Einleitung
Betrachtet man die aktuelle Diskussion, so scheint Städtepolitik mittlerweile einzig eine Frage fehlender Finanzmittel zu sein. Gewaltige Haushaltsdefizite, schmerzhafte Sparprogramme und die schwindende Investitionskraft der Kommunen verstellen weitgehend die Sicht auf die Gesamtheit der urbanen Probleme, denen sich die Politik widmen muss. Eine Reduzierung der Schwierigkeiten auf die Haushaltslage nährt die trügerische Hoffnung, die Reform der Gemeindefinanzierung und der ersehnte wirtschaftliche Aufschwung würden die Aufmerksamkeit der Politik schon wieder von den Kommunen weg auf andere Bereiche lenken und strukturelle Reformen überflüssig machen.
Eher mangelndem Reformwillen denn fehlender Aufmerksamkeit ist das Desaster der Kommunalfinanzen geschuldet. Seit der sich verfestigenden Beschäftigungskrise in den achtziger Jahren war leicht prognostizierbar, dass die Ausgaben für die kommunale Sozialhilfe die städtischen Etats sprengen würden, wenn diese dauerhaft für die Finanzierung des Lebensunterhalts von Langzeitarbeitslosen aufkommen müssen. Das Nebeneinander von Arbeits- und Sozialämtern bietet dem Staat, den Sozialversicherungen und den Kommunen Möglichkeiten zur Lastenverschiebung, es steigert jedoch den administrativen Aufwand und verschlechtert am Ende die Integrationschancen der Hilfesuchenden. Auch dies ist lange bekannt und wird nun mit fast zwei Jahrzehnten Verspätung auf die Reformagenda gehoben, die gravierende Umbaumaßnahmen im sozialen Sicherungssystem einleiten soll.
Der Umbau wird von eher abstrakt anmutenden Diskussionen etwa um die Beitragssätze der Sozialversicherungen oder die Bezugsdauer von Lohnersatzleistungen bestimmt. Neben dieser notwendigen Debatte sollte jedoch auch die gesellschaftliche Realität in den Städten Eingang in die politische Auseinandersetzung finden. Zu dieser Wirklichkeit gehört der Zerfall familiärer Strukturen, der Trend zur Vereinzelung, die Zunahme psychischer Erkrankungen und die Ballung unterschiedlichster Problemlagen in einzelnen Stadtquartieren.
Doch die skizzierte Debatte über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme blendet einen Aspekt offensichtlich aus: Unverzichtbarer Bestandteil des Sozialstaates bleibt eine solidarische Stadtgesellschaft, deren Erhalt die größte Herausforderung an die Städtepolitik darstellt und die nicht nur Kommunalpolitiker, sondern die Politik insgesamt in die Pflicht nimmt. So wenig wie die sozialen Sicherungssysteme ohne angemessene finanzielle Beiträge einkommensstarker Gruppen auskommen, kann eine Stadtgesellschaft ihre soziale Funktionsfähigkeit ohne das bürgerschaftliche Engagement ihrer Einwohner erhalten. Noch ist nicht entschieden, ob der Rückzug des Staates bürgerschaftliches Engagement stimuliert oder viele Menschen darin im Gegenteil ein Signal zur Verringerung des eigenen gesellschaftlichen Engagements zu erkennen glauben.
Bevor jedoch der Wettstreit um die düsterste Prognose einsetzt, sollten stadtpolitische Trends über einen längeren Zeitraum ausgewertet werden. Dabei wird man auf Brüche in Entwicklungslinien stoßen und überraschende Veränderungen im gesellschaftlichen Verhalten finden. Übrigens, auch negative Trends sind per se nicht unumkehrbar. Allerdings führt nicht jedes energische Gegensteuern am Ende zum gewünschten Ergebnis. Während sich die Stadtplanung übermäßig und viel zu lange an den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs ausgerichtet hat, könnte man dessen Gegnern anlasten, ungewollt einen Beitrag zur Konzentration des Einzelhandels an den - mit dem Auto komfortabel erreichbaren - Stadträndern geleistet zu haben. Das dürfte in der Konsequenz nicht nur den Flächenverbrauch gesteigert haben, sondern wohl auch den Autoverkehr - von der sinkenden Attraktivität der Innenstädte ganz zu schweigen. Wer aus Furcht vor dem Weg in den Überwachungsstaat die Installation technischer Überwachungssysteme ablehnt, ignoriert das tatsächlich vorhandene Unsicherheitsgefühl von Einwohnern und vermindert die Bereitschaft zur Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs.
Dieser Verkehrssektor braucht Wachtumsimpulse, die wohl eher von neuen Wettbewerbssituationen als von Appellen an das Umweltbewusstsein zu erwarten sind. Eine Verlagerung vom motorisierten zum nichtmotorisierten Verkehr und vom Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr erscheint unausweichlich, sollen die angestrebten Klimaschutzziele tatsächlich erreicht werden. Was nach Einschränkung klingt, kann auch eine Chance zur Verbesserung der Lebensqualität in den Städten sein. Der Fortzug von Menschen aus den Großstädten in das Umland hat sicher auch viel mit den Lebensbedingungen in den Städten und einer zu stark auf die bloße Bedarfsdeckung ausgerichteten Wohnungspolitik zu tun. Städte müssen mehr leisten, um dem urbanen Leben größere Attraktivität zu verleihen. Dabei sollten sie mehr auf die Innovationskraft von Architekten, Stadtplanern und Projektentwicklern denn auf die Werbewirkung von Imagekampagnen setzen. So bieten brachliegende Industrieflächen und schwer vermietbare Gewerbe- und Wohngebäude Entwicklungsmöglichkeiten für moderne Stadtquartiere, die den Reiz städtischen Wohnens neu entfalten und sich wohltuend von den in der Regel uniform anmutenden Wohngebieten in Umlandgemeinden abheben können.
Wer dort ein Eigenheim gebaut hat und zur Arbeit in die Stadt pendelt, wird steuerlich gut behandelt, obwohl dies zur Zersiedelung der Landschaft und zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen mit negativen Auswirkungen für die Lebensqualität vieler Stadtbewohner führt. Diese Förderung lässt sich der Staat einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten, der - zumindest zu einem Teil - besser für städtische Infrastrukturprojekte eingesetzt würde. Dies könnte die Attraktivität der Städte steigern und damit auch einen Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsposition unserer Volkswirtschaft leisten. Bei Standortentscheidungen international operierender Unternehmen spielt der Zustand der kommunalen Infrastruktur und die Lebensqualität in der Stadt eine bedeutende Rolle. Hier droht der Vorteil, den deutsche Städte in der Vergangenheit traditionell hatten, verloren zu gehen.
Diese Gefahr resultiert auch aus der mangelnden Bereitschaft, einen solidarischen Lasten- und Vorteilsausgleich zwischen den Großstädten und den angrenzenden Umlandgemeinden zu organisieren. Diese profitieren in der Regel von der kommunalen Infrastruktur der Kernstadt. Dies verringert die eigenen Aufwendungen und schafft finanzielle Spielräume, die in den Großstädten - auch wegen der überproportionalen Belastungen im Sozialhaushalt - längst nicht mehr vorhanden sind. Die Situation dürfte sich drastisch verschärfen, wenn den Kommunen ein eigenes Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer eingeräumt wird. Gäbe man dieser Forderung nach, entstünde für die einkommensstarken Bevölkerungsgruppen ein enormer Anreiz zum Umzug in die Umlandgemeinden. Es drohte ein Wettlauf um den niedrigsten Steuersatz, an dem sich die Großstädte nicht beteiligen könnten. Das Resultat wäre eine weitere Verschlechterung der Finanzsituation der Großstädte.
Die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Europäischen Union (EU) lebt in Städten. Die europäische Politik hat dieses Faktum lange Zeit nicht ausreichend berücksichtigt und Städtepolitik eher als Randthema behandelt. Noch immer fließt fast die Hälfte des 100 Milliarden-Haushalts der EU in den Agrarbereich. Sehr bescheiden wirkt dagegen das finanzielle Engagement der EU in der Gemeinschaftsinitiative URBAN II. Mit jährlich rund 100 Millionen Euro fördert die EU Maßnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Wiederbelebung städtischer Gebiete. Auch wenn sich die europäische Städtepolitik nicht auf eine Gemeinschaftsinitiative beschränken lässt, bleibt ein Missverhältnis zwischen Stadt und Land in der EU-Politik bestehen. Dabei würde allein der Respekt vor den Integrationsaufgaben Anlass zu Korrekturen bieten: Die großen europäischen Städte stehen vor der Herausforderung, den sozialen Zusammenhalt von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion in einer Periode des schnellen gesellschaftlichen Wandels zu organisieren. Wie die künftigen Rahmenbedingungen gestaltet sein werden, ist derzeit schwer abschätzbar.
Die Wettbewerbspolitik der EU-Kommission hat in den vergangenen Jahren das Betätigungsfeld der Kommunen neu abgesteckt und neue Regeln geschaffen. Bei aller Sympathie für die mit der Deregulierung verbundenen Zielsetzungen dürfen jedoch Bedenken gegenüber einem undifferenzierten Vorgehen nicht verschwiegen werden. Die Erledigung kommunaler Aufgaben ist in den Mitgliedsstaaten der EU sehr unterschiedlich geregelt. Diese unterschiedliche Ausgangssituation sollte stärkere Berücksichtigung finden, was sicher den Ehrgeiz zur Vereinheitlichung zügeln dürfte.
Das gilt auch für die Definition der Aufgaben, die als Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge nicht nur öffentlich gewährleistet, sondern auch in kommunaler Verantwortung erbracht werden sollten. Wo gleichberechtigter und ungehinderter Zugang für alle Stadtbewohner zu garantieren ist, entfalten die Marktkräfte nicht immer die gewünschte Wirkung. Auch dieses Feld bietet sich für einen konstruktiven Erfahrungsaustausch der lokalen Akteure an. Von einer engeren Kooperation der europäischen Städte können alle Beteiligten profitieren. Schließlich bleibt die Vielfalt der europäischen Stadtkultur ein Potenzial mit hoher Entwicklungsfähigkeit, das sowohl zur Verbesserung der Lebensqualität in unseren Städten als auch als Triebfeder für eine positive wirtschaftliche Entwicklung genutzt werden muss.