt sich eine zielorientierte und dennoch lernende Stadtentwicklungsplanung etablieren?
Der Anspruch des Forschungsverbundes "Stadt 2030" besteht darin, bei allen entscheidenden Fragestellungen, mit denen deutsche Städte zur Zeit konfrontiert sein könnten, die Möglichkeit der Vermittlung von Lang- und Kurzfristigkeit, von Zielorientierung und Offenheit kommunaler Planung zu prüfen. Um dies zu erreichen, wurden bei einem bundesweiten Wettbewerb im Frühjahr 2001 21 Projekte mit insgesamt 33 Städten und 54 wissenschaftlichen Instituten ausgewählt (vgl. Schaubild). Diese Projekte konnten fünf zentralen Komplexen zugeordnet werden: wachsende Stadt, schrumpfende Stadt, Integrationsleistung der Stadt, politische und territoriale Konstitution der Stadt (Regionalisierung), Kultur der Stadt (Identität).
Während in den 21 Einzelprojekten die Planungsmöglichkeiten für die Probleme der Stadt bearbeitet werden, konzentriert sich die Begleit- und Evaluationsforschung des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) auf die in den jeweiligen Projekten vorgeschlagenen Lösungen. Mit dem Forschungsverbund "Stadt 2030" steht der planerische Paradigmenwechsel, der sich in den siebziger Jahren vollzogen hatte, nun erneut zur Disposition. In der Planung der fünfziger bis siebziger Jahre galten klare, zumeist städtebauliche Ziele und Leitbilder als unabdingbare Bestandteile einer kommunalen Stadtentwicklungsplanung; sie wurden in den sechziger Jahren zu umfassenden Zielsystemen ausgearbeitet und in Institutionen, den neuen Stadtentwicklungsämtern oder entsprechenden Stabsstellen, organisatorisch verankert. Nach vielfältiger Kritik an der unzureichenden Offenheit solcher Zielsetzungen für die Stadtentwicklungsplanung kam es Ende der siebziger Jahre zu einem Umschwung. Gefordert wurde eine Prozessorientierung, eine Planung in kleinen Einzelschritten mit einer Zieloffenheit, die eine ständig lernende, sich selbst korrigierende Planung ermöglichen sollte. Man wollte nun Zielformulierungen vermeiden, die zwar für die Zukunft aufgestellt zu sein schienen, aber im Grunde nur Bedingungen der Gegenwart fortschrieben und der Komplexität von Stadtentwicklung nicht gerecht wurden.
Der Rückblick aus einem Abstand von fast 30 Jahren erlaubt zwei Einschätzungen dieses Paradigmenwechsels leitender Planungsvorstellungen. Zum einen erscheint die propagierte Offenheit von Planung angesichts drängender Herausforderungen wie der sozialen, ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit als unangemessen, so dass eine Rückkehr zu klaren Zielsetzungen notwendig sein könnte. Zum anderen aber war der Wandel, der sich seit den späten siebziger bis in die frühen achtziger Jahre vollzogen hat, zu tief greifend, als dass eine Rückkehr zu Leitbildern der sechziger Jahre ohne weiteres möglich wäre.
Damit ist der Anspruch des Forschungsverbundes "Stadt 2030" formuliert: Wie kann die Planung langfristig ausgerichtet werden, ohne die gleichfalls notwendige Offenheit für aktuelle Entwicklungen unzulässig zu begrenzen? Ist eine Vermittlung zwischen den beiden Planungsparadigmen möglich - zwischen der klaren, verbindlichen, langfristigen, aber einengenden (und damit unterkomplexen) Zielsetzung auf der einen Seite und einer Schritt-für-Schritt-Planung mit einer offenen, sich zwar ständig korrigierenden, aber zielunsicheren Stadtentwicklung auf der anderen Seite? Und wie kann sie organisiert und konzeptualisiert werden?
Bereits in den achtziger Jahren zeigte sich, dass der Wandel in den Planungsvorstellungen nicht nur auf der Kritik an einer fixierender Zielsetzung basierte, sondern auf umfassenden Veränderungen gründete. So schien zum Beispiel der Zukunftsoptimismus, der die Planungsvorstellungen der sechziger und frühen siebziger Jahre getragen hatte, erschüttert, sei es durch den akuten Rohölschock, sei es durch die heraufdämmernde Umweltkrise.
- Zukunftszweifel:
In den siebziger Jahren wird der bis dahin selbstverständliche Zukunftsoptimismus von Pessimismus abgelöst. Zukunft erscheint nicht mehr als das Bessere gegenüber dem Hier und Heute, sondern als Gefährdung. In riskanter Weise scheinen die Selbstbedrohungen der westlichen Zivilisation zu wachsen und ein Zukunftshandeln erforderlich zu machen, das eher in der Vermeidung von Übeln als in der Entwicklung, im Entwurf und der Durchsetzung des Guten besteht. Zukunftsbilder wandeln sich von positiven Utopien in Katastrophenszenarien, die Planung bestenfalls verhindern, aber nicht stimulierend auf Phantasie und Planung wirken können. Dessen ungeachtet wird aber Politik nach wie vor mit der Forderung nach einer positiven Perspektive konfrontiert.
- Wissenschaftszweifel:
Galten Wissenschaft und Forschung bis in die Mitte der siebziger Jahre als Autoritäten der Wahrheit und Objektivität, die damit auch Zukunft vernünftig erschließen konnten, setzt zum Ende der siebziger Jahre ein gravierender Legitimationsverlust aller Wissenschaft, vor allem aber der Sozial- und Planungswissenschaften, ein. Ihre Ergebnisse gelten als beliebig, zu jeder Aussage kann auch das Gegenteil gesagt und durch "bestellte Gutachten" "untermauert" werden, so jedenfalls die landläufige Vorstellung. Diese Zweifel an objektiver Wissenschaft stehen aber in tiefem Gegensatz zur wachsenden Notwendigkeit von Wissen, auch von wissenschaftlichem Wissen in einer wissensbasierten Ökonomie, auf die sich die deutsche Gesellschaft hinbewegt.
- Politikzweifel:
Die Politik erleidet seit den späten siebziger Jahren einen Legitimitätsverlust. Ihre Position als exklusiver Akteur einer Gesellschaftssteuerung wird als unsicher und begrenzt wahrgenommen. Zunehmend rückt die Abhängigkeit der Politik von einer Vielzahl anderer, nationaler und internationaler, Akteure ins öffentliche Bewusstsein, ohne dass dabei die Wünsche an politische Steuerungsleistungen erheblich zurückgenommen würden. Es intensiviert sich die internationale Verflechtung, wenig später als Globalisierung bezeichnet, in der nationalstaatliche Autonomie vermutlich tatsächlich reduziert wird. Auf kommunaler Ebene ist diese Abhängigkeit der Politik von international agierenden Akteuren der privaten Wirtschaft spürbar. Aber auch die Abhängigkeit der Kommunen von staatlicher Gesetzgebung bestärkt die verbreiteten, wenn auch häufig diffusen Zweifel an der Gestaltungs- und Steuerungsmacht lokaler Politik. Mechanismen einer pluralen Willensbildung, die nicht mit repräsentativer Wahl erschöpft ist, werden zunehmend undurchschaubar und führen zum Anerkennungs- oder Legitimationsverlust von Politik.
Diese drei Zweifel - an positiver Zukunft, an Verlässlichkeit von Wissenschaft und an Steuerungsfähigkeit von Politik - sind seit den siebziger Jahren keineswegs geringer geworden, sondern sie sind im Gegenteil zum gesicherten Bestand eines "Alltagswissens" großer Teile der Bevölkerung geworden. Damit ist eine direkte Rückkehr zu politisch handhabbaren, wissenschaftsfundierten und emotional stimulierenden Zukunftsbildern und -vorstellungen für die kommunale Planung eher unwahrscheinlich, auch für den Forschungsverbund "Stadt 2030". Die These vom langfristigen Wandel in der "Achsenzeit" der siebziger Jahre scheint sich zu bestätigen. Und dennoch verstärkt sich die Notwendigkeit langfristiger Planung und Politik, will man zum Beispiel Phänomenen wie dem Geburtenrückgang, dem Flächen- oder dem Energieverbrauch gerecht werden. Dies führt zu fünf Dilemmata von Politik und Planung
Die Dilemmata der Planung
Gegenwartsschrumpfung und Zukunftswachstum
Hochindustrielle Gesellschaften sind in zunehmendem Maße von Wissen abhängig. Die Produktion dieses Wissen unterliegt jedoch wachsender Beschleunigung, so dass bestehendes Wissen zunehmend entwertet wird. Dieses Dilemma führt zur "Gegenwartsschrumpfung",
Ausdehnung der Zeiträume von Folgen des wissenschaftlich-technischen Handelns
Aufgrund technischer Anforderungen verlängern sich die zeitlichen Folgen jeder Handlung, etwa im Verkehrswesen und in der Energiewirtschaft. Ein vorindustrieller "Trampelpfad" zum Beispiel konnte, wenn nicht mehr benutzt, nach wenigen Jahren überwuchert und verschwunden sein. Eine moderne Autobahn liegt "auf ewig" in der Landschaft. Und in der Energieproduktion reichen die Zeiträume von Folgen dieser Produktion inzwischen in die Jahrtausende. Gegenwärtige Entscheidungen haben also langfristige Folgen, ragen in eine Zukunft hinein, die aber - wie gesehen - immer weniger bekannt ist und als unbekannte Zukunft immer näher an die Gegenwart heranrückt.
Wachsende Folgenmasse des wissenschaftlich-technischen Handelns
Nicht nur die Dauer, auch die Masse der Folgen von allen Handlungen im technischen oder sozialen Feld wächst und wirkt in eine Zukunft, von der wir immer früher immer weniger wissen - außer, dass wir sie durch unser Handeln mit prägen und binden.
Verkürzung des Zeitraumes für politische Entscheidungen
Die Verkürzung der Gegenwart führt zu wachsendem Zeitdruck auf die Politik, deren Entscheidungen und Maßnahmen unmittelbar zu Ergebnissen und Erfolgen führen sollen. Der Erwartungshorizont an Politik wird damit immer enger und zeitlich kürzer. Die Folgen politischer Entscheidungen aber nehmen an zeitlicher Reichweite und Masse zu, so dass unter ständig abnehmender Zeitperspektive Entscheidungen von wachsender zeitlicher Reichweite getroffen werden.
Zukunft als Abstieg
Die wachsenden Risiken und Selbstgefährdungen, denen sich moderne Gesellschaften aussetzen, lassen Zukunft tendenziell als Abstieg von einem gegenwärtig hohen Niveau an Sicherheit und Wohlstand erscheinen. Da zukünftiges Wissen in der Gegenwart nicht schon bekannt sein kann, können auch zukünftige Lösungen für Probleme nicht jetzt gewusst werden, selbst wenn die Probleme selber bereits bekannt oder gar verursacht sind. Es entstehen Zukunftsunsicherheiten und -ängste.
Konsequenzen für den Forschungsverbund "Stadt 2030"
Unter diesen Bedingungen war in den Projekten des Forschungsverbundes "Stadt 2030" zu entscheiden, welche Entwicklungen mit hinreichender Sicherheit über einen mittel- bis langfristigen Zeitraum zu prognostizieren sind, welche Maßnahmen sich aus diesen Entwicklungen entweder zu ihrer Realisierung oder zu ihrer Verhinderung ableiten lassen und wie diese Maßnahmen in der lokalen Politik zu implementieren sind.
Auf dem gegenwärtigen Stand des Forschungsverbundes "Stadt 2030" zeigen sich einige Entwicklungen, denen große Stabilität und hohe prognostische Sicherheit zugeschrieben werden, und andere, denen man mit prognostischer Unsicherheit oder Zurückhaltung begegnet.
Sichere Prognosen mit großer zeitlicher Reichweite: Demographie
Als Entwicklung mit größter denkbarer prognostischer Sicherheit gilt die natürliche Bevölkerungsentwicklung, der demographische Wandel. In allen Projekten, die diese Zukunftsperspektive thematisieren, werden die verfügbaren Prognosen über den Rückgang der Bevölkerungszahl in Deutschland wegen konstant niedriger Reproduktionsziffern uneingeschränkt akzeptiert. Diese Entwicklung gilt als stabil und politisch nur noch marginal beeinflussbar sowie als Rahmenbedingung zukünftiger Planung. Unsicher bleibt nur, wann und in welchem Ausmaß Migration zur Kompensation des natürlichen Bevölkerungsrückgangs einsetzt und akzeptiert wird.
Dennoch neigen einzelne Projekte aus stark schrumpfungsgefährdeten Städten dazu, Bevölkerungsprognosen nicht über das Jahr 2015 hinaus aufzustellen, obwohl sich die natürliche Bevölkerungsentwicklung ohne gravierende Fehlerrisiken über mindesten drei bis vier Jahrzehnte prognostizieren ließe. Solche Projekte aus Städten mit massivem Bevölkerungsrückgang tendieren daher zu einer Konzentration auf kurzfristige, eher prozessuale Planungen, da ein Fernziel so pessimistisch wirkt, dass es politisch nicht vermittelbar erscheint. Dies ist möglicherweise ein schwerer Fehler, denn auf diese Weise können illusorische Wachstumshoffnungen genährt und erhalten werden. Dramatische Fragen zukünftiger Stadttransformation - z.B. des Wandels einiger, etwa mittlerer oder kleinerer Industriestädte durch Bevölkerungsverlust zu völlig neuen Stadttypen - werden auf diese Weise ausgeblendet, obwohl sie unter langfristiger Perspektive zu stellen wären. In verdeckter Form taucht das Problem dennoch auf, wenn in schrumpfenden Kommunen nach der Stadtgestalt gefragt wird, welche deren Substanz ausmachen könnte und nicht angetastet werden darf, wenn die Stadt erhalten werden soll.
Als gleichfalls sicher, wenn auch deutlich unklarer in den Konsequenzen, gilt der ökonomische Wandel. Alle Projekte, die diese Perspektive einbeziehen, halten den Übergang zur Dienstleistungs- und Wissensökonomie für unausweichlich und akzeptieren ihn als Rahmenbedingung, obgleich die Folgen dieses Wandels häufig noch nicht in klaren Konturen vor Augen stehen. Eine Reihe von Projekten verbindet den Übergang zur Dienstleistungs- und Wissensökonomie mit dem Identitätsproblem, also mit der Frage nach den kreativen Milieus und der mentalen Kultur der Stadt, von denen der Wandel ausgehen und getragen sein könnte. Mit dem Ziel eines weiteren Wachstums in neuen Wirtschaftsbereichen verbindet sich in der Regel das Ziel eines Mentalitätswechsels in der Stadt selbst, aber auch das eines Imagewandels, also eines neuen Außenbildes der Stadt - beides in der Stadtforschung bekannte Problemstellungen, deren planerische Lösung aber als außerordentlich schwierig gilt, da sich städtische oder regionale Identitäten aufgrund ihrer extremen Stabilität kaum steuernd und planend verändern lassen. In diesen Projekten ist häufig das Fernziel relativ klar definiert, die nächsten Schritte zu seiner Realisierung bleiben aber undeutlich.
Unsichere Prognosen mit geringer zeitlicher Reichweite: Entwicklung und Reform des Sozialstaates
Als Feld mit deutlich geringerer prognostischer Sicherheit gilt die Entwicklung des Sozialstaates, eine für die Kommunalpolitik sehr entscheidende Rahmenbedingung. Zwar sind sich die Projekte, die diesen Komplex thematisieren, nicht sicher oder gar einig über das Ausmaß erwartbarer Veränderungen - dass aber soziale Ungleichheit in den deutschen Städten zunehmen wird und sich Armuts-, Ausgrenzungs- und Segregationsphänomene ausweiten werden, gilt als gewiss.
Aber mehr noch als in den Projekten zu schrumpfenden Städten scheint mit dieser Perspektive einer wachsenden sozialen Ungleichheit gleichsam ein Tabubruch verbunden zu sein. Zunehmende Ungleichheit kann weniger noch als die Stadtverkleinerung zum stadtentwicklungspolitischen Ziel erklärt werden, so dass langfristige "Bilder" dieser anderen Stadt kaum auftauchen. Es dominiert eindeutig die "inkrementalistische" Planung in kleinen Schritten, mit denen das Problem, das sich politisch nicht in eine Vision umsetzen lässt, eher umgangen als bearbeitet wird. Zukunftsunsicherheit oder gar -angst prägen die Auseinandersetzung mit neuer Ungleichheit. Förderung sozialer Gleichheit als Strategie der Integration nach dem Modell des Wohlfahrtsstaates und mit seinen Instrumenten einer materiellen Umverteilung wirkt auf kommunaler Ebene wie ein moralischer Konsens, der durch die Anteilnahme aller am Gemeinwesen normativ gestützt wird. Hier überschneiden sich die Themenkomplexe Integration und Identität oder Identifikation. Nicht die prognostizierte Ungleichheit wird in Zukunftsbildern vorwiegend zum Ausdruck gebracht, sondern es wird eine Identifikation aller Bewohner mit der Stadt postuliert, eine Solidarität zwischen allen Bürgern, die zur Basis von Gleichheitskonzepten werden soll. Da sich solche Modelle für die Stadt als Ganzes kaum vorstellen und konkretisieren lassen, beschränken sich die Integrationsprojekte vorwiegend auf einzelne Stadtteile, suchen deren Solidaritätspotenziale aufzuspüren und als Ressource von Lebensqualität im Sinne eines "sozialen Kapitals"
Besonders heikle Forschungsprobleme stellen sich bei Projekten, die die Zukunft der Stadt aus der Formulierung und Durchsetzung neuer Bürgerrechte zu entwickeln suchen. Z.B. wird im Projekt der Stadt Bremen
Widersprüchliche Prognosen: Effizienz und legitimatorische Basis lokaler Politik
Neben Projekten, die in ihren Zukunftsperspektiven zwischen objektivierender Prognostik und normativer Setzung schwanken, findet sich eine Gruppe, in der zu ein und demselben Gegenstand widersprüchliche Vorhersagen getroffen werden. Solche Widersprüche entstehen vor allem in Bezug auf die institutionellen Formen der Kommunalpolitik. Dass die Kommune als politische Institution lokaler Selbstverwaltung Bestand haben wird, bezweifelt kein einziges Projekt im Forschungsverbund "Stadt 2030". Ob jedoch angesichts zunehmender Vernetzung der Städte und mit Blick auf Zukunftsaufgaben, die an kommunalen Grenzen nicht enden, gegenwärtige territoriale Abgrenzungen aufrechterhalten werden können, ist umstritten. Diese Auseinandersetzung wird vor allem bei den Regionalisierungsprojekten geführt. Einerseits sollen Regionalstädte gegenwärtig eng gefasste kommunale Territorien ersetzen, die zur Basis lokaler Willensbildung und Verwaltung werden müssten, wenn zum Beispiel eine nachhaltige Regionalentwicklung erfolgreich sein soll. Dem stehen andererseits Projekte gegenüber, welche die Zukunft von Regionalpolitik und -planung in Verabredungen zwischen Kommunen sehen, um so den mühsamen Prozess einer institutionellen Reform der Kommune zu überspringen. Sowohl bei der Effizienz als auch hinsichtlich der demokratischen Legitimation zeigen sich Stärken und Schwächen der beiden Lösungen. Das Verabredungsmodell ist sofort herstellbar, kann also kurzfristig effizient sein. Ob Verabredungen wie zum Beispiel im Projekt "Städteregion Ruhr"
Diesen beiden Einwänden suchen die Befürworter dieses Modells durch Bildung regionalstädtischer Institutionen zu begegnen, müssen dafür aber eine wachsende Distanz der gewählten Kommunalpolitiker und der Regionalverwaltungen von der lokalen Basis in Kauf nehmen. Und selbst dann, wenn die Regionalstadt als neue kommunale Institution fixiert werden kann, bleibt deren territoriale Abgrenzung prekär. Es müssen neue Grenzen gefunden werden, die ihrerseits zur Zerschneidung von Vernetzungen und Problemzusammenhängen führen. Die Tatsache, dass die Stadt für die kleinen Schwierigkeiten zu groß und für die großen zu klein ist, stellt sich unausweichlich bei jeder Abgrenzung. Verabredungsstrategien eines Governance-Modells zielen nicht nur auf eine Flexibilisierung von Grenzen, sie heben diese praktisch auf, da für jeden Anlass neue Konstellationen von gemeinsam handelnden kommunalen Akteuren gefunden werden können (dies ist ihr unschätzbarer Vorteil), aber auch gefunden werden müssen (das kann zu ihrem Nachteil werden).
Partizipation als Steuerungsressource
Politische Steuerung basiert traditionell auf Recht oder auf Geld. Da die Kommunen einerseits selbst kein Recht setzen, also nicht gesetzgeberisch wirken können, da die kommunalen Finanzen andererseits unter einer notorischen Dauerkrise leiden, zeigen sich deutliche Schwächen kommunalpolitischer Steuerungspotenziale. Diese verweisen die 21 Projekte des Forschungsverbundes "Stadt 2030" nachdrücklich auf die Zukunft der lokalen Demokratie als Forschungsgegenstand. Durch neue Formen der Bevölkerungsbeteiligung sollen die gegenwärtigen Defizite kommunaler Steuerungsressourcen ausgeglichen werden. Partizipation, sei es von formellen Akteuren im kommunalen Feld, sei es von einer weitgehend unorganisiert gedachten Bevölkerung, gilt als Ressource. In konsequenter Reaktion auf die anfangs genannten drei "Zweifel", die sich seit den siebziger Jahren verfestigt haben, sind es drei Funktionen, die einer Beteiligung der Bevölkerung oder zivilgesellschaftlicher Akteure zugeschrieben werden:
- Die Projekte, die Barrieren gegen langfristige Zukunftsorientierung vor allem in Zukunftsängsten und Zukunftsunsicherheiten sehen, versuchen die Bevölkerung in die Planung einzubeziehen, um Akzeptanz für schwer nachvollziehbare, unpopuläre Planungen zu erreichen.
- Werden dagegen eher die Zweifel an der Objektivität wissenschaftlicher Aussagen betont, gelten Bewohnerinnen und Bewohner häufig als "Experten in eigener Sache". Ihre Mitsprache, Mitentscheidung oder auch nur ihre Befragung kann in diesen Fällen, so die Vorstellung, Mängel der wissenschaftlichen Aussagen kompensieren, diese korrigieren oder erhärten, ihnen also die Glaubwürdigkeit geben, die allein aus der Wissenschaft nicht - mehr - zu gewinnen ist.
- Werden dagegen Defizite in den politischen Steuerungskapazitäten als Ursachen unzureichender Zukunftsorientierung vermutet, zielen die Versuche, Partizipation zu mobilisieren, auf eigene Leistungs- und Handlungsressourcen der Zivilgesellschaft, also z.B. auf Solidaritätspotenziale oder auf ein "Sozialkapital" zum Ausgleich sozialpolitisch nicht mehr zu schließender Versorgungslücken.
Unsicher bleibt allerdings, ob diese Beteiligungsformen kommunaler Politik die Stabilität vermitteln können, die zur Formulierung und Durchsetzung langfristiger Ziele notwendig ist.
Resümee
Der Forschungsverbund "Stadt 2030" wirft Fragen nach der Notwendigkeit und Möglichkeit langfristiger Ziele und Zukunftserschließungen in der Kommunalpolitik und -planung auf. Über die Defizite einer ausschließlich in Einzelschritten oder prozessual operierenden und denkenden Politik und Verwaltung besteht bei allen Projekten weitgehend Einigkeit. Die Differenzen aber in der Verbindlichkeit von Zielen, in den prognostischen Aussagen über die Zukunft der Stadt - sei es als gebauter Raum, sei es als Lebens- und Wirtschaftsraum oder als politische Institution - verweisen auf die Schwierigkeiten, die mit der Verfestigung von Prozessen zu Strukturen, von Diskursen zu Entscheidungen, von Bewegungen zu Institutionen verbunden sind. Allerdings sollen auf der gegenwärtigen Stufe des Forschungsverbundes "Stadt 2030" auch keine umfassenden Lösungen gefunden werden. Eher geht es darum, angesichts der bisher noch vorherrschenden Dominanz prozessualen Denkens eine neue Sensibilität dafür zu wecken, dass die großen Herausforderungen für die Zukunft der Stadt nur bewältigt werden können, wenn diese Aufgaben auch institutionalisiert werden, wenn es also Institutionen auf kommunaler Ebene gibt, die Langfristigkeit und Zukunftsorientierung sicherstellen - ohne deswegen zu den Überbürokratien der Stadtentwicklungsämter der sechziger Jahre zurückzukehren.